Fallstudie: Die Gestalter bei Daimler Truck

Die Arbeit in den Rechtsabteilungen großer Unternehmen ist vielfältiger und die Karriere spannender, als viele denken – sagen die Inhouse-Juristen bei Daimler Truck.






In Bewegung: Thomas Laubert, der oberste Jurist im Haus Daimler Truck, und eine 630-PS-Lkw-Zugmaschine im Foyer.

/ Als Unternehmensanwalt kann man sich Mandanten und Mandate nicht aussuchen. Deshalb hat Thomas Laubert juristische Konflikte ausgetragen, die andere Anwälte nur aus den Medien kennen: Für seinen Arbeitgeber Daimler wehrte Laubert eine Klage in Kalifornien wegen angeblicher Menschenrechtsverletzungen während der argentinischen Militärdiktatur ab. Er wirkte maßgeblich mit an einem millionenschweren Vergleich zwischen dem Konzern und dem US-Justizministerium sowie der US-Börsenaufsicht, in dem es um Korruptionsvorwürfe ging. Laubert führte Gerichtsprozesse um Insiderhandel, er vertrat Daimler in einem Verfahren der EU-Kommission gegen ein Lkw-Kartell, das mit einer Buße über gut eine Milliarde Euro endete. Und dann gab es natürlich noch das, was sie beim Stuttgarter Autobauer „die Dieselkrise“ oder einfach nur „Diesel und Emissionen“ nennen.

Im Rückblick auf seine bis dato außergewöhnlich ereignisreiche Karriere sagt Thomas Laubert, 49 Jahre alt: „Einmal scherzhaft gesprochen: Wenn ich nicht zu jung wäre, hätte ich nach all dem in Ruhestand gehen können – so viel aufregend Neues konnte eigentlich nicht mehr kommen.“

Es kam dann doch noch etwas: die Abspaltung der Lkw-Sparte vom Konzern samt Börsengang Ende 2021. „Die Königsdisziplin“, schwärmt Laubert. Als oberster Konzernjurist Daimlers unterhalb der Rechtsvorständin – Titel: „Group General Counsel“ – war Laubert in der ersten Phase Teil eines sehr kleinen Teams und dann eine der maßgeblichen Figuren eines fast einjährigen Mammutprojektes, an dem Hunderte Daimler-Mitarbeiter und mehrere externe Kanzleien mitwirkten. Es ging um die Gründung der neuen Aktiengesellschaft und das Verfassen des Börsenprospektes, es ging um Tausende von Verträgen für das zukünftige Verhältnis zwischen dem neuen Lkw-Unternehmen und der früheren Mutter (etwa um die Nutzungsrechte für den Mercedes-Stern), es ging um steuerrechtliche und arbeitsrechtliche Fragen und um den Aufbau eines neuen juristischen Inhouse-Teams, das auch die Themen Compliance und Audit abdeckt. Schließlich wechselte Laubert selbst in das neu geschaffene Unternehmen Daimler Truck AG (siehe Spalte links). Dort steht er nun als „Chief Legal and Compliance Officer“ einem weltweiten Team von einigen Hundert Mitarbeitern vor, darunter jede Menge Volljuristen.

Mit ihrem Börsengang Ende 2021 wurde die ehemalige Lkw-Sparte von Daimler zur eigenständigen Daimler Truck AG, in der die Mercedes-Benz Group (ehemals Daimler AG) mit rund 30 Prozent der Anteile Ankeraktionär ist. Das neue Unternehmen mit Sitz bei Stuttgart beschäftigt weltweit gut 100.000 Mitarbeiter an mehr als 40 Produktionsstandorten. Mit einem Absatz von 455.000 Lkw und Bussen (ein Plus von 20 Prozent gegenüber 2020) unter sieben verschiedenen Marken war das Unternehmen im vergangenen Jahr einer der größten Nutzfahrzeughersteller weltweit. Eine weitere Marke produziert Daimler Truck in einem Joint Venture mit dem chinesischen Lkw-Hersteller Foton Motor. 2021 lag der Umsatz bei fast 40 Milliarden Euro (zehn Prozent mehr als im Vorjahr).


Kartellrecht-Expertin Ines Heuchert gefällt vor allem, wie autonom sie bei Daimler Truck arbeiten kann.

Ganz schön komplex

Laubert ist ein legerer Typ mit halblangem Haar, zum Interview kommt er in Jeans und Turnschuhen, keine Krawatte, Pulli statt Jackett. Zu den Begriffen, die er häufig verwendet, gehören „spannend“ und „interessant“, die er gern mal zu „hochspannend“ und „wahnsinnig interessant“ steigert. Er strahlt jenen unverwüstlichen Optimismus aus, der selbst in der unerfreulichsten Aufgabe noch irgendeinen Mehrwert, irgendeinen Lerneffekt entdeckt. Über sein Unternehmen spricht der Chefjurist, als wäre er der Vertriebschef: „Wir sind wahnsinnig stolz auf unsere Trucks. Sie füllen die Regale in den Läden, sie liefern den Nachschub in den Fabriken.“

So viel schwungvolle Selbstgewissheit ist wohl angesagt angesichts des zunehmenden Wettbewerbs zwischen Kanzleien und Unternehmen um juristischen Nachwuchs. Laut Rechtsabteilungsreport 2019/20 von KPMG Law beschäftigten die deutschen Top-150-Unternehmen im Jahr 2019 fast doppelt so viele Inhouse-Anwälte je Milliarde Euro Umsatz (5) wie im Jahr 2005 (2,6). Im selben Zeitraum stiegen die Gesamtkosten der Rechtsabteilungen je Umsatzmilliarde um 45 Prozent auf 2,3 Millionen Euro. Aufschlussreich dabei: Während die Kosten für hinzugezogene Kanzleien nur moderat wuchsen, stiegen die Ausgaben für die Hausjuristen fast aufs Doppelte. Das bedeutet: In den großen deutschen Unternehmen gilt in Sachen Rechtsberatung offenbar immer häufiger die Baumarkt-Devise: selber machen.

Natürlich gebe es in der komplexen Welt von heute immer juristische Spezialthemen, für die man externen Rat einkaufen müsse, sagt Chefsyndikus Laubert. Und in Krisen- situationen oder bei Großprojekten wie der Abspaltung der Lkw-Sparte stoße selbst eine große Rechtsabteilung schnell an Kapazitätsgrenzen. „Aber grundsätzlich haben wir den Anspruch, möglichst viel inhouse zu machen.“ Und zwar auf allen einschlägigen Rechtsgebieten vom Datenschutz bis zum Einkaufsrecht, von M&A bis zum Insolvenzrecht, vom Kapitalmarktrecht bis zu Produkthaftung und Versicherungsrecht, von der Cybersecurity bis zum Straßenverkehrsrecht.

Das mögliche Spielfeld für Hochschulabsolventen und junge Juristen ist damit gerade bei großen, international tätigen Unternehmen riesig und wohl größer als in vielen Wirtschaftskanzleien. So jedenfalls sieht es Ines Heuchert, 38, die sich während ihrer sechs Jahre bei Daimler und nun bei Daimler Truck aufs Kartellrecht spezialisiert hat und inzwischen ein Team von vier Mitarbeitern führt. Früher selbst einige Jahre in einer Wirtschaftskanzlei in Brüssel tätig, sagt sie: „In der Kanzlei bekommt man in den ersten Jahren vom Partner eher kleine Arbeitsaufträge, die man ausführt, oft ohne das große Ganze zu verstehen. Im Unternehmen kommen die Aufträge nicht von oben, sondern von Kollegen aus den Abteilungen. Man ist schnell mittendrin und eigenverantwortlich unterwegs. Und wenn man die Aufgaben gut löst, verantwortet man das Thema.“

So war es bei Anh Ha Tran, 35, die erst im Mai 2021 zu Daimler stieß und nun bei Daimler Truck vor allem Vertragsrecht bearbeitet. Die Juristin passt Verträge mit Lkw-Händlern und Großkunden an neue Gesetze und die Rechtsprechung an, sie begleitet die Teilnahme von Daimler Truck an Ausschreibungen von Kommunen für Nutzfahrzeuge. „Das ist viel Arbeit am Dokument und kann sehr technisch sein“, sagt Tran – und sei dennoch interessant, weil sie es mit Kunden in aller Welt zu tun habe und immer neue Themen bearbeite.

Wie unlängst, als sie mithilfe des Völkerrechts klären musste, ob das Geschäft mit einer Botschaft in Deutschland dem Direktvertrieb von Daimler Truck zusteht oder dem Vertragshändler des betreffenden Landes. Bei ihrem früheren Arbeitgeber, einer mittelständischen Wirtschaftskanzlei, habe sie oft das Gefühl gehabt, sich zehnteilen zu müssen durch die vielen punktuellen Einsätze für verschiedene Mandanten. „Man lernte sie oft nicht wirklich gut kennen und verstand deshalb nicht, warum sie dies oder jenes wollten und taten“, erzählt die Anwältin. Bei nur einem Auftraggeber sei das anders, besser: „Ich bin jetzt viel näher dran an der Strategie, am Geschäftsmodell, an den Produkten, der Unternehmenskultur.“

Was die Junganwältin beschreibt, deckt sich mit dem, was der Juve-Verlag schrieb, als er – noch vor der Aufspaltung des Konzerns – dessen Rechtsabteilung als „Inhouse-Team des Jahres 2021“ auszeichnete: „Bei Daimler arbeiten die Inhouse-Juristen um General Counsel Dr. Thomas Laubert so agil und vernetzt mit den operativen Abteilungen zusammen, dass es beinahe schwerfällt, genaue Außengrenzen zu ziehen. Wo die Syndizi früher unter sich blieben, sitzen heute Ingenieure, Produktplaner und IT-Spezialisten mit am Tisch.“ Laubert verlängert die Liste der beteiligten Professionen: „Prozessmanager, Controller, Kommunikatoren: You name it, we got it.“ Er schwärmt: „Wir Unternehmensjuristen sind heute nicht mehr die Ratgeber für spezielle Fragen, sondern integraler Bestandteil des Business entlang der Wertschöpfungskette und entlang des Lebenszyklus der Trucks und Busse.“


Leger, unaufgeregt, begeisterungsfähig und Inhouse-Jurist aus Überzeugung: Thomas Laubert, Chef des weltweiten Juristen-Teams bei Daimler Truck

Viel Abstimmungsbedarf

Wie integriert die Inhouse-Juristen heute in das Geschäftsmodell sind, zeigt der Bereich Produktrecht und Produkt-Compliance. Zum weltweit knapp 70 Köpfe starken Team gehören nämlich 13 Ingenieure, die früher überwiegend Entwickler waren, nun aber nicht mehr im engeren Sinn Neues entwickeln. Vielmehr achten sie Tür an Tür und Tisch an Tisch mit den Juristen darauf, dass sämtliche von den Ingenieuren in der Entwicklungsabteilung erdachten Fahrzeugkomponenten schon vom Ideenstadium an rechtlich auf der sicheren Seite sind.

So sollen Probleme vermieden werden, wie sie etwa ein Pkw-Hersteller bekam, als seine Ingenieure das Einstellen verschiedener Scheibenwischer-Intervalle ins Unter-Menü des Touchscreens verlegten: Nach einem Verkehrsunfall urteilte ein Gericht, der Fahrer sei durch das Tippen am Bildschirm stärker abgelenkt gewesen als bei der üblichen Bedienung am Lenkradhebel. Das wirft die Frage auf, ob ein Konstruktionsfehler vorliegt, der den Hersteller bei Unfällen in die Mithaftung bringen könnte. „Ingenieure neigen zu technisch anspruchsvollen Lösungen“, sagt Jan Amelong, Jurist bei Daimler Truck und selbst auch Ingenieur. „Wir Juristen kennen die Rechtsprechung, können sie interpretieren und dann empfehlen, ob eine technische Lösung etwa aus Gründen der sichereren Bedienbarkeit frühzeitig entschlackt oder angepasst werden muss.“

Eng zusammen arbeiten Juristen und Entwickler auch bei der Einhaltung europäischer Emissionsgesetze oder bei Typgenehmigungen durch das Kraftfahrt-Bundesamt. „Solche technischen Regularien sind meist von Ingenieuren geschrieben, darin finden sich en masse mathematische Formeln und technische Beschreibungen. Mit Ingenieurskollegen im Team tut man sich leichter, das zu verstehen“, sagt Amelong.

Inzwischen hat sich der 38-jährige Abteilungsleiter auf Digitalisierungsthemen verlegt, wozu neben dem Datenschutz und dem Softwarerecht auch das autonome Fahren gehört. Im Austausch mit seinen Entwickler-Kollegen sucht er eine rechtlich sichere Antwort auf die Frage, wie das Fahrassistenzsystem eines Lkw reagieren soll, wenn der Trucker seine Hände nach einer bestimmten Zeit nicht wieder auf das Lenkrad legt und nicht auf Warnsignale reagiert, etwa weil er einen Schwächeanfall erlitten hat. „Manche Themen sind technologisch so vorn dran, dass es nur rudimentäre gesetzliche Regelungen gibt.“ In diesem Fall müssten sie gemeinsam überlegen, was eine adäquate Lösung wäre.

Eine Auslegung war auch gefragt bei der gesetzlichen Vorgabe einer „Dauerbremsfähigkeit“ von Fahrzeugen. „Diese Regularie ist relativ alt und auf Verbrennungsmotoren zugeschnitten, bei denen ein eingelegter Gang den Lkw dauerhaft bremst“, erklärt Amelong. Bei E-Motoren stelle sich jedoch das Problem, wohin die Bremsenergie abgeführt wird, wenn die Batterie voll ist und nicht mehr als Energiesenke dienen kann. „Wir legten die Regularie so aus, dass die Dauerbremsfähigkeit auch für Elektroantriebe gewährleistet sein muss. Das hieß für unsere Ingenieure, dass sie eine neue technische Lösung finden müssen.“

Ein weites Feld für die Inhouse-Juristen sind Produktbeschreibungen und Bedienungsanleitungen, die so formuliert sein müssen, dass sie nicht missverstanden werden können und beim Trucker oder Busfahrer falsche Erwartungen an die Sicherheit wecken, die später justiziabel werden könnten, etwa bei Hilfssystemen wie Abbiege-Assistenten.

Damit sich Juristen und Ingenieure besser verständigen, gibt es Schulungen im jeweils anderen Fach. Die Verschränkung geht so weit, dass Entscheidungen in eigens dafür geschaffenen Gremien gemeinsam getroffen werden. „Früher legte der Ingenieur sein Problem beim Anwalt auf den Tisch, forderte ein Rechtsgutachten an und entschied danach selbst“, sagt Stefan Frank, 54, Bereichsleiter für Produktrecht und Compliance: „Heute entscheiden wir gemeinsam. Wir sind nicht mehr nur Ratgeber, sondern ermöglichen neue Geschäftsmodelle und übernehmen Verantwortung für Entscheidungen.“


Wir sind nicht mehr nur Ratgeber, sondern ermöglichen neue Geschäftsmodelle und übernehmen Verantwortung für Entscheidungen.


Jan Amelong und seine Kollegin Anh Ha Tran sind als Juristen Experten ihres Fachs – und sitzen schon bei der Produktentwicklung mit Ingenieuren am Tisch.

Mehr Spielraum

Das Betätigungsfeld für Unternehmensanwälte bei Daimler Truck scheint breit zu sein, mithin sind auch die Möglichkeiten groß, in viele Rechtsgebiete einzutauchen. Man kann es aber auch so machen wie Ines Heuchert, die in ihren sechs Jahren bei Daimler immer bei ihrem Thema blieb, auch nach dem Wechsel zu Daimler Truck. Schon im Studium stellte sie fest, dass sie Zahlen, Märkte, wirtschaftliche Zusammenhänge interessanter fand als die klassische Juristerei. Deshalb Kartellrecht. Derzeit begleitet sie den Plan von Daimler Truck, in einem Joint Venture mit den Konkurrenten Volvo und Traton (VW) ein europaweites Ladenetz für E-Lkw und E-Busse aufzubauen. „So eine anmeldepflichtige Transaktion betreut man als Inhouse-Anwalt vom ersten Gespräch zwischen den Wettbewerbern bis zur Anmeldung bei den Behörden und auch nach der erhofften Genehmigung. Wir müssen einfach sicherstellen, dass kartellrechtlich alles korrekt abläuft“, sagt Heuchert, die eine klare Meinung zu den vermeintlich besseren Karrierechancen in Kanzleien hat: „Ich denke, dass die grundsätzlich nicht besser sind.“ Denn nur die wenigsten würden einmal Partner werden, zudem gelte vielfach die Regel „up or out“. Als Inhouse-Anwalt dagegen könne man leicht in andere Rechtsgebiete wechseln oder auch in ganz andere Unternehmensbereiche wie Einkauf, Vertrieb, External Affairs, die Personalabteilung. Außerdem führe man in Kanzleien andere Mitarbeiter nur fachlich, nicht disziplinarisch, sagt die Abteilungsleiterin.

Unbestritten, die Gehälter in den Kanzleien seien deutlich höher, weiß Ines Heuchert. Einige Großkanzleien zahlen Berufseinsteigern inzwischen bis zu 150 000 Euro im Jahr, manche sogar noch mehr. „Sehr viel arbeiten und dafür sehr viel verdienen, das kann man ein paar Jahre machen, aber jeder entscheidet selbst, ob das sein dauerhaftes Lebensmodell sein soll.“ Das der Kartellexpertin ist es jedenfalls nicht. Anrufe und Mails mit Arbeitsaufträgen am späten Abend, am Wochenende oder gar im Urlaub gebe es so gut wie nie. „Nein“, versichert sie, „Thomas Laubert ruft am Sonntagmittag definitiv nicht an.“ //