Deutz AG

Die Deutz AG steht vor der größten Herausforderung in ihrer mehr als 150-jährigen Geschichte: Sie muss massiv in grüne Technik investieren, aber mit herkömmlicher weiter Geld verdienen. Kann das klappen?





Noch dominiert hier der Diesel: Einblicke in die Produktion von Deutz im Kölner Werk

• Frank Hiller spricht ruhig und entschlossen, mit unverkennbar schwäbischem Einschlag. Der 55-Jährige redet über sein Mammutprojekt, den Umbau der Deutz AG. Er hat die Traditionsfirma innerhalb von vier Jahren bereits verändert wie kaum einer vor ihm. Die Firma aus Köln hat eine große Geschichte, sie ist eine der ersten Motorenfabriken der Welt, dort hat Nicolaus Otto im Jahr 1867 den nach ihm benannten Otto-Motor erfunden. Heute lebt man vom Dieselmotor und beliefert als einer der letzten unabhängigen Motorenbauer weltweit Land- und Baumaschinenhersteller sowie die Logistikbranche mit teils maß- gefertigter Technik.

Die Corona-Krise hat dem Konzern mit heute noch rund 4600 Mitarbeitern stark zugesetzt. Der Umsatz sank im vergangenen Jahr um rund 500 Millionen auf knapp 1,3 Milliarden Euro. Unter dem Strich stand ein Verlust von 107,6 Millionen Euro. Nahezu alle Sparten entwickelten sich negativ, lediglich der Umsatz mit alternativen Antrieben stieg. Ein Hoffnungsschimmer.

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Als Hiller im Jahr 2017 den Posten des Vorstandsvorsitzenden übernahm, hatte die Firma mit hierzulande drei Werken bereits einige Jahre zu kämpfen. Ein Joint Venture mit dem chinesischen Unternehmen First Automotive Works (FAW) lief unrund, weil der Partner auch Konkurrent war. Bei FAW gab es neben dem Gemeinschaftsunternehmen auch eine eigene Motorenfertigung. Das Zukunftsthema alternative Antriebe hatte man verschlafen, und auch das Servicegeschäft wurde stiefmütterlich behandelt. Während führende Maschinenbauer 40 bis 60 Prozent des Umsatzes mit Dienstleistungen wie vorausschauender Wartung machen, waren es bei Deutz nur knapp 19 Prozent.


Verlangt seinen Mitarbeitern viel ab: Frank Hiller

Hiller traute man zu, dass Ruder herumzureißen. Bei seinem vorigen Arbeitgeber, dem Autozulieferer Leoni, hatte der Maschinenbauingenieur zur Freude der Aktionäre eine Sparte saniert und auf Erfolgskurs gebracht – nun sollte er das mit einem ganzen Unternehmen schaffen. Der Analyst Klaus Soer von der Quirin Privatbank, der Hiller seit damals beobachtet, bescheinigt ihm exzellente Arbeit als Prozessoptimierer und Restrukturierer. Doch damit war es bei Deutz nicht getan. Hiller erkannte, dass das Unternehmen einen Plan für die Zukunft brauchte. Er richtete den Konzern innerhalb weniger Monate neu aus, mit dem Ziel, aus der Zwickmühle zu entkommen, in der unter anderen auch die Automobilindustrie steckt: Man muss viel Geld in grüne Technik investieren, die sich womöglich erst in Jahren rechnet – und versucht sich bis dahin mit dem altbewährten Geschäft über Wasser zu halten.

Ob das Konzept aufgeht, hängt auch von staatlichen Vorgaben ab. Seit 2019 gelten in Europa etwa für Landmaschinen deutlich strengere Vorgaben beim Partikelausstoß, die sich nur mit entsprechenden Filtern einhalten lassen. Deutz war der erste Hersteller, der das schaffte; Konkurrenten wie der Landmaschinenhersteller John Deere haben mittlerweile nachgezogen. Hiller will die Vorreiter-Position behalten und setzt für den europäischen Markt auf saubere Dieselmotoren sowie Elektro- und Wasserstoffantriebe – auch wenn diese noch kaum zum Geschäft beitragen.

In China, wo jenseits des Straßenverkehrs noch vergleichsweise laxe Abgasnormen gelten, will Hiller dagegen weiterhin herkömmliche Dieselmotoren verkaufen und so die Kriegskasse füllen. Um das Geschäft voranzutreiben, hat er sich im Januar 2020 mit dem Baumaschinenhersteller Sany einen neuen Partner für ein Gemeinschaftsunternehmen gesucht – an dem Deutz mit 51 Prozent die Mehrheit hat. Um Mittel für Investitionen zu mobilisieren, hat er zudem ein ehrgeiziges Sparprogramm durchgeboxt, 1000 Stellen weltweit sollen gestrichen werden, ab 2023 will er jährlich rund 100 Millionen Euro einsparen, was auch die deutsche Belegschaft trifft. 350 Beschäftigte sollen freiwillig gehen, 270 scheiden durch natürliche Fluktuation wie Rentenbeginn bis 2022 aus und 380 Leiharbeiter haben bereits im Sommer 2020 ihren Job verloren. „Der schlimmste Tag ist, wenn Sie harte Einschnitte im Personalbereich vornehmen müssen“, sagt Hiller.

Die Deutz-Aufsichtsrätin Sabine Beutert von der IG Metall sagt: „Wir sind aus Sicht der Arbeitnehmer an der Grenze dessen, was verkraftbar ist.“ Dass die deutschen Werke erhalten bleiben, musste Beutert durchfechten. „Da wurden wir massiv unter Druck gesetzt, dass auch woanders gefertigt werden könnte.“ Die Belegschaft arbeitet nun mehr fürs gleiche Geld und hat auch Einschnitte bei tariflichen Zusatzleistungen hingenommen. „Die Stimmung gegenüber der Geschäftsführung ist entsprechend ein wenig gereizt“, so Beutert.

Die Motoren, die die verbleibenden Mitarbeiter montieren, treiben Traktoren an, Baumaschinen oder Gabelstapler. In jeder dieser Branchen hat Deutz andere Konkurrenten, mal unabhängige Motorenbauer wie Cummins oder Konzerne wie John Deere. Meist produzieren die Werke für die Hauptabnehmer aus der Land- und Bauwirtschaft sowie Logistik nur kleine Stückzahlen, größere Volumina verspricht die Kooperation mit dem chinesischen Konzern Sany, der weltweit rund 40 000 Mitarbeiter beschäftigt und seine Europazentrale in Bedburg, nordwestlich von Köln hat.

Der Konferenzraum, in dem Frank Hiller sitzt, ist nur ein paar Hundert Meter von den wichtigen Produktionslinien entfernt, wo die Deutz-Motoren vom Band laufen. Der Chef schwärmt aber nicht von großen Brummern, sondern von kleinen Freizeitbooten. Nur wenige Monate nach seinem Einstieg verkündete der neue Vorstandsvorsitzende eine überraschende Akquisition: Die Deutz AG übernahm den Elektro-Bootsmotorspezialisten Torqeedo für 80 Millionen Euro. Das konnte die Firma sich nur leisten, weil man bereits vor Hillers Zeit ein Kronjuwel verkauft hatte: das 160 000 Quadratmeter große Grundstück am ursprünglichen und namensgebenden Standort Deutz, der Analyst Klaus Soer schätzt, dass der Verkauf fast 200 Millionen Euro einbrachte. „Daraus wurden die Übernahme von Torqeedo und einige andere Investitionen finanziert. Dafür hätte sonst das Geld gefehlt“, sagt Soer. Etwa die Hälfte der Erlöse floss in den Zukauf von Torqeedo und dem Batterie-Hersteller Futavis.

Wer sich mit einem elektrischen Motor aufs Wasser wagt, dem traut Hiller auch zu, Traktoren und Baumaschinen zu elektrifizieren. „Das Know-how, das es bei Torqeedo gab, hat uns bei der Entwicklung einen Riesenschub gegeben“, sagt er. Die in Gilching bei München beheimatete Firma gilt als Tesla unter den Bootsmotorherstellern. Es zählt zu den ersten Unternehmen, das vollelektrische Antriebe für Schiffe produzierte, heute liegt der Marktanteil bei rund 50 Prozent.

Mit dem Zukauf begann für Deutz die Zukunft. Zuvor wurden Elektromotoren lediglich bei Stapler- und Hebebühnen eingesetzt. Ein Jahr nach der Übernahme von Torqeedo präsentierte man stolz die ersten Prototypen für vollelektrische und hybride Antriebe für Baumaschinen.


Jongliert mit mehreren Bällen: Markus Müller

Fünf bis sieben Jahre an Entwicklungszeit könnte sich die Firma mit dem Zukauf gespart haben, rechnet der Technikvorstand Markus Müller vor. Er ist seit März in dieser Position und kommt von HJS Emission Technology, einem Unternehmen, das Technik zur Abgasreinigung herstellt.

Die Investitionen in alternative Antriebe sind eine Wette auf die Zukunft und ein Signal an die Fachöffentlichkeit: Dank der Übernahme von Torqeedo werde man nun von den Kunden beim Thema E-Mobilität „das erste Mal ernst genommen“, sagt Frank Hiller.

Neben dem Elektroantrieb beschäftigt man sich bei Deutz mit alternativen Kraftstoffen. So sind Biokraftstoffe, die im Straßenverkehr kaum eine Rolle spielen, in der Landwirtschaft schon seit Jahren weitverbreitet. Auch Flüssiggas und Wasserstoff als Antrieb für die Verbrennungsmotoren habe man auf dem Schirm, sagt Markus Müller: „Wir setzen auf Technologieoffenheit, da es im Off-Road-Bereich nicht die eine Lösung geben wird.“

Er erwartet, dass Verbrennermotoren noch viele Jahre laufen werden, vorrangig zum Antrieb der richtig großen Maschinen. Diesel-Aggregate durch Brennstoffzellen zu ersetzen, die zum Beispiel auch mit Wasserstoff angetrieben werden können, hält er bestenfalls in ferner Zukunft für eine Lösung, noch sei die Technik dafür lange nicht reif. „Die Kühlaggregate für die Brennstoffzellen in der benötigten Leistungsklasse für große Bau- und Landmaschinen, wären so groß, dass sie in den heutigen Geräten gar nicht eingebaut werden könnten“, sagt Müller.

So hält sich die Bedeutung der alternativen Antriebe noch in engen Grenzen. Torqeedo und der Batteriespezialist Futavis (für den Deutz 2019 rund zehn Millionen Euro zahlte) waren 2020 für drei Prozent des Umsatzes verantwortlich – im Geschäft mit China spielt es noch überhaupt keine Rolle. Für schnelles Wachstum hofft Hiller auf die Nachfrage nach Dieseln aus Fernost: „China ist unsere Zukunft, deshalb bauen wir unsere Kapazitäten vor Ort deutlich aus.“

Der Deutz-Chef ist der Ansicht, dass es dort mit dem neuen Partner besser laufen wird. Zum einen baut Sany keine eigenen Motoren. Zum anderen waren die Abgasnormen für Bau- und Landmaschinen in China früher sehr lasch. „Dadurch konnten lokale Konkurrenten einfachere Motoren so günstig produzieren, dass wir mit unseren hochwertigen Produkten nicht mithalten konnten.“ Nun seien die Öko-Vorgaben so hoch, dass sich das Geschäft wieder lohnt, aber auch so niedrig, dass der Diesel wohl erst einmal Bestandsschutz hat.

Deutz und Sany konzentrieren sich auf die Bau- und Agrarbranche in China. Das Joint Venture läuft bislang gut und war bereits im ersten Jahr profitabel. Nicht nur für Hiller, sondern auch für den Analysten Soer von der Quirin Privatbank wird über Wohl und Wehe der Deutz AG in der Volksrepublik entschieden: „Das China-Geschäft muss fliegen.“

Allerdings gibt es allerlei Unwägbarkeiten. „Die Politik spielt dort hart über Bande“, sagt Thilo Brodtmann, Hauptgeschäftsführer des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbauer (VDMA). Er meint damit, dass großzügig alimentierte Staatsbetriebe in Konkurrenz zu deutschen Firmen gehen. „Das ist schwere Wettbewerbsverzerrung – in China, aber auch auf allen anderen Märkten“, sagt Brodtmann. Dass das neu geschlossene Investitionsschutzabkommen zwischen der Europäischen Union und der Volksrepublik die Lage verbessert, bezweifelt er.

Frank Hiller geht also ein großes Risiko ein. Dass er es in Kauf nimmt, zeigt, wie getrieben das Unternehmen ist. Branchenbeobachter attestieren ihm bislang einen guten Job. Der Analyst Soer rechnet ab 2022 mit einem zweistelligen Umsatzwachstum und ab 2023 mit einer operativen Gewinnmarge von mehr als sechs Prozent. Deutz wäre dann wieder mehr als nur Mittelmaß – und dem langfristen Ziel näher gekommen, mit grüner Technik Geld zu verdienen. ---

1864:
Nicolaus Otto tüftelt an einem gasbetriebenen Motor, doch ihm fehlt das notwendige Kapital. Das investiert Eugen Lange, Ingenieur in der Zuckerindustrie, der das Talent des jungen Mannes erkennt. Gemeinsam gründen sie die offiziell erste Motorenfabrik der Welt, die N. A. Otto & Cie.

1876:
Im Mai vollendet Nicolaus Otto seinen ersten Viertaktmotor, den später alle Ottomotor nennen werden. Ein Jahr später wird die Erfindung patentiert, und die heutige Deutz AG produziert die ersten Exemplare. Technischer Direktor der Firma ist Gottlieb Daimler.

1892:
Die Deutz AG baut nun Lokomotiven mit Verbrennungsmotor. Zuvor hat der 1891 verstorbene Otto es geschafft, seinen Motor mit flüssigem Treibstoff anzutreiben. 1898 entwickelt die Deutz AG ihren eigenen Dieselmotor.

1907:
Das Patent für Dieselmotoren läuft aus, Deutz setzt ganz auf diese Technik. Sieben Jahre später wird das 50. Jubiläum gefeiert, mit mehr als 4000 Beschäftigten.

1936:
Deutz steigt groß ins Nutzfahrzeuggeschäft ein, produziert in den folgenden Jahrzehnten Lastwagen, Busse und Spezialfahrzeuge aller Art. 1980 ist dieses Kapitel zu Ende, Deutz konzentriert sich auf den Motorenbau.

1988:
Man bringt einen Antrieb mit integriertem Kühlsystem auf den Markt. Er wird laut Deutz einer der „meistverkauften Industriemotoren“ seiner Klasse.

2007:
Die Deutz AG versucht ihr Glück in China. Doch das Joint Venture mit FAW erweist sich als Flop und wird zehn Jahre später beendet. Ab September 2019 gibt es mit Sany einen neuen Partner.

2018:
Die Firma stellt erstmals vollelektrische Prototypen für Baumaschinen vor.

Der Maschinenbau zählt zu den wichtigsten Industrien hierzulande. Im Jahr 2019 setzte er mit insgesamt gut einer Million Mitarbeiter 229 Milliarden Euro um – im Pandemiejahr 2020 waren es 203,5 Milliarden Euro. Schon seit Längerem attackieren aufstrebende Konkurrenten, etwa aus China, die deutschen Firmen.

Viele Mittelständler tun sich schwer mit der Digitalisierung. Woran das liegt, weiß Albert Albers, Leiter des Instituts für Produktentwicklung am Karlsruher Institut für Technologie. Der promovierte Maschinenbauingenieur begann seine Karriere beim Automobilzulieferer LuK, ehe er in die Forschung ging. Unter anderem ist er Mitglied der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften.

brand eins: Sind die deutschen Maschinenbauer bei der Digitalisierung zu spät dran?

Albert Albers: Ja und nein. Technisch ist heute schon so einiges möglich. Wir müssen die Lösungen nur zusammenführen und in Systemen denken. Es geht um smartere Maschinen, nicht um einen Flug zum Mars. Da werden sich unsere erfolgsverwöhnten Maschinenbauer zusammenraufen und mehr kooperieren müssen als bisher.

Wo liegen die Probleme?

Viele haben es verpasst, ihre Führungskultur an die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts anzupassen. Das patriarchale System, das vielerorts lange vorherrschte, ist überholt, es braucht mehr teamorientierte Ansätze.

Droht die Branche von jungen Hightech-Firmen abgehängt zu werden?

Die Gefahr sehe ich nicht. Wir müssen uns in Deutschland generell von dieser Fixierung auf Google und Co. lösen. Alle denken immer, dass es einen großen Digitalisierungstanker braucht, der alles voranbringt. Tatsächlich sollten wir die Vielfalt der kleinen und mittelständischen Unternehmen im Maschinenbau als Chance sehen: Viele Schnellboote bringen uns voran.

Was heißt das konkret?

Eine große Chance sehe ich zum Beispiel in Upgrade-Modellen. Man baut in Maschinen von Anfang an die Option ein, in Zukunft weitere Funktionen freizuschalten. Mit fortschreitender Entwicklung kommen neue Updates dazu – wie wir es schon von Software kennen. Das funktioniert aber nur, wenn alle Beteiligten in Produktgenerationen und vernetzten Systemen denken.

Auf diesen Weg in die Zukunft des modernen Maschinenbaus die Menschen mitzunehmen und die Organisationen entsprechend anzupassen ist eine der zentralen Herausforderungen für das Management. ---

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