Haiyti
„Ich bin mit einem Fuß in Monte Carlo“
Mit Designerklamotten, dicken Autos und Texten über Drogenexzesse bedient Haiyti fast jedes Rap-Klischee – um es sofort wieder zu brechen. Ein Treffen in Berlin.
• Eigentlich hat Haiyti Besseres zu tun. Schlafen zum Beispiel. Die Luft hängt drückend heiß über der Stadt, als sie in die Bar in Berlin-Tiergarten kommt. Eine kleine Frau, kaum 1,60 Meter, schmal und drahtig, die braunen Haare hängen in wilder Mähne vom Kopf. Es gibt Trüffel-Popcorn und Nüsse in goldenen Schalen.
Haiyti ist Rapperin. Das Genre wird immer noch von Männern dominiert. Dabei stehen die wenigen Musikerinnen ihnen in nichts nach, mit millionenfach gestreamten Songs und Videos, in denen sie mit dicken Autos posieren. „Ich kann von der Musik leben“, sagt Haiyti, die eigentlich Ronja Zschoche heißt. Dann korrigiert sie sich: „Ich komme über die Runden, mal mit Diamanten, mal ohne.“
Ihre größten Erfolge liegen schon etwas zurück. 2018 Platz 25 der Albumcharts mit ihrem zweiten Album „Montenegro Zero“. Im selben Jahr der Echo in der Kategorie Kritikerpreis national. 2021 der Deutsche Musikautorenpreis. Kategorie: Text Hip-Hop, verliehen von der Gema.
Haiyti wurde hochgelobt – vor allem für das Album „Sui Sui“ (2020) – und dann fast wieder vergessen. Acht Alben hat sie seit 2015 veröffentlicht, dazu spielt sie auf großen Festivals: Splash, HipHop Open, Deichbrand. „Einmal mit PR-Agentur, einmal ohne. Was soll ich dazu sagen“, sagt sie. Vom Label Universal ist sie wieder weg. Das Business findet sie „fake“, die Musik vieler anderer Rapper mittelmäßig. „Ich schreibe bessere Songs. Ich muss es doch schaffen, Deutschland einmal zu catchen.“
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brand eins: Der Klischee-Rapper trägt Gucci-Bag und Goldkette, seine Texte handeln von Drogen, er fährt dicke Autos. Warum tun Sie das auch?
Haiyti: Jedes Genre hat seine Ästhetik, im Rap geht es immer um die gleiche Geschichte: „From nothing to something.“ Der normale Gangsta-Rapper hat erst nichts, dann verkauft er Drogen, verdient damit Geld, dann klappt es auch mit der Musik, und er kann sich alles kaufen, was er sich gewünscht hat. Das ist bei mir auch so. Deswegen ziehe ich nur Markenklamotten an.
Die Videos einiger Rapper wirken wie Dauerwerbesendungen. Steckt dahinter nur der Wunsch nach Anerkennung?
Ein Rapper ist eine schwache Kreatur. Je größer die Entourage, je fetter die Autos, umso kleiner das Selbstbewusstsein. Ich finde das nicht schlimm. Ich sehe mich selbst auch nicht als starken Menschen oder als Feministin.
Wofür geben Sie Ihr Geld aus?
Eigentlich nur für Klamotten, essen gehen und Miete. Ich war noch nie beim Friseur, aber ich kaufe mir gerne Luxusklamotten. Das hat gar nichts damit zu tun, dass ich Geld ausgeben will. Ich bin einfach Fashion Fan. Ich will den Schuh von der Marke, und der kostet leider eins vier.
Wenn man im Deutschrap verstanden werden wolle, müsse man eine Rolex tragen, sagten Sie mal. Sie tragen gar keine Uhr.
Gestern habe ich meine Gucci-Uhr verloren. Aber egal, die war eh gefälscht und hat nur 50 Cent gekostet.
Protzen ist im Rap meist eine maskuline Angelegenheit, achten Sie darauf, welche Statussymbole Sie wählen?
Hauptsache, prollig.
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Geboren wurde Ronja Zschoche in Hamburg, wann, sagt sie nicht. „Macht nur die Welt eines Künstlers kaputt.“ Was das Netz findet, ist widersprüchlich, vermutlich ist sie zwischen 30 und 35. Auch die Frage, ob sie noch im Berliner Stadtteil Wedding wohnt, beantwortet sie nicht. Aufgewachsen ist sie am Stadtrand von Hamburg. Die Mutter war alleinerziehend mit ihr und der jüngeren Schwester, fuhr nachts Taxi.
Als ihre Töchter klein waren, erfand sie für sie die singende „Hexe Knickebein“. Später tourte sie damit über Hamburger Bühnen, heute arbeitet sie als Musiklehrerin an einer Grundschule. Der Großvater Herrmann Zschoche ist Drehbuchautor und Regisseur, die Großmutter, Jutta Hoffmann, war eine der bekanntesten Schauspielerinnen der DDR. 1983 blieb sie nach einem Auftritt mit ihren Kindern im Westen.
Zschoches Vater stammt aus Kroatien und ist dort ein erfolgreicher Sänger und Produzent. Unter dem Namen Vitale hatte er 1985 in Deutschland Erfolg mit der Single: „Komm doch nochmal (Gefühl Ohne Ende)“. Mit ihm verbrachte Zschoche als Kind die Sommer an der Adria, „mit dem Boot am Casino vorbei, das war meine Welt“, sagt sie. Manche nehmen ihr deshalb die Geschichte „From nothing to something“ nicht ab.
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Wie war das, damals in Kroatien?
Ich hatte wirklich ein Traumleben. Jedes Jahr war ich im Sommer drei Monate dort, so ein kleiner Matrose, immer auf Booten. Aber es ist bei meinem Vater wie bei vielen Künstlern, mal viel Geld, dann wieder kein Geld. Sein Boot existiert noch, es ist grün, und wir nennen es das Hexenboot. Es war schon lange nicht mehr im Wasser.
Drei Monate mit der Jacht von Insel zu Insel. Wann ist Ihnen dieser Luxus bewusst geworden?
Ich sehe erst mit Abstand, dass das Luxus war. Dieses Jahr hatte ich nur zehn Tage Urlaub, bin mit einem kleinen Schlauchboot rumgefahren. Aber die Steine im Wasser verändern sich nicht.
Einerseits schöne Urlaube, andererseits klauten Sie mit 14 bei Karstadt Diddl-Maus-Stifte – wie passt das zusammen?
Das waren extreme Welten. Aber Kroatien ist nicht die Côte d’Azur! Ein Einheimischer zahlt nicht 100.000 Euro im Jahr für sein Boot – das Teuerste ist der Liegeplatz –, sondern vielleicht 2000. Trotzdem ist es genauso schön, wenn nicht schöner.
Also doch keine reiche Göre, die mit Papas Geld Musik macht, wie manche Kritiker behaupten?
Ich habe ein T-Shirt, da steht „Teenage Millionaire“ drauf, leider ist das nicht der Fall. Ich habe mir alles erarbeitet. Selbstbewusstsein, Songs. Ich mache alles selber.
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In der Schule hört Zschoche zum ersten Mal Gangsta-Rap. Sie beginnt zu freestylen, mit 14 schreibt sie erste Songtexte. Mit Anfang 20 zieht es sie nach St. Pauli. „Wir sind zwischen Reeperbahn und Schanze hoch- und runtergelaufen, als wenn’s Hollywood wär’“, sagt sie. In Kneipen wie dem „Seepferdchen“, dem „Goldenen Handschuh“, dem „Konsum“ habe sie viel Zeit verbracht, sei dabei gewesen, als Drogen verkauft und Handys geklaut wurden. Ein „sorgloses Schurkenleben“ sei das gewesen. Haiytis Songs schöpfen daraus. Die Texte seien überspitzt, aber nichts sei erfunden, sagt sie. „Dafür habe ich zu viel erlebt.“ Musikvideos dreht sie mit einer wackeligen Handykamera.
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Ist es Ihnen wichtig, als Rapperin von der Straße zu gelten?
Ich komme nicht von ganz, ganz unten. Ich hatte ein Kinderzimmer, und es ist nicht so, dass wir nichts hatten. Es war nur eine alleinerziehende Mutter, die nachts Taxi gefahren ist. Ich hatte es vielleicht nicht nötig, Tag und Nacht auf der Reeperbahn zu sein, aber mich hat es in diese Welt gezogen, warum auch immer.
Als „Ghetto“ kann man die Reeperbahn nicht bezeichnen.
Aber wenigstens geht’s noch drunter und drüber, und man hat das Milieu: Zuhälter, Prostituierte, Penner, Reiche, Trickbetrüger. Aus der Welt komme ich, daher kommen meine Texte. Es ist mein Freundeskreis. Ich weiß nicht, ob man mich als Straßenrapperin wahrnimmt, aber im Grunde genommen bin ich das. Die Leute, die jetzt Straßenrap machen – das ist Mainstream.
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Ihrer Mutter reichte das Rumhängen, sie steckte sie in eine Ein-Euro-Maßnahme des Jobcenters. Dort erkannte man ihr Talent für Malerei. An der Hamburger Hochschule für bildende Künste malte sie Ölbilder in der Klasse des Künstlers Anselm Reyle. Doch Reime blieben ihre Sehnsucht.
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„Vom Bordstein zur Skyline“, sang Bushido. Viele Rapper feiern die Straße, ihre Hood. Sie wollten irgendwann weg.
Ich kenne die Unterwelt, aber ich will auf keinen Fall dahin zurück. Ich will es wie jeder andere Mensch auch schaffen, mich um nichts mehr kümmern zu müssen, ein stressfreies Leben zu haben. Ich will ’ne Million machen, mir eine Eigentumswohnung kaufen und tun, was ich will.
Ich will nicht im Wedding wohnen oder in Hamburg auf dem Steindamm rumlaufen. Das hat einen gewissen Vibe, aber der ist nur für eine gewisse Zeit cool. Und ich glaube, das Zeitfenster hat sich bei mir schon geschlossen.
Von der Videoproduktion bis zum Posterdruck machen Sie alles selbst, sagen aber, Sie könnten nicht wirtschaften.
Ein BWLer würde bei mir komplett durchdrehen. Ich habe das mal einem befreundeten Manager gesagt, der hat mich gefragt: Schreibst du nicht auf, was du ausgibst und einnimmst? Nö. Ich versuche, die Kosten klein zu halten, aber das, was ich mache, ist nötig. Deswegen ist mir egal, was es kostet. Ich weiß auch nicht, wo meine Kreditkarte ist, die ist schon seit einem halben Jahr weg. Ungesperrt.
Sie sind der Ansicht, dass man ohne Manager nicht groß raus kommt – haben aber keinen. Wieso nicht?
Der muss intelligenter als ich sein, das ist das erste Problem. Das zweite Problem ist, dass die Guten jemanden haben wollen, der Mainstreamtauglich ist. Wenn die sehen, dass es arty ist, wer sollte das managen? Ein Personal Assistant wäre besser, um die ganzen Mails zu beantworten.
Wenn Sie nur noch Musik machen würden, bräuchten Sie 50 000 Euro im Monat, sagten Sie mal und wollten mit einem Aufruf einen Milliardär finden, der das finanziert.
Wenn ich jeden Monat ein heftiges Musikvideo rausbringen würde, bräuchte ich 50.000 Euro – wobei, 20.000 würden mir reichen. Ein Milliardär hat mich schon angeschrieben. Ich bin mit einem Fuß in Monte Carlo.
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Auf Instagram habe sie ein Mann angeschrieben, der angeblich Milliardär sei, sagt Ronja Zschoche. Er habe sie auf „Döner und Dompi“ eingeladen. Champagner, Marke Dom Perignon.
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In Ihrem Song „Gold“ heißt es: „Was soll ich mit allem Gold der Welt, ich will nur ein bisschen Zeit mit dir.“ Ist Ihnen ein Luxus-Leben in Wirklichkeit doch nicht so wichtig?
Reich sein oder Geld und Luxus, das hat nichts mit Glücklichsein zu tun. Geld bedeutet nur: Du kannst dir Zeit kaufen. Du fährst in Urlaub, denn du musst nicht durcharbeiten, um die Wohnung zu bezahlen. Das ist der Vorteil, den ich sehe. Und vielleicht noch eine Fußbodenheizung.
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Haiytis neuntes Album erscheint im Oktober. Es heißt „Junky“. ---
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