Das geht

Der Fund im Laubhaufen

Drei Forscher aus Leipzig wollen mit einem Hochleistungs-Enzym eine Kreislaufwirtschaft von Kunststoffen ermöglichen.



Der Biochemiker Christian Sonnendecker


• Eine Obstverpackung aus dem Supermarkt schwimmt in einer durchsichtigen Flüssigkeit in einem Glasbehälter. Nur 13 Stunden später ist von der harten Plastikschale nichts mehr zu sehen – als hätte sie sich auf wundersame Weise aufgelöst.

„Das scheint nur so“, sagt Christian Sonnendecker, während er ein Video auf seinem Smartphone abspielt. Es zeigt die Zersetzung der Verpackung im Zeitraffer. Sonnendecker ist Biochemiker, vor ihm, auf dem Labortisch des Instituts für Analytische Chemie an der Universität Leipzig, steht der Reaktor, in dem sich die Schale aus Polyethylenterephthalat, kurz PET, aufgelöst hat.

„Das PET wurde in seine Grundbausteine zerlegt: in Terephthalsäure und Ethylenglycol“, sagt er. Aus den Bestandteilen könne neues PET hergestellt werden – ein Prozess, der die Plastikindustrie verändern könnte. Davon ist der 38-Jährige überzeugt.

Für die schnelle Zersetzung des Kunststoffs sorgt ein Enzym, das das Forscherteam um Sonnendecker vor drei Jahren in einem Laubhaufen auf einem Friedhof entdeckte: PHL7. Die Forscher hatten gezielt nach solch einem Enzym gesucht, das in der Natur von Bakterien genutzt wird, um Pflanzenreste zu zersetzen.

Für die Zersetzung von PET im Labor braucht man Wasser, das in einem Reaktor auf rund 65 Grad Celsius erwärmt wird. Hinzu kommen ein Phosphatpuffer und das von Laborkulturen des Bakteriums Escherichia coli hergestellte Enzym.

Dass einige Enzyme PET abbauen können, ist schon seit Jahren bekannt. Bislang galt das LCC-Enzym, das 2012 in Japan entdeckt wurde, als der effektivste Plastikzersetzer. Das auf die Zersetzung von Kunststoffen spezialisierte französische Biochemie-Unternehmen Carbios betreibt damit bereits seit 2021 eine erste Pilotanlage.


Das Enzym zerlegt altes Plastik in seine Bestandteile – daraus entsteht neues Plastik.

„Unser Enzym ist mehr als doppelt so aktiv wie LCC“, sagt Sonnendecker. Und damit nicht genug: Mithilfe künstlicher Intelligenz soll die optimale PHL7-Variante erst noch gefunden werden.

Christian Sonnendecker und seine Mitstreiter, die Biochemiker Ronny Frank und Felipe Engelberger, wollen sich aus der Universität Leipzig mit dem Start-up EST3R Biotech ausgründen. PHL7, so der Plan, soll in großem Stil in der Industrie für das Recycling von Plastik eingesetzt werden.

Derzeit wird Kunststoff in Deutschland überwiegend verbrannt. PET-Flaschen werden zwar vergleichsweise häufig recycelt. Doch sie können – mit einem Verfahren, das enorm viel Energie benötigt – nur wenige Male eingeschmolzen und neu geformt werden. Dabei wird die Qualität des Materials immer schlechter. Aus dem minderwertigen PET werden dann meist Thermoformverpackungen wie Obstschalen oder Textilfasern hergestellt. Am Ende werden auch diese verbrannt.

„Beim jetzigen Recycling von PET handelt es sich um ein Downcycling. Material geht verloren, wir müssen immer wieder neues PET aus Erdöl herstellen“, sagt Sonnendecker. Die Herstellung und Verbrennung von Kunststoff setzt große Mengen an Kohlendioxid frei und befeuert damit die Erderwärmung. Zudem landet das Plastik allzu oft in der Umwelt.

Sonnendecker: „Gerade zerstören wir unsere Lebensgrundlagen. Wir müs- sen versuchen, im Kreislauf zu wirtschaften. Die Natur macht vor, wie es funktioniert.“

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