Wolfgang Streeck im Interview
„Geld ist im Wesentlichen eine Glaubenssache, eine Fiktion, ein Versprechen.“
Der Soziologe Wolfgang Streeck erklärt, wie Kredite in Krisenzeiten als Beruhigungsmittel funktionieren.
Und welche Nebenwirkungen sie haben.
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe 06/2018.
brand eins: Herr Streeck, Sie haben in die noch immer andauernde Debatte über Ursache und Wirkung der Finanzkrise den Begriff Geld-Doping eingeführt. Was meinen Sie damit?
Wolfgang Streeck: Nach 2008 drohten deflationäre und rezessive Entwicklungen. Die Zentralbanken reagierten darauf mit einer dramatischen Ausweitung des Geldvolumens. Sie senkten die Leitzinsen, sie kauften in großem Maßstab Anleihen auf, dadurch floss Geld in die sogenannten Märkte. Das könnte man als Geld-Doping bezeichnen. Das ist nicht neu. Wir sehen seit den Siebzigerjahren, dass das globale Geldvolumen schneller wächst als die globale Wirtschaftstätigkeit.
Unser Geld ist also nicht durch reale Werte gedeckt?
Das war es eigentlich nie. Geld ist im Wesentlichen eine Glaubenssache, eine Fiktion, ein Versprechen.
Warum wächst das Geldvolumen seit den Siebzigerjahren?
Die Verteilungskämpfe zwischen Lohnabhängigen und Profitabhängigen wurden Ende der Sechzigerjahre härter. Solche Konflikte müssen von der Politik irgendwie befriedet werden. Entweder durch Repression, wie im 19. Jahrhundert, oder durch Moderation wie in den Nachkriegsjahrzehnten in Westeuropa, also durch Tarifautonomie, Sozialpartnerschaft, Wohlfahrtsstaat. Auf Dauer geht das auf Kosten der Kapitalseite, wenn die Ansprüche der Beschäftigten und des Wohlfahrtsstaats schneller wachsen als die Produktivität.