Cenicafé

Im kolumbianischen Forschungszentrum Cenicafé wird die Kaffeepflanze der Zukunft gesucht. Sie soll robust sein, um Schädlingen und Klimawandel zu trotzen. Sie soll den Kaffeebauern ein gutes Geschäft bescheren. Und schmecken sollen ihre Bohnen natürlich auch. Zu Besuch bei einer alten Institution, in der hochmodern gedacht wird.



Kaffee in zahlen 2016


Der Weg zum Kaffee der Zukunft führt steil bergauf, über eine schmale Straße durch einen Wald, gespickt mit gelben Warnschildern: Vorsicht, kreuzende Nasenbären! Die Zentrale des kolumbianischen Forschungsinstituts Cenicafé liegt einsam auf 1400 Metern Höhe. Wer sie ­besuchen will, muss sich mit seinem Ausweis registrieren und an zwei Kontrollposten vorbei. Denn die Aufgabe der Wissenschaftler am Institut ist delikat: Es gilt, den besten Kaffee der Welt zu entwickeln. Dafür suchen die Forscher ständig nach Innovationen und versuchen zugleich, Bedrohungen für die Pflanzen und ihren Anbau vorauszu­sehen: Schädlinge, Krankheiten, Klimawandel. Das macht das Cenicafé zu einer weltweit richtungsweisenden Institution. Beziehungsweise, wie viele Menschen in Kolum­bien sagen, zur Kaffee-NASA: zu einem Institut auf der Suche nach neuen Planeten im Kaffee-Universum.

„Willkommen im Cenicafé“, sagt Hernando Duque, der technische Leiter der Einrichtung in der Nähe der Stadt ­Manizales im Westen Kolumbiens. Duque – graue Haare, Vollbart, zarte Brille – bittet an den runden Besuchertisch, auf dem bereits zwei Espressotässchen mit der Aufschrift „Café de Colombia“ stehen. Beeindruckend: Schon vor dem ersten Gespräch gibt es einen der viel ­gerühmten Spezialkaffees des Instituts zu testen. Oder etwa doch nicht? Als ahne er die in wenigen Sekunden einsetzende Enttäuschung, sagt Duque: „Das ist kommer­zieller Kaffee. Aber Sie werden ja unsere Laboratorien noch kennenlernen.“

Das Cenicafé, das Nationale Zentrum für Kaffeeforschung, wurde 1938 vom kolumbianischen Kaffeeverband Federacion Nacional de Cafeteros de Colombia (FNC) gegründet, um neue Kaffeepflanzen und -technologien zu entwickeln. Dass es bei Manizales liegt, ist kein Zufall – im sogenannten Kaffee­dreieck dreht sich alles um die Bohne. Der größte Freizeitpark der Region heißt Parque del Café, eine Blutbank Hemocentro del Café, eine Krankenversicherung Cafesalud. In den Geschäften gibt es Kaffee-Karamell-Aufstrich, Kaffeebonbons, Kaffee-Brombeer-Marmelade, Kaffeelikör. Schon kleine Kinder trinken Kaffee. Die Bank GranBanco-Bancafé wurde 2005 verkauft und verlor ihren Namen, aber die Leute in Manizales sagen heute noch: „Ich gehe zur Bancafé.“

Die ersten Kaffeesträucher bekommen Besucher bereits auf einer Verkehrsinsel zu sehen, wenn sie den Flughafen La Nubia verlassen. Natürlich nur wenn er nicht gerade geschlossen ist, wegen tief liegender Wolken zum Beispiel oder rieselnder Vulkanasche: Nevado del Ruiz, der mit 5300 Metern zweithöchste aktive Vulkan auf der Nordhalbkugel, liegt keine 30 Kilometer entfernt. Das letzte Mal brach er vor 30 Jahren aus. Damals begrub eine Schlammlawine eine ganze Stadt – und viele Gebäude des alten Cenicafé. Das neue Institut wurde deshalb oben auf dem Berg gebaut. Aus demselben Grund ist für alle Mitarbeiter um 17 Uhr Feierabend: Falls der Vulkan wieder ausbricht und das Institut evakuiert werden muss, soll niemand allein im Gebäude sein.

Durch das große Fenster hinter Hernando Duques Schreibtisch fällt der Blick auf sattes Grün: Palmen, Bananenstauden, der Bergwald. Paradiesisch – wäre da nicht das Basaltwerk am Berghang gegenüber. Der Lärm der Detonationen erreicht das Cenicafé mit solcher Wucht, dass manchmal die Alarmanlagen der geparkten Autos losheulen. Doch niemand im Institut kümmert sich darum. Auch Duque ignoriert die Sprengungen: „Unser oberstes Ziel ist es, das Leben der Kaffeebauern zu verbessern“, erklärt er. „Schließlich gehört ihnen das Institut.“

Die im Kaffeeverband organisierten Bauern finanzieren das Cenicafé über ihre Abgaben. 2015 verfügte es über ein Budget von gut 30 Milliarden Kolumbianischen Pesos, also etwa acht Millionen Euro. Das Institut ist ­international hoch angesehen, zum Beispiel für die Entwicklung von Kaffeesträuchern, die resistent gegen den für die Pflanze tödlichen Kaffeerost sind. Oder für die Ecomill®, eine Technologie, mit der man bei der Kaffeeproduktion viel Wasser sparen kann. Nur genetische ­Modifikationen werden im Cenicafé nicht durchgeführt: „Wir setzen auf traditionelle Methoden, zum Beispiel Kreuzungen verschiedener Pflanzen“, erklärt Duque.

Kaffee für den Frieden

560 000 Familien leben in Kolumbien vom Kaffee, die meisten sind Kleinbauern mit nur wenigen Hektar Land. Zwar haben sich in der Außenhandelsstatistik in den vergangenen Jahren die fossilen Rohstoffe wie Erdöl und Kohle nach vorn geschoben, „doch der Kaffee ist für das soziale Gefüge in Kolumbien absolut grundlegend“, sagt Duque. Der Agraringenieur wählt seine Worte mit Bedacht. „Und in Zukunft vielleicht noch mehr.“

Damit meint er die Rolle des Kaffees im aktuellen ­Friedensprozess: Nach mehr als 50 Jahren bewaffneten Konflikts können die Kolumbianer wohl bald in einem ­Referendum über ein Friedensabkommen zwischen dem Staat und der FARC-Guerilla entscheiden. Eine Studie der Universidad de los Andes belegt, dass es in den vergangenen 50 Jahren in den Kaffeeanbaugebieten Kolum­biens weniger Gewalt gab als in anderen Landesteilen. Hinzu kommt, dass Tausende von Guerilleros ein neues, ziviles Leben finden müssen. Also vielleicht als Kaffeebauern? „Wenn die Regierung uns bittet, am Friedensprozess mitzuwirken, sind wir dazu bereit und darauf vorbereitet“, sagt Duque.

Es ist eine überraschende Wendung in diesem Gespräch. Ziel der Reise nach Kolumbien war es, etwas über den Kaffee der Zukunft zu erfahren. Da denkt man ­zunächst an Aromen, Röstungen, vielleicht auch neue Sorten, am besten umweltfreundlich produziert. Nun wird klar, dass der Kaffee der Zukunft aus dem Cenicafé nicht nur den ständig wachsenden Ansprüchen der Gourmet-Gaumen genügen – sondern auch einen Beitrag leisten will, um den Frieden in Kolumbien zu ­sichern.

Mehr als 240 Menschen arbeiten im Institut, davon mehr als 70 in der Forschung – übrigens ausschließlich Kolumbianer. Und wer einen Einblick in die Arbeit des ­Cenicafé erhalten möchte, muss mit Vertretern aller ­Forschungsbereiche sprechen. Denn jedes Team am ­Cenicafé hat sein Fachgebiet – und respektiert das der Kollegen. Der Mann für den Schatten will dem für Böden nichts wegnehmen. Die Frau für die Kaffeeblüte möchte nicht zu viel sagen, denn wenn sie weiterspräche, bewegte sie sich bereits im Gebiet des Fachmannes für Neuzüchtungen. Der Mann für den ökologischen Fußabdruck will nicht schon die Hydrobilanz erklären. Stattdessen trägt jeder der Forscher wie in einem Mosaik dazu bei, das Gesamtbild zu vervollständigen.

Kaffee für die Kaffeebauern

Einig sind sich die Wissenschaftler in ihrem ehrgeizigen Ziel: den besten Kaffee mit dem besten Geschmack, der umweltfreundlich produziert wird, sogar bei Schädlingsbefall wenig oder keine Insektizide braucht und den ­Kaffeebauern genügend Geld bringt, damit sie und ihre Familien gut davon leben können.

„Primero los caficultores“ – „Zuerst die Kaffeebauern“ ist im gesamten Institut auf Plakaten zu lesen. Der Slogan soll den Forschern ins Gedächtnis rufen, wer ihre Brötchengeber sind: die kolumbianischen Kaffeeproduzenten, von denen viele am Existenzminimum leben. Sie bauen in unterschiedlichen Höhenlagen und Klimaregionen an, auf unterschiedlichen Böden, mit mehr oder ­weniger Sonneneinstrahlung und unterschiedlichen Niederschlagsmengen. Darauf gilt es Rücksicht zu nehmen, und so betreibt das Cenicafé acht Forschungsstationen, die über das ganze Land verteilt sind, um Innovationen unter verschiedenen Bedingungen testen zu können.

Dabei müssen die Forscher auch auf Klimaveränderungen achten, etwa durch El Niño und La Niña, die beiden gegensätzlichen Wetterphänomene, die das Klima in Äquatornähe besonders stark beeinflussen. In Niña-Jahren kühlt sich das Oberflächenwasser im Ostpazifik ab, wovon die Passatwinde angetrieben werden, mit denen große Wassermassen kommen. In Niño-Jahren dagegen fehlt das Wasser, die Temperaturen steigen an. „Wir ­müssen auf Wetterextreme gefasst sein“, sagt Alvaro ­Jaramillo, der Klima-Experte des Cenicafé, „im Großen wie im Kleinen.“ In manchen Anbaugebieten, wo der Wald durch Monokulturen ersetzt wurde, hat das Forschungszentrum Temperaturerhöhungen von bis zu fünf Grad Celsius gemessen.

Direkten Kontakt mit dem Cenicafé haben nur wenige Bauern. Technische Neuerungen und Warnungen aller Art, sei es vor Schädlingen oder Trockenzeiten, werden ihnen durch den „Servicio de Extensión“ übermittelt – das sogenannte Heer der Gelbhemden. 1500 Menschen in gelben Poloshirts – die meisten sind Agraringenieure – führen in allen Regionen des Landes Schulungen durch und berichten den Bauern von den Forschungsergebnissen des Cenicafé.

Der Traum von einer Blüte

Der kolumbianische Kaffeeverband ist im gesamten Land ­aktiv. Er übernimmt den Ankauf und die Vermarktung des Kaffees für die Bauern, außerdem sucht er nach eigenen Antworten auf die Entwicklungen im Kaffeemarkt – etwa auf Ketten wie Starbucks: Die verbandseigene Coffeeshop-Kette Juan Valdez ist im gesamten Kolumbien präsent, zudem in Kuala Lumpur, Seoul, Madrid, Quito, New York, Miami und vielen weiteren Städten. Der Kaffee­bauer, der der Marke Juan Valdez ein Gesicht gibt, ist in Kolumbien ein Superpromi: Er trägt Schnurrbart und Poncho und hat immer sein Maultier Conchita dabei. Vor rund zehn Jahren wurde der Juan-Valdez-Darsteller in einem landesweiten Auswahlverfahren neu gekürt. Als er gefunden wurde, war das eine wichtige Nachricht in den kolumbianischen Medien.

In allen Abteilungen des Cenicafé wiederholt sich die ­Szene aus dem Büro von Direktor Hernando Duque: Man ­bietet dem Gast ein Tässchen schwarzen Kaffee an, einen „Tinto“. Und entschuldigt sich schon vor dem ersten Schluck dafür, dass es sich nur um „Durchschnittskaffee“ handele. Den richtig guten, den gebe es nur in der Versuchsküche. Doch vor der Verköstigung liegen noch zwei Tage mit 14 Gesprächen, in denen es um so gut wie alle Bereiche der Kaffeeproduktion geht, von sämtlichen Tätigkeiten auf der Plantage bis zur Fermentierung von Spezialkaffee. Oft dreht es sich dabei um „buenas prácticas“, also wie man in allen möglichen Situationen am besten vorgeht, aber sehr oft auch um Zukunftsmusik.

So wie im Gespräch mit Claudia Flórez zum Beispiel. Die Biologin lächelt, als sie sich als Expertin für die Kaffeeblüte vorstellt – Flores heißt Blume. Dass die Blüten an den einzelnen Kaffeesträuchern zu unterschiedlichen Zeitpunkten blühen, macht später bei der Ernte Pro­bleme: An derselben Pflanze befinden sich reife Bohnen neben grünen, oft sogar am selben Ast. Die Erntehelfer müssen also die vollreifen Früchte einzeln auswählen, was den Erntezeitraum in die ­Länge zieht. „Das ist für die Bauern besonders ärgerlich, weil es im Land an Ernte­helfern fehlt“, erklärt Flórez. Kolumbiens Wirtschaft ist in den vergangenen Jahren gewachsen, und für Arbeiter ist ein Job im Straßenbau attraktiver als das nomadische Leben der Erntehelfer, die von einer Kaffeeplantage zur nächsten ziehen. „Wir überprüfen deshalb alle Faktoren, die die Pflanzen zum Blühen bringen: Temperatur, Sonnenstunden, Wasserzufuhr oder Wachstumsregulatoren.“ Flórez, die Frau für die Blüten, träumt davon, die Kaffeesträucher dazu zu bringen, weniger zeitversetzt zu blühen – ohne dass der Ertrag darunter leidet. „Wenn alle Kaffeebohnen gleichzeitig reifen würden, bräuchte ein Bauer nicht mehr so viele Helfer. Aber damit stehen wir noch ganz am Anfang.“

Das Problem, dass die Früchte zu unterschiedlichen Zeiten reifen, beschäftigt auch den Agraringenieur Carlos Oliveros. Sein Team testet zurzeit eine Rütteltechnik, wie sie in Italien als eine Variante bei der Olivenernte eingesetzt wird: Vibrationen sorgen dafür, dass nur die reifen Früchte vom Strauch fallen, die dann von einem unter den Sträuchern gespannten Netz aufgefangen werden. Oliveros arbeitet seit 30 Jahren im Cenicafé, viele seiner Ideen sind international prämiert worden. Seine Ecomill® erhielt im vergangenen Jahr in Großbritannien den Green Apple Award für ökologische Best-Practice-Anwendungen: Zum ersten Mal überhaupt ist es dank dieser Technologie möglich, Bohnen zu waschen, ohne Wasser zu verschmutzen. „Ich wünsche mir, dass ­Kolumbien in Zukunft nicht nur den besten Kaffee der Welt produziert, ­sondern ihn auch komplett umweltfreundlich herstellt“, sagt Oliveros.

Der Innovationspreis für den neuen Strauch

Große Hoffnungen setzt der Forscher auch auf einen neuen Stromgenerator, an dem sein Team zurzeit arbeitet. Er soll mit Ästen von Kaffeesträuchern betrieben werden: „Jedes Jahr werden in Kolumbien 90 000 Hek­tar Kaffeeplantagen beschnitten. Dabei fallen pro Hektar 17 Tonnen Holz an, die die Bauern für die Stromerzeugung verwenden könnten.“ Bisher gilt das Kaffeeholz als Abfall und wird verbrannt. Würde man es mittels Biomassevergasung in Holzgas umwandeln, ließen sich damit insgesamt fast 700 Gigawatt Strom pro Jahr erzeugen. Zugleich würde die neue Technik zu einer Dezentralisierung der Energieversorgung führen – mit unabsehbaren Folgen. „Nehmen wir an, im Verlauf des Friedensprozesses ziehen neue Kaffeebauern in Regionen, in denen es noch keinen Strom gibt“, erklärt Oliveros. „Sie müssten ­Maschinen benutzen, um effizient zu sein. Und selbstverständlich wünschen sie sich auch Lebensqualität, das heißt, dass sie elektrische Geräte ­benutzen möchten. Und da könnten wir helfen.“

Das Cenicafé erhielt 2015 in London noch einen weiteren Green Apple Award – im Bereich Innovation: Im ganzen Land wurden in den vergangenen fünf Jahren 3,4 Milliarden Kaffeesträucher durch neue Pflanzen ersetzt, die gegen Kaffeerost resistent sind – so sollen ­Ernteausfälle vermieden werden. Castillo® heißt dieser neue Kaffeestrauch, der vom Cenicafé entwickelt wurde – allein durch traditionelle Verfahren der Pflanzenzüchtung: der Caturra-Strauch wurde mit der Timor-Hybrid-Pflanze gekreuzt.

Der Kampf gegen den Käfer

„Unser Ziel ist es, dass die Bauern sich um den Kaffeerost keine Sorgen mehr machen müssen, weil die Pflanze sich selbst verteidigt“, sagt der Biologe Ricardo Acuña, der das Programm federführend betreut hat. Es klingt beinahe liebevoll, wenn er von den Pflanzen als Mutter, Vater und Kind spricht. Fast 25 Jahre dauerte die ­Entwicklung der Castillo®, denn die Pflanzen wurden in allen Regionen Kolumbiens getestet. Entstanden sind ­dabei mehrere Varianten, sodass die Bauern genau die Castillo®-Sorte wählen können, die in ihrer Gegend besonders gut gedeiht.

Die Liste der Erfolgsgeschichten ist lang, doch es gibt auch noch viele ungelöste Probleme, die den Forschern am Ceni­café Sorge bereiten. Der Kaffeekirschenkäfer zum Beispiel, der in den Anbaugebieten weltweit enorme Schäden anrichtet. Pablo Benavides ist einer der Forscher der Institution, der dem Insekt den Garaus machen möchte. Er hat zum Gespräch ein Einmachglas mitgebracht, in dem Hunderte Käfer herumkrabbeln. Benavides öffnet den Deckel, und schon fliegen die kleinen Biester im Raum herum. „Sie sind sowieso überall“, sagt er. „Ob ich sie nun freilasse oder im Glas einsperre, ­ändert nichts.“ Benavides ist gegen den Einsatz von ­Insektiziden. „Diejenigen, die gegen die Käfer helfen, sind auch für Menschen giftig.“ Deshalb forscht sein Team daran, ein biologisches Insektizid auf Pilzbasis zu entwickeln.

Kurz darauf geht es mit einem der Gelbhemden in ­einem Allradfahrzeug über schmale Straßen nach Palestina – das Dorf produziert besonders viel Kaffee. Warum der Ort diesen ­Namen trägt, scheint keiner zu wissen. Selbst der Leiter des Stadtmuseums kann nicht weiterhelfen. Dabei ist die Gründung gerade 150 Jahre her. In Palestina jedenfalls leitet Pablo Botero das Büro des Servicio de Extensión. Auf einem Tisch am Eingang liegen Broschüren zu aktuellen Themen: Was tun gegen Schneckenbefall? Wie installiert und reinigt man die neuen Kaffeetanks? Wo bekommt man die neue Mitgliedskarte der Federación – jetzt auch mit Kreditkartenfunktion?

Botero fährt heute zu dem Kleinbauern Gabriel Gonzalez, mit dem Auto etwa eine halbe Stunde von Palestina entfernt. Gonzalez und seine Frau sind auf Plantagen aufgewachsen – als Arbeiterkinder. „Unser Traum war es, eigenes Land zu besitzen“, erzählt er. Also gingen die beiden nach Spanien und schufteten acht Jahre lang in Barcelona, sie als Putzhilfe, er auf dem Bau. Als sie nach Kolumbien zurückkamen, konnten sie sich eine Parzelle kaufen. Nun haben sie zwei Kinder, zwei Katzen, dazu Kaffeepflanzen und Bananenstauden. Sie können es sich nicht leisten, Fehler zu machen. „Wenn etwas Neues vom Cenicafé kommt, probieren wir es sofort aus“, sagt Gonzalez. „Bisher sind wir sehr gut damit gefahren.“

Der Stolz der Kaffeebauern

Nur mit dem komischen Überzug, dem „Känguru-Anzug“, der bei der Ernte behilflich sein soll, können sie nichts anfangen. Gonzalez’ Frau Lilia führt das orange-rote Wunderwerk vor: Es ist, als hätte der Überzug zwei ­Ärmel auf jeder Seite: In dem oberen steckt ganz normal der Arm, in den unteren, etwas schlauchartigen sollen die geernteten Früchte rutschen. Damit muss der Ernte­helfer, zumindest theoretisch, die Hände nicht von der Pflanze nehmen, um die Früchte in einen Korb zu legen. Sie fallen stattdessen durch den Schlauch in den Känguru-Beutel. „Die Idee ist gut, nur sind die Auffangärmel viel zu lang, da staut sich alles“, sagt Lilia und wedelt unbeholfen mit den für die kleine Frau völlig überdimensionierten Stoffbahnen. „Vielleicht wird es noch, der ­Anzug ist noch in der Testphase.“

Biodiversität sei für ihn wichtig, sagt Gonzalez: „Ich lasse viele Bäume stehen, ich rupfe nur das schädliche Unkraut aus und pflanze auch Bananen an.“ Der Bauer kneift die Augen zusammen, die Sonne brennt selbst durch die Wolken. Er trägt ein kariertes Hemd und hat eine Machete in der Hand. „Aber das Wichtigste sind die resistenten Pflanzen: Wir haben keine Probleme mit dem Kaffeerost.“

Dafür aber mit dem schon erwähnten Kaffeekirschen­käfer. Überall schwirren die Scheusale herum. „Wir ­haben auf der Website vom Cenicafé erfahren, dass wir alle Bohnen vom Boden auflesen sollen, weil der Käfer sich dort besonders wohlfühlt“, sagt Gonzalez. „Wir halten uns daran, aber die Nachbarn nicht. Was sollen wir ­machen? Alle hier sollten die Empfehlung befolgen.“

„Genug gejammert“, sagt Lilia Gonzalez. Sie macht einen Kaffee. Er riecht großartig und schmeckt mild und rund. Erwartungsvoll beobachtet die Bäuerin die Gäste: „Gut, nicht?“ An der Wand hängt ein gerahmter Sinnspruch: „Ich mag Menschen, die man nicht antreiben muss, die wissen, was zu tun ist, und es in weniger Zeit als erwartet erledigen. (…) Ich mag Menschen, die wissen, wie wichtig Fröhlichkeit ist.“

Der Kaffee der Zukunft

Zurück im Cenicafé wird es ernst. Das ist schon an der ­Kleidung von Gloria Inés Puertas Assistenten zu erkennen: Gustavo trägt einen weißen Kittel, blaue Gummihandschuhe und einen Mundschutz. Der fantastische Geruch, der aus der Versuchsküche dringt, ist benebelnd: Das Kaffeearoma liegt wie ein Parfüm in der Luft, anziehend wie ein Magnet. Doch nein, die Probe findet im Zimmer nebenan statt. Zwölf Sitzplätze gibt es an dem langen Tisch, die durch Holzwände ­getrennt sind – würden die Kaffeetester sonst voneinander abschreiben? In jeder Kabine klebt ein Ausdruck mit der Prüfskala: Sehr schlecht ist 1, das Beste 9.

Gloria Puerta, die oberste Instanz für Kaffeequalität am Cenicafé, hat kupferrotes Haar und trägt ebenfalls einen Laborkittel. Sie hat Lebensmittel-Verfahrenstechnik in Karlsruhe studiert und erinnert sich gern an Deutschland: „Großartig, dass dort so viele Leute ihren Kaffee zu Hause selber mahlen!“ Welchen Kaffee trinkt sie am liebsten? Die Forscherin muss nicht lange über­legen: „Am liebsten mag ich bei 15 Grad fermentierten Kaffee.“ Sie setzt die Brille auf, ohne den Blick zu heben, für Nachfragen ist keine Zeit, zu sehr ist sie schon auf die Verkostung konzentriert. „Dann wollen wir mal!“

Gustavo bringt ein Tablett mit mehreren durchnummerierten Tassen. In jeder befinden sich elf Gramm Kaffee, aufgebrüht in 50 Milliliter Wasser. In der ersten ­Runde ist die Nase dran: Welches Aroma strömt aus der Tasse? „Schreiben Sie es auf“, sagt Puerta. Die Verkostung wird zu einer Prüfung für olfaktorische Fähigkeiten. Tasse eins hat etwas Fruchtiges, Tasse zwei ist eher schokoladig, Tasse drei irgendwie süßlich, die vier wieder fruchtig. Puerta wiegt den Kopf. Immerhin, ganz daneben scheint das Urteil nicht zu liegen. Dann kommt ihr Votum, selbstverständlich viel detaillierter: Sie erkennt rote Früchte bei Tasse Nummer eins, bei zwei riecht sie Vollmilchschokolade, bei drei süßes Getreide mit Honig, eine Zitrusnote bei Tasse vier. „Die Endverbraucher lieben einen solchen speziellen Charakter“, sagt die Forscherin. „Und er ist ohne Zusatzstoffe zu erreichen, ­allein durch die Fermentierung.“

Für die zweite Runde gießt Gustavo weitere 100 Milliliter Wasser in jede Tasse. Drei Minuten muss der Kaffee ziehen, dann ist aus der Prüfkabine nebenan plötzlich ein höchst unfeines Schlürfen zu hören. Nun geht es um den Geschmack: Wie bitter ist das Getränk? Wie süß? Wie ­intensiv das Aroma? Wie bei einer Weinprobe schlürft ­Puerta den Kaffee, schmeckt ihn und spuckt ihn anschließend in einen Napf. Dann spült sie den Mund mit einem Schluck Wasser. Dann kommt die nächste Tasse. „Mir schmeckt Kaffee vier am besten“, sagt sie am Ende der Prozedur und schaut in einer Liste nach, wie der Kaffee hergestellt wurde: „Na, das habe ich mir doch gedacht“, sagt sie zufrieden. „Bei 15 Grad fermentiert.“

Puerta erforscht seit vielen Jahren, wie derselbe ­Kaffee – vom selben Strauch, selbe Ernte – durch Unterschiede im Wasch- und Fermentierungsprozess ein anderes Aroma erhalten kann, von schokoladig bis fruchtig. „Mein Ziel ist, eine kontrollierte Fermentation zu etablieren, sodass der Prozess immer gleich durchgeführt wird. So können wir das Aroma des Kaffees beeinflussen“, ­erklärt sie. Am liebsten würde sie allen Kaffeebauern eine Art Rezeptbuch geben, damit sie wissen, wie sie das gewünschte Aroma erschaffen. Das sei einfacher, als man denkt, sagt sie.

Und auch Gloria Puerta denkt bei ihrer Forschung in erster Linie an die Kaffeebauern. „Durch kontrollierte Fermentation können selbst Bauern mit kleinen Farmen ihr Einkommen verbessern, indem sie Spezialkaffees produzieren“, weiß die Wissenschaftlerin. Sie sieht die Zukunft der kolumbianischen Kleinbauern in den Gourmet-Trinkern der westlichen Welt, die Interesse an einem Spezialkaffee mit besonderer Note haben, nachhaltig produziert, robust und rentabel für die Bauern. Das ist er, der Kaffee der Zukunft.


Dieser Text stammt aus unserer Redaktion Corporate Publishing.