Indien

Im Hinterhof des Solar-Booms

Diese Serie geht den großen Umbrüchen nach, die Indien derzeit durchlebt. Und sie begleitet Menschen, die durch diesen Wandel navigieren. Der vierte Teil führt nach Bundelkhand, ins Herz des Landes, wo Ackerland großen Photovoltaik-Flächen weichen soll.




• Ein drei Meter hoher Stacheldrahtzaun zieht sich scharf und lang durch die ausgedörrten Felder Zentralindiens. Auf der einen Seite liegen Berge von Erdnüssen auf der rissigen Erde, auf der anderen schimmert ein Meer aus blauen Kollektoren in der Nachmittagssonne. Der Zaun überragt die zierliche Bäuerin Rekha Sain, die an diesem sengend heißen Nachmittag im November auf jene Solarpaneele blickt, die nicht nur das Aussehen dieses Landstrichs, sondern auch ihr eigenes Leben radikal verändert haben.

Rekha Sain, 45, und ihr Ehemann Kanta Prasad Sain, 60, der bis vor Kurzem noch als Friseur arbeitete, besaßen 4,5 Hektar Ackerland in Badanpur, einem 2.000-Seelen-Dorf in Bundelkhand. Die Region im Herzen Indiens ist etwa so groß wie Bayern, mit rund 20 Millionen Einwohnern aber deutlich dichter besiedelt. Der Acker in Badanpur war mit Abstand der wertvollste Besitz der Sains. Doch der Regen kam immer seltener, der Boden wurde trocken und die Ernten kümmerlich. Das Ehepaar bangte um die Zukunft seiner Kinder in jener Region, die seit Jahrzehnten keine Industrie mehr angezogen hat und in der junge Männer im Schatten der Bäume sitzen, weil es keine Arbeit gibt.

Im Gegensatz zu den vielen fruchtbaren Teilen Indiens ist Bundelkhand von weiten Felspartien durchzogen. Die Region, früher reich an Flüssen und dichten Wäldern, hat zunehmend mit Dürren zu kämpfen und ist heute eine der rückständigsten und verarmtesten des Landes. Mit jedem Jahr wachsen Schulden und Verzweiflung der überwiegend bäuerlichen Bewohnerschaft.

Doch seit Kurzem weht ein frischer Wind durchs Land. Plötzlich gelten die dürren Äcker als fruchtbarer Boden für erneuerbare Energien, die in ganz Indien immense Flächen benötigen (siehe Seite 22). Uttar Pradesh – Indiens bevölkerungsreichster Bundesstaat, in dem die Hälfte der Distrikte Bundelkhands liegen – wies jüngst 240.000 Hektar Land für Solarprojekte aus, eine Fläche so groß wie das Saarland. Die Regierung kündigte acht Solaranlagen mit einer Gesamtkapazität von rund 5.000 Megawatt an.


Bundelkhand ist eine abgehängte Region im Herzen Indiens. Die neuen Solar-Projekte versprechen zwar schnelles Geld beim Landverkauf, bringen bisher aber weder ausreichend Jobs noch bessere Infrastruktur

Gut verhandelt

Als der Solarpark-Entwickler Adani Green Energy (im Besitz von Gautam Adani, einem der reichsten Menschen der Welt) den Sains Geld für ihr ödes Land bot, hätten sie am liebsten sofort eingeschlagen. Doch im Gegensatz zu vielen ihrer Nachbarn, erbaten sie sich Bedenkzeit.

„Ich konnte tagelang weder essen noch schlafen, so große Angst hatte ich, einen Fehler zu machen“, erinnert sich Rekha Sain, die auf dem Boden ihrer Küche sitzt, ihren Sari zurechtrückt und die Augen schließt, als quäle sie die Last der Entscheidung auch fünf Jahre später noch. Schließlich ging es um die Lebensgrundlage ihrer Kinder und Enkel.

Das Ehepaar nahm sich vier Tage Zeit für die Entscheidung. Sie wollten verkaufen – aber zu ihrem Preis. Dabei half ihnen niemand, beide sind Analphabeten, vom Verhandeln mit Großkonzernen haben sie keine Ahnung. Am Ende verkauften sie ihren Acker für umgerechnet 31.200 Euro. Mit 7.800 Euro pro Hektar erhielten sie damit mehr als das Zehnfache dessen, was andere Dorfbewohner für ihr Land erhalten hatten. Ihr bedachtes Vorgehen hat sich ausgezahlt.

Einen Teil des Geldes legten sie für den Schulbesuch ihrer Kinder an, der in diesem Dorf bis zu 22 Euro im Monat kostet. Fast die Hälfte davon geht für die Anfahrt in Sammeltaxis drauf, da zur weiterführenden Schule keine Busse fahren. Viele Eltern schicken ihre Kinder daher nur jeden zweiten Tag zur Schule, um das Fahrgeld zu sparen. Den Rest investierten die Sains.

„Wir haben von dem Geld zwei Büffel und einen Acker in der Größe des alten, aber mit besserer Bewässerung gekauft“, sagt Rekha Sain, während sie Snacks aus Reismehl und Kurkuma zubereitet, die sie am Abend der Göttin Mahalaxmi opfern wird, um für ihre Familie zu beten. Seit Kurzem investiert der Bundesstaat in die Bewässerung von Äckern, auch mithilfe von solarbetriebenen Pumpen.

Von den 500 Familien, die ihr Land für den Solarpark in Badanpur verkauft haben, machte knapp die Hälfte ein ähnlich gutes Geschäft, aber gerade mal 20 Familien haben so weitsichtig und rentabel investiert wie die Sains, so die Dorfbewohner. „Viele haben sich ein Fahrrad oder sogar ein Auto gekauft. Damit konnten sie zwar die Nachbarn beeindrucken – aber wo sollten sie hinfahren? Wir haben lieber in einen Büffel und einen besseren Acker investiert“, sagt Kanta Prasad Sain, der sich nach einem langen Tag auf der Weide die Füße wäscht. „Unser Leben hat sich sehr verändert“, sagt er, „und zwar langfristig.“

Als Friseur verdiente er einen Euro pro Tag; jetzt weidet er tagsüber seine Tiere und verkauft am Abend ihre Milch an die örtliche Molkerei. Seine Frau kümmert sich um den Acker, der dank der Nähe zum Wasserkanal nun zwei Ernten im Jahr von Erdnüssen, Weizen und Urdbohnen hervorbringt. Ihr gemeinsames monatliches Einkommen liegt bei etwa 256 Euro – es hat sich damit verachtfacht.


Hungrig nach Land – im Jahr 2030 will Indien erneuerbare Energie mit einer Kapazität von 500 Gigawatt erzeugen, dafür braucht es immense Flächen, wie hier in Lalitpur

Gemeinsam geht mehr

Kali Charan, Mitglied des Dorfrats von Badanpur, sitzt mit verschränkten Armen unter einem Baum vor seinem Haus. Im Gegensatz zu den Sains, die in der Parallelstraße wohnen, ist er unzufrieden mit dem Preis, den er für sein Land vor etwa zehn Jahren erhalten hat: 560 Euro pro Hektar. Seitdem ist er auf einer Mission. Charan ist eine imposante Erscheinung, nicht so sehr wegen seiner Größe, sondern wegen seiner kräftigen Stimme, seines dunklen Schnurrbarts und seines selbstbewussten Auftretens.

Als die Solarpark-Entwickler damals in das Dorf kamen, waren die Bewohner oft zum erstbesten Preis bereit, ihr karges Land loszuwerden. In Anbetracht von Deals wie jenen der Sains wächst nun die Unzufriedenheit. Es ist der Beginn einer gemeinsamen Bewegung in der Region, die erste seit vielen Jahrzehnten. Die Dorfbewohner erkennen ihre neue Verhandlungsmacht: Ihr Land ist wieder gefragt. Und sie brauchen das, was immer sie bekommen können, ebenso wie die neue Solidarität, um mit der immer schwierigeren Lage in der Region zurechtzukommen.

Der 50-jährige Kali Charan spielt eine Schlüsselrolle in dieser neuen Bewegung: Er brachte die Vorsteher von 33 Dörfern zusammen und öffnete eine Verhandlungstür mit den Regierungsbehörden. Es ging erst um Bodenpreise, später um Wohnraum und Arbeitsplätze für die Landbesitzer.„Mein Land wäre jetzt 7.000 Euro pro Hektar wert, da sich die Bewässerung verbessert hat“, sagte Kali Charan. Die lokalen Behörden legen für jedes Dorf einen Mindestbodenpreis fest. Darauf können sich die Landbesitzer bei den Verhandlungen mit den Unternehmen, die ihr Land kaufen wollen, berufen. Deren Angebote müssen über dem Mindestpreis liegen. Wie viel sie darüberliegen, bestimmt auch die Lage – je näher an der Straße, desto besser.

Die schlechten Deals haben die Menschen aus den umliegenden Dörfern mobilisiert, um gemeinsam für bessere Verträge zu kämpfen. Die daraus entstandene Gruppe, die fast 40.000 Dorfbewohner der Region vertritt, kam zum ersten Mal vor etwa einem Jahr zusammen. Damals berichtete die Lokalpresse über ein Industrie-Projekt in der Region, für das Land benötigt wurde. Ein örtlicher Lehrer wandte sich an die Dorfräte und erklärte ihnen, was die Entwicklung bedeuten würde und wie sie davon profitieren könnten. „Wir haben in allen Dörfern Informationsveranstaltungen abgehalten, um angemessene Landpreise zu erstreiten“, sagt Charan.

Die Mitglieder der Gruppe tauschen sich, wie landesüblich, in einer Whatsapp-Gruppe aus. Daneben halten sie Sitzungen ab und verhandeln mit den örtlichen Beamten um höhere Mindestpreise, um eine bessere Ausgangslage bei den Verhandlungen mit Projektentwicklern zu haben. In der Chat-Gruppe kursieren Zeitungsausschnitte, Sitzungspläne und Entwürfe.

Der Zusammenschluss der Landbesitzer wird wahrgenommen, sein Widerstand wächst. Anupam Shukla, Direktor der Uttar Pradesh New and Renewable Energy Development Agency, die Projekte für erneuerbare Energien in Bundelkhand beaufsichtigt, versichert, dass Anstrengungen unternommen würden, um den Dorfbewohnern entgegenzukommen. Diese aber sagen, dass sie außer mündlichen Zusagen für höhere Bodenpreise bisher nichts erhalten hätten.

Junaid Ahmad, der für Badanpur zuständige leitende Beamte für Entwicklung, sagt: „Früher haben die Bauern auf ihren kleinen Höfen Landwirtschaft betrieben und gegessen, was sie anbauten. Sie hatten keine weiteren Kontakte. Jetzt ziehen sie an einem Strang. Das Kollektiv hat sie gestärkt. Sie handeln nun bessere Preise aus. Sie sind nicht mehr allein.“

Aber zu einem guten Deal gehöre auch Bildung in finanziellen Dingen, ergänzt Kali Charan vom Dorfrat in Badanpur. Seine Gruppe wolle den Bewohnern beibringen, wie sie ihre Erlöse sinnvoll investieren können. Schließlich ist Land das wertvollste Eigentum der Armen, selbst wenn es unfruchtbar ist. Wer sich davon trennt, braucht einen Plan für danach.


Weitsichtig investiert – die Bäuerin Rekha Sain hat sich vom Verkaufserlös ihres alten Ackers einen besseren gekauft

Sehnsucht nach Wolken

Aasa Ram, 40, aus dem Dorf Pawa, etwa 30 Kilometer von Badanpur entfernt, gehört zu jenen, die erleichtert waren, den Hof für ein neues Solarprojekt aufzugeben. Sein Land war felsig und trocken. Daher stellte er die jährliche Pachtsumme von 223 Euro, die ihm für 30 Jahre geboten wurde, nicht infrage. Insgesamt wird er in dieser Zeit 6.700 Euro erhalten – so viel wie die Sains auf einen Schlag pro Hektar bekommen haben. So gesehen kein besonders guter Deal.

„Ich muss mich nicht anstrengen, um dieses Geld zu verdienen. Es war harte Arbeit, dieses Land zu bewirtschaften, dazu kamen streunende Tiere, die ich vertreiben musste. Ich weiß, dass das Geld nicht viel ist, aber es hilft mir, meine täglichen Ausgaben zu bestreiten“, sagte Ram, Vater von fünf Kindern, der sich vor der Nachmittagshitze in seine strohgedeckte Hütte zurückgezogen hat. Er pendelt meist in die nahe gelegenen Städte, um als Tagelöhner auf Baustellen zu arbeiten.

Dass sich das Klima ringsum irgendwann wieder bessern werde, hat er zu hoffen aufgegeben. „Das letzte Mal, dass ich eine Regenwolke gesehen habe, war vor 20 Jahren“, sagt er und zeigt in die Richtung, wo einst die Wolken aufzogen und mit ihnen die Hoffnung auf Regen. „Ich weiß nicht, wo sie geblieben sind“, sagt er wehmütig, als hätte er einen Jugendfreund verloren.

Sanjay Singh, Gründer der gemeinnützigen Organisation Parmarth Samaj Sewi Sansthan, die sich für die Bewältigung der Wasserkrise in Bundelkhand einsetzt, sagt: „In den vergangenen zehn Jahren haben 30 Prozent der Bauern die Landwirtschaft aufgegeben. Es gibt eine Menge Brachland. Die Menschen sind verschuldet.“

Dazu kommt die unsichere Stromversorgung. Denn selbst wenn die Bewohner ihr Land für Solaranlagen zur Verfügung stellen, fließt der dort erzeugte Strom nicht zu ihnen, sondern erst mal ins Hauptnetz des Landes, von dem vorrangig die großen Städte und Industrieparks bedient werden. In den Hütten neben den Solarparks ist es oft stundenlang dunkel. Stromausfälle sind weiter an der Tagesordnung.


Seltener Aufstieg – Kanta Prasad Sain war Friseur, jetzt besitzt er einen fruchtbaren Acker, zwei Büffel und verdient deutlich mehr (o.)
Neues Einkommen – die Büffel der Sains produzieren Milch, die der Sohn zur örtlichen Molkerei bringt (u.)

Große Versprechungen

Es ist die von Menschen in der Ferne verursachte Erderwärmung, die die Bauern von Bundelkhand dazu zwingt, ihr Land zu verkaufen, damit Anlagen gebaut werden, von denen sie kaum etwas haben.

Die von den Staaten am ersten Tag der UN-Klimakonferenz in Dubai 2023 zugesagten Mittel für Verluste und Schäden, mit denen arme Länder bei der Bewältigung von Klimakatastrophen unterstützt werden sollen, werden in diesen Regionen dringend benötigt. Nach Ansicht von Fachleuten sind Investitionen in eine klimaresistente Landwirtschaft unabdingbar. Solar-Boom hin oder her, solange diese Schritte nicht unternommen werden, geht die Verödung der Böden weiter.

Ein fairer Übergang von fossilen Brennstoffen zu sauberer Energie bleibt ein schwer zu erreichendes Ziel, wenn neue Energieprojekte an den Bedürfnissen der Bevölkerung vor Ort vorbeigehen. Deshalb ist es wichtig, dass die Anwohner wissen, was ihr Acker wert ist, was sie mit den Gewinnen machen können und welche neuen Jobmöglichkeiten ihnen zur Verfügung stehen.

Die 33 Dörfer, die sich nun zusammengeschlossen haben, sind weit entfernt von den globalen Klimadialogen, den Sorgen um Emissionen und den Netto-Null-Zielen der Länder. Für sie sind die erneuerbaren Energien eine Chance auf Arbeitsplätze, Fortbildungen, bessere Straßen und Krankenhäuser. Doch all das bleibt häufig aus.

„Wir wissen, dass die Solarenergie ein gutes Projekt ist. Aber wir haben nichts weiter davon“, sagt Mahender Singh Yadav vom Dorfrat in Pawa, wo ein staatliches Solarprojekt auf 1.400 Hektar Land entsteht. Ein Jugendlicher aus dem Dorf, der nicht namentlich genannt werden möchte, sagt, er habe einen Schulabschluss und gehofft, bei der neuen Anlage Arbeit zu finden. Aber ein Solarpark schafft kaum Jobs. Ganze Straßen im Dorf sind mittlerweile verwaist, die Hütten mit Vorhängeschlössern versperrt. Immer mehr Menschen suchen in den Städten nach Arbeit. „Sie hätten uns wenigstens eine Computerschulung geben können. Die Regierung hat zwar ein Ausbildungszentrum für Näherinnen eröffnet, es aber nach drei Monaten gleich wieder dichtgemacht“, so der Jugendliche.

Anupam Shukla von der staatlichen Behörde für erneuerbare Energien entgegnet, man führe in Uttar Pradesh Trainingsprogramme für etwa 30.000 Jugendliche durch, stecke Geld in Straßen und Gesundheitseinrichtungen und plane, in die Schulbildung von Kindern und in die Landwirtschaft zu investieren. In Bundelkhand jedoch gibt es jenseits des Zauns weder ausreichend Strom noch Arbeitsplätze.

Während die Sonne in Badanpur untergeht, kommen die Frauen des Dorfes in ihren besten Saris zusammen, die Köpfe keusch bedeckt. In der Nähe eines großen Baumes opfern sie Mahalaxmi kleine Speisen und sprechen Gebete. Die hinduistische Göttin soll sowohl für finanziellen Wohlstand als auch geistiges Wohlbefinden sorgen. Auch Rekha ist dabei. Der Landkauf hat der Familie in ihrem konservativen Dorf, in dem ein Friseur in der sozialen Hierarchie ganz unten steht, einen seltenen Aufstieg beschert. „Die Leute respektieren mich jetzt“, sagt Kanta Prasad Sain mit seiner rauen Stimme, die am Ende des langen Arbeitstages müde wirkt. Seiner Frau ist das nicht genug. Sie hofft, dass ihre zwei Söhne und die Tochter Arbeit finden, um sich von der Landwirtschaft zu lösen. ---


Gemeinsamer Widerstand – der Solar-Boom hat die Bewohner der Region zusammengebracht, zusammen handeln sie nun bessere Bodenpreise aus


Opfergaben – Rekha Sain bereitet in ihrer Hütte kleine Speisen für die Göttin Mahalaxmi zu (l.)
Blick nach vorn – heute kann Aasa Ram schon manchmal darüber lachen, dass er beim Verkauf seines Ackers über den Tisch gezogen wurde (r.)

Indien, das bevölkerungsreichste Land der Welt mit stetig steigendem Energiebedarf, ist der drittgrößte Emittent von Treibhausgasen und nach China der zweitgrößte Kohleproduzent. Bis zum Jahr 2030 will das Land seine Kapazität an erneuerbaren Energien auf 500 Gigawatt erhöhen. Anfang 2023 lag sie bei 188 Gigawatt – genug für die Hälfte des indischen Energiebedarfs. Die ambitionierten Ausbauziele dürften Indien nach Angaben der Internationalen Energieagentur knapp 300 Milliarden Dollar an Investitionen kosten.

Die größte Herausforderung ist aber Landknappheit. Um das Regierungsziel von null Emissionen bis 2050 zu erreichen, benötigt Indien eine Fläche von 75.000 Quadratkilometern (mehr als die Fläche Bayerns) für neue Solarparks und 20.000 Quadratkilometer für neue Windparks, so eine Studie des Thinktanks Institute for Energy Economics and Financial Analysis aus dem Jahr 2021. Angesichts wachsender Widerstände von Anwohnern gehen Experten daher von Verzögerungen aus.

Die größten Energiekonzerne des Landes – die von Mukhesh Ambani geführte Reliance Industries und die von Gautam Adani geführte Adani Green Energy – kündigten vollmundig an, innerhalb von sechs Jahren 100 beziehungsweise 45 Gigawatt zusätzlicher Kapazitäten an Erneuerbaren zu installieren. Arbeitsplätze werden dabei allerdings nur wenige entstehen. Laut einer Studie der Internationalen Arbeitsorganisation von 2022 sind in diesem Sektor weltweit nur 13,7 Millionen Menschen beschäftigt, sieben Prozent davon in Indien.

Auf Kohle verzichtet Indien trotz des Solar-Booms nicht. Im Gegenteil: Die Förderung stieg von 540 Millionen Tonnen im Jahr 2012 auf mehr als 700 Millionen Tonnen im Jahr 2022. Nach Angaben des Bundeskohleministeriums verfügt vor allem der Osten des Landes noch über riesige ungenutzte Reserven. Der billige Brennstoff deckt heute gut die Hälfte des indischen Energiebedarfes. Statt vom Ausstieg spricht man dort von einer „schrittweisen Reduzierung“ der Kohlenutzung. Im Februar erklärte die Regierung, dieses Vorgehen zeige Indiens unerschütterliches Engagement, den Energiebedarf des Landes zu decken und gleichzeitig das Wirtschaftswachstum voranzutreiben.

* Lesen Sie im dritten Teil unserer Indien-Serie „Zurück in die Zukunft“ in brand eins 03/2024 über die Wiederentdeckung alter Bewässerungstechniken in Bangalore.

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Zur Serie: Indien – Land im Aufbruch

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Diese Serie wird gefördert vom European Journalism Centre, im Rahmen des Solutions Journalism Accelerator. Dieser Fonds wird von der Bill & Melinda Gates Foundation unterstützt.

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