Wege aus der Rohstoffkrise #2

Der Alleskönner

Der Kiribaum gilt als der am schnellsten wachsende Edelholzbaum der Welt – und könnte die Rohstoffnot lindern. Ein Duo aus Bonn hat ihn zur Plantagenreife gezüchtet und vermarktet ihn jetzt weltweit.




Autohersteller stoppen ihre Fließbänder, weil Halbleiter für Mikrochips fehlen. Metall verarbeitende Unternehmen haben volle Auftragsbücher, aber der Stahl, den sie brauchen, ist schwer zu bekommen. Und weil Holz zur Mangelware geworden ist, bleiben in Möbelhäusern Regale leer. Unzählige Hersteller, ganze Branchen klagen über nicht vorhandene Rohstoffe – und ihre Kunden über lange Lieferzeiten.

Klar, Corona. Aber ist diese Krise wirklich nur eine Folge der Pandemie? Das haben wir Expertinnen und Experten gefragt. Und wir berichten über mögliche Lösungen. Eine hat ein Duo aus Bonn gefunden, das aus der Not ein Geschäft macht – mit dem Kiribaum, denn der wächst schneller als jeder andere. Und wir haben ein Tal in Portugal besucht, wo sich die dortige Fahrradindustrie von globalen Lieferketten unabhängig macht, indem die Betriebe fast alles selbst herstellen.

Wege aus der Rohstoffkrise #1 – Kreative Mangelwirtschaft
Wege aus der Rohstoffkrise #2 – Der Alleskönner

Wege aus der Rohstoffkrise #3 – Ein besonderes Tal

• Der Pate für die Idee steht im Botanischen Garten der Universität Bonn, ein beeindruckender Kiribaum, auch Paulownia, Blauglocken- oder Kaiserbaum genannt. In seiner Heimat Japan, ist es Tradition, für ein neugeborenes Mädchen einen solchen schnell wachsenden Baum zu pflanzen. Ist das Kind erwachsen, liefert er das Holz für Möbel und Gebrauchsgegenstände. Das brachte Peter Diessenbacher vor einem Jahrzehnt auf die Idee, den Kiribaum im großen Stil zur Rohstoffgewinnung zu nutzen. Damals studierte er Agrarwissenschaften.


 

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Diessenbacher züchtete zunächst den Kiri-Hybrid Nordmax21, der auch im strengen mitteleuropäischen Klima wächst und gedeiht. In Allin Gasparian, Studentin der Volkswirtschaftslehre, fand er eine Mitstreiterin, die Konzepte schrieb, Investoren gewann und sich ums Marketing kümmerte. Im Herbst 2011 wurden in Birlinghoven bei Bonn der Grundbaum und 2000 Setzlinge auf fünf Hektar Land gepflanzt. Das Unternehmen We Grow war aus der Universität heraus an den Start gegangen, die zwei Gründer hatten einen Fünf-Millionen-Euro-Kiri-Fonds aufgelegt.

Das Timing war gut, denn erst mit dem 2010 geänderten Bundeswaldgesetz dürfen schnell wachsende Bäume auf sogenannten Kurzumtriebsplantagen angepflanzt werden. Der Kiribaum eignet sich sehr gut dafür: Klimaveränderungen machen ihm nichts aus, er wächst schon im ersten Jahr fast 1,5 Meter und legt dann jährlich zwei Meter zu. Diessenbachers Züchtung strebt konsequent nach oben, so lässt sich das Holz effizient ernten. Nach nur 16 Jahren beträgt der Stammdurchmesser 70 Zentimeter, das Holzvolumen entspricht dem einer deutschen Eiche nach 120 Jahren Wachstum.

Das Kiri-Holz ist mit 300 Kilogramm pro Kubikmeter ein echtes Leichtgewicht, es wiegt nur halb so viel wie das Holz klassischer Baumarten, hat aber eine enorme Festigkeit und Dichte und lässt sich hervorragend verarbeiten. Zudem ist es wegen der geschlossenen glatten Rinde sicher vor dem gefürchteten Borkenkäfer. Den hohen Ansprüchen bei Boots- und Surfbrettkonstruktionen sowie beim Instrumentenbau genügt es vollkommen.

Diessenbacher nennt noch weitere Vorteile: „Die Hauptwachstumsphase dauert vom Frühjahr bis zum Spätherbst, in den Wintern verlagert sich das Wachstum in den Wurzelbereich, dort werden Nährstoffe gesammelt und neue Wurzeln gebildet. Und wenn man den Baum fällt, wächst ein neuer Stamm aus dem Wurzelwerk nach, das nennen wir echtes nachhaltiges Wachstum. Wobei jeder Hektar einer Kiri-Plantage etwa 300 Tonnen CO2 bindet.“

Er und seine Mitgründerin sehen weltweites Potenzial für Kiribaum-Plantagen. Nach eigenen Angaben ist We Grow, das gerade zu einer Aktiengesellschaft umfirmiert hat, Marktführer unter den europäischen Produzenten. „Wir bieten heute international die gesamte Wertschöpfungskette für Kiri-Plantagen“, sagt Diessenbacher. Aktuell sei man in Costa Rica, Chile, Ghana, Südafrika, Indien und Mexiko aktiv. „Wir liefern Setzlinge, machen Bodenproben in eigenen Labors, betreiben mehrere eigene Gesellschaften in Deutschland und Spanien.“

Für neue Hölzer gibt es Bedarf, denn Stürme, Dürren, Hitzewellen und die starke Vermehrung des Borkenkäfers haben den heimischen Wäldern seit einigen Jahren massiv geschadet. Drei Viertel des geschlagenen Holzes war im Jahr 2020 sogenanntes Kalamitätsholz, also solches von Bäumen, die wegen Schäden gefällt werden mussten. Hinzu kommt die steigende Nachfrage, besonders aus den Vereinigten Staaten und China. Insgesamt gingen im Jahr 2020 von den 80 Millionen Kubikmetern geschlagenen Holzes 12,7 Millionen Kubikmeter in den Export. Das sorgt in Verbindung mit der boomenden Bauwirtschaft für hohe Preise und Lieferschwierigkeiten.

Die Wartezeiten für geeignete Hölzer erschweren jede Zeitplanung bei aktuellen Bauprojekten. So wundert es nicht, dass sich zahlreiche Besucher am neuen Standort von We Grow im nordrhein-westfälischen Tönisvorst anmelden. Die Plantagen dort wirken ebenso akkurat wie die Agrar-Labore, in denen die Setzlinge mit Nährflüssigkeit versorgt werden, bevor sie in vorbereitete Böden gepflanzt werden. Diessenbach, mittlerweile Technikchef, und Gasparian, heute Finanzdirektorin, haben etwa 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, das Gros arbeitet in der spanischen Niederlassung in der Nähe von Toledo.

„Spanien bot uns 300 Hektar für unsere Plantage, die Bodenpreise sind deutlich günstiger, die Vegetationsperiode mit idealen Licht- und Wärmeverhältnissen ist acht Wochen länger“, so Diessenbach. We Grow konnte alle 70 Arbeitsplätze auf der Farm schnell besetzen, ein moderner Maschinenpark begleitet die Bäume von der Pflanzung bis zur Fällung, das Holz wird auch vor Ort verarbeitet.

Auf den Plantagen der iberischen Halbinsel wachsen mehr als 250 000 Bäume; eine Million Jungpflanzen verkauft das Unternehmen pro Jahr an Kunden. Ein Kiribaum für den eigenen Garten kostet 20 Euro.

Zu den Nutzern des Materials zählen die Surf-Gurus Christian Cajar und Tom Wegener. Der Deutsche und der Kalifornier bauen die traditionellen finnenlosen Surf-Bretter der Hawaiianer nach, sogenannte Alaias. Wegener ist vom Kiri-Holz sehr angetan: „Die Holzart ist extrem leicht und stabil, sie saugt kaum Salzwasser auf, eine bessere Kombination an Eigenschaften gibt es nicht.“ Auch in der Baubranche hat man den Kiribaum entdeckt. Mit der Berliner Firma MQ Real Estate fand We Grow einen Partner, dessen Spezialität aufgesetzte Bauten auf Parkhäusern und großen Flachdächern sind. Björn Hiss, den Geschäftsführer von MQ, freut es, dass das Kiri-Holz nur etwa halb so viel wiegt wie klassisches Bauholz, ein großer Vorteil für Lastenverteilung und Statik. Daher eignet sich das Material gut für Aufstockungen, Verdichtungen, Baulücken und Anbauten. Bis zu acht Stockwerke kann man im Ständerbau realisieren.

Thomas Rohner, Professor an der Berner Fachhochschule Architektur, Holz und Bau erforscht das Material seit Jahren und prophezeit ihm eine große Zukunft, denn „die Umschlagszeit von Pflanzung bis Ernte in acht bis zwölf Jahren ist so kurz wie bei keiner anderen Baumart“. Das Holz könne sogar im Brandschutz eine Rolle spielen. Der Plantagenanbau sei auch auf mäßigen Böden erfolgreich und schaffe Jobs in der Landwirtschaft.

Der Kiri-Baum hat also gute Chancen, sowohl einen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten als auch zur Linderung der Rohstoffnot. Er wächst schneller als jede andere Baumart, bindet mit seinen ein Quadratmeter großen Blättern fünfmal so viel CO2 wie andere Arten im Schnitt und liefert vielfältig nutzbares Holz. Gute Wachstumsperspektiven also für We Grow. ---

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Credits william veder netwerk inotiv

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