Thomas Hensel im Interview

Ein Gespräch über den ewigen Reiz von Bling-Bling, Geltungsdrang und das Streben nach Autonomie mit Thomas Hensel, Professor für Kunst und Designtheorie an der Hochschule Pforzheim.





Dieser Artikel erschien in der Ausgabe 10/2023.


Kunst oder Kitsch? Zum Foto-Termin brachte Thomas Hensel einen von Jeff Koons veredelten Louis-Vuitton-Rucksack mit

brand eins: Herr Hensel, was bedeutet Luxus?

Thomas Hensel: Luxus ist ein starker, schillernder Begriff, unter den heute sehr vieles fällt: Materielles und auch Immaterielles. Interessanterweise sind die mit Luxus verbundenen allgemeinen Vorstellungen noch immer nahe an der ursprünglichen lateinischen Bedeutung – Üppigkeit, Ausschweifung, Verschwendung. Luxus ist also bereits seit der Antike negativ konnotiert. Das verstärkte sich noch mit dem Aufstieg des Christentums. Allein drei der sieben Todsünden sind mit Luxus assoziiert: Habsucht, Genusssucht und Unmäßigkeit.

Das hat der Lust an Prunk aber keinen Abbruch getan. So verdanken wir der Geltungssucht vergangener Herrscher Bauwerke wie die Schlösser Sanssouci oder Neuschwanstein. Und heute boomt die Luxusindustrie wie nie zuvor – erstaunlich in einer Ära, in der es nachhaltig zugehen sollte.

Die Einstellung der Menschen zu Luxus war schon immer zwiespältig: Man lehnt ihn nach außen hin ab und begehrt ihn doch. Heute ist umweltbewusster Konsum zwar angesagt und wäre auch wünschenswert, ja überlebensnotwendig. Aber Menschen, die es sich leisten können, kaufen trotzdem Superjachten, mit denen sie auf den Weltmeeren so viel CO2 rausblasen können, wie sie wollen.

Diese widersprüchliche Haltung spiegelt sich auch in der Geschäftspolitik der großen Luxusmarken wider. Einerseits gibt es ernsthafte Bemühungen in Richtung Kreislaufwirtschaft, etwa in Form von Secondhand-Plattformen für Mode und Accessoires, mitentwickelt von Luxusmarken. Was wegen der Langlebigkeit vieler dieser handwerklich aufwendig gemachten Produkte auch aus ökonomischen Gründen naheliegt. Andererseits setzen dieselben Unternehmen in den sozialen Medien auf Bling-Bling und umgarnen dort mit großem Erfolg junge Leute.

Wieso ist diese Zielgruppe interessant?

Weil Prognosen zufolge 2025 etwa zwei Drittel des Luxuskonsums auf Kundinnen und Kunden unter 40 Jahre entfallen werden. Man spricht vom Millennial Luxury. Das Leben dieser jungen Leute spielt sich zunehmend in den sozialen Medien ab, wo es bekanntlich wesentlich um Selbstinszenierung geht. Noch nie hatten so viele Menschen die Möglichkeit, ihren Geltungsdrang so leicht zu demonstrieren. Dafür bieten sich Luxusmarken an, und daher spielen sie bei Tiktok, Instagram, in der Blogosphäre, bei Influencerinnen und Influencern eine so große Rolle.

Die meisten jungen Leute können sich teure Marken aber gar nicht leisten, oder?

Doch, denn für diese Zielgruppe gibt es Einsteigermodelle. Statt einer Handtasche zum Preis von mehreren Tausend Euro kann man sich zum Beispiel einen Schlüsselanhänger dieser Marke aus ebenso edlen Materialien kaufen. Der ist im Vergleich zu gewöhnlichen Schlüsselanhängern zwar auch sehr teuer, aber erschwinglich. Mit solchen Teilen sollen junge Leute an Luxusmarken herangeführt werden, ohne die Kernkollektion zu verbilligen.

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