Geliebte und gehasste Placebos

Marken waren nie so bedeutsam wie heute, nie so leicht auf die Welt zu bringen – und nie so leicht zu attackieren. Thesen zum postmodernen Warenkosmos.






„Angesichts der Vielfalt inszenierter Produkte ist zu vermuten, dass noch keine andere Kultur die Menschen mit einem so dichten Gespinst an positiven Gefühlen umgeben hat wie die heutige Konsumwelt.“
Wolfgang Ullrich: „Alles nur Konsum“

• Karsten Kilian hat sein Thema früh gefunden und ist immer noch schwer begeistert davon. Der 49-Jährige wusste schon als Kind, welche Marke er wollte (Nutella, nicht Nusspli), hat später über Markenpersönlichkeit promoviert, ein Markenportal (Markenlexikon.com) aufgebaut und ist heute Professor für Markenmanagement an der Hochschule Würzburg-Schweinfurt. In seinem Home Office sieht man beim Videotelefonat im Hintergrund eine Milka-Kuh als Stofftier und eine original WC-Ente.

Seinen Studentinnen und Studenten stellt Kilian gern sogenannte Marken-Gurus vor, darunter eine Frau, die man in der Reihe nicht vermuten würde: Naomi Klein. Die kanadische Journalistin hat mit „No Logo!“ im Jahr 2000 einen internationalen Bestseller gelandet. Es handelte sich um einen Generalangriff auf große Konzerne und Marken, die, so ihre These, die Gedanken- und Gefühlswelt der Menschen kolonialisieren, sie abhängig und gefügig machen (siehe auch brand eins 05/2001: „Die Tyrannei der Marken“).

Im Ergebnis habe Klein die Markenwelt zwar nicht klein gekriegt – es gibt mehr Logos denn je –, aber deutlich verändert, sagt Kilian. „Man redete plötzlich über Marken und deren Reputation, Naomi Klein hat die Konzerne bei deren Image gepackt.“ Dass heute fast alle Unternehmen über die Sinnfrage (neudeutsch Purpose) sprächen, sich als nachhaltig und sozial verantwortlich darstellten und manche den Worten sogar Taten folgen ließen, das sei nicht zuletzt das Verdienst der Publizistin und Aktivistin.

Eine Umfrage der Agenturplattform Sortlist im vergangenen November unter 800 Markenmanagern in fünf Ländern ergab: 80 Prozent der Befragten „glauben an die Bedeutung sozialer Bewegungen und den Einfluss, den sie selbst auf die heutige Gesellschaft haben können“.

Hersteller von Konsumgütern sind dann erfolgreich, wenn sie nah am Zeitgeist segeln, und der wird häufig von kritischen Geistern bestimmt. Bestes Beispiel ist die 68er-Bewegung, die – anders als ihre Exponenten und auch deren Gegner zunächst ahnten – letztlich zur Modernisierung des Kapitalismus beitragen sollte und zur Explosion des Konsums. Die damalige, von den USA ausgehende Studentenbewegung legte mit ihrer Betonung des Lustprinzips, mit Idealen wie Authentizität und Selbstverwirklichung die Grundlage für viele neue Produkte: von Mode, Musik und Literatur bis hin zu den von der Gegenkultur inspirierten Marken aus dem Silicon Valley wie Apple. Außerdem regte die rebellierende Jugend die Werbung zu neuen, bunten, erotischen Bilderwelten an – zum Beispiel in Form der schrillen und bis heute legendären Kampagne für Afri Cola aus dem Jahr 1968. In den folgenden Jahrzehnten setzte dann die linksalternative Szene ökologische und soziale Trends, die heute Mainstream sind und für Milliardenumsätze sorgen. Firmen, die den Zeitgeist früh in Produkte übersetzten, konnten sich ein Alleinstellungsmerkmal verschaffen. So wie der mittelständische Schuhcreme-Hersteller Werner & Mertz (Erdal), der 1986 die Marke Frosch für umweltverträgliche Reinigungsmittel erfand und damit in der von multinationalen Konzernen dominierten Branche eine Erfolgsgeschichte schrieb.

Fundamentalkritik am Konsum wie von Naomi Klein oder hierzulande zuvor von dem marxistischen Philosophen Wolfgang Fritz Haug („Warenästhetik und kapitalistische Massenkultur“, 1980) ist aus der Mode gekommen. Viele Menschen sehen zwar die Schattenseiten der Überflussgesellschaft, stehen Werbung eher kritisch gegenüber, wollen aber von mit allerlei Bedeutungen aufgeladenen Produkten nicht lassen. Sie beherrschen die Sprache der Dinge und lassen sich mehr oder weniger bewusst auf diese ein. Gerald Zaltman, Werbefachmann und emeritierter Professor von der Harvard Business School, nennt das die „Placebo-Effekte“ des gelungenen Marketings: Es wirkt, weil die Kundschaft daran glauben will, weil es ihre Fantasie anregt oder sie in einer passenden Stimmung erreicht.

Das klassische, aus Prinzip konsumkritische Bildungsbürgertum ist weitgehend verschwunden. Es wurde abgelöst von Konsumbürgern, die sich intensiv mit Warenkunde beschäftigen und zu deren Selbstverständnis es gehört, stets das Richtige zu kaufen – um sich von ihren gedankenlosen Mitkonsumenten zu unterscheiden, denen dazu die Muße und das Geld fehlen. Viele Menschen aus diesen Kreisen fürchten kaum etwas so sehr, als sich durch die Wahl des falschen Produktes zu blamieren.

Unternehmen greifen die Bedürfnisse dieses Leitmilieus gern auf, häufig allerdings nur rhetorisch. Sie versprechen den Leuten Individualität durch den Kauf von Massenware. Und schreiben sich hehre Ziele wie Nachhaltigkeit auf die Fahnen, ohne die ökonomische Logik des unbegrenzten Wachstums infrage zu stellen. Organisierte Kritiker solcher Widersprüche wie Fridays for Future sind wiederum selbst starke Marken – die die Regeln der Aufmerksamkeitsökonomie beherrschen und mindestens ebenso professionell kommunizieren wie Konzerne.

Weil viele Produkte austauschbar sind oder in kürzester Zeit kopiert werden können, hat die Bedeutung von Design und Marketing stark zugenommen. Es kommt heute darauf an, Dinge mit einer Aura zu versehen, mit einer attraktiven Story, oder sie als Projektionsfläche zu gestalten. Postmoderne Marken ähneln daher Kunstwerken: Der eigentliche Gebrauchswert tritt immer mehr in den Hintergrund, stattdessen zählen immaterielle Werte, die im Auge des Betrachters liegen. „In der Kunst“, schreibt der Publizist Wolfgang Ullrich, „hat sich erstmals die Ästhetik des Kapitalismus ausgebildet, die mittlerweile die gesamte Konsumkultur bestimmt.“

Eines der erstaunlichsten Beispiele für eine immaterielle und gerade deswegen wertvolle Marke ist Hello Kitty. Die nur aus wenigen Strichen bestehende Katzenfigur wird von der japanischen Aktiengesellschaft Sanrio vermarktet und prangt auf allen erdenklichen Produkten: von Kleidern und Schulranzen bis hin zu Flugzeugen. Das Lizenzgeschäft mit Hello Kitty ist hochprofitabel, Sanrio hat in den vergangenen Jahrzehnten Milliarden (allein im Jahr 2021 waren es umgerechnet rund 315 Millionen Euro) mit dem seltsam leblos wirkenden Kätzchen umgesetzt, das vor allem bei kleinen Mädchen beliebt ist und bei Frauen, die für immer kleine Mädchen bleiben wollen. Der Aufwand ist überschaubar, der Erfinder der Marke hat noch nicht einmal eine nennenswerte Story um Hello Kitty gestrickt. Man weiß nur, dass das Kätzchen mit seiner Familie in London leben und gern Apfelkuchen essen soll.

Eine politisch korrekte Variante solcher Markentechnik, bei der das eigentliche Produkt nur noch eine Nebenrolle spielt, ist das Mineralwasser Viva con Agua. Es wird von dem gleichnamigen gemeinnützigen Hamburger Unternehmen verkauft, um mit den Erlösen Menschen in armen Weltgegenden Zugang zu dem lebensnotwendigen Nass zu verschaffen.

Noch ein Mineralwasser aus Glas- oder Plastikflaschen in einem Land, wo jederzeit Trinkwasser bester Qualität aus dem Hahn kommt? Muss das sein? Doch diese Frage ist falsch gestellt, denn Viva con Agua verkauft eben kein Mineralwasser, sondern Weltverbesserung. Im Dezember vergangenen Jahres rief Viva con Agua zu einem Spendenmarathon in den sozialen Medien auf. Mit dabei waren Luisa Neubauer, Lena Meyer-Landrut und die Instagram-Influencerin Caro Daur. Der gute Zweck schafft interessante Koalitionen: von der Klimaschützerin bis hin zur Dauerwerberin.

Marken dienen Menschen als Identifikationsobjekte, Projektionsflächen und Anker in einer unübersichtlichen Warenwelt. Sie stiften im besten Fall Vertrauen, vermitteln angenehme Gefühle und sparen Zeit beim Einkauf. Und sie taugen dazu, sich mithilfe von Gebrauchsgegenständen wie Kleidung oder Autos öffentlich darzustellen. Diesen „Geltungskonsum“ analysierte der Soziologe und Ökonom Thorstein Veblen bereits im Jahr 1899.

Neu ist der Einfluss, den die Kundschaft mittlerweile auf Produkte und ihr Image hat. Marketing ist keine Einbahnstraße mehr, Märkte sind heute tatsächlich Gespräche, wie einst im Cluetrain-Manifest vorausgesagt (siehe auch brand eins 03/2000: „Das Manifest“). Nach Ansicht von Karsten Kilian haben die Verantwortlichen in den Unternehmen „den Grad ihrer Kontrolle über die Markenwahrnehmung schon immer überschätzt, aber mittlerweile ist der dramatisch gesunken auf vielleicht die Hälfte, wenn überhaupt“. Denn heute kann jeder beim Marketing mitmischen, und viele Menschen tun dies auch. Sie inszenieren sich mit ihren Love Brands in den sozialen Medien, persiflieren Reklame, schaffen aus eigenem Antrieb neue Bilder und Assoziationen in der Warenwelt.

Kritische Kunden können – wenn sie gelernt haben, Fake-Bewertungen als solche zu erkennen – im Netz ohne große Mühe herausfinden, ob Produkte halten, was sie versprechen. Sie können sich in Foren über Waren aller Art austauschen und auf verschiedenen Kanälen jederzeit in Kontakt mit Unternehmen treten. Kleine, gut organisierte Gruppen sind darüber hinaus in der Lage, Shitstorms auszulösen und Marken zu kapern.

Ein schlagendes Beispiel für eine totale Markenprägung durch die Kundschaft ist der FC St. Pauli, einer der bekanntesten Fußball-Clubs hierzulande – trotz einer sportlich überschaubaren Leistungsbilanz. Die längste Zeit seiner Geschichte handelte es sich um einen stinknormalen Verein, bis in den Achtzigerjahren die linke Szene ihre Liebe für ihn entdeckte. Die neuen Unterstützer brachten aus den besetzten Häusern an der Hafenstraße ihre Totenkopf-Fahnen mit (heute das Club-Markenzeichen), ihre Parolen und eine unter Fußballfans bislang unbekannte Ironie („Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus, nie wieder dritte Liga!“).

Der Verein war zunächst irritiert, ließ sich die freundliche Übernahme durch die Fans dann aber gefallen, weil sie ihm gratis ein unverwechselbares Image und schöne Vorlagen für Merchandising-Artikel verschaffte.

Die globalisierte Wirtschaft und das Internet erlauben es, mit wenig Kapital und geringem Aufwand neue Marken zu kreieren (siehe auch „Raus aus dem Schatten“, Seite 58). Das gilt auch für menschliche Marken: Wer ein originelles Video auf Youtube hochlädt, heimst womöglich die einst von Andy Warhol beschworenen 15 Minuten Ruhm ein oder auf Tiktok 15 Sekunden – ganz ohne professionellen Apparat, der früher dazu nötig gewesen wäre.

Viele junge Leute träumen davon, sich auf diese Weise einen Namen zu machen. Manche schaffen das auch und werden beispielsweise Influencer. Sie erleben dann am eigenen Leib die Vorzüge und Nachteile der Markenwerdung. Man erlangt Bekanntheit und kann die akkumulierte Aufmerksamkeit zu Geld machen – ist aber im Gegenzug auf eine bestimmte Rolle festgelegt und steht im Fokus einer Netzöffentlichkeit, die gnadenlos über Prominente jeder Kategorie richtet.

Sensible Naturen leiden zudem irgendwann unter dem mit der permanenten Selbstinszenierung verbundenen Widerspruch zwischen Image und Ich.

Markenartikler leben gefährlich, weil ihre Fassaden nicht mehr blickdicht sind. Es lässt sich zum Beispiel ohne große Mühe herausfinden, welcher namhafte Lebensmittelhersteller auch für die billigen Handelsmarken der Discounter produziert. Verbraucherschützer nehmen gern beliebte Produkte unter die Lupe, Nichtregierungsorganisationen überführen Konzerne des Greenwashings, und Whistleblower aus der eigenen Belegschaft machen Missstände in Unternehmen öffentlich, was den Ruf und viel Geld kosten kann.

Dagegen gefeit sind Firmen, deren Aura so stark ist – oder deren Kundschaft so auf die Marke eingeschworen ist –, dass alle Skandale an ihnen abperlen. Dazu zählt der Sportschuh-Riese Nike, der seinen Gewinn im vergangenen Geschäftsjahr trotz Corona auf knapp fünf Milliarden Euro mehr als verdoppeln konnte und laut einer aktuellen Studie des Marketingportals »Horizont Online« deutschen Kunden als unverzichtbare Marke gilt. Das, obwohl der US-Konzern kaum Berührungsängste mit überführten Dopern und anderen Skandalfiguren des Profi-Sports kenne und in dem Unternehmen auch sonst einiges im Argen liege, wie die »Süddeutsche Zeitung« feststellte. „Eine lange Liste von Fragwürdigkeiten, Verfehlungen und Skandalen steht im krassen Gegensatz zum glänzenden Image, der Beliebtheit bei Verbraucherinnen und Verbrauchern sowie dem daraus resultierenden wirtschaftlichen Erfolg der Marke.“

Eine Zwangsheirat führt selten zu romantischen Gefühlen, weil Menschen sich ihre Lebenspartner gern selbst aussuchen. Das gilt auch für Marken. Daher wirken solche, an denen kein Weg vorbeiführt wie zum Beispiel der Toilettenanbieter Sanifair, eher unsympathisch oder gelten gar als Hate Brands. Im Digitalen gilt das für das Dreigestirn Facebook-Instagram-Whatsapp (Meta Platforms), dem man kaum entkommt.

Eine solche beherrschende Stellung ist für Unternehmen äußerst lukrativ, aus Markensicht aber kontraproduktiv. Bestes Beispiel dafür ist Apple, eine Firma, die sich einst als Underdog gegen etablierte Konzerne inszenierte – und heute ähnlich wie Microsoft, SAP oder eben Meta Platforms auf den Lock-in-Effekt setzt, den Wechsel zu einem anderen Anbieter also erschwert. Merke: Marken, denen man nur treu bleibt, weil der Abschied von ihnen umständlich wäre, spielen mit ihrem Status als Love Brand.

Das Image von Facebook war noch nie besonders, hat dem Geschäft aber bislang nicht nachhaltig geschadet. Allerdings tut sich die Personalabteilung seit einiger Zeit anscheinend schwer, anspruchsvolle Fachleute anzuheuern. Auch die US-amerikanische Informatikerin Frances Haugen, zuvor unter anderem bei Google tätig, war zunächst skeptisch, nahm aber 2018 eine Führungsposition bei Facebook an. Sie hoffte, mit ihrem Team für Civic Misinformation etwas gegen Lügen und Hetze in den Netzen des Konzerns tun zu können. Stellte dann aber fest, dass ihr Arbeitgeber daran offenbar kein besonderes Interesse hatte.

Sie entschied sich, das öffentlich zu machen, und verließ Facebook im vergangenen Mai mit internen Dokumenten, die ihre These belegen: Facebook ist Profit wichtiger als das Wohl der Gesellschaft, Missstände werden, obwohl sie der Firma bekannt sind, nicht angegangen. Medien berichteten weltweit über den Fall, Haugen bezeugte ihre Aussagen im Oktober 2021 vor dem US-Senat und trat auch vor dem EU-Parlament auf. Das Facebook-Recruiting hat es seitdem vermutlich nicht leichter, weitere Whistleblower sollen in den Startlöchern stehen.

„Jede Kommunikation setzt zugleich Maßstäbe, an denen man sich fortan messen lassen muss“, postuliert Dirk Baecker, Professor für Kulturtheorie und Management an der Universität Witten-Herdecke. Amit Patel, Google-Mitarbeiter der ersten Stunde, sah das genauso und setzte sich im Unternehmen bereits sehr früh und vehement für das Bekenntnis „Don’t be evil“ ein: Sei nicht böse. Patel wollte verhindern, dass die Firma auf die schiefe Bahn gerät und um des Profits willen unethisch handelt.

Diese ungewöhnlich pathetische Ansage fand auch bei den Google-Gründern Sergey Brin und Larry Page Anklang: Sie stellten sie in den Mittelpunkt des Prospektes zum Börsengang 2004. Vielleicht etwas unüberlegt, weil die Vorstellungen von dem, was böse ist, zwischen Aktionären und Mitarbeitern eines Unternehmens schon mal auseinandergehen gehen können. Tatsächlich führen Kritiker aus der eigenen Belegschaft „Don’t be evil“ immer wieder ins Feld, wenn zweifelhafte Geschäfte von Google bekannt werden. Eliott Schrage, früherer Kommunikationschef der Firma, klagte denn auch darüber, dass der Satz „zu einem Mühlstein um meinen Hals“ geworden sei (siehe auch brand eins: „Das Böse ist immer und überall“). Konsequenterweise fehlt er im Verhaltenskodex der 2015 gegründeten Mutterholding Alphabet. Dort heißt es deutlich allgemeiner: „Do the right thing“ – was immer das auch sein mag. Je nebulöser das Versprechen, desto leichter geht es von den Lippen. Daher sind bis zur Unkenntlichkeit abgenutzte Schlagworte wie Purpose oder Nachhaltigkeit, unter denen alles und nichts verstanden werden kann, bei Unternehmen so beliebt.

Konkreter und damit riskanter wird es bei der mittlerweile von vielen Firmen für sich in Anspruch genommenen CO2-Neutralität: Man verspricht, den eigenen Ausstoß des Klimagases andernorts durch Umweltprojekte wie Aufforstungen zu kompensieren. Falls das aber nicht stimmen oder funktionieren sollte – was sich in einer vernetzten Welt überprüfen lässt – drohen Imageschäden. Bekenntnisse dieser Art sind Steilvorlagen für Nichtregierungsorganisationen.

Nachhaltiger und cleverer wäre es, nur das zu versprechen, was man wirklich halten kann und will.

Zwischen Markenführung und Marketing herrscht ein Spannungsverhältnis. Markenführung funktioniert langfristig, Marken brauchen eine gewisse Zeit, sich zu entwickeln, und wenn sie gereift sind, stellen sie Persönlichkeiten dar, die man nicht beliebig ändern kann. Marketing ist aber eher kurzfristig orientiert, was man schon allein daran erkennt, dass Manager kaum so schnell von Job zu Job wechseln wie in diesem Beruf. Um dennoch Spuren zu hinterlassen, neigen sie zu Aktionismus, der sich in unmotivierten Relaunches („Raider heißt jetzt Twix“), einer Überdehnung der Marke, der Beschäftigung unglaubwürdiger Markenbotschafter (gern Prominente) sowie falschen Versprechungen ausdrückt.

Bei guter Pflege können Marken dagegen sehr alt werden – und jederzeit wieder von den Toten auferstehen. So ging es beispielsweise den Wirtschaftswundermarken Grundig und Telefunken: Ihre Mutterfirmen sind längst Geschichte – aber die Marken leben hochprofitabel weiter fort, genutzt von smarten Unternehmen, die damit ihre Elektrogeräte adeln.

Die erste Regel in der Kunst und beim Marketing lautet: Unterscheide dich! Umso erstaunlicher, dass Marken einander immer ähnlicher werden. Die meisten wollen nicht anecken und möglichst viele Menschen erreichen. Zudem neigen Konzernhierarchien dazu, originelle Ideen bis zur Unkenntlichkeit abzuschleifen. Wie es anders geht, demonstriert Professor Kilian in seinem Home Office anhand der WC-Ente. Die 1980 von dem Schweizer Drogisten Walter Düring erfundene Reinigungsmethode „mit Entenhals-Technologie“, so das Werbeversprechen, eroberte den Weltmarkt. „Praktisch, originell und selbstironisch“, sagt Kilian – „davon könnte die Warenwelt mehr vertragen.“ ---

Dieser Artikel ist aus der neuen brand eins:

Diese Ausgabe ist ein Heft über Marken in Zeiten von Social Media: warum sie immer bedeutsamer sind, wie leicht sie inszeniert werden können – und was sie so empfindlich macht. Unsere Autoren und Autorinnen haben versucht, sich selbst zur Marke zu machen, erzählen von einer Ikea-Filiale, der man das überhaupt nicht ansieht, sind fast zum Opfer einer perfekten Produktinszenierung geworden und wissen, wie wir Markenware bald direkt in TV-Serien kaufen können.