1023 aufmacher brot

Julius Brantner Brothandwerk

Wie macht man aus einem Grundnahrungsmittel ein Luxusprodukt? Der Münchner Bäckermeister Julius Brantner weiß, wie‘s geht.





In der schicken Bäckerei Brantner kann man zusehen, wie gearbeitet wird.

• Ein Produkt, das nur aus Mehl, Hefe, Wasser und einer Prise Salz besteht, für 7,50 Euro das Kilo zu verkaufen – das muss man sich erst mal trauen.

Julius Brantner beschreibt sein Geschäftsprinzip mit einem einzigen Satz: „Ich mache nur, worauf ich Bock habe.“ Er hat Lust auf gutes Brot, deshalb backt er es selbst. Er hat Lust auf einen coolen Laden, deshalb ließ er ihn vom Innenarchitekturbüro Studio Miniplus superminimalistisch einrichten. Er hat keine Lust auf schlechten Kaffee, wenn er morgens um eins zu backen anfängt, deshalb steht auf der Theke eine handgefertigte La Marzocco aus Florenz, vermutlich eine der besten Kaffeemaschinen der Welt. Er hat keine Lust auf schlechte Stimmung im Team, deshalb stellt er nur Leute ein, die wirklich backen wollen. 35 sind es inzwischen.

Brantner will auch nicht länger im Laden stehen als nötig. Er verkauft bis zum letzten Brot, dann macht er zu. Das kann sehr früh sein, der Rekord liegt bei morgens um elf, die Leute rennen ihm die Bude ein. Mehr backen will er aber nicht: 600 Brote pro Tag und 700 Semmeln kriegt er hin, alles andere wäre Pfusch.

Mit dieser Einstellung hat Brantner aus einem Grundnahrungsmittel eine Lovebrand gemacht. Es gibt kaum ein Spitzenrestaurant in München, das zum Dinner kein Brantner-Brot anbietet, und manche Kunden fahren durch die ganze Stadt, um eines seiner Signature-Brote wie das „Bio Brothandwerk 25“ zu ergattern. Ein Brot ohne jeden Schnickschnack, keine Kürbiskerne, keine eingebackenen Möhrchen, keine exotischen Gewürze. Einfach Mehl, Wasser, Salz, Sauerteig und Hefe –eine Geschmacksexplosion unter einer reschen Kruste.


Der Gründer und Chef Julius Brantner

Julius Brantner, 32, stammt aus einer alteingesessenen Bäckerfamilie im Schwarzwald, dritte Generation. Sein Vater hat 13 Filialen in und um Schramberg. „Ein ganz traditioneller Betrieb“, sagt Brantner, „darauf hatte ich keinen Bock.“ Er machte zwar den Bäckermeister in Stuttgart („an der Meisterschule kriegt man immer einen Platz, wer will schon einen Job, bei dem man aufsteht, wenn die anderen nach Hause kommen“) und arbeitete in einer kleinen Bäckerei im Allgäu („nur der Bäcker und ich“), in einer Großbäckerei in Gütersloh („80 000 Brote und eine Million Brötchen pro Schicht“) und bei Joseph Brot in Wien, einer Edelbackstube, die sich nicht scheut, für ein 500-Gramm-Weißbrot 11,59 Euro zu verlangen.

Deren Eigentümer Josef Weghaupt, ein gelernter Schlachter, findet das völlig in Ordnung: „Brot ist keine Sättigungsbeilage, sondern ein Kulturgut.“ Mit dieser Haltung, maximal entfernt vom Konzept der Billig-Backshops mit ihrer Aufbackware, ist Weghaupt nicht allein. In Deutschland gehen etwa Zeit für Brot, Sören Korte, die Brotkumpels in Hamburg (backen nur an bestimmten Tagen im Monat), das Keit in Berlin und das Königsbäck in Stuttgart einen ähnlichen Weg. In Zürich macht John Baker Brot zur Edelware. In Basel ist die Bäckerei Kult Kult und verspricht: „Wir verwandeln täglich ehrliche Rohstoffe zu kostbaren Lebensmitteln.“

Brantner hat bei Joseph Brot viel gelernt, aber das sollte sich erst später auszahlen. Denn damals hatte er plötzlich so gar keinen Bock mehr auf den Job. Stattdessen reiste er um die halbe Welt: Amerika, Japan, Australien. Work & Travel, Party machen dann, wenn Bäcker bereits am Ofen stehen. Neue Ideen finden fürs Leben und für die Zukunft. Alles außer Brot und Brezen.

Doch als er eines Tages am frühen Morgen in Sydney von einer Party Richtung Hostel wankte, kam er an einer Bäckerei vorbei. Der Geruch von frischem Brot lag in der Luft, und hinter großen Schaufenstern arbeiteten Bäckerinnen und Bäcker bei cooler Musik. „Ich hatte plötzlich so eine große Lust, meine Hände in einem Klumpen Teig zu haben, dass ich wie irre bei denen an die Scheibe klopfte“, sagt Brantner. Die Aussies waren ein wenig misstrauisch: ein sichtlich betrunkener Deutscher mit einem seltsam schwäbischen Englisch, der unbedingt in ihre Backstube wollte? Aber dann hatten sie Mitleid und ließen ihn rein. Er buk ein Brot und eine Laugenbrezel – morgens um sechs hatte er einen Arbeitsvertrag.

„Das war eine Bäckerei, wie ich sie von zu Hause nicht kannte“, sagt Brantner. „Ein stylischer Verkaufsraum, Kreditkartenleser, alles supermodern, Bio-Mehl. Zum ersten Mal habe ich gecheckt, dass Brot auch sexy sein kann.“

Als er 2016 nach Deutschland zurückkehrte, hatte er allerdings wieder ganz neue Pläne, wollte in München Informatik studieren. Er suchte erst eine Wohnung, dann eine Bäckerei mit gutem Brot. Und mit gutem Brot meinte er solches, wie es seine Oma im Schwarzwald gebacken hatte: keine Zutaten außer Mehl, Wasser, Hefe und Salz, keine Backbeschleuniger, aber eine Woche haltbar. Er fand es nicht. Er fand gutes Brot, das nach drei Tagen hart und geschmacklos wurde, und er fand schlechtes, das so voller Chemie war, dass es nach einer Woche noch genauso schlecht schmeckte wie zu Anfang.

„Ohne gutes Brot kann ich nicht studieren“, sagt sich Brantner, verwarf die Informatik-Idee und setzte in seiner Studentenbude einen Sauerteig an. Sauerteig ist die Basis jeden guten Brotes. Es ist ein lebender Organismus, voller Milchsäurebakterien und Hefepilzen, der dem Brot mit mehr als 300 Aromastoffen Geschmack verleiht, außerdem das Mundgefühl, die Porung und die Kruste verbessert sowie Schimmel verhindert.

Großbäckereien verwenden Fertigsauerteig, aber jeder ehrgeizige Bäcker züchtet seinen eigenen. Der besteht je zur Hälfte aus Roggenmehl und Wasser, das Gemisch lässt man zwei Tage abgedeckt bei konstanter Zimmertemperatur ruhen. Dann schnüffelt man daran. Wenn es nach faulen Eiern riecht, haben sich die falschen Bakterien durchgesetzt, dann muss man den Teig wegwerfen. Wenn es angenehm säuerlich duftet, sind es die richtigen. Milchsäurebakterien und Hefepilze befinden sich im Mehl und im Wasser, man muss sie nicht zusetzen, aber man kann ihre Entwicklung steuern, indem man zum Beispiel Apfelstückchen oder Zwiebelwürfel hinzufügt. Da hat jeder Bäcker seinen eigenen Trick, über den er nicht spricht.

Es dauerte ein wenig, bis Brantner mit seinem Sauerteig zufrieden war, und seitdem hegt und pflegt er ihn: angenehme Temperatur, kein Stress, keine Zugluft. Als er später von einer Backstube in eine andere umzog, nahm er einen Klumpen Sauerteig, löste ihn in Wasser auf und verstrich die Flüssigkeit auf allen Wänden, Böden und Flächen, um fremden Mikroorganismen zu zeigen, wer der neue Chef im Haus ist. „Sauerteig interagiert mit seiner Umgebung“, sagt Brantner, „und unerwünschte Bakterien von dort könnten das Kommando übernehmen, wenn man sie nicht dominiert.“


„Ich mache nur, worauf ich Bock habe.“

Doch bis Brantner überhaupt seine eigene Bäckerei eröffnen konnte, musste er Hindernisse überwinden, die ihm mehr zu schaffen machten als der spätere Kampf gegen falsche Bakterien. Er brauchte ein Ladengeschäft mit Schaufenstern, weil er eine gläserne Backstube wollte: Jeder sollte sehen können, wie dort gearbeitet wird. Und er brauchte 100 000 Euro für die Einrichtung. Beides zu bekommen schien fast unmöglich: 62 Immobilienbesitzer sagten nein, wollten keine Nachtarbeit, keinen Ärger mit den Anwohnern. Erst der 63. gab ihm einen kleinen Eckladen im Studentenviertel neben der Kunstakademie – zur Zwischennutzung für drei Jahre.

Aber dann zickten die Banken. Brot? Geht gar nicht. Das Bäckerhandwerk in Deutschland befindet sich in der Krise. Zwar kauft jeder Haushalt hierzulande pro Jahr 56 Kilogramm Brot. Aber zwei Drittel davon kommen aus Backfabriken – wie etwa den zehn Großbäckereien des Marktführers Harry-Brot aus Schenefeld bei Hamburg, der pro Jahr für 1,2 Milliarden Euro Brot verkauft. Fast jeden Tag macht dafür ein kleiner Bäcker zu: hohe Energiekosten, Fachkräftemangel, geringe Margen.

Und dann will Julius Brantner aus Schramberg im Schwarzwald mitten in München eine Bäckerei aufmachen? Brantner fuhr vor jedem Banktermin extra nach Hause, buk in der Backstube des Vaters ein Brot und brachte es zum Gespräch mit. Nützte alles nichts: Die Banker liebten sein Brot, aber nicht die Geschäftsidee. Erst nach vielen Versuchen sagte die Volksbank in seinem schwarzwälder Heimatort „Ja“ und gab ihm das Geld.

Er begann im April 2019 mit drei Brotsorten: Bio-Brothandwerk 25, Münchner Hauslaib und Lichtkornroggenbrot – natürlich alles Bio, für die hippen Schwabinger, die es gern mit dem elektroverstärkten Lastenfahrrad abholen. Den Preis kalkulierte er großzügig: Wareneinsatz plus 400 Prozent.

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