Matthias Kilian im Interview

„Vergütung für Masochisten“

Um die „Billable Hours“ könnte es bald auch ganz ohne KI geschehen sein, warnt Vergütungsexperte Matthias Kilian.





Herr Professor Kilian, Sie haben schon mehrfach gewarnt, dass die gegenwärtige Praxis der abrechenbaren Stunden womöglich gegen EU-Recht verstößt. Worum geht es dabei genau?

Matthias Kilian: Alles geht auf einen Fall aus Litauen zurück, der bis vor dem Europäischen Gerichtshof verhandelt wurde. Ein Verbraucher hatte gegen eine Vereinbarung geklagt, bei der sein Anwalt nur – wie das ganz üblich ist – den Stundensatz ausgewiesen hatte, aber nicht die Zahl der voraussichtlich zu zahlenden Stunden.

Am 12. Januar 2023 entschied der EuGH dann: So eine Vereinbarung ist ein Verstoß gegen die EU-Richtlinie über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen. Und nun gibt es die ersten Urteile in EU-Mitgliedsstaaten, bei denen sich nationale Gerichte auf eben diese Entscheidung berufen. In den Niederlanden zum Beispiel hat ein Gericht gerade mehrere Vergütungsklagen von Kanzleien abgewiesen, bei denen nach Stunden abgerechnet werden sollte.

Der Streit dreht sich darum, dass die Kanzleien nicht vorab sagen, wie viele Stunden der Mandant am Ende bezahlen muss, richtig? Und nur die Kosten pro Stunde nennen.

Genau. Eine Klausel hat nun wohl als intransparent zu gelten, wenn ein Mandant die Gesamtkosten der Rechtsdienstleistung zumindest nicht der Größenordnung nach einschätzen kann. In einem Fall aus Amsterdam hatte der Anwalt dem Mandanten nur mündlich zugerufen, der Aufwand könne „rund zehn Stunden“ betragen. An anderer Stelle sagte er dann flapsig, man könne mit „een ton“ rechnen – damit meinte er 100.000 Euro. So etwas sei eine „intransparente Vereinbarung“, entschied das Gericht.

Wie in dem Fall aus Litauen war es aber auch in diesem Verfahren ein Privatmann, der sich gegen die Abrechnung nach Stunden wehrte. Es ging um ein Scheidungsverfahren. Ist es nicht etwas völlig anderes, wenn eine Kanzlei mit einem DAX-Konzern Stunden abrechnen will? Für Mandanten von Wirtschaftskanzleien sind Stundenabrechnungen normal.

Richtig, aber es ist die große Frage, ob man sich darauf wirklich verlassen kann. Ich glaube, viele deutsche Wirtschaftsanwälte haben das EuGH-Urteil wahrgenommen, aber gedanklich gleich wieder beiseitegelegt, weil es ja um einen Verbraucher ging und auch die EU-Klausel-Richtlinie nur Verträge mit Verbrauchern erfasst.

Wenn man sie aber auf deutsche Gegebenheiten überträgt, was Gerichte hierzulande früher oder später natürlich tun werden, dann kann das meiner Ansicht nach durchaus auch für Unternehmen relevant werden. Dafür fehlt noch das Bewusstsein.

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