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Updates aus dem Ministerium, Teil II

Claus Ruhe Madsen ist der erste ausländische Minister einer deutschen Landesregierung. Seit Ende Juni 2022 ist der parteilose Däne in Schleswig-Holstein verantwortlich für Wirtschaft, Verkehr, Arbeit, Technologie und Tourismus. Zuvor war er bereits der erste ausländische Oberbürgermeister einer deutschen Großstadt, der Hansestadt Rostock.

Im zweiten Teil der Serie „Updates aus dem Ministerium“ spricht Claus Ruhe Madsen über die ersten 100 Tage im Amt, drohenden Gegenwind, stockende Bauvorhaben – und warum er nicht mehr auf seinen fehlenden deutschen Pass reduziert werden möchte.

Alle Teile der vorherigen Serie „Updates aus dem Rathaus“ finden Sie hier.



Claus Ruhe Madsen
Claus Ruhe Madsen

— Kiel, Oktober 2022

brand eins: Herr Madsen, wie fühlen Sie sich in Ihrem noch neuen Amt?

Claus Ruhe Madsen: Sehr gut. Ich kann überall hinfahren und werde als Frischling wohlwollend empfangen. Das erleichtert mir den Start, nutzt sich mit der Zeit aber natürlich ab. In spätestens einem Jahr bin ich auch der Mann aus Kiel.

Man sieht Sie vornehmlich bei repräsentativen Aufgaben: Der Minister macht erste Spatenstiche, übergibt Fördermittel und hält Reden.

Ich bin jeden Tag unterwegs, lerne die Region kennen und spreche mit Vertretern von Unternehmen, Verbänden und Kammern. Erfreulicherweise lässt mich die Opposition noch weitgehend in Ruhe, damit ich mich einarbeiten kann – das wird sich sicher bald ändern. (lacht)

Wie verstehen Sie Ihre Rolle als Minister?

Ich sehe mich als Vermittler. Ich war zum Beispiel vor wenigen Wochen bei einer Veranstaltung auf Sylt. Dort gibt es zu viele Ferienwohnungen und zu wenig bezahlbaren Wohnraum. Ich habe den Leuten gesagt: Ihr müsst euch überlegen, wie man das ändern könnte – erst auf Grundlage eines solchen Plans kann ich helfen. Das hat möglicherweise mit dazu beigetragen, dass eine Gemeinde nun einstimmig ein neues Beherbergungskonzept verabschiedet hat, um den Neubau von Ferienwohnungen zu stoppen. Das hat es auf Sylt die letzten Jahrzehnte nicht gegeben.

Auf Unterstützung hoffen angesichts der drohenden Rezession auch viele Unternehmerinnen und Unternehmer. 99 Prozent der Firmen in Schleswig-Holstein sind kleine oder mittelständische Betriebe. Wie schätzen Sie deren Situation ein?

Um die meisten kleinen Handwerksbetriebe mache ich mir weniger Sorgen. Die meisten Betriebe sind krisenerprobt. Bei vielen Handels- und Servicebetrieben, die abhängig von Lieferungen sind, sieht es schon düsterer aus. Es wird auch ein paar Unternehmen geben, die es nicht schaffen werden. So ehrlich müssen wir sein. Der Staat kann nicht alle Probleme lösen. Wir müssen aber an eine bessere Zukunft glauben.

Claus Ruhe Madsen
Claus Ruhe Madsen

Das allein wird nicht reichen. Wie groß ist Ihre Bazooka?

Wir haben für das Land einen Bürgschaftsrahmen in Höhe von 500 Millionen Euro beschlossen, der auch für Unternehmen gedacht ist, die wegen steigender Energiekosten in Schieflage geraten, aber grundsätzlich überlebensfähig sind. Sollte ein Unternehmen einen Kredit benötigen, kann unsere Landesbank bis zu 90 Prozent davon absichern, die Hausbank des Unternehmens müsste die restlichen zehn Prozent übernehmen. Es wird kritisiert, dass es sich nur um eine Landesbürgerschaft handelt, aber mehr können wir nicht leisten.

Zu Hochzeiten der Corona-Krise hat der Staat mehr getan.

Die derzeitige Lage lässt sich damit nicht vergleichen. Während der Pandemie wurden viele Unternehmen für ein bestimmte Zeit geschlossen, finanziell unterstützt und konnten danach wieder öffnen. Jetzt haben wir ein strukturelles Problem. Die Energiepreise werden nicht so schnell wieder fallen.

Welche Rolle spielt das Coronavirus in Ihren Überlegungen?

Aktuell? Keine. Wir müssen jetzt einfach mit dem Virus leben.

In Ihrer Verantwortung liegt auch der mögliche Nachfolger des beliebten 9-Euro-Tickets. Sie sind aber kein Fan. Warum nicht?

Weil zu oft vergessen wird, dass dazu Mittel des Bundes verwendet werden sollen, die eigentlich zur Finanzierung des öffentlichen Nahverkehrs der Länder vorgesehen sind. Wir diskutieren darüber, Fahrkarten zu verbilligen, statt Gleise zu verlegen und Züge anzuschaffen. Uns fehlen in Schleswig-Holstein in den kommenden Jahren zwischen einer und zwei Milliarden Euro für Investitionen in die Infrastruktur.

Ist das schon der typische Reflex des Landespolitikers, den Schwarzen Peter nach Berlin weiterzureichen?

Finde ich nicht. Fakt ist: Wenn es um die Allgemeinheit in der Bundesrepublik geht, ist die Bundesregierung zuständig.

Sie haben kürzlich gesagt, dass Sie davon ausgehen, dass während Ihrer Amtszeit kein neuer Meter der Küstenautobahn A20 in Schleswig-Holstein gebaut wird. War das klug?

Mein Pressesprecher hat mich auch gefragt, was mich da geritten hat. Fakt ist allerdings: In den vergangenen 13 Jahren ist bei diesem Projekt in Schleswig-Holstein nichts passiert. Gegen alle Bauabschnitte wird geklagt und bei glattem Gang vor dem Bundesverwaltungsgericht ist frühestens in zwei bis drei Jahren erstmals mit einer Baugenehmigung zu rechnen. Und dann folgen noch langwierige Ausschreibungen – und das alles in Krisenzeiten. Deshalb habe ich gesagt: Momentan fehlt mir die Fantasie, wie wir da schnell vorankommen wollen. Aber auch hier ist der Bund für die Planung und den Bau zuständig.

Warum geht es nicht voran?

Weil wir in Deutschland Projekte planen, dann unzählige Anpassungen vornehmen, Bürger beteiligen, weil zwischendurch jemand klagt, und letztlich alles so lange dauert, dass das Vorhaben nicht mehr zeitgemäß ist. So kommen wir nicht weiter. In Dänemark – bekanntlich ebenfalls ein Rechtsstaat – werden große Bauprojekte diskutiert, es gibt Bürgerbeteiligung, danach wird das Vorhaben genehmigt und zügig realisiert. Es liegt nur an uns, das ebenso zu machen.

Claus Ruhe Madsen
Claus Ruhe Madsen

Wirtschaftsminister ist ein Titel mit Prestige – aber hatten Sie als Oberbürgermeister von Rostock nicht mehr Einflussmöglichkeiten?

Nicht unbedingt. In Rostock lag der Etat bei etwa 800 Millionen Euro, aber nur etwa zwei Prozent davon waren frei verfügbar. Der Rest war verplant. Im Ministerium liegt mein Etat ebenfalls bei rund 800 Millionen Euro. Ich kann jetzt aber über knapp zehn Prozent frei verfügen. Bei der Umsetzung des Koalitionsvertrags bin ich recht flexibel. Ich kann entscheiden, für welche Zwecke – beispielsweise Bekämpfen des Fachkräftemangels, Neuansiedlungen von Firmen, Verbesserung von Verkehrswegen – ich wie viele Mittel stecke. Mein häufigstes Arbeitsmittel ist zurzeit die Stellschraube, weil sich jedes Thema jeden Tag ein bisschen verändert und man eigentlich ständig nachjustieren müsste.

Welche eigenen Ideen wollen Sie verwirklichen?

Ich möchte Bürokratie abbauen und unser Tempo bei Entscheidungen erhöhen. Ich habe schon ein paar Diskussionen erlebt, in denen es hieß: Dann machen wir das halt eine Woche später. Einigen fehlt das Wissen, was es für Unternehmerinnen und Unternehmer bedeutet, wenn etwas eine Woche liegen bleibt – empfindlichen Umsatzverlust.

Stellte Sie der Wechsel aus dem Rostocker Rathaus ins Kieler Ministerium vor Interessenkonflikte?

Als Bürgermeister in Rostock war ich unter anderem über alle Verhandlungen informiert, die mit Neuansiedlungen zu tun hatten. Dieses Wissen in Kiel zu verwenden wäre verwerflich gewesen. Besonders für Politiker gilt: Man muss verschiedene Rollen klar voneinander trennen.

Was ist aus Ihrer Ankündigung geworden, in die CDU einzutreten? Sie sind immer noch parteilos.

Ich war aber bereits auf einem Landes- und Bundesparteitag. Mein Eintritt in die CDU ist geplant, hat aber keine Eile.

Gehört auch Wahlkampfunterstützung zu Ihren Aufgaben? Der parteilose und von der CDU unterstützte Oberbürgermeister-Kandidat in Flensburg hat sich dafür bedankt.

Nein, das ist nicht meine Aufgabe, und das habe ich auch nicht gemacht. Ich hatte dort einen Termin an der Hochschule und der Kandidat war auch dort. Er hat unseren Handschlag offenbar in einem guten Moment fotografieren lassen. (lacht)

Und Sie wollten die deutsche Staatsbürgerschaft beantragen.

Ja, weil ich nicht mehr darauf reduziert werden möchte, keinen deutschen Pass zu haben. Ich bin Claus, lebe mittlerweile länger in Deutschland als in Dänemark, und daher passt es jetzt für mich, Staatsbürger zu werden. Bislang bin ich aber an der Bürokratie gescheitert.

Inwiefern?

In meinem Fall ist nicht ganz klar, ob mein Erstwohnsitz in Kiel oder Rostock liegt, wo meine Familie lebt. In Kiel wäre mein Antrag der 1401. auf dem Stapel, und vordrängeln möchte ich mich nicht. Ich kümmere mich darum, wenn ich mehr Zeit habe.

Der nächste Teil der Serie „Updates aus dem Ministerium“ erscheint im Dezember 2022.