Updates teil 17 brand eins 01

Updates aus dem Rathaus, Teil XVII

Claus Ruhe Madsen ist der erste ausländische Oberbürgermeister einer deutschen Großstadt: der Hansestadt Rostock. Seit September 2019 ist der parteilose Däne offiziell im Amt. Zuvor war er Unternehmer, hat eine Möbelkette und eine Wohnmobilvermietung gegründet. Der Neuling im Politikbetrieb möchte Rostock innovativer und lebenswerter machen.

Im 17. Teil von „Updates aus dem Rathaus“ spricht Claus Ruhe Madsen über die Unterbringung von Menschen aus der Ukraine, eine mögliche Absage der Bundesgartenschau – und ein Wort, das er nicht mehr hören kann.



Claus Ruhe Madsen
Claus Ruhe Madsen

— Rostock, Mai 2022

brand eins: Herr Madsen, wie wirkt sich der Krieg in der Ukraine auf Rostock aus?

Claus Ruhe Madsen: Zurzeit leben etwa 2400 geflüchtete Menschen aus der Ukraine in Rostock. 1400 sind privat bei Freunden oder Bekannten untergekommen, 1000 haben wir in einem alten Hotel und in der Messehalle untergebracht. Dort können sie aber nicht mehr länger bleiben.

Wieso?

Wenn wir die Messehalle weiterhin belegen würden, müssten wir mit hohen Schadensersatzforderungen rechnen. Denn in wenigen Wochen findet dort eine Van-Gogh-Ausstellung statt. Wir werden die Menschen deshalb auf mehrere Sporthallen in der Stadt verteilen. Das wird zu Beeinträchtigungen beim Schul- und Vereinssport führen. Ich hoffe sehr, dass die Bürgerinnen und Bürger das aufgrund der jetzigen Situation akzeptieren können, auch wenn das nach zwei Jahren Corona-Pandemie und vielen Einschränkungen nicht immer einfach ist.

Wieso kommen geflüchtete Menschen aus der Ukraine nach Rostock? Sie können sich ja aussuchen, wo sie sich niederlassen.

Einige kommen nach Rostock, weil sie hier Menschen kennen, bei denen sie unterkommen können, andere werden uns vom Bund oder vom Land zugewiesen. Das führt auch immer wieder zu Überraschungen. Manchmal werden uns Busse angekündigt, die gar nicht kommen. Ein anderes Mal kommt ein Bus mit 50 Personen, es steigen aber nur 5 aus. Oder es steigen alle aus – und fahren sofort weiter nach Berlin. Ich verstehe das – müsste ich in die Ukraine fliehen, würde ich auch Städte aufsuchen, von denen ich schon einmal gehört habe.

Historische Giebelhäuser in Rostock
Historische Giebelhäuser in Rostock

Sie sind Bürgermeister geworden, um die Stadt voranzubringen. Seitdem jagt eine Krise die nächste. Kommen Sie überhaupt dazu, Ihre Pläne voranzutreiben?

Krisen sind längst Normalität geworden. Leider fehlt manchmal das Verständnis dafür, warum ich in diesen Zeiten bestimmte Dinge nicht auch noch nebenbei erledigen kann. Erst vor wenigen Wochen war ein US-amerikanisches Kriegsschiff, das zurzeit in der Ostsee kreuzt, bei uns im Rostocker Hafen und mir wurde erklärt, was im Nato-Bündnisfall mit Rostock und dem Ostsee-Raum passieren würde. Das ist ein Thema, auf das ich als Lokalpolitiker gerne verzichten würde. Und ich würde gern ein bestimmtes Wort nicht mehr hören.

Welches?

Bedenken. Ich sitze in vielen Runden und Krisenstäben, es wird an Lösungen gearbeitet, und am Ende sagt immer mindestens eine Person, dass sie Bedenken anmelden möchte.

Was ist so verkehrt daran?

Ein Beispiel: Wir benötigten für unsere Messehalle innerhalb kürzester Zeit mobile Duschen und Toiletten, damit dort Geflüchtete unterkommen konnten. Die Person, die Bedenken anmeldet, hat etwas anderes im Sinn – sie möchte sich persönlich absichern, falls irgendetwas schiefgehen sollte. Mit Bedenken allein kommen wir aber nicht voran.

Claus Ruhe Madsen in Warnemünde
Claus Ruhe Madsen in Warnemünde

Mit der Bundesgartenschau, die 2025 in Rostock stattfinden soll, geht es ebenfalls nicht voran. Eine Risikoanalyse hat ergeben, dass sie nicht wie geplant stattfinden kann – weil alles deutlich teurer und später fertig würde als gedacht. Ihnen wird vorgeworfen, Sie hätten zu wenig Druck gemacht und hätten das Projekt früher zur Chefsache erklären müssen.

Ein bisschen mehr Klarheit wäre schön. Wir suchen seit mehr als einem Jahr eine Geschäftsführung für die Bauleitung, uns fehlt es an Baumaterial, an geeigneten Fachkräften, und wir wissen nicht, wie hoch die Gesamtkosten am Ende sein werden. Die Kalkulation lag zunächst bei 140 Millionen Euro, aktuell sind es 185 Millionen Euro. Was passiert, wenn es am Ende 200 Millionen Euro werden? Wollen wir dann immer noch eine Bundesgartenschau?

Die Landesregierung möchte, dass die Bundesgartenschau wie geplant im Jahr 2025 stattfindet – weil es nur dann Fördergelder in Höhe von 60 Millionen Euro gibt.

Und ich möchte, dass ich der Stadt keinen Schuldenberg hinterlasse, weil es einen politischen Beschluss gibt, die Bundesgartenschau unbedingt auszurichten. Wir prüfen das Vorhaben jetzt noch einmal, und wenn es nach wie vor zu viele Unbekannte geben sollte, wäre es nicht im Sinne der Bürgerinnen und Bürger, das Projekt weiterzuverfolgen.

Wie wirkt sich das auf die Arbeit Ihrer Verwaltung aus?

Sie ist ständig überlastet. Ich kann zwar kurzfristig Kolleginnen und Kollegen aus einzelnen Abteilungen in andere versetzen, aber dann bleibt die Arbeit an anderen Stellen liegen.

Lässt sich das Problem lösen?

Ja, ich habe gerade eine Ausschreibung unterschrieben, die es erlaubt, 20 neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einzustellen, die sich ausschließlich um Krisen und nicht vorhersehbare Spitzenbelastungen kümmern sollen. Das könnte zum Beispiel ein Cyberangriff auf unsere Verwaltung sein. Auf so etwas muss man sich vorbereiten.

Wie sieht es mit der Energiesicherheit aus?

Unser Kraftwerk wird zu 90 Prozent mit Steinkohle aus Russland betrieben und unsere Fernwärmeversorgung zu 80 Prozent mit russischem Gas. Daher untersuchen wir, ob in Rostocks Seehafen ein schwimmendes Terminal für flüssiges Erdgas (LNG) installiert werden könnte – das würde die Abhängigkeit von Russland reduzieren. Es fehlen nur drei Kilometer Pipeline bis zum Terminal, um das Gas in das Leitungsnetz einzuspeisen. Die Chancen stehen gut, dass wir die Lücke bis Ende des Jahres schließen.

Was beschäftigt Sie in diesen Tagen besonders?

Sie können sich nicht vorstellen, welchen Eindruck eine große Messehalle hinterlässt, in der 1000 fein aufgereihte leere Betten stehen. Das hat etwas Unheimliches. Wenn Sie dann darüber nachdenken, dass dort in wenigen Tagen 1000 Schicksale versammelt sein werden, wird Ihnen ganz anders.

Claus Ruhe Madsen (gesprochen: Mäsn), 49,
gewann im Juni 2019 die Wahl zum Oberbürgermeister der Hansestadt Rostock. Seit September ist der parteilose Däne, der während des Wahlkampfes von der CDU und der FDP unterstützt wurde, offiziell im Amt. Seit November 2019 begleitet ihn brand eins für die Online-Rubrik „Updates aus dem Rathaus“.

— Alle Teile der Serie finden Sie hier: „Updates aus dem Rathaus“