Updates aus dem Ministerium, Teil I

Claus Ruhe Madsen ist der erste ausländische Minister einer deutschen Landesregierung. Seit Ende Juni 2022 ist der parteilose Däne in Schleswig-Holstein verantwortlich für Wirtschaft, Verkehr, Arbeit, Technologie und Tourismus. Zuvor war er bereits der erste ausländische Oberbürgermeister einer deutschen Großstadt, der Hansestadt Rostock.

Im ersten Teil der Serie „Updates aus dem Ministerium“ spricht Claus Ruhe Madsen über seinen Wechsel aus dem Rostocker Rathaus in das Kieler Wirtschaftsministerium, seine ersten Wochen im neuen Amt und Fehler, die er nicht wiederholen möchte.

Alle Teile der vorherigen Serie „Updates aus dem Rathaus“ finden Sie hier.



Claus Ruhe Madsen
Claus Ruhe Madsen

— Kiel, Juli 2022

brand eins: Herr Madsen, Ihr Wechsel aus dem Rostocker Rathaus in das Kieler Wirtschaftsministerium hat viele Menschen überrascht.

Claus Ruhe Madsen: Meine Lebensplanung sah eigentlich so aus, dass ich Oberbürgermeister in Rostock bleibe. Als mir aber Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther anbot, Wirtschaftsminister in seiner Regierung zu werden, konnte ich nicht Nein sagen. Auch, wenn mir diese Entscheidung nicht leichtgefallen ist. Aber es passte menschlich wie fachlich und mir war klar, wenn ich das nicht mache, öffnet sich diese Tür wahrscheinlich nie wieder.

Zuletzt gab es in Rostock harsche Kritik an Ihrer Person und Rücktrittsforderungen. Ihr vorzeitiger Abgang sah ein bisschen nach Flucht aus.

Nein. Das war keine Flucht. Ich habe mich ja nicht um den Job des Wirtschaftsministers von Schleswig-Holstein beworben, sondern hätte weiterhin viel Energie daraus gezogen, dass es auch mal Gegenwind gibt.

Das Gerücht, dass Sie möglicherweise zurücktreten, gab es schon länger.

Das konkrete Angebot aus Schleswig-Holstein kam sehr kurzfristig. Ich konnte dazu nichts sagen. Ich musste respektieren, dass Daniel Günther seine neuen Minister selbst verkünden wollte. Da kann ich nicht vorher herumrennen und sagen: Übrigens, ich habe da noch was zu erzählen. Dann wäre ich eine „lame duck“ gewesen, also politisch handlungsunfähig, und das hätte die ganze Stadtverwaltung gelähmt. Ich finde, man muss von einem Tag auf den anderen weg sein. Man kann da nicht noch lange herumrennen und den Winke-Onkel machen.

Warum konnten Sie sich eigentlich innerhalb weniger Stunden von Rostocks Oberbürgermeister in Schleswig-Holsteins Wirtschaftsminister verwandeln? Haben Bürgermeister keine Kündigungsfristen?

Doch, und normalerweise wäre meine Rücktrittserklärung erst nach 14 Tagen gültig gewesen. Aber in meinem Fall gab es eine feindliche Übernahme einer anderen Regierung, so heißt das formaljuristisch. Als ich im Kieler Landtag meinen Eid abgelegt hatte, war mein altes Arbeitsverhältnis als Bürgermeister sofort beendet.

Im Dienstwagen: Claus Ruhe Madsen
Im Dienstwagen: Claus Ruhe Madsen

Was reizt Sie an der neuen Aufgabe?

Ich soll mich unter anderem um moderne Infrastrukturen und zukunftsfähige Technologien wie beispielsweise die Gaming-Branche kümmern, die weltweit bereits so groß ist wie die Film- und Musikbranche zusammen. Das sind alles Themen, die mich auch privat interessieren. Außerdem bin ich der zuständige Minister für das größte Infrastrukturprojekt Europas: die Fehmarnbelt-Querung zwischen Dänemark und Deutschland. Das finde ich ziemlich cool.

Was ist der größte Unterschied zu Ihrer früheren Rolle als Oberbürgermeister?

Ich habe heute mehr mit Institutionen zu tun. Früher habe ich viel mit Bürgerinnen und Bürgern gesprochen, jetzt sind es eher Menschen aus Unternehmen, aus Wirtschaftsverbänden oder Vertreter der Bundesagentur für Arbeit. Der größte Unterschied ist: Ein Rathaus arbeitet für die Bürgerinnen und Bürger, aber nicht unbedingt für den Bürgermeister. Ein Ministerium arbeitet ebenfalls für Bürgerinnen und Bürger, aber auch für den Minister. Daher glaube ich, jetzt noch mehr bewegen zu können als vorher.

In Rostock wurde Ihnen zuletzt vorgeworfen, viele Ideen zu haben, aber zu wenige davon umzusetzen.

Das sehe ich anders. Ich habe vieles auf den Weg gebracht, dass man erst später erkennen wird. Am Ende war ich aber auch ein Stück weit isoliert: Ich musste feststellen, dass ich gegen die beiden stärksten Parteien in der Bürgerschaft und in der Landesregierung weniger ausrichten konnte als gedacht. Als Parteiloser ohne Verbündete ist es nicht leicht. Das hatte ich so nicht erwartet.

Andere Bürgermeister sind auch parteilos.

Das stimmt, aber viele denken, der Bürgermeister ist der Chef der Stadt, der kann alles ändern. Diese Wahrnehmung hatte ich auch – das ist aber nicht so. Ich hatte zwar die Mehrheit der Bevölkerung hinter mir, aber die nützte mir schon am ersten Tag im Amt nichts mehr, weil sie mir weder in der Bürgerschaft noch in der Verwaltung helfen konnte. Das musste ich schmerzlich lernen, anfangs war ich vielleicht ein bisschen naiv.

Claus Ruhe Madsen am Alten Strom in Warnemünde
Claus Ruhe Madsen am Alten Strom in Warnemünde

Was hätten Sie im Nachhinein gern vorher gewusst?

Dass eine Verwaltung politisch besetzt ist. Alle höheren Posten wie Senatoren, Amtsleiter und teilweise auch Bereichsleiter werden durch politische Gremien besetzt. Es kam vor, dass Amtsleiter mit Parteibuch vor mir saßen und eine gewisse Verpflichtung gegenüber ihrer Partei hatten. Da hatte ich dann schlechte Karten. Allein in meinem direkten Wirkungskreis hatte ich viele politische Rivalen: Mein erster Stellvertreter war mein ehemaliger Gegner im Wahlkampf, ebenso mein zweiter Stellvertreter sowie zwei Fraktionsvorsitzende in der Bürgerschaft. Im Nachhinein war das sehr lehrreich. Ich habe einige Fehler gemacht, die ich nicht gern wiederholen möchte.

Was hätten Sie damals anders machen müssen?

Ich hätte mit den Fraktionen in der Rostocker Bürgerschaft früher sprechen müssen, hatte aber damals das politische System noch nicht verinnerlicht – es hatte mir aber auch keiner erklärt. Ich war von heute auf morgen Bürgermeister. Bürotür auf, rein, Bürotür zu. Und dann saß ich da. Ich hätte einen Büroleiter gebraucht, der mir sagt, wir müssen jetzt zu den Fraktionen, in bestimmte Ausschüsse, und – übrigens – so funktioniert eine Verwaltung. Das werde ich jetzt besser machen.

Was macht Sie da so sicher?

Meine Staatssekretäre wissen ganz genau, wie man sich innerhalb eines Ministeriums verhalten muss, wenn man etwas umsetzen möchte und das nicht nur als Wunsch im Raum stehen bleiben soll. Auch das musste ich auf die harte Tour lernen: Du musst alles Mögliche verfügen, damit es wirklich umgesetzt wird.

Glauben Sie, dass Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther weiß, worauf er sich mit Ihnen eingelassen hat?

Ich habe ihm schon gesagt: Wer einen bunten Vogel kauft, kriegt auch einen. Denn ich bin ein bunter Vogel. Das habe ich auch meinen Kollegen in der CDU-Fraktion gesagt: Glaubt nicht, dass ihr mich verändern könnt. Ihr bekommt meine guten Eigenschaften, aber auch die ein, zwei Macken, die ich habe.

Sie müssen sich nun auch der Kabinettsdisziplin unterordnen. Das ist nicht unbedingt Ihr Ding, oder?

Ich mache das eine oder andere gern ein bisschen anders, das stimmt. Am ersten Tag im Landtag habe ich zum Beispiel nach einem Redebeitrag, der mir gefallen hat, geklatscht. Dann habe ich erfahren, dass Minister nicht klatschen, da sie politisch unabhängig sein sollen. Wahrscheinlich werde ich auch in Zukunft nicht immer alles richtig machen.

Claus Ruhe Madsens neue Wirkungsstätte
Claus Ruhe Madsens neue Wirkungsstätte

Woran müssen Sie sich noch gewöhnen?

Ich muss aufpassen, dass ich die Zuständigkeiten der einzelnen Ministerien nicht missachte. Ich habe kürzlich etwas zur Energie- und Gasknappheit gesagt, dabei gehört das Thema Energie zum Umweltministerium. Ich muss jetzt ganz genau aufpassen, dass ich niemanden auf die Füße trete. Das ist jetzt etwas gefährlich als vorher.

Was ist noch gefährlich?

Sich zu früh zu sicher zu sein. Damals in meinem ersten Möbelhaus hatte ich das Gefühl, nach 100 Tagen eigentlich alles ganz gut im Griff zu haben. Nach einem Jahr habe ich darüber gelacht, wie wenig ich eigentlich wusste. Nach drei Jahren habe ich gemerkt, dass ich selbst nach dieser Zeit noch nicht viel Ahnung hatte.

Ist Ihnen das auch als Bürgermeister passiert?

Ja, weil ich genau die gleichen Gedanken hatte. Ich bin mir sicher, dass es mir als Wirtschaftsminister auch wieder passieren wird. Deshalb habe ich meinen Kolleginnen und Kollegen im Ministerium gesagt, dass ich erwarte, dass alle in ihrem Ressort etwas besser können als ich – weil sie sonst nicht hier wären. In diesem Punkt wurde ich in Rostock offenbar auch ein bisschen missverstanden.

Was meinen Sie damit?

Es gab immer die Erwartungshaltung in der Verwaltung, dass ich von oben entscheide, wie es gemacht wird. Das finde ich aber verkehrt, wenn man mit Fachleuten zu tun hat. Man sollte immer auf die Empfehlung seiner Fachämter hören. Manche empfinden das als schwache Führung. Ich nicht.

Müssen Sie Ihren Führungsstil dennoch ein bisschen anpassen?

Ja. Ich habe gelernt, dass man in einer deutschen Verwaltung eine gewisse Arroganz ausstrahlen muss. Das ist für einen Dänen wie mich merkwürdig, weil es in Dänemark cooler ist, wenn man sich so gibt wie alle anderen auch. Und obwohl ich Dinge gern mit Humor erkläre, muss ich darauf achten, dass ich dabei meine Autorität nicht verliere. Ich bin Claus, aber vornehmlich der Minister. Das ist ein großer Unterschied.

Haben Sie eine weitere Exit-Option, wenn es nicht klappt: zurück ins Unternehmen?

Nein, der Schritt von Rostock nach Kiel war eine Entscheidung für die Politik. Ich will Politiker sein und bleiben.

Der nächste Teil der Serie „Updates aus dem Ministerium“ erscheint im Oktober 2022.