Kühlende Kleidung

Die Erderwärmung hat auch Auswirkungen, von denen bisher wenig die Rede ist: Sie macht neue Produkte zu Luxusgütern, kühlende Kleidung zum Beispiel.



Der Stoff aus dem die Kühlkleidung, wie die Weste, besteht.



Weste und kühlender, lichtdurchlässiger Vorhang

• In Ländern, in denen es im Sommer 40, 45, ja sogar 50 Grad Celsius heiß werden kann, weiß es jeder: Schwitzen ist anstrengend und beansprucht Herz und Kreislauf. Wer bei 26 Grad Sport mache, sagt Gabriele Renner, benötige bis zu 60 Prozent seiner Energie zum Kühlen des Körpers. Die 57-jährige Ulmerin weiß das, weil sie Pharmazie studiert hat, und betont es, weil sie Kühlkleidung verkauft. Gemeinsam mit ihrer Schwester Sabine Stein, 55, entwickelt sie Hosen, Westen, Kopfbedeckungen und Halstücher, die den Körper kühlen. So soll man auch bei Hitze fit und leistungsfähig bleiben.

Renner sitzt in einem Besprechungsraum. An den Wänden hängen Bilder von Frauen mit rosa Perücken, die sich mit Wasserpistolen bespritzen, draußen gibt es eine Terrasse, dahinter liegt ein Park. Pervormance International hat den Firmensitz auf dem Ulmer Kienlesberg, in einem ehemaligen Krankenhaus. Die Marke der Kühlkleidung heißt: E-Cooline.

Auf dem Tisch liegt eine schwarze Weste, die Renner unter den Wasserhahn gehalten und abgetrocknet hat. Ein spezielles Vlies, auf Brusthöhe eingenäht, hat etwa einen Liter Wasser aufgesogen. Wenn man die Weste anzieht, verdunstet es nur langsam. Bis zu 22 Stunden kann das dauern. Die Verdunstung entzieht dem Körper Energie und kühlt ihn so.

„Im Prinzip funktioniert unsere Technologie ähnlich wie ein nasses T-Shirt, das Sie überziehen. Bloß: Sie werden nicht nass“, sagt Renner. Das Vlies speichert die Wassermoleküle. Weil es aus vielen kleine Ästen und Brücken besteht, ist die Speicheroberfläche sehr groß. Wenn man die Weste trägt, fühlt sie sich leicht feucht an, das T-Shirt darunter bleibt aber trocken.

Renner wirbt damit, dass die Leistungsfähigkeit von Sportlerinnen und Sportlern bei Hitze durch eine solche Kühlung um bis zu zehn Prozent gesteigert werden konnte. Dabei beruft sie sich auf Untersuchungen der Universitäten Münster und Dortmund, die das Unternehmen finanziert hat.

Der Geher Christopher Linke benutzt die Kühlkleidung seit der Leichtathletik-Weltmeisterschaft in Doha, der Hauptstadt von Katar. 2019 herrschten dort auch nachts noch Temperaturen von mehr als 30 Grad Celsius. Dazu kam eine hohe Luftfeuchtigkeit, Athletinnen und Athleten kollabierten, obwohl die Wettkämpfe nur in der Nacht stattfanden. „Es war wirklich heftig“, sagt Linke.

Er ließ sich anschließend von E-Cooline ein Halstuch schneidern, das neben dem Vlies über kleine Taschen verfügt, in die der Athlet zerstoßenes Eis stopft. Das Eis braucht er ab etwa 25 Grad, weil sein Körper unter Hochleistung so viel Hitze produziert, dass die Verdunstungskälte durch Wasser nicht ausreicht. Alle vier Kilometer wechselt Linke das Tuch aus. „Ich verliere durch das Anziehen ein paar Sekunden. Doch wenn ich überhitzen würde, wäre der Zeitverlust sehr viel größer“, sagt er. „Das ist es mir wert.“

Linke ist Extremsportler, doch ist die Kühlkleidung auch etwas für die breite Bevölkerung? Eher nicht, meint Andreas Matzarakis. Er leitet das Zentrum für Medizin-Meteorologische Forschung beim Deutschen Wetterdienst und beschäftigt sich mit den Auswirkungen von Hitze auf die menschliche Gesundheit. „Nur für bestimmte Leute sind Kühlwesten eine gute Sache“, sagt er. Wer bei hohen Temperaturen Leistung bringen müsse, könnte die Weste als Anpassungsstrategie an den Klimawandel nutzen. Straßenbauer und Dachdecker zum Beispiel. Oder Menschen bei der Weinlese in Frankreich. Die Berufsgenossenschaft Bau unterstützt Unternehmen seit einigen Jahren beim Kauf von Kühlwesten.

Ein Wundermittel sei die Kühlkleidung jedoch nicht. Und auch für ältere Menschen sei die kühlende Kleidung seiner Meinung nach nicht geeignet. Aufgrund von Medikamenteneinnahme und eines belasteten Organismus könnten sie sich nicht mehr so gut an veränderte Temperaturen anpassen – der Kühleffekt könnte den Körper zusätzlich belasten.

Auch wenn die Zahl der heißen Tage pro Jahr steigt, war die Kühlweste lange kein richtiger Verkaufsschlager. „Es ist gar nicht so einfach, die Leute von ihrem Nutzen zu überzeugen“, sagt Gabriele Renner.

Es gebe zwei Gründe, die Kunden davon abhielten, ihre Westen zu kaufen. Erstens, der Schwimmbad-Effekt: In den ersten Minuten spürt man deutlich, dass die Weste kühlt. Doch der Körper gewöhnt sich daran, und nach einer halben Stunde spürt man den Effekt nicht mehr – obwohl die Weste weiter ihre Arbeit mache, so Renner.

Zweitens, der Ich-weiß-nicht-wie-es-ohne-Weste-wäre-Effekt: „Eigentlich kaufen sich Kunden unser Produkt nur, wenn es nicht anders geht“, sagt Renner, und erzählt von einer Freundin, die beim Motorradfahren in den USA wegen der starken Hitze zusammengebrochen sei. Jetzt fahre sie bei hohen Temperaturen immer mit Kühlweste.

Der Preis könnte ebenfalls eine Rolle spielen, knapp 190 Euro für die günstigste Weste ist nicht wenig. Hinzu kommt das Gewicht. Neben dem Eigenwicht der Weste trägt man knapp einen Liter Wasser durch die Gegend. Ob sie modisch passt, muss jeder selbst entscheiden.

Erfolg hat die Firma dort, wo Menschen bei großer Hitze arbeiten. Die meisten Westen verkauft sie an Industrieunternehmen: Stahlwerke, Anlagenbauer, Automobil- und Flugzeughersteller. Daneben gehören die Deutsche Post, die japanische Marine, Straßenmeistereien, das Ulmer Krematorium und Feuerwehrleute zu den Kunden. Und Menschen, die unter Multipler Sklerose leiden, denn hohe Temperaturen können die Symptome der Nervenkrankheit verstärken.

Begonnen hat das Projekt der Schwestern im Jahr 2010. Sie glaubten an eine Idee, mit der ein Schweizer Wissenschaftler ein paar Jahre zuvor auf sie zugekommen sei, so Renner. Der Mann hatte einen Vorgänger des aktuellen Vlieses entwickelt und wollte testen, ob sich damit ein Produkt entwickeln lässt, das die gelhaltigen Kältekompressen vom Markt drängt.

Renner, die damals eine Beratungsfirma führte, habe ihm davon abgeraten, der Stoff sei zu teuer, um wettbewerbsfähig zu sein. Gemeinsam seien sie auf die Kühlkleidungs-Idee gekommen. Der Wissenschaftler habe Investoren ins Boot geholt und seine Weste auf den Markt gebracht. Doch: Das Vlies sei dick gewesen, die Weste habe mitsamt Wasser drei Kilogramm gewogen, und niemand habe sie kaufen wollen. Die Investoren seien abgesprungen.

Die beiden Frauen übernahmen die Idee dennoch, erzählen sie. Sie verbesserten das Vlies, suchten den perfekten Mesh-Stoff, einen aus vielen kleinen Maschen gewebten Stoff. Nach zwei Jahren Entwicklung hatten sie das Gewicht der Weste so weit reduziert, dass sie mit ihrem Produkt zufrieden waren. Es sah zwar noch etwas klobig aus, aber funktionierte.

Die Schwestern klapperten Betriebe ab und stellten ihre Westen vor. Manchmal verkauften sie ein paar Dutzend, manchmal keine. „Wir kamen nicht so richtig aus unserer Nische heraus“, sagt Renner. Sie merkten: Um ein Produkt zu verkaufen, das neu auf dem Markt ist, braucht es einen langen Atem.

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