Richten und berichten
Wie urteilen Deutschlands Gerichte? Worauf basieren ihre Entscheidungen? Und was bedeuten sie für die Bürger? Menschen, die keine Juristen sind, können diese Fragen in der Regel nicht beantworten. Die Open-Legal-Bewegung will das ändern.
/ Im Jahr 1997, also lange bevor das Internet für alle selbstverständlich war, fällte das Bundesverwaltungsgericht ein Urteil, das bereits nach Digitalisierung klang und sogar nach Open Access – dem freien und kostenlosen Zugang zu wissenschaftlichen Publikationen. „Die Veröffentlichung von Gerichtsentscheidungen ist eine öffentliche Aufgabe“, befanden die Bundesrichter damals. „Es handelt sich um eine verfassungsunmittelbare Aufgabe der rechtsprechenden Gewalt und damit eines jeden Gerichts.“ Die Gerichte müssten demnach alle Entscheidungen zugänglich machen, an denen die Gesellschaft – „die Öffentlichkeit“ – ein Interesse haben könnte, und zwar anonymisiert und neutral.
So weit die Theorie. In der Praxis führt unter anderem die Einschränkung, dass die Gerichtsurteile für die Öffentlichkeit relevant sein sollen, dazu, dass viele Gerichte nur einen Bruchteil ihrer Entscheidungen der Öffentlichkeit zugänglich machen. Laut einer Studie der Juristenzeitung wurden 2019 in Deutschland nur 0,9 Prozent aller begründeten Gerichtsentscheidungen öffentlich geteilt. Der Jurist und Datenexperte Seán Fobbe hat ermittelt, dass selbst das Bundesverfassungsgericht 2020 nur rund 510 Entscheidungen veröffentlichte, obwohl es in diesem Jahr mehr als 5800 Verfahrenseingänge gab. Laut Fobbe sieht es bei anderen Gerichten, etwa den Landgerichten, nicht besser aus.