Kristin Stark im Interview

Alles im grünen Bereich

Artificial Intelligence, New Law, Bench Strength – auf dem US-Markt für Wirtschaftskanzleien tut sich derzeit einiges. Kristin Stark von Fairfax Associates erkennt und versteht solche Trends. Sie berät Kanzleien zu deren Zukunftsfragen. Ein Gespräch über eine Branche im Wachstumsfieber.





Sie beraten Wirtschaftskanzleien in den USA. Wie ist die Stimmung in der Branche?

Kristin Stark: 2023 war ein überraschend gutes Jahr, deutlich besser als die meisten Kanzleien erwartet hatten. Dieser Pessimismus lag an der Flaute, die wir 2022 gesehen haben, als es kaum große M&A-Aktivitäten zu begleiten gab. Dazu der Krieg in der Ukraine, Rezessionsängste, eine generelle wirtschaftliche Ungewissheit. Das sorgte dafür, dass viele Unternehmen die Füße stillhielten und Kanzleien plötzlich Überkapazitäten hatten. Aber die meisten merken nun, dass wir diese Phase hinter uns gelassen haben und schauen sehr optimistisch auf 2024.

Was ist die größte Veränderung, auf die sich Kanzleien einstellen müssen?

Klienten wählen ihre Kanzlei heute nach ganz anderen Kriterien als früher. Diesen Trend sehen wir schon ein paar Jahre, aber gerade beschleunigt er sich noch einmal.

Inwiefern?

In der Vergangenheit ging es vor allem um eine langjährige, treue Beziehung zwischen Kanzlei und Klienten und um die Qualität der einzelnen Anwältinnen und Anwälte. Vertrauen und Qualität sind immer noch wichtig, keine Frage. Aber sie sind zu einer Selbstverständlichkeit geworden. Wonach Klienten heute deutlich stärker suchen, sind Spezialisierung und fachliche Expertise für ein hochkomplexes Problem, das sie gerade haben: Wie oft hat eine Kanzlei genau ein solches Problem schon erfolgreich gelöst?

Auch das, was wir in den USA „Bench Strength“ nennen, wird immer entscheidender: Hat eine Kanzlei ein ausreichend großes Team? Mit Spezialistinnen und Spezialisten für all meine sehr speziellen Anliegen?

Schiere Größe wird also wichtiger?

Ja. Was auch daran liegt, dass die rechtlichen Risiken für das durchschnittliche Unternehmen gestiegen sind, was wiederum die juristischen Kosten vor allem der großen und mittleren Unternehmen stark nach oben treibt. Sie brauchen oft einfach mehr Volumen in der Rechtsberatung. So werden die großen Kanzleien tendenziell noch größer. Denn je größer sie sind, desto mehr Expertisen können sie nachweisen und umso mehr Bench Strength kann den immer wählerischer werdenden Klienten geboten werden. Die Klienten fühlen sich außerdem bei großen Kanzleien wohler, weil dort der, nun ja … CYA-Faktor am größten ist.


„Das, was wir Bench Strength nennen, wird immer entscheidender: Hat eine Kanzlei ein ausreichend großes Team? Mit Spezialisten für all meine sehr speziellen Anliegen?“

CYA heißt „Cover your ass“ – also auf Nummer sicher gehen und schauen, dass einem hinterher niemand vorhalten kann, die falsche Kanzlei gewählt zu haben?

Genau. Es geht immer häufiger auch darum, wie man hinterher eine Entscheidung für oder gegen eine Kanzlei notfalls vor den Vorgesetzten oder dem Aufsichtsrat verteidigen kann. Früher konnte man sich darauf berufen, dass man mit einer Kanzlei eine langjährige Zusammenarbeit pflegt: „Das sind unsere vertrauten Partner, sie kennen uns und wir kennen sie.“ Das zieht heute nicht mehr richtig.

Ist dieses Streben nach Größe auch der Grund für die vielen Fusionen, die wir bei US-Kanzleien zuletzt gesehen haben?

Definitiv. Und es gab zuletzt nicht nur viele Merger zwischen US-Kanzleien, sondern auch international. Sei es Dentons, eine der ohnehin schon weltgrößten Wirtschaftskanzleien, die durch den Zusammenschluss mit Link Legal nun auch in Indien präsent ist, oder Allen & Overy aus London, die nach einer „Elefantenhochzeit der Großkanzleien“ mit Shearman & Sterling von der Wall Street gemeinsame Sache machen. Gerade britische Kanzleien drängen auf den US-Markt, sei es durch Zusammenschlüsse oder einfach, indem sie hier Büros eröffnen.

Wird der Trend zur Konsolidierung Ihrer Einschätzung nach anhalten?

Je länger er anhält, desto weniger Optionen wird es irgendwann für weitere Merger geben, das liegt in der Natur der Sache. Aber derzeit sehen wir noch immer ein riesiges Interesse an Zusammenschlüssen – es war seit 20 Jahren nicht so hoch wie heute.

Neben dem Wunsch nach Wachstum: Was treibt zu diesen Fusionen?

Neben den Skaleneffekten und der Vorliebe der Klienten für größere Kanzleien ist es oft auch eine psychologische Frage. Viele Kanzleien fürchten, den Anschluss zu verlieren, wenn sie nicht genug wachsen oder fusionieren. Sie haben Angst, irgendwann nur noch als lokaler Player gesehen zu werden. Das ist gerade in mittleren Städten wie Austin, Miami oder Seattle, die nicht so im Rampenlicht stehen, zu merken. Und zu guter Letzt macht Größe es auch einfacher, die besten Leute zu gewinnen.

Haben Wirtschaftskanzleien denn damit Schwierigkeiten?

Der Kampf um die Besten oder überhaupt um gute Leute hat sich in den vergangenen zwei bis drei Jahren noch einmal deutlich verschärft. Das sieht man an der hohen Fluktuation: Ungefähr jeder vierte Associate wechselt die Kanzlei. Auch die Einstiegsgehälter für Associates steigen immer weiter. Derzeit sind wir bei 225.000 Dollar pro Jahr in Städten wie New York oder Chicago. Aber selbst in den etwas kleineren Märkten sind die durchschnittlichen Einstiegsgehälter von etwa 180.000 auf 190.000 geklettert. Das ist viel Geld – aber wenn eine Kanzlei weniger bezahlt, bekommt sie nur, wen sonst niemand haben möchte. Oder generell weniger neue Associates, als sie braucht.

Wie ist die Lage bei den etablierteren Anwältinnen und Anwälten?

Wir beobachten, dass nicht nur die Treue zwischen Mandanten und ihren Kanzleien abnimmt, sondern auch die der Anwältinnen und Anwälte zu ihren Arbeitgebern. Das geht bis hinauf zur Partnerebene. Auch da gibt es heute viel mehr Wechsel zwischen den Kanzleien als noch vor einigen Jahren. Ein echter Mentalitätswechsel, den viele Kanzleien erst noch verstehen müssen. Sie sind es gewöhnt, dass jemand, der als Associate zu ihnen kommt, das ganze Leben bleiben möchte. Inzwischen aber ist der Markt flexibler geworden. Die Belegschaft schaut häufiger auf die andere Straßenseite und fragt sich: „Wenn ich da drüben zehn Prozent mehr verdienen kann, warum sollte ich dann hierbleiben?“

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