Mikroökonomie

Ein Bügler in Indien

Moti Lal, 45, bügelt seit 25 Jahren Hosen, Hemden, Saris und andere Kleidungs-stücke in einer Seitengasse in Mumbai. Von Montag bis Sonntag, von neun Uhr morgens bis neun Uhr abends.





Er ist verheiratet und hat eine sechsjährige Tochter. Da sein Stand keinen Stromanschluss hat, füllt er sein gusseisernes Bügeleisen mit glühenden Kohlen und heizt es damit. Lal zog als Jugendlicher vom Dorf seiner Familie in die 29-Millionen-Einwohner-Metropole und brachte sich das Handwerk dort selbst bei.

Als Selbstständiger nimmt Lal im Monat rund 126 Euro ein, seine Frau verdient kein Geld. Für Lebensmittel geben sie 38 Euro aus. Da sein Stand nicht genehmigt ist, muss er die zuständigen Beamten monatlich mit 8 Euro bestechen – illegal, aber üblich. Die englische Privatschule seiner Tochter kostet ebenfalls 8 Euro. Die Eltern selbst haben keine Krankenversicherung, zahlen aber für ihre Tochter eine Monats-Police von 3,50 Euro.

Ein 20-Kilo-Sack Kohle reicht Lal zehn Tage und kostet 8 Euro. Seine kleine Wohnung hat er abbezahlt. Da seine Familie unter der Armutsgrenze lebt, zahlt sie nur 19 Euro Steuern im Jahr. Seit Ausbruch der Corona-Pandemie ist Indien im strengen Lockdown, Lal kann seinen Beruf deshalb derzeit nicht ausüben.

Ich habe nichts anderes gelernt als Bügeln. Das ist, worin ich gut bin, und ich bin diese Arbeit gewöhnt. Außerdem sind die Verkäufer hier ringsum meine Freunde.

Etwas Bleibendes schaffen, Erfolg haben. Aber mit meinem Job und in meiner Position ist daran nicht zu denken. Ich hatte mal größere Träume, aber die Realität hat sie mir genommen.

Mein Bügeleisen aus Eisen ist sehr schwer. Außerdem ist es glühend heiß, ich habe einige Narben davon. Abends tun mir alle Knochen weh.

Meine größte Freude ist es, mich hinter meinen Bügeltisch zu legen und ein bisschen zu dösen. Da ist es schön friedlich.

Am liebsten würde ich aus meiner baufälligen Siedlung ausziehen, aber das werde ich mir nie leisten können. Meine Hoffnung ist jetzt meine Tochter. Ich wünsche mir sehr, dass sie einmal die Sicherheiten hat, die ich nie hatte.

Nein. Denn dazu müsste ich meinen Standort aufgeben. Hier kennt mich jeder und weiß, dass ich gute Arbeit leiste. ---

Einwohner: 1,4 Millarden
Währung: Indische Rupie, INR (86 INR = 1 Euro)
Monatlicher Durchschnittslohn: 140 Euro
Human Development Index: Platz 129 (Deutschland: 4 von 189)

Bügeln eines Hemdes: 0,08 (2,20)
Bügeln eines Saris oder Anzugs: 0,38 (Anzug 13,60)
1 Kilogramm Zwiebeln: 1,40 (1,49)
1 Liter Mineralwasser: 0,25 (0,58)
1 Cappuccino: 1,96 (2,27)

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Zur Serie: Indien – Land im Aufbruch