Rein gefühlsmäßig

Rational betrachtet ist die Sache klar: Risiken sind kalkulierbar. Sie lassen sich messen, wiegen, zählen, versichern und steuern, annehmen oder ausschließen, und wo das nicht geht, zumindest minimieren.




Strategieberatung bedeutet auch Riskmanagement. Wer damit täglich zu tun hat, kennt die Signale einer drohenden Gefahr und beherrscht diverse Tools, um damit umzugehen. Für den Unternehmensberater sind Risiken deshalb zunächst einmal Fakten. Probleme, die er löst.

Rational betrachtet ist die russische Fluglinie Aeroflot eine der sichersten der Welt, durch die Expertise von McKinsey ist sie zudem auf dem Weg, eine hoch profitable zu werden. Das alte Image der riskanten Bruch-Airline hält sich dennoch beharrlich. Weil die gefühlte Sicherheit der Passagiere, wie es der stellvertretende Aeroflot-Generaldirektor Alexander Zurabov formuliert, eben nicht von Zahlen lebt (Seite 10).

Genauso wenig wie das Wohlbefinden der Deutschen im Umgang mit Mobiltelefonen oder beim Verzehr von Gen-Tomaten. Bewiesen ist bislang weder die gesundheitsgefährdende Strahlung von Elektrosmog noch die Krebs auslösende Wirkung der mutierten Tomate. Wir fürchten uns dennoch. Die Angst vor dem Ungewissen, vor dem, was die Wissenschaft Phantomrisiken nennt, wächst (Seite 54).

Sie wächst aber auch überall da, wo wir wissen: „Der Preis von Erkenntnis ist Erkenntnis, und das führt nicht unbedingt schnurgerade zur Einsicht, sondern oft zu Verwirrung“, heißt es in der Geschichte, die beschreibt, wie das Risiko in die Welt kam (Seite 22).

So ist nur verständlich, dass wir nach Sicherheit streben – wohl wissend, dass es sie nicht gibt.

Die Kirche, das erzählte uns Kardinal Karl Lehmann (Seite 68), unterscheidet fein zwischen den Begriffen Sicherheit und Gewissheit. Sicherheit sei brüchig, meint der Kardinal, mache sich an endlichen Dingen wie Geld oder Reichtum fest, die letztlich keinen Verlass bieten, weil sie mit der Gefahr einer Täuschung behaftet sind.

Die Gewissheit reicht weiter: „Über alle Risiken hinweg existiert ein letztes Fundament für Vertrauen. Das ist der Glaube.“

Das glauben Sie nicht? Man muss kein Christ sein, um die vermeintliche Idylle, den Zustand permanenter Sicherheit, als gefährliche Täuschung zu entlarven. Der amerikanische Bestsellerautor und Kriegsreporter Sebastian Junger jedenfalls ist davon überzeugt, dass ein Leben ohne Risiko eine ausweglose Unterforderung bedeutet. Und dass, wer versucht Risiken zu meiden, Gefahr läuft, irgendwann an Langeweile zu sterben (Seite 114).

Es muss ja nicht gleich der Urlaub im Krisengebiet, Freeclimbing oder Bungee-Jumping sein. Aber ein wenig mehr Neugierde auf Zukunft, also auf Ungewissheit, und etwas mehr Lust am Risiko würde so manchem nicht schaden. Was nicht bedeutet, das Bedürfnis nach Sicherheit komplett zu streichen.

Was das angeht, sollten wir es – wie die Berater – vielleicht einmal mit Risikomanagement versuchen: der Kunst, Gefahren zu kalkulieren. Denn nur bewusstes Risiko erzeugt Sicherheit. Und hilft, in der Gefahr auch zu sehen, was die Furcht meist verstellt: die Chance.


Dieser Text stammt aus unserer Redaktion Corporate Publishing.