Geschäftemachen unter Feinden

Wie werden wir unabhängiger von China? Während Deutschland sich erst seit Kurzem mit dieser Frage beschäftigt, debattieren die Nachbarstaaten der Volksrepublik bereits seit Jahren darüber. Ein Blick nach Südkorea und Taiwan.




• Was nach einer Randnotiz klingt, veröffentlichte die südkoreanische Nachrichtenagentur Yonhap Ende November als Eilmeldung: „China hat das Online-Streaming südkoreanischer Filme wieder fortgesetzt.“

Die Nachricht wurde mit so großem Interesse aufgenommen, weil das Land sechs Jahre zuvor einen Stresstest durchgemacht hatte, gegen den sich Deutschland nun vorsorglich wappnen möchte. Nachdem Südkorea 2017 das US-Raketenabwehrsystem THAAD installiert hatte, um sich gegen die Bedrohung aus Nordkorea zu rüsten, wertete China dies als feindlichen Akt – und schlug mit nie da gewesenen ökonomischen Vergeltungsmaßnahmen zurück.


 

Talk artikel3

Jens Bergmann (links) & Fabian Kretschmer

Kommen Sie mit uns ins Gespräch!

Im aktuellen brand eins talk geht es um den richtigen Umgang mit einem schwierigen Geschäftspartner: China.

Mit dabei: Jens Bergmann, stellvertretender Chefredakteur von brand eins und Fabian Kreschmer, Reporter mit Sitz in Peking.

Am 18. Januar 2023 von 17:30 - 18:30 Uhr per Zoom

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Diese trafen auch die südkoreanische Kulturbranche: Sämtliche K-Pop-Bands, die von chinesischen Millennials angehimmelt wurden, bekamen plötzlich keine Lizenzen mehr für ihre Konzertauftritte. Seifenopern, die in der Volksrepublik zur besten Sendezeit liefen, wurden restlos aus dem Programm gestrichen. Auch Visa für Gruppenreisen nach Südkorea stornierte die chinesische Regierung ohne Vorwarnung. Die Folgen waren in den Seouler Touristen-Hotspots zu beobachten: Innerhalb weniger Tage wurden sie zu Geistervierteln.

Jene Ereignisse sollten den Abgeordneten in Berlin zu denken geben, wenn sie über die Abhängigkeit der deutschen Volkswirtschaft von China diskutieren. Sie ist enorm: Seit 2015 ist China der wichtigste Handelspartner Deutschlands, das jährliche bilaterale Handelsvolumen liegt bei 250 Milliarden Euro. Einzelne Branchen, etwa die Automobilindustrie, wären ohne die Volksrepublik kaum überlebensfähig: VW verkauft dort vier von zehn Neuwagen.

Vor allem aber gibt es kritische Abhängigkeiten, von denen sich die Bundesrepublik nur schwer befreien kann: etwa bei Seltenen Erden, die für Solarzellen, Windkraftanlagen oder Elektromotoren notwendig sind. Oder bei Substanzen für Arzneimittel: Mehr als 40 Prozent der weltweit produzierten Wirkstoffe stammen aus China.

Die Bundesregierung will das ändern. Ihre neue China-Strategie ist zwar noch nicht offiziell verabschiedet, doch der »Spiegel« berichtete Mitte November über das vertrauliche Papier aus dem Auswärtigen Amt. Darin heißt es, dass China zwar „Partner, Wettbewerber und systemischer Rivale“ sei, Letzteres mittlerweile aber immer stärker ins Gewicht fiele. Deutsche Investitionsgarantien sollten „vertieft“ geprüft werden, um Sozialstandards „wie die Vermeidung von Zwangsarbeit in Lieferketten“ zu gewährleisten. Zudem sei man grundsätzlich bereit, „Importstopps aus Regionen mit besonders massiven Menschenrechtsverletzungen zu unterstützen“. Für den Volkswagen-Konzern, der eine Fabrik in der Region Xinjiang führt – unweit von politischen Umerziehungslagern –, könnte die Neuausrichtung also durchaus gravierende Folgen haben.

Bedrohung von allen Seiten

Während der geopolitische Weckruf in Deutschland erst am 24. Februar erfolgte, dem Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine, versuchen sich Chinas demokratische Nachbarstaaten seit Jahren an dem Drahtseilakt zwischen systemischer Rivalität und wirtschaftlicher Abhängigkeit.

Anteil aller Neuwagen, die VW nach China verkauft, in Prozent:

40

Anstieg der Exporte nach China zwischen 2017 und 2021, in Prozent, …

… aus Südkorea:

15
… aus Taiwan: 42

Südkoreas Konflikt mit China begann, weil man sich besser vor Nordkorea schützen wollte. Doch da die Radare des 2017 installierten US-amerikanischen Raketenabwehrsystems potenziell auch bis an die chinesische Ostküste reichen, fühlte sich Peking bedroht – und verhängte Wirtschaftssanktionen.

Die Folgen haben der südkoreanischen Volkswirtschaft einen Schaden zugefügt, der laut konservativen Schätzungen im zweistelligen Milliardenbereich liegt. Die Ausmaße zeigen sich etwa beim Mischkonzern Lotte, einem der größten Südkoreas. Das Unternehmen, das unter anderem Lebensmittel herstellt und Kaufhäuser betreibt, hat sich in diesem Jahr vollständig aus China zurückgezogen.

Suche nach neuen Märkten

In Südkorea fühlen sich die Menschen seitdem stärker denn je als „Shrimp zwischen zwei Walen“. Dieses Sprichwort drückt das Gefühl aus, von übermächtigen Staaten umgeben zu sein. Der wichtigste Nachbar ist zweifelsohne China: Ein Viertel des nationalen Handelsvolumens wird mit dem Reich der Mitte abgewickelt, deutlich mehr als mit den Vereinigten Staaten.

Der Streitfall rund um das Raketenabwehrsystem offenbarte, wie verwundbar diese Abhängigkeit das Land macht. Die südkoreanische Regierung sah sich gezwungen zu handeln. Der damalige linke Präsident Moon Jae In, der grundsätzlich um versöhnliche Beziehungen zu China bemüht war, propagierte fortan eine „neue Süd-Politik“. Mit dem Blick nach Indien und in den südostasiatischen Raum wollte er neue Märkte erschließen und Abhängigkeiten von China reduzieren. Zugleich sollte das Risiko reduziert werden, „in den Sumpf der strategischen Rivalität zwischen den USA und China hineingezogen zu werden“, heißt es von Choe Wongi, Professor an der Korea National Diplomatic Academy und einer der Köpfe hinter der neuen Süd-Politik.

Anfangs produzierte diese vor allem symbolische Fototermine mit händeschüttelnden Staatschefs: In den ersten zwei Jahren seiner Amtszeit besuchte Moon Jae In sämtliche ASEAN-Länder – so heißt der Verband zehn südostasiatischer Nationen –, lud die Regierungschefs 2019 zu einem Gipfel nach Busan und richtete im Außenministerium ein Büro für südostasiatische Angelegenheiten ein, das formal dieselbe Wichtigkeit besitzt wie die Büros für China und Japan.

Die Bemühungen zahlten sich auch wirtschaftlich aus: Südkoreas Exporte in den ASEAN-Raum stiegen von rund 95 Milliarden US-Dollar im Jahr 2017 auf knapp 109 Milliarden im Jahr 2021. Doch die Exporte nach China nahmen im selben Zeitraum ebenfalls zu: von 142 auf 163 Milliarden US-Dollar.

Die neue Süd-Politik scheint zwar wie geplant der Vertiefung südostasiatischer Wirtschaftsbeziehungen zu dienen, doch das genügt bei Weitem nicht, um die Bedeutung des chinesischen Marktes für Südkorea zu reduzieren.

Von Moons Nachfolger Yoon Suk Yeol, der seit Mai 2022 im Amt ist, erwarteten viele einen konfrontativeren Umgang mit China – so hatte es der konservative Präsident noch im Wahlkampf angekündigt. Bislang setzt er allerdings wie sein Vorgänger auf neue Märkte und Allianzen, zumindest rhetorisch: Er spricht unter anderem davon, mit südamerikanischen Ländern Handelsabkommen abzuschließen. „Wir müssen unsere Importe diversifizieren“, wurde bereits im Frühjahr ein Berater Yoons in koreanischen Medien zitiert. Das Gleiche fordern dieser Tage Abgeordnete im deutschen Bundestag.

Doch die nüchternen Zahlen aus Südkorea zeigen eine ganz andere Realität: Im März 2022 waren die Exporte nach China so hoch wie noch nie. Insgesamt ist die Abhängigkeit von der Volksrepublik seit dem Disput sogar gestiegen.

Im Jahr 2020 hat die Korea International Trade Association ermittelt, dass knapp ein Siebtel der Produkte, die Südkorea exportiert, zu mindestens 80 Prozent aus Materialien bestehen, die aus China importiert wurden. Südkoreas Chip-Industrie, das volkswirtschaftliche Flaggschiff, ist zu 40 Prozent von chinesischen Importen abhängig. Die meisten Halbleiter werden in Südkorea nur veredelt und zuvor halb fertig von der Volksrepublik eingekauft. Dass diese Vorprodukte zu ähnlichen Konditionen in anderen Ländern produziert werden können, ist auf absehbare Zeit unrealistisch.

Immerhin sind die wirtschaftlichen Abhängigkeiten nicht einseitig – in Sachen Chips sind sie für China sogar kritischer. Die Volksrepublik investiert zwar seit Jahren Milliarden in die heimische Halbleiterbranche. Doch um an die Spitze aufzusteigen, braucht es Ingenieurskunst, Know-how und Fachkräfte – eine technische Infrastruktur also, deren Aufbau Jahrzehnte dauert. Bislang hinkt China der Konkurrenz aus Südkorea, Taiwan und den USA deutlich hinterher. Hochleistungschips können derzeit nur die Firmen TSMC aus Taiwan, Samsung Electronics und Intel aus den USA in nennenswertem Umfang anfertigen. Im Oktober 2022 hat der US-Präsident Joe Biden die chinesische Chip-Industrie durch ein Exportverbot von Halbleitern und Geräten für deren Herstellung aus den USA zusätzlich in Bedrängnis gebracht.

Handel ohne Wandel

Was kann Deutschland daraus lernen? Das Beispiel Südkorea zeigt einerseits, wie schwierig es ist, die Abhängigkeit von China zu reduzieren. Andererseits sieht man auch: Die Wirtschaftssanktionen der Volksrepublik konnten die Handelsbeziehungen weder dauerhaft beschädigen noch hatten sie politischen Erfolg. Südkorea hat seine „eiserne“ Allianz mit den USA angesichts der Drohungen aus Peking beibehalten und zieht sogar in Betracht, das Raketenabwehrsystem zu verstärken.

Bereits im Frühjahr 2020 haben Max J. Zenglein und Lucrezia Poggetti von der Berliner Denkfabrik Merics analysiert, welche Lehren Deutschland vom Verhalten Südkoreas und weiterer Nachbarn Chinas ziehen kann. Diese zeigten, dass „wirtschaftliche Abhängigkeit nicht zwangsläufig zu einer entgegenkommenden Haltung gegenüber China führen muss“. Europäische Regierungen sollten von Südkorea, Japan und Taiwan lernen, „strategische Überlegungen an erste Stelle setzen und sich nicht allzu große Sorgen über Chinas wirtschaftliche Vergeltung machen“, heißt es in dem Bericht. Anders ausgedrückt: Man kann mit China Geschäfte machen, ohne nach Pekings Pfeife zu tanzen.

Die ostasiatischen Staaten gehen offensiv mit den Wirtschaftsbeziehungen zu ihrem unliebsamen Nachbarn um. Die Regierung in Japan etwa benennt in ihrem jährlichen Weißbuch ganz offen die Bedrohungen, die von der Volksrepublik ausgehen. Dennoch bleibt China Japans wichtigster Handelspartner – das bilaterale Handelsvolumen stieg im Jahr 2021 auf ein Rekordhoch von mehr als 370 Milliarden Dollar.

Selbst der Inselstaat Taiwan, über dessen gewaltsame Annexion der chinesische Staatschef Xi Jinping offen sinniert, betreibt intensiven Handel mit der Volksrepublik. Das Land, das nur ein Viertel der Einwohner Deutschlands und etwa die Größe von Baden-Württemberg hat, ist weltweiter Marktführer bei komplexen Halbleitern. Bislang schreckte China wohl hauptsächlich deshalb vor einem Handelskrieg zurück, trotz Taiwans engen Beziehungen zu den USA. Als die US-Demokratin Nancy Pelosi im August für einen Besuch nach Taipeh flog, reagierte die chinesische Regierung mit einem Einfuhrverbot auf Tausende Lebensmittel. Laut dem taiwanesischen Wirtschaftsministerium hatte China sich zuvor allerdings ein Fünftel an den verarbeiteten Lebensmittelexporten gesichert.

Würde der Handel zwischen beiden Nationen eingestellt, etwa bei einer Invasion der chinesischen Armee, nähme nicht nur Taiwans Volkswirtschaft enormen Schaden. Auch Chinas Tech-Branche bekäme wegen der Abhängigkeit von taiwanesischen Halbleitern massive Probleme.

Rhetorik und Realität

Der demokratische Inselstaat fühlt sich deshalb mehr oder weniger sicher hinter seinem „Silizium-Schutzschild“: Die Halbleiter aus Taiwan sind für Chinas Volkswirtschaft derart essenziell, dass eine Invasion einer ökonomischen Kamikaze-Aktion gleichkäme. Doch der Schutzschild hält nur, solange China in diesem Bereich nicht nennenswert aufholt.

Wohl wegen dieser engen wirtschaftlichen Bande haben sich die Versprechen der taiwanesischen Präsidentin Tsai Ing-wen, die Abhängigkeiten zu reduzieren, bislang vor allem als politische Rhetorik erwiesen. Zwar sind die Direktinvestitionen im chinesischen Festland seit ihrem Amtsantritt 2016 deutlich zurückgegangen. Doch Taiwans Exporte nach China haben sich in der Zwischenzeit von 73 Milliarden auf knapp 126 Milliarden Dollar im Jahr 2021 erhöht. Im selben Zeitraum hat sich der Wert der aus China importierten Waren sogar nahezu verdoppelt.

Für deutsche Politikerinnen und Politiker, die weniger Handel mit der Volksrepublik fordern, dürfte dies ernüchternd sein. Selbst Taiwan, das von China immer offener bedroht und von seinen Militärschiffen umzingelt wird, macht weiterhin blendende Geschäfte mit dem Tyrannen vor der Haustür. ---


 

Talk artikel2

Kaum ein wirtschaftspolitisches Thema wird derzeit so viel diskutiert wie die Abhängigkeit Deutschlands von China. Einige Nachbarländer der ökonomischen Großmacht – allen voran Südkorea und Taiwan – versuchen sich dagegen schon lange an dem Drahtseilakt des Geschäftemachens unter Feinden.

Was können wir von diesen Beispielen lernen?

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