brand eins-Container: Landwirtschaft # 03

„Die solidarische Landwirtschaft wird weiter wachsen“

Die Agrarökonomin Insa Theesfeld erforscht, wie sich Ressourcen in der Landwirtschaft am klügsten nutzen lassen. Sie ist überzeugt: Solidarische Landwirtschaft ist mehr als ein Nischen-Phänomen.





Insa Theesfeld ist Professorin für Agrar-, Umwelt- und Ernährungspolitik am Institut für Agrar- und Ernährungswissenschaften der Universität Halle-Wittenberg.

brand eins: Frau Theesfeld, viele Menschen machen sich aktuell Sorgen, dass Lebensmittel knapp werden könnten. Hilft das Modell der solidarischen Landwirtschaft, wieder regionale, autarke Versorgungsstrukturen aufzubauen?

Insa Theesfeld: Oh, schwierige Frage. Die solidarische Landwirtschaft ist sicher kein Modell, das man in die ganz große Breite tragen kann. Es richtet sich an Menschen, die sich für die Herkunft ihrer Lebensmittel sehr interessieren und an der Produktion teilhaben wollen. Wichtig finde ich aber, dass man bei globalen Herausforderungen immer auf Vielfalt setzt. In diesem Sinne spielen auch die Solidar-Modelle eine wichtige Rolle.


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Es bleibt also ein Nischen-Phänomen?

2014 hatten wir 60 Höfe, die solidarische Landwirtschaft betrieben, heute sind es mehr als 400. In Relation zu insgesamt 17 Millionen Hektar bewirtschafteter Fläche und fast 270 000 landwirtschaftlichen Betrieben in Deutschland ist das wenig. Aber das sind letztlich nicht die entscheidenden Kriterien, nach denen man die Wichtigkeit des Modells beurteilen kann.

Sondern?

Die solidarisch bewirtschafteten Höfe sind ein Nukleus für soziale Innovation. Immer mehr Menschen sind unzufrieden damit, dass mit Ressourcen wie Boden und Wasser spekuliert wird. Sie sind besorgt über den Schwund der Biodiversität und über die Art, wie unsere Lebensmittel produziert werden. Es ist ein berechtigtes Bedürfnis, dass die Bevölkerung dabei mitreden will, wie diese Gemeinschaftsgüter produziert und verwendet werden. Es ist aber auch wichtig, ein realistisches Verständnis dafür zu entwickeln, was geht und was nicht.

Und dabei hilft die solidarische Landwirtschaft?

Absolut. Wer Mitglied wird, lernt enorm viel darüber, wie Landwirte arbeiten und welchen Risiken sie ausgesetzt sind.

Also handelt es sich eher um ein pädagogisches Projekt?

Pädagogisch, na ja, irgendwie schon. Aber die Landwirte erfahren auch viel darüber, was die Bevölkerung von ihnen erwartet. Da lernen beide Seiten voneinander.

Kommt es bei diesem Lernprozess nicht auch zu Frust und Enttäuschungen?

Insgesamt scheinen die Landwirte ebenso wie die Menschen, die Mitglieder werden, die Erfahrung als positiv zu empfinden. Es gibt aber auch Missverständnisse, oft denken beide Seiten zu Beginn, dass es bei der solidarischen Landwirtschaft nur um ein Vertriebsmodell gehe. Eigentlich ist die solidarische Landwirtschaft aber ein Modell, bei dem man sich das Produktionsrisiko teilt. Der Landwirt plant und kalkuliert, was er anbauen will für seine Teilhaber. Dann gibt er die Investitionskosten an sie weiter. Wenn viel weniger Gemüse als gedacht geerntet wird, dann müssen die Mitglieder mit dem leben, was in der Erntekiste ist.

Also auch ein Lehrstück über unternehmerische Risiken?

Eher ein Denkanstoß zu der Frage, was eigentlich eine faire Verteilung von Ressourcen ist und ob Menschen wirklich immer rein kapitalistisch ticken. In der solidarischen Landwirtschaft bekommt ja meist jeder einen gleichen Anteil an der Ernte, egal wie viel man eingezahlt hat. Oder man bekommt einfach eine Kiste mit soundso viel Kilogramm Gemüse, ohne zu wissen, was da genau drin ist. Wenn ich das meinen Studierenden erkläre, können viele sich das erst gar nicht vorstellen. Man ist ja gewöhnt, dass es andersherum ist: Jedes Produkt hat einen spezifischen Preis, und wer es sich leisten kann, erhält die teureren Produkte.

Wie könnte die solidarische Landwirtschaft mehr Menschen erreichen?

Für die einzelnen Höfe ist es sicher erst einmal kein Ziel, stark zu wachsen. Im Netzwerk zu wachsen wäre logisch, also noch mehr solidarische Höfe zu gründen, die sich miteinander vernetzen und voneinander lernen. Als kleiner Neueinsteiger einen solidarischen Hof zu gründen ist aber gerade unheimlich schwer. Die Bodenpreise sind extrem hoch, die Pachtverträge haben sehr lange Laufzeiten.

In der Politik setzen sich aktuell viele dafür ein, die Lebensmittelproduktion möglichst stark zu steigern. Wird das kleinen Höfen schaden, die da nicht mithalten können?

Da sehe ich keine Gefahr. Die solidarische Landwirtschaft ist ja nicht auf Impuls von oben entstanden. Das ist eine echte Grassroots-Bewegung, die von unten gewachsen ist: aus dem Bedürfnis in der Gesellschaft und bei Landwirten, anders zusammenzuarbeiten. Daher ist die entstandene Struktur auch sehr widerstandsfähig. Aktuell beobachten wir, dass aus der solidarischen Bewegung heraus weitere Initiativen entstehen.

Welche sind das?

Zum Beispiel tun sich Menschen zusammen, um Bodengenossenschaften, -Stiftungen oder -Vereine zu gründen. Sie erwerben gemeinschaftlich landwirtschaftlichen Boden und geben diesen dann zu niedrigen Pachtpreisen an sozial-ökologische Hofgründer oder Bewirtschafter weiter. Sie verzichten dabei auf Rendite und entziehen den Boden so der Spekulation. Und sie ermöglichen es der solidarischen Landwirtschaft, weiter zu wachsen. Rechtlich ist das allerdings komplex. Eigentlich dürfen nur Landwirte solchen Boden kaufen. Das lässt sich aber meist lösen.

Eine Regel, die eigentlich vor Spekulation mit Boden schützen soll, macht diesen Initiativen also das Leben schwer?

Paradoxerweise ja. Die Regel soll Landwirte schützen. Es ist für diese aber sehr interessant, wenn Teilhaber aus der Zivilgesellschaft nicht nur das Produktionsrisiko mittragen, sondern auch den Boden mitbesitzen. Die gegenseitige Verpflichtung wird dann noch enger. Das ist eine spannende Entwicklung.

Seit fast 40 Jahren experimentieren Agrarforscher und -forscherinnen mit Vertical Indoor Farms. Das sind Beete, die in geschlossenen Räumen übereinander angelegt werden. Da sie Probleme wie Bodenknappheit, klimabedingte Dürren und Überschwemmungen sowie steigende Energiepreise lösen soll, hat diese Anbauform aktuell neue Relevanz bekommen.

Vorreiter in Deutschland ist die BioEnergieLand GmbH in Hennickendorf bei Berlin. Frank Riesbeck, einer der beiden Gründer und Geschäftsführer, forscht an der Humboldt-Universität zu Berlin. Die erste Versuchsanlage entsteht gerade in Paulinenaue in Brandenburg und wird vom Land mit drei Millionen Euro gefördert.

Da die Anlagen auf Höhe statt Fläche setzen, könnten kleine künftig auch in der Stadt stehen, was Transportwege verkürzen würde. Statt im Sonnenlicht wachsen die Pflanzen mithilfe von LED-Leuchten. Durch das sogenannte aeroponische Anbausystem benötigen die Pflanzen 90 Prozent weniger Wasser als bei herkömmlicher Anbauweise. Das Besondere daran: Pflanzen wachsen nicht in Böden mit Substrat, sondern die Wurzeln hängen in der Luft und werden nach Bedarf mit Wasser und Nährstoffen versorgt. Da sich die meisten Krankheitserreger in Böden befinden, kann in der Regel auf den Einsatz von Pestiziden verzichtet werden.


Viele Landwirtinnen und Landwirte sind von den Zwängen des Marktes getrieben – darunter leiden oft sie selbst, die Umwelt oder die Tiere. Jeder Einzelne kann dazu beitragen, das zu ändern. Das Prinzip heißt: solidarische Landwirtschaft.

Text: Ulrich J. C. Harz und Sylvia Kolbe


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