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Updates aus dem Rathaus, Teil VI

Claus Ruhe Madsen ist der erste ausländische Oberbürgermeister einer deutschen Großstadt. Im Juni 2019 gewann der Däne die Wahl in der Hansestadt Rostock. Seit September ist der Parteilose offiziell im Amt. Zuvor hat er eine Möbelkette und eine Wohnmobilvermietung gegründet und war von 2013 bis 2019 Präsident der Industrie- und Handelskammer zu Rostock.

Im sechsten Teil berichtet Claus Ruhe Madsen über ein coronafreies Rostock, eine Stadtverwaltung im Home Office und einen kühnen Plan.



Claus Ruhe Madsen vor dem Rostocker Rathaus
Claus Ruhe Madsen vor dem Rostocker Rathaus

— Rostock, Mai 2020

brand eins: Herr Madsen, vor wenigen Tagen haben Sie bekanntgegeben, dass Rostock als erste deutsche Großstadt coronafrei sei. Was heißt das genau?

Claus Ruhe Madsen: In Rostock wurde vom 9. April bis zum 3. Mai niemand mehr positiv auf das Coronavirus getestet. Es gab keine Covid-19-Patienten mehr in unseren Krankenhäusern. Und wir konnten vor wenigen Tagen den letzten in jener Zeit an Covid-19 erkrankten Rostocker aus der Quarantäne entlassen. Das war ein Grund zum Feiern.

Ist das nicht voreilig?

Selbstverständlich war das nur eine Momentaufnahme. Wir haben ja gerade wieder einen neuen Fall. Ich möchte meinen Bürgerinnen und Bürgern aber Mut machen und ihnen zeigen, dass unsere Maßnahmen wirken – und nicht nur Horrormeldungen präsentieren. Mir ist bewusst, dass sich die Lage jederzeit ändern kann.

Worauf führen Sie den Erfolg zurück?

Wir haben als eine der ersten Städte in Deutschland Konzerte und Großveranstaltungen abgesagt sowie Schulen und Kitas geschlossen. Von meinen 2400 Mitarbeitern habe ich fast 2000 freigestellt oder ins Home Office geschickt. Wir haben gegen die Empfehlung des Robert Koch-Instituts vorsorglich Mitarbeiter der Stadtverwaltung, Feuerwehr, Polizei und von Pflegeeinrichtungen auf das Coronavirus getestet. Dafür musste ich mich sehr stark einsetzen, weil sich viele gegen Tests bei Menschen ohne Symptome aussprachen. Und das, obwohl eine Pflegerin, die keine Symptome hatte, positiv getestet wurde – und wir somit womöglich eine Ausbreitung in einem Pflegeheim verhindert haben.

Was haben Sie während der Pandemie gelernt?

Dass wir stellenweise noch im Gestern stecken und auf viele Dinge nicht vorbereitet sind. Ein Großteil der Verwaltungsmitarbeiter hätte nicht zu Hause arbeiten können, hätten wir ihnen nicht Laptops aus unseren Schulen zur Verfügung gestellt. Das wird nicht noch einmal passieren.

Was macht Sie da so sicher?

Wir arbeiten gerade an einem Konzept, für mindestens 500 der 2400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dauerhaft mobiles Arbeiten zu ermöglichen. Das spart Bürofläche und ist auch ökologisch sinnvoll, da es Pendelverkehre minimiert. Das ist ungewöhnlich für eine Stadtverwaltung, wird uns aber flexibler und zu einem moderneren Arbeitgeber machen.

Hat sich die Art der Zusammenarbeit durch die Krise verändert?

Ja, ich spüre ein anderes Gemeinschaftsgefühl, wenn beispielsweise Vertreter der Wirtschaftsförderung, der Industrie- und Handelskammer und der Stadtverwaltung in einer Videokonferenz miteinander diskutieren. Jeder weiß, dass es um das Große und Ganze geht und nicht so sehr um meinen oder deinen Teil des Kuchens.

Der Kuchen dürfte nach der Pandemie auch deutlich kleiner ausfallen.

Wahrscheinlich steht die Stadt vor der größten Haushaltsherausforderung, die es je gab. Wir werden richtig Miese machen. Es gibt eine erste vorsichtige Schätzung, dass uns dieses Jahr rund 50 Millionen Euro Gewerbesteuereinnahmen fehlen werden. Wir haben sicherheitshalber unseren Kreditrahmen von 30 auf 100 Millionen Euro erhöht, um mögliche Engpässe zu überbrücken und unsere Liquidität zu sichern. Das bereitet mir natürlich Kopfschmerzen.

Sie stehen vor der Grundsatzfrage: sparen oder investieren?

Wir werden versuchen, keine öffentlichen Aufträge oder Investitionen zu stoppen. Denn wir müssen das System am Laufen halten. 40 Prozent der Wirtschaftsleistung des Landes Mecklenburg-Vorpommern wird allein in Rostock erbracht. Jetzt heißt es, nach vorn zu flüchten.

Bleibt dabei der Klimaschutz auf der Strecke?

Ganz und gar nicht. Wir haben schon Maßnahmen beschlossen, die wir bald umsetzen: Wir werden zum Beispiel prüfen, Solaranlagen auf öffentlichen Gebäuden nachzurüsten, den städtischen Fuhrpark auf Elektro-Autos umstellen und das Rathaus nachts nicht mehr anstrahlen. Und vor allem müssen wir unsere Stadt neu denken.

Claus Ruhe Madsen im Rostocker Rathaus
Claus Ruhe Madsen im Rostocker Rathaus

Was meinen Sie?

Wir haben hier mitten in Rostock eine vierspurige Schnellstraße, die B103. Sie führt von der Innenstadt bis nach Warnemünde. Warum machen wir aus dieser Stadtautobahn nicht einen Radschnellweg? Auf der einen Seite könnten weiterhin Autos fahren, auf der anderen Fahrradfahrer. Das wäre ein echtes Highlight.

Ist das realistisch?

Das prüfen wir gerade. Die Bundesstraße ist Eigentum des Bundes. Es gibt aber die Möglichkeit, den Zweck einer Straße zu ändern. Das nennt sich Umwidmung. Wenn wir eine ökologische Wende wollen, warum sollte das nicht gehen? Die Welt hat sich verändert, und die Gesetze müssen folgen.

Claus Ruhe Madsen, 47,
gewann im Juni 2019 die Wahl zum Oberbürgermeister der Hansestadt Rostock. Seit September ist der parteilose Däne, der während des Wahlkampfes von CDU und FDP unterstützt wurde, offiziell im Amt. Seit November begleitet ihn brand eins für die Online-Rubrik „Updates aus dem Rathaus“.

— Hier lesen Sie alle Teile der Serie „Updates aus dem Rathaus“