Das Ende des Pomps

Vor der Pandemie prahlte man in der chinesischen Oberschicht gern mit goldener Rolex oder pinkem Bentley. Inzwischen hat sich der Luxusmarkt in der Volksrepublik radikal gewandelt.





Foto: © ddp

• Er ist der zweitreichste Mann der Welt, doch Ende Juni reiste Bernard Arnault nahezu unbemerkt in die chinesische Hauptstadt. Dort schlenderte der Gründer von LVMH, dem weltweiten Branchenführer der Luxusgüterindustrie, durch die Pekinger Ausgehmeilen, um seine wichtigsten Boutiquen zu inspizieren. Den Überraschungsbesuch, so diskret er ablief, darf man dennoch als Botschaft verstehen: Bei LVMH glaubt man nach drei Jahren Corona-Isolation fest daran, dass der Luxuskonsum in der Volksrepublik wieder zu alter Stärke zurückfinden wird. Um das zu unterstreichen, lässt LVMH im noblen Einkaufsviertel Sanlitun derzeit zwei gigantische Flagship-Stores von Louis Vuitton und Dior errichten.

Doch das demonstrativ zur Schau gestellte Selbstbewusstsein täuscht. Denn während der Pandemie hat sich wohl kaum ein Markt so sehr verändert wie der für Luxusgüter in China. Das machte sich zunächst einmal in absoluten Zahlen bemerkbar: Haben die Chinesinnen und Chinesen einst fast ein Drittel aller weltweiten Ausgaben für teure Handtaschen, Juwelen und Designer-Outfits getätigt, ist der Anteil während der Pandemie bis auf 17 Prozent im Jahr 2022 gesunken. Mit der Aufhebung der strengen Lockdown-Regeln und der Öffnung der Geschäfte im Dezember 2022 kam es zu einer kurzzeitigen Erholung, die bereits nach wenigen Monaten wieder verpuffte. Dennoch prognostizierte die Unternehmensberatung Bain & Company 2022, dass Chinesen bis zum Ende des Jahrzehntes 40 Prozent aller Luxuskunden ausmachen werden. Ob sich diese Vorhersage erfüllt, ist fraglich.

Denn auch der Geschmack der chinesischen Oberschicht hat sich stark verändert. Waren die Neureichen der Volksrepublik früher dafür berüchtigt, pinkfarbene Bentleys zu fahren, glitzernde Uhren zu tragen und in pompösen Wohnungen mit kitschigem Interieur zu wohnen, sind die Ansprüche an die Ästhetik von Produkten mittlerweile ganz andere. Möglichst unauffällig müssen die Designs nun sein, zeitlos und dezent. Nirgendwo fällt der globale Trend namens „quiet luxury“, also „stiller Luxus“, auf fruchtbareren Boden als in China.

Foto: © Tom Pilston / Panos Pictures / Visum

„Wir Unternehmer wollten schon immer unter dem Radar bleiben.“
Desmond Shum, chinesischer Geschäftsmann im Exil

Der Wandel ist nicht zuletzt dem veränderten politischen Klima geschuldet. Dem Präsidenten Xi Jinping, der die Gesellschaft seit seinem Amtsantritt 2012 geprägt hat wie kein zweiter Parteichef vor ihm, war die Dekadenz von Beginn an ein Dorn im Auge. Nichts verabscheut er mehr als korrupte Parteikader, die mit sündhaft teurem Moutai-Schnaps und goldenen Rolex-Uhren prahlen. Oder die Söhne reicher Banker, die nachts in ihren Ferraris Wettrennen veranstalten.

Dabei handelt es sich um weitaus mehr als die persönliche Vendetta eines überzeugten Ideologen, der in bitterer Armut aufgewachsen ist. Allein die Sichtbarkeit der neureichen Elite bedroht die Legitimation der kommunistischen Partei. Denn der Luxus der Oberschicht legt offen, was der Staatsapparat mit Propaganda und Zensur stets vergessen machen möchte: dass die Volksrepublik eine zutiefst ungleiche Gesellschaft ist, in der die Kluft zwischen Arm und Reich zunehmend größer wird.

Der Reichtum also, der einst von Wirtschaftsreformer Deng Xiaoping zur patriotischen Tugend erhoben wurde, ist nun wieder mit einem Stigma versehen. Die Zeichen der Zeit sind allerorts zu erkennen: Als etwa die oberste Aufsichtsbehörde zur Korruptionsbekämpfung den Hedonismus der westlich geprägten „Finanzelite“ anprangerte, übten sich die Firmen über Nacht in vorauseilendem Gehorsam. Staatliche Banken forderten ihre Angestellten plötzlich dazu auf, am Arbeitsplatz weder Luxuskleidung noch Designer-Handtaschen zu tragen. Investmentfonds verbaten ihren Beschäftigten, Fotos von teuren Mahlzeiten oder exklusiven Hotels in den sozialen Medien zu posten. Und Bytedance, die Firma hinter der Video-Plattform Tiktok, hatte bereits Anfang 2021 eine regelrechte Säuberungskampagne begonnen: Tausende Influencer, die demonstrativ ihren Reichtum zur Schau stellten, wurden mit Strafen belegt.

Foto: © ddp

Weniger nachgefragt: traditionelle Luxusmarken

Sie haben bereits ein brand eins Konto? Melden Sie sich hier an.

Wir freuen uns, dass Ihnen dieser Artikel gefällt.
Er ist Teil unserer Ausgabe Luxus

Wie Porno, nur teurer!
Zum Weiterlesen wählen Sie eine dieser Optionen
Meistgewählt

brand eins Abonnement

108,00 € / Jährlich

✓ Print-Ausgabe nach Hause geliefert
✓ Digital-Ausgabe, PDF und E-Book
✓ Zugriff auf das gesamte brandeins-Archiv inkl. Kollektionen
✓ Jederzeit kündbar

brand eins 10/2023 (Digital)

6,30 € / einmalig
Sicher bezahlen mit
Weitere Abos, Schüler- & Studentenrabatte