„Lernen ist ein Teil des Abenteuers“

Als Gründer und Investor hat er mehr als einmal eine glückliche Hand bewiesen. War es Weitsicht oder einfach nur Glück? Und darf ein Unternehmer überhaupt Abenteurer sein? Lukasz Gadowski, Gründer von Spreadshirt und Investor unter anderem bei StudiVZ, Brands4friends oder Delivery Hero, lässt keinen Zweifel: Man darf nicht – man muss.




Lukasz Gadowski, 43,
gründete sein erstes Online-Unternehmen Spreadshirt (siehe auch brand eins 07/2007: „Das Ende der Pubertät“) während seines Studiums im Keller der Handelshochschule Leipzig. Das war 2002. Zwei Jahrzehnte später ist er einer der erfolgreichsten Seriengründer und Wagniskapitalgeber der deutschen Start-up-Szene. Die Beteiligungsgesellschaft Team Europe Ventures, die er seit 2008 mit Partnern betreibt, investiert nicht nur Geld gegen Anteile, sondern unterstützt die Firmen auch mit Fachleuten und Know-how. Aus vielen seiner Investitionen wurden erfolgreiche Firmen (siehe Grafik Seite 75), der größte Coup gelang 2017 mit dem Börsengang von Delivery Hero, der Gadowski rund 45 Millionen Euro einbrachte.

Nach Jahren im Hintergrund kündigte er Anfang 2020 an, mit Team Europe wieder selbst unternehmerisch tätig zu werden. Zurzeit arbeitet er als Geschäftsführer und Aufsichtsrat unter anderem daran, den Tretroller-Anbieter Circ an die Börse zu führen, Carsharing endlich profitabel zu machen und mit dem finnischen Start-up Wolt den deutschen Markt für Essens-Lieferdienste ein zweites Mal aufzumischen. Zudem interessiert er sich für Flugtaxis, Mikro-Atomkraftwerke und erneuerbare Energie. Vor Kurzem gründete er mit dem französischen Ingenieur Franky Zapata eine Firma, um dessen fliegendes Turbinen-Stehbrett Flyboard Air auf den Markt zu bringen.

• Lukasz Gadowski hat sich während des Lockdowns auf seinen Olivenhain in Spanien zurückgezogen. Vielleicht deshalb hat sich der sonst eher scheue Unternehmer auf ein Video-Gespräch über Abenteuer eingelassen, das allerdings vor Beginn zu scheitern droht: Er will keine Aufzeichnung des Gesprächs. Das verändere die Kräfteverhältnisse. Erst als wir ihm versichern, dass er den Text – wie bei Print-Interviews üblich – vorab erhält, stimmt er zu. Bei einem anderen Punkt bleibt er hartnäckig: Er duzt und will auch geduzt werden – den Grund erklärt er im Verlauf des Gesprächs.

brand eins: Lukasz, war die Gründung von Spreadshirt dein größtes berufliches Abenteuer? Immerhin war das während des Stu-diums, kurz nach dem Zusammenbruch des Neuen Marktes.

Lukasz Gadowski: Es war in jedem Fall das erste und deshalb besonders. Und es läuft ja noch: Ich bin noch investiert, und wir planen da gerade einiges.

Fühlt sich das noch an wie ein Abenteuer?

Es ist immer wieder etwas Neues, und immer wieder etwas Ungewisses. Man hat zwar gewisse Vorstellungen, wo man enden möchte – aber dann wird es doch immer ein bisschen anders, mal besser, mal schlechter.

Bei Spreadshirt ist es eher besser geworden – das Unternehmen sollte europäischer Marktführer werden, und das ist gelungen.

Das ist das Lustige an der Marktführerschaft: Sie hängt davon ab, wie man einen Markt definiert. Tatsächlich waren wir auf der einen Seite erfolgreich, auf der anderen sind wir gescheitert.

Wie das?

Wir hätten zum Beispiel so etwas wie Shopify werden können. Wir hatten die Internetshops, haben Kunden ermöglicht, eigene einzurichten – wir hätten Ingenieure einstellen und webbasierte Shopsysteme entwickeln und anbieten können, keine T-Shirts. Das haben wir damals tatsächlich im Aufsichtsrat diskutiert, und uns dagegen entschieden. Im Nachhinein ist man immer klüger – lernen ist ein Teil des Abenteuers.

Mit deinem Inkubator Team Europe hast du dann in viele Unternehmen investiert und mit Delivery Hero auch einen großen Coup gelandet. Sind das noch Wagnisse? Oder handelt es sich eher um Risikostreuung, die sich als erfolgreich erwies?

Vermutlich Letzteres, aber für mich geht es um etwas anderes. Team Europe sollte ein Company Builder werden, die Vision war Unternehmertum. Das wollten wir fördern, um damit Innovation voranzutreiben, die in Konzernen oft stecken bleibt. Das hat mit Team Europe ganz gut geklappt. Und wenn das gelingt, schafft man Werte, und das wird dann irgendwann auch kommerziell belohnt – sonst kriegt es kein Gewicht, keine Bedeutung.

Ist der bis heute nicht profitable Lieferdienst Delivery Hero wirklich das, was ihr unter Unternehmertum versteht?

Es ist ein Milliardenkonzern geworden, eine der erfolgreichsten Gründungen dieser ganzen Generation. Und wenn etwas so erfolgreich ist, gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder wird es gehypt, oder es hat Substanz. In jedem Fall steht die Zahl 20 Milliarden Euro Börsenwert für verdichtete Information über Kunden, Patente, Ideen, Mitarbeiter. Bei Delivery arbeiten Menschen, die zu essen haben, Kinder, Hoffnung, ein Dach über dem Kopf, weil sie Teil dieser Firma sind.

War deine ursprüngliche Idee nicht, Innovationen voranzutreiben?

Das meint nicht nur technische Innovationen, es geht auch um so etwas wie „reinventing capitalism“. Als ich zur Schule ging, war Kapitalismus per se schlecht. Ich habe mich früh mit der Frage beschäftigt: Warum funktionieren Dinge? Sie funktionieren, weil sie Wert bringen. Man kann natürlich im Nachhinein sagen, das eine oder andere, was die Start-up-Welt hervorgebracht hat, ist pervers oder hat negative Effekte – aber das weiß man nicht, wenn man anfängt.

Was hat dich am Anfang getrieben?

Vor Spreadshirt war ich unter anderem Journalist. Ich habe für eine Schülerzeitung geschrieben, und dann haben wir Videos gedreht: Wer bist du? Was machst du? Damals haben wir das Du eingeführt. Deutschland war ja noch Sie-Land – aber das Sie schafft Distanz, das braucht man in Hierarchien, das braucht man nicht für schnellen Informationsfluss. Daraus ist dann das Online-Magazin »Gründerszene« entstanden, nicht weil ich jetzt gerade mal erfolgreich Medien machen wollte: Ich sah einen Wert für die gerade entstehende Unternehmerszene. Das ist zum Beispiel ein Abenteuer, auf das ich stolz bin.

Vertical Media, der Verlag von »Gründerszene«, wurde 2014 an Axel Springer verkauft, aber du hast dich später bei »The European« noch einmal verlegerisch betätigt.

Da ging es mir um das große Ganze, das Wesentliche. Als Jugendlicher hatte ich keinen Respekt für Leute, die nicht gut informiert waren. Aber als ich dann in meinem eigenen unternehmerischen Abenteuer steckte, stellte ich fest: Du bist wie im Tunnel. Du schaust nicht mehr nach rechts und links, hast dafür einfach keine Zeit mehr. Und die Idee des »European« war: das Wesentliche einer Situation zu beschreiben. Er sollte die Fakten darstellen, Vergessenes in Erinnerung rufen und unterschiedliche Positionen darstellen. Denn eine Medaille hat immer zwei Seiten, und ich kann mir erst sinnvoll eine Meinung bilden, wenn ich beide kenne. Das war die Vorstellung, die ich mit dem Chefredakteur Alexander Görlach besprochen habe. Aber ich habe zu spät gemerkt, dass wir zwar viel geredet, uns aber total missverstanden haben. Die ersten Artikel waren weit weg von einem ausgewogenen Blick auf die Dinge – das war immer Meinung, und zwar nur eine.


Entspannt und neugierig auf die Zukunft: Lukasz Gadowski Quelle für die Grafik: www.crunchbase.com/person/lukasz-gadowski

Was macht man da als Investor?

Ich habe es laufen lassen. Es gab ja eine gewisse Aufmerksamkeit, also auch eine gewisse Wertigkeit. Aber es war nicht das große Abenteuer, nach drei Jahren habe ich ohne Gewinn und Verlust verkauft. Das große Medien-Abenteuer steht noch aus.

Die Beteiligungsgesellschaft Team Europe, wo du Partner bist, hat sich einige Zeit auf Delivery konzentriert. Inzwischen investiert ihr wieder, unter anderem in den finnischen Essens-Lieferdienst Wolt. Wenn das ein Geschäft ist, warum hat sich Delivery dann aus Deutschland verabschiedet?

Als diese Entscheidung gefallen ist, war ich bei Delivery nicht mehr aktiv.

Das heißt, du hättest anders entschieden?

Der Rückzug aus Deutschland war am Ende die richtige Entscheidung, aber ich hätte dafür gefochten, dass wir gar nicht erst in die Situation kommen. Ich hätte die Niederländer (Takeaway) in den Niederlanden unter Druck gesetzt. Aber dafür wären mit mir im Entscheidungs-Board andere gute Sachen nicht passiert, die die Company danach machen konnte. Delivery ist weiter gut unterwegs, das wird noch eine 40-, 50-Milliarden-Company. Wenn ich lange genug warte, vielleicht eine 100-Milliarden-Company. Aber ich will nicht warten.

Stattdessen investierst du in Roller.

Die Roller sind super!

Weil du die Leute vom Fahrrad wegkriegen willst?

Das höre ich immer wieder. Aber diese Argumentation geht von einer Idealwelt aus, die nicht existiert. Die Entscheidung ist nicht, ob ich Fahrrad fahre oder Roller: Es geht darum, möglichst viele, möglichst gute Alternativen zum Auto anzubieten. Denn da bewege ich anderthalb und beim Elektroauto oft zwei Tonnen Auto für 80 Kilo Mensch – das ist Irrsinn. Der Roller ist genial: wenig Gewicht für die letzte Meile. Aber das sind alles Teilantworten, genauso wie Carsharing mit Miles Mobility. Das ist auch so eine Sache, die super Spaß macht.

Dieses Geschäft soll so gut nicht laufen, war zu lesen.

Man soll nicht alles glauben, was in den Medien steht. Tatsächlich haben wir nur unsere Strategie angepasst, zu viele Städte gleichzeitig braucht man nicht. Nun konzentrieren wir uns auf wenige Städte, und es funktioniert.

Warum setzt Miles keine Elektroautos ein?

Für Carsharing gibt es kein Risikokapital, wir mussten also erst einmal aus eigener Kraft wachsen, und dafür sind Verbrenner besser geeignet. Elektro ist für den Einstieg schlicht zu teuer, wir werden aber schrittweise umstellen. Das ist die Entscheidung, vor der man immer steht: zwischen Idealismus und Pragmatismus. Das gilt auch für mein nächstes großes Abenteuer, Atomkraft.

Du investierst in Atomkraft? Vermutlich in Fusionsreaktoren.

Wann, denkt ihr, werden die funktionieren?

In 25 Jahren – das wurde allerdings auch schon vor 25 Jahren versprochen.

Genau – und das ist doch Wahnsinn! Wenn Kernfusion funktionierte, wäre es das ganz große Abenteuer. Dann stellt sich auch die Frage des Atommülls nicht mehr, denn der entsteht gar nicht mehr. Trotzdem ist nicht absehbar, wie lange es noch dauert, deshalb investiere ich in kleinere Anlagen mit klassischer Kernspaltung zum Beispiel auf Schiffen (Seaborg Technologies). Da bin ich Investor und im Aufsichtsrat. Und gerade haben wir auch die Investition bei HB11 Energy abgeschlossen: Das ist die Gründung eines 89-jährigen Wissenschaftlers, Heinrich Hora, der einen ganz neuen Ansatz für Fusions-Reaktoren hat. Da liegt unser Zeitplan bei acht Jahren, natürlich wollen wir ihn unterbieten.

Dass du in solche Hochtechnologie investierst, ist neu, oder?

Im Grunde habe ich immer gemacht, was ich irgendwie konnte. Das waren am Anfang zufälligerweise T-Shirts, da war schon ein bisschen Technik in Form von Software dabei. Wenn man lebensbejahend ist und will, dass sich die Menschheit weiterentwickelt, muss man sich für Technik interessieren – ohne werden wir nicht überleben. Wir wissen zum Beispiel, dass sich die Sonne aufbläht und irgendwann die Erde erreichen wird, und dann verbrennt hier alles. Schon vorher wird es viel zu heiß werden – vielleicht erst in Milliarden von Jahren, aber irgendwann passiert es. So weit können wir nicht denken, aber wenn ich mich mit dem Universum beschäftige, sind Millionen von Jahren plötzlich der Zeithorizont – und wenn wir Leben bewahren wollen, müssen wir lernen, in solchen Zeithorizonten zu denken. Ob wir über Mobilität reden, über Mikroplastik im Wasser oder Energieversorgung, für viele Probleme kann man eine Lösung finden. Das ist für mich das eigentliche Abenteuer.

Das große Ganze denken und kleine Schritte machen?

Und überall nach Inspiration suchen. Die finde ich zum Beispiel, wenn ich über den Peak Oil nachdenke, den Tag, ab dem es mit den Ölvorräten abwärtsgeht. Wenn ich dann weiterrecherchiere, lerne ich: Ich kann ja ganz einfach künstliches Öl herstellen. Alles, was ich dafür brauche, ist Wasserstoff, Kohlendioxid und Energie – dann kann ich mir so viel Öl backen, wie ich will. So bin ich bei der Frage der Energieversorgung gelandet. Ich kann aber auch inspiriert werden, wenn ich zu Stefan Gabriel gehe, der war mal Türsteher im Berliner Club „Cookies“ und restauriert heute in einem Hinterhof mit unglaublicher Akribie alte Fahrräder. Den bewundere ich, weil er so die Ruhe weg hat und von dem überzeugt ist, was er macht.

Ärgern dich Fehler?

Nicht lange. Man kann aus allem etwas lernen – und ich bin überzeugt: Wenn man das Richtige will und macht, setzt sich das irgendwann durch, vielleicht dann ohne mich. Niemand kann die Welt vorhersagen, auch wenn viele die Illusion haben, dass sie es könnten. Ich setze auf Muster, nicht auf Analytik.

Was macht deine Gründergeneration falsch?

Der größte Fehler war, dass Lars Hinrichs zu früh Xing verkauft hat, Oliver Samwer Alando, wir StudiVZ. Da haben wir alle die richtig große Geschichte verpasst. Facebook war hoch defizitär, als sie Zuckerberg eine Milliarde Dollar angeboten haben, er hat abgelehnt, heute ist die Firma das 700-Fache wert. Ein Oliver Samwer hätte Facebook verkauft, weil er nicht daran glaubt, dass Dinge Bestand haben können. Für meinen Geldbeutel wäre es sicher auch besser gewesen, wir hätten bei Spreadshirt die Shopify-Idee umgesetzt, und ich wäre dabeigeblieben.

Warum bleibst du nicht dabei, sondern verkaufst immer wieder?

Es gab und gibt noch so viel, auf das ich neugierig bin. Und dann, was macht man mit so viel Geld? Viele sind besessen davon zu besitzen und werden von der Angst zerfressen, ihr Geld zu verlieren. Und am Ende stiften oder vererben sie es.

Invest

Schließt du das für dich aus?

Ich würde mich da vielleicht nicht völlig ausnehmen – aber die Leute sagen, ich hätte eine merkwürdige Art der Risikoeinschätzung. Die sagen: Wie kannst du nur in Kernkraft investieren, davon hast du doch keine Ahnung! Ich sage: Ich investiere in Fortschritt. Das ist zwar riskant, aber es ist doch noch viel riskanter, nicht in Fortschritt zu investieren. ---

Wir haben gelernt remote zu arbeiten, parlieren weitgehend störungsfrei über Kacheln und nutzen souverän diverse neue Tools und Techniken. Die meisten Firmen haben aufgerüstet und sind bei Hardware, Software und Cloud-Diensten heute besser aufgestellt als vor der Krise. Aber sind sie dadurch besser geworden?

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