Aus dem Takt

Das Leistungs-Tief am Nachmittag, der Jetlag nach dem Flug oder die Wirkung von Medikamenten – all das hat mit unserer inneren Uhr zu tun. Kristin Tessmar-Raible erforscht sie. Wichtige Erkenntnisse dazu verschaffen der Wiener Biologin vor allem Würmer.





brand eins: Frau Tessmar-Raible, was kann mir ein Borstenwurm über meinen idealen Tageslauf verraten?

Kristin Tessmar-Raible: Oh, einiges. Unsere Körper folgen wie die aller Tiere inneren Rhythmen. Diese sind nicht nur abhängig von Veränderungen in der Außenwelt wie Tag oder Nacht, sondern laufen häufig mithilfe molekularer Uhrwerke. Viele Moleküle, die der Borstenwurm besitzt, haben auch wir Menschen. Der Wurm kann uns helfen zu verstehen, wie Sonnen- und Mondlicht, aber auch künstliche Lichtquellen unsere Uhrwerke und damit unsere Physiologie und unser Verhalten beeinflussen. Ohnehin gibt es mehr Gemeinsamkeiten zwischen Spezies, als viele annehmen. Die molekularen Prozesse, die unsere inneren Tages-Uhren steuern, haben drei US-Wissenschaftler zum Beispiel anhand der Taufliege entschlüsselt.

Sie jedoch erforschen diese sogenannten chronobiologischen Prozesse am Beispiel des Borstenwurms. Warum?

Wie die Taufliege lässt er sich gut im Labor halten und untersuchen. Vor allem aber besitzt der Borstenwurm nicht nur eine tägliche Rhythmik, sondern auch einen monatlichen Kalender – genau wie Schildkröten, Fische, Korallen und andere Meeresbewohner, die ihre Reproduktion nach den Zyklen des Mondes richten. Die Roten Landkrabben der Weihnachtsinseln beispielsweise wandern alle zur exakt selben Zeit zur Paarung an die Küste. Taktgeber ist auch hier der Mond. Bislang ist aber noch völlig unklar, wie diese Synchronisation erfolgt.

Warum paaren sich Meeresbewohner ausgerechnet während bestimmter Mondphasen?

Ganz einfach: weil es sie sonst nicht mehr gäbe. Viele marine Tierarten pflanzen sich durch äußere Befruchtung fort – Borstenwürmer beispielsweise, indem das Männchen Samen und das Weibchen Eier ins Wasser abgibt. Nun stellen Sie sich vor, dieser Prozess wäre nicht synchronisiert! Allerdings gibt es auch Landbewohner mit innerer Befruchtung wie den Europäischen Dachs oder das Serengeti-Gnu, die sich nach lunaren Zyklen richten. Auch der Mensch gehört dazu.

Nachwuchsplanung per Mondkalender? Das klingt erst einmal esoterisch.

Auch wenn der Effekt klein ist, wurde erst kürzlich federführend von einer Kollegin aus Würzburg statistisch nachgewiesen, dass sich die Regelblutung von Frauen mit dem Mondzyklus synchronisiert. Was allerdings bislang kein Wissenschaftler schlüssig beantworten kann, ist die Frage nach dem Warum – und dem Wie.

Haben Sie eine Vermutung?

In der Biologie ist Chaos generell unpraktisch und eine gewisse Organisation effizient. Innere Uhren sorgen dafür, dass die Prozesse in unserem Körper koordiniert und auf die jeweilige Umweltsituation optimiert ablaufen. Die Taufliege beispielsweise wird bei Tagesanbruch und in der Dämmerung aktiv – in Zeiten, in der ihr Nahrungsangebot hoch und das Risiko des Vertrocknens gering ist. Molekulare Uhren schreiben quasi den Stundenplan unseres Organismus. Jede unserer Zellen, jedes Organ besitzt eine – egal ob Leber, Niere, Herz oder Haut. Auch dass der weibliche Körper die fruchtbaren Tage mit der Mondphase synchronisieren kann, hat sicher einen guten Grund, den wir heute allerdings noch nicht einmal erahnen.

Müssen diese Uhren im Körper permanent synchronisiert werden, damit sie dieselbe Zeit anzeigen?

Es braucht in der Tat einen Dirigenten, der all diese Timer koordiniert. Für die Tagesuhr der Säugetiere ist das der suprachiasmatische Nucleus – ein Zellhaufen, der beim Menschen tief im Gehirn sitzt.

Tiere brauchen einen Jahreszeitenkalender, um in den Winterschlaf zu gehen oder im Frühjahr ihre Jungen zu zeugen. Verfügen wir Menschen auch über einen solchen Langzeitrhythmus?

Durchaus, zum Beispiel verändert sich unsere Farbwahrnehmung im Laufe des Jahres. Und im Frühjahr ist die Selbstmordrate signifikant höher als zu anderen Jahreszeiten. Das ist auch einer der guten Gründe, warum wir die saisonalen Zyklen des Menschen besser verstehen lernen müssen. Dieses Wissen könnte helfen, Menschenleben zu retten.

Eine hohe Selbstmordrate würde man eher im grauen Herbst oder dunklen Winter vermuten.

Dieses Muster findet sich aber überall auf der Welt und in allen Kulturkreisen: Im Frühjahr bringen sich die Leute um. Eine Erklärung könnte darin liegen, dass die Neurotransmittersysteme, die uns aktivieren, im Herbst und Winter heruntergefahren sind. Wenn die Tage wieder länger werden, werden sie wieder aktiver. Möglicherweise finden Menschen daher im Frühjahr erst die Kraft, ihrem Leben ein Ende zu setzen. *

Wie ticken diese Uhren, und wer stellt sie?

Sie funktionieren ganz ähnlich wie unsere kulturell geprägten Zeitmessungen. Nehmen Sie dieses Interview: Wir beide haben uns für den 12. Februar um 13 Uhr verabredet, dafür einen Kalender und eine Uhr zu Hilfe genommen, um einen Monat, einen bestimmten Tag und eine Tageszeit zu koordinieren. Genauso verfügen Tiere und Pflanzen über Zeitsysteme, die ihnen Tageszeiten, monatliche Abläufe und nahende Jahreszeiten verraten. Zugvögel beispielsweise, die den Winter in Äquatornähe verbringen, treten ihre Rückkehr in unsere Breiten an ganz bestimmten Tagen an, ohne dass ihnen ihre Umwelt dafür Hinweise geben könnte. Wie diese Mechanismen präzise funktionieren und welchen Nutzen sie haben, wissen wir allerdings in den wenigsten Fällen. Bisher haben wir erst die tägliche Uhr zu verstehen begonnen.


Würde um keinen Preis Schichtarbeit machen: Kristin Tessmar-Raible

Was passiert, wenn unsere innere Uhr aus dem Takt gerät?

Stellen Sie sich vor, Sie haben eine Art chronischen Jetlag: Stoffwechsel und Verhalten geraten durcheinander, es geht Ihnen schlecht, und Sie sind zu seltsamen Tageszeiten aktiv. Angehörige und Ärzte beobachten das bei Demenzpatienten, die mitunter mitten in der Nacht hellwach werden und aufstehen. Bei der Taufliege würde eine Taktverschiebung bedeuten, dass sie zu Tageszeiten nach Nahrung und Paarungspartnern sucht, die sie zu diesen Zeiten kaum finden wird. Mit anderen Worten: Wer gegen seine innere Uhr lebt, erleidet als Individuum sehr direkte Nachteile – und als Art evolutionäre.

Jürgen Aschoff, einer der Pioniere der Chronobiologie, sperrte Freiwillige monatelang in einen fensterlosen und schalldichten Wehrmachtsbunker – ohne Lichtzyklen, Uhr, Radio oder andere Möglichkeiten der Zeitmessung. Durch seine kruden Experimente konnte er nachweisen, dass der Mensch über eine innere Uhr verfügt, die in unseren Genen festgeschrieben sein muss. Ein Drittel des Tages schliefen seine Probanden, zwei Drittel verbrachten sie wach. Allerdings dauerten ihre zeitlosen Tage nicht 24, sondern im Durchschnitt 24,7 Stunden. Warum?

Da gibt es allerlei Vermutungen, aber auch das wissen wir noch nicht. Bei der Hausmaus beispielsweise ist die circadiane Uhr kürzer als ein Tag, geht also vor. Die Bezeichnung circadian kommt vom Lateinischen circa diem: ungefähr ein Tag. Dass die Uhr des Menschen ein wenig nachgeht, erklärt, warum den meisten von uns Interkontinentalflüge Richtung Osten schwerer fallen als jene gegen Westen: Da wir quasi permanent mit innerer Verspätung leben, kommt uns ein Flug dorthin, wo wir die Uhr zurückstellen können, biologisch entgegen. Aber auch nach einem Flug in die USA sagt unsere innere Uhr „schlafen“, während unser Auge Tageslicht registriert und unser Timer versucht, sich neu zu justieren.

Manchen fallen solche Zeitumstellungen leichter als anderen.

Ja, auch das ist spannend. Die genannten Zahlen sind ja nur Durchschnittswerte, und jede Person hat letztlich eine individuelle circadiane Uhrenlänge. Das nennt man Chronotyp. Studien von Münchener und Züricher Kollegen belegen, dass es beim Menschen sehr unterschiedliche Chronotypen gibt: Manche sind sogenannte Eulen, deren Organismen erst abends auf Trab kommen, andere stehen als Lerchen gern früh auf. Und um es noch komplizierter zu machen: Alt und Jung ticken ebenso unterschiedlich wie Männer und Frauen. Frauen sind tendenziell eher Lerchen, Männer Eulen, wobei sich das ab dem 50. Lebensjahr angleicht. Augenscheinlich verändert sich der Chronotypus im Laufe des Lebens immer wieder.

Das kann ich bestätigen. Als Student war ich überzeugt, vor elf Uhr morgens sei ein würdiges Leben unmöglich. Seit ich Kinder habe, ist zu dieser Zeit mein halber Tag schon rum.

Genau. Und wenn Ihre Kinder in der Pubertät sind, werden sie erst am Vormittag richtig wach und gehen spätnachts ins Bett. Kleinkinder hingegen wachen früh auf.

Wenn ich am Nachmittag das typische „Kantinentief“ – in Lehrerkreisen auch „Pädagogenkoma“ genannt – habe, liegt das aber doch weniger an meiner inneren Uhr. Sondern daran, dass ich bereits einige Stunden gearbeitet und dann vielleicht noch was Schweres zu Mittag gegessen habe. Oder?

Nein. Unsere innere Uhr ist sehr viel älter als das Ritual mittäglicher Essensaufnahme. Ich vermute, Ihre Uhr verordnet Ihnen schlichtweg eine nachmittägliche Ruhepause. Fliegen gönnen sich die übrigens auch.

Michael Rosbash, der 2017 für seine Forschungen zur inneren Uhr mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde, plädiert dafür, die Medikamentengabe an die individuelle Chronobiologie jedes Patienten anzupassen.

Das wäre bei längerfristigen Therapien absolut sinnvoll. Denn die Wirkung vieler Medikamente hängt von Körperenzymen ab, die zu bestimmten Tageszeiten verstärkt verfügbar sind. In Ihrem Körper beispielsweise verstoffwechseln die Leberenzyme möglicherweise zu anderen Uhrzeiten als in meinem, weil Sie ein anderer Chronotyp sind. Entsprechend unterschiedlich wäre der Zeitpunkt, an dem ein Medikament, das von der Leber verstoffwechselt wird, bei Ihnen am besten wirkt.

Wie finde ich heraus, welcher Chronotyp ich bin?

Die Schlafforscher der Universität München haben einen Fragebogen entwickelt, mit dem sich Ihr individueller Chronotyp ziemlich zuverlässig bestimmen lässt. **

Wenn unsere innere Uhr ein so mächtiger Mechanismus ist, ist es dann nicht fahrlässig, permanent gegen sie zu arbeiten?

Ja! Wenn wir unser inneres Orchester permanent aus dem Takt bringen, bereiten wir unserem Organismus Probleme. Das kann zu Depressionen, bipolaren und anderen neuropsychologischen Störungen führen. Und es gibt deutliche Hinweise, dass lang andauernde Schichtarbeit das Krebsrisiko erhöht. Die permanente Ungleichheit zwischen innerer Uhr und offiziellem Tagesplan, die jeder von uns tagtäglich durchlebt, wird als Social Jetlag bezeichnet.

Der Münchener Psychologe Till Roenneberg hält es für arrogant, zu glauben, man könne Millionen Jahre alte biologische Uhren stellen wie eine Armbanduhr. Roenneberg plädiert daher für eine „neue industrielle Revolution“ mit einer Ausweitung des Arbeitstages auf ein 16-Stunden-Fenster. In dieser Zeit solle jeder arbeiten können, wann es ihm entspricht.

Leider ist das nur für eine begrenzte Gruppe von Menschen – wie beispielsweise uns privilegierte Büroarbeiter – umsetzbar. Wir sollten uns aber das gesundheitliche Risiko bewusst machen, das Busfahrer, Ärztinnen, Polizisten und viele andere auf sich nehmen, die für unsere Gesellschaft permanent im Schichtdienst arbeiten. Ich finde, diese Leistung sollte finanziell und durch Arbeitszeitmodelle angemessener honoriert werden.

Welche Konsequenzen ziehen Sie persönlich aus Ihrem Wissen um unser Uhrwerk?

Ich weiß, dass ich ein relativ früher Chronotyp bin. Früher habe ich mich darüber geärgert und versucht, morgens weiterzuschlafen. Heute stehe ich zwischen vier und fünf Uhr auf, widme mich frühmorgens vor allem anspruchsvoller Arbeit und versuche, spätestens um 22 Uhr im Bett zu sein. Eine weitere Konsequenz: Ich würde für kein Geld der Welt langfristige Schichtarbeit übernehmen.

Es sei denn, Sie nähmen eines dieser Medikamente, die laut dem Nobelpreisträger Rosbash bald erhältlich sein werden: Pillen, mit denen wir unsere innere Uhr gezielt beeinflussen können.

Ich halte es für sehr problematisch, an physiologischen Prozessen herumzumanipulieren, deren Bedeutung und Funktionsweise wir gerade einmal ansatzweise zu verstehen begonnen haben. Austricksen lässt sich unsere innere Uhr sowieso nicht.

Aber mit Kaffee, Tee oder Tageslichtweckern, die einen Sonnenaufgang simulieren, fummeln wir doch tagtäglich an ihr herum.

Stimmt. Unser gesamter Lebensstil ist auf getaktete Zeiten ausgerichtet und nimmt auf persönliche Präferenzen keine Rücksicht. Wir müssen uns anpassen – und bringen unser Leben aus dem Takt. Und was noch schlimmer ist: Den unseres Planeten werfen wir gleich mit über den Haufen.

Wie zum Beispiel?

Nehmen Sie die Nahrungsketten in den Weltmeeren, die stark von chronobiologischen Zyklen abhängig sind. Krill etwa, jene in fast allen Ozeanen verbreitete Leuchtgarnelenart, die direkt oder indirekt die Basis des gesamten Nahrungsnetzes im Meer bildet, ernährt sich von verschiedenen Algenarten, deren Blütezeit und damit rapide Vermehrung an das Schmelzen der Meereisschollen gekoppelt ist. Für das Ernten dieser Algen taucht der Krill aus mehreren Hundert Metern Tiefe auf. Woher weiß der Krebs, wann oben an der Oberfläche die Algen blühen und seine Nachkommen genug Nahrung finden? Durch einen seit Millionen Jahren eingestellten inneren Kalender. Wenn nun aber infolge des Klimawandels das Meereis früher schmilzt, setzt die Algenblüte zeitiger ein, und der Krill erreicht die Wasseroberfläche erst, wenn das Büfett da oben bereits weitgehend abgeräumt ist. Im schlimmsten Fall könnte ein solches Szenario das Ende der Krill-Population bedeuten – und damit als Grundnahrungsmittel wegfallen für Hering, Thunfisch und viele andere Fischarten, von denen auch wir leben.

Können Spezies wie der Krill nicht ihren inneren Kalender aktualisieren und sich so veränderten Lebensbedingungen anpassen?

Durchaus, und genau das hat der Krill in seinen Zigmillionen Jahren auf diesem Planeten vermutlich auch immer wieder irgendwie getan. Das gibt mir die Hoffnung, dass wir da nicht alles verbocken. Klar ist aber: Mit dem menschengemachten Klimawandel veranstalten wir gerade ein Experiment, von dem wir nicht einmal erahnen, was wir alles auslösen.

Aus Sicht unserer Mitbewohner auf der Erde ähnelt der Mensch einem nervigen Zimmernachbarn, der mitten in der Nacht das Licht anschaltet und die Musik aufdreht.

Richtig. Wir wissen heute beispielsweise, dass die Korallenblüte durch künstliches Licht desynchronisiert wird und dadurch ganze Riffe in Gefahr geraten. Diese Systeme sind so hochsensitiv, dass wahrscheinlich schon das Streulicht vorbeifahrender Schiffe ausreichen kann, um sie aus dem Takt zu bringen.

Macht es Sie nicht verrückt, wenn Sie sehen, wie wir permanent Schraubenschlüssel in die Uhrwerke unseres Planeten werfen?

Wenn ich an die Lichtverschmutzung der Städte denke oder daran, wie der Schiffslärm das Leben der Meeresbewohner durcheinanderbringt, mache ich mir natürlich große Sorgen. Aber ich bin grundoptimistisch. Wir Menschen haben schon so viel Mist gebaut und wieder ausgebügelt, dass wir auch das wieder hinkriegen sollten. Aber wir müssen uns klar darüber sein, dass es so nicht weitergehen kann.

Sie betonen immer wieder, wie wenig wir erst über die inneren Uhren wissen. Was ist für Sie die größte chronobiologische Frage, die es zu klären gilt?

Da gibt es so viele! Ich würde sehr gern herausfinden, wie all die verschiedenen Oszillatoren ablaufen und sich miteinander koordinieren. Konkret: Wie wird Mondlicht wahrgenommen, und wie funktioniert der monatliche Kalender eigentlich? Gibt es vielleicht tatsächlich evolutionär alte Verbindungen zum Menstruationszyklus der Frau? Momentan muss selbst ich bei dem Gedanken lachen, aber wer weiß. Und was passiert, wenn künstliches Schwachlicht auf Korallenriffe trifft und deren Mondkalender dann desynchronisiert? Wenn wir das besser verstünden, könnten wir unsere Riffe besser schützen. Schließlich würde ich gern besser verstehen, wie gestörte Rhythmen Depressionen und Suizidgedanken auslösen können und was sich dagegen tun ließe. Chronobiologie kann eine Frage von Leben und Tod sein. ---

Kristin Tessmar-Raible
stammt aus Görlitz, studierte unter anderem in Heidelberg und leitet heute an der Universität Wien die Forschungsgruppe Chronobiologie. Die 43-jährige Biologin untersucht dort anhand dreier unterschiedlicher Spezies wie verschiedene Rhythmen zusammenwirken. Tessmar-Raibles bevorzugtes Untersuchungsobjekt ist der Borstenwurm, ein etwa zwei Zentimeter langer Meeresbewohner, der wie ein schwimmender Tausendfüßer aussieht und weltweit vor den Küsten lebt.

Chronobiologie
Vor knapp 300 Jahren stellte ein französischer Geophysiker eine Mimose in ein Fach seines Schreibtisches und beobachtete, wie die Pflanze auch in völliger Dunkelheit ihre Blätter pünktlich eine Stunde vor Sonnenaufgang auffächerte. Als es draußen Abend wurde, klappte sie die Blätter wieder zu. Offenbar, schlussfolgerte Jean Jacques d’Otous de Mairan, verfügte die Pflanze über eine innere Uhr.

Heute weiß man: Innere Uhren gibt es seit Milliarden von Jahren. Selbst Einzeller wie Zyanobakterien nutzen sie, um bereits vor Tagesanbruch ihre Fotosynthesemechanismen zu aktivieren und so die ersten Sonnenstrahlen nutzen zu können. Neben dem täglichen, dem circadianen, Rhythmus mit einer Länge von ungefähr 24 Stunden gibt es einen Mond- und einen Jahresrhythmus, der viele Lebensprozesse von Tieren und Pflanzen steuert. Wie genau, ist in vielen Fällen noch ungeklärt. Fest steht dagegen: Wer permanent gegen seine innere Uhr kämpft, schadet seiner Gesundheit. Labormäuse, deren innerer Rhythmus durch eine Genmutation verändert wurde, haben weniger Nachkommen und eine niedrigere Lebenserwartung als ihre gesunden Artgenossen.

Beim Menschen steuert die innere Uhr wichtige Funktionen wie Körpertemperatur, Hungergefühl, Schmerzempfinden und Hormonausschüttung. Das beeinflusst auch die Wirkung von Arzneimitteln: Studien der Berliner Charité zufolge sind Krebsmedikamente bis zu fünfmal so gut verträglich und fast doppelt so wirksam, wenn sie chronobiologisch abgestimmt verabreicht werden.

 

* In diesem Interview wird das Thema Suizid angesprochen. Ratsuchende und Menschen in Krisensituationen können sich rund um die Uhr an die Telefonseelsorge unter der Nummer 0800 - 111 0 111 wenden. Jeder Anruf ist anonym und kostenlos. Informationen über weitere Beratungsangebote gibt die Deutsche Gesellschaft für Suizidprävention unter www.suizidprophylaxe.de

** Welcher Chronotyp bin ich? Der Munich-Chrono-Type-Questionnaire gibt Aufschluss: thewep.org/documentations/mctq

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