Vermittlung B2B

Der entscheidende Faktor

Früher lief in der Berater-Branche alles über alte Seilschaften und große Namen. Die Hamburger Consulting-Plattform White Label Advisory will das ändern. Ihr Konzept überzeugt immer mehr Klienten.




/ Allzu viel Enthusiasmus schlug Philipp Maier und Philipp Weber nicht entgegen, als sie vor rund drei Jahren die ersten Freunde und Kollegen in ihre Idee von einer Beratungsgesellschaft ohne Berater einweihten. „Nicht noch ein Tech-Start-up!“, hieß es warnend. „Da müsst ihr schon mindestens 5000 Beratungsfirmen auf eurer Plattform haben, sonst hat das keinen Sinn.“

„Die dachten alle, wir machen so eine Art Google für Beratungsfirmen“, erinnert sich Philipp Weber, Mit-Erfinder und Geschäftsführer der in Hamburg beheimateten Consultants-Plattform White Label Advisory (WLA). „Man bastelt einen Algorithmus – und am Ende purzelt hinten die passende Beratungsfirma raus.“ Gebracht hätte das wenig, erklärt Weber, denn „da landet man in den meisten Fällen fast automatisch bei einem der großen Beratungshäuser, bei Accenture, Capgemini oder McKinsey“. Deren Websites ergeben bei vielen Suchbegriffen nun mal mit großer Sicherheit die höchste Trefferquote. Irgendeiner aus ihrem vieltausendköpfigen Beraterheer wird sich schon um das Problem kümmern, für das jemand gerade dringend eine Lösung sucht.

Als die beiden begannen, über das Wagnis einer Unternehmensgründung nachzudenken, „rumzuhirnen“, wie Philipp Weber es nennt, war ihnen schnell klar, dass die Welt der Tech-Start-ups ganz gut ohne sie auskommen würde. Sie waren Berater, keine Tekkies. Philipp Maier, heute Co-Geschäftsführer von WLA, stand damals als Consultant in Diensten von Horváth & Partner, Weber bei Gingko Management Consulting; zuvor hatten sie etliche Jahre zusammen in einer Hamburger Beratungs-Boutique gearbeitet.

Maier befand sich gerade in Elternzeit, Weber für einige Monate in Portland im US-Bundesstaat Oregon – da war es gar nicht so einfach, Zeit für den Austausch über das gemeinsame Wagnis zu finden und die Idee zu entwickeln. Zum Telefonieren musste Weber mitunter morgens um vier Uhr Pacific Standard Time aufstehen oder Maier bis nachts um zwei Uhr wach bleiben.

In langen Nächten und an Wochenenden schälten der Betriebswirt Maier und der Jurist Weber das heutige Konzept einer Consultinggesellschaft heraus, die ohne Dutzende hoch dotierter Berater auskommt: Als Generalunternehmer bietet WLA seinen Klienten die gesuchte Expertise aus einem handverlesenen Pool hoch spezialisierter Dienstleister, die es am Markt schon gibt – unter ihnen Management-Beratungen, Wirtschaftsprüfer, IT- und Ingenieur-Dienstleister.

Ihren Firmennamen wählten die Gründer bewusst in Anlehnung an die Handelsmarken von Rewe, Edeka oder Kaufland. Da weiß der Kunde auch nicht, welcher Markenhersteller das unter „Beste Wahl“ oder „Gut und günstig“ firmierende Produkt hergestellt hat.


Betriebswirt, Berater bei Horváth & Partner, Gründer: Philipp Maier von White Label Advisory, WLA


„Auch heute werden noch manche Deals über Golfplatz- oder Barolo-Connections eingefädelt.“

85 Firmen stehen unter Vertrag

Die Raison d’Être des Geschäftsmodells ist ein Informationsproblem. In vielen Fällen, so die Überlegung, finden Unternehmen nicht die passgenauen Berater, weil sie von deren Existenz gar nichts wissen. Vor allem Mittelständlern ohne eigenen Beratungseinkauf fehle häufig der Überblick über die zerklüftete Beratungslandschaft mit ihren vielen Nischen, in denen sich spezialisierte Beratungs-Boutiquen tummeln, so die Gründer. Deshalb vertrauten sie am Ende auf immer die gleichen Einflüsterer, meist einen der großen Namen, die sämtliche Beratungsleistungen aus einer Hand anbieten. Philipp Maier nennt es das „Neunzigerjahre-Consulting“; tatsächlich würden manche Deals auch heute noch über Golfplatz- oder Barolo-Connections eingefädelt.

Eine Umfrage unter 155 Teilnehmern eines von WLA veranstalteten Webinars aus dem vergangenen Jahr ergab, dass 52 Prozent der befragten Fach- und Führungskräfte das größte Problem der Beratersuche darin sehen, dass Projektanfragen an etablierte Anbieter gehen, sprich an die großen, international bekannten Häuser. Die mittelständischen Beratungsgesellschaften kommen so gar nicht zum Zuge, ja nicht einmal in den Pitch. Natürlich sei es am Ende wichtig, welche Berater den Auftrag übernehmen, sagt Philipp Weber. „Aber wir versuchen, das Menschelnde am Anfang des Prozesses zu brechen – weil es in vielen Fällen die Auswahl der besten Beratung verhindert“, sagt er.


Jurist, Berater bei Gingko Management Consulting und der zweite Mann bei WLA: Philipp Weber

Anbieter in jeder Nische

Maier fasst die Existenzberechtigung von WLA selbstbewusst in einen Satz: „Es gibt niemanden, der einen so guten Überblick über die mittelständische Beratungslandschaft hat wie wir.“ Man kenne die Anbieter in jeder Nische, behauptet er: „Wir könnten mit diesem Wissen selbst Einkaufsabteilungen unterstützen, die auf den Beratungseinkauf spezialisiert sind.“

Mittlerweile hat WLA ein Portfolio mit 85 Beratungsfirmen unter Vertrag, die von Strategieberatung über Cybersicherheit bis hin zur kleinteiligen Logistik-Expertise alle wichtigen Themenfelder abdecken. Wenn es einmal ganz schnell gehen muss, erzählt Philipp Weber, „sind wir in der Lage, innerhalb von 24 Stunden die passenden Berater zu sourcen“.

Ganz so schnell musste es bei British American Tobacco (BAT) nicht gehen, als das Unternehmen vor knapp zwei Jahren auf der Suche nach einer Spezialberatung für anstehende IT-Projekte war. „Wir haben einen Pool von großen Beratern, mit denen wir seit Jahren zusammenarbeiten“, sagt Ralf Wittenberg, damals noch für das Deutschland-Geschäft des Tabak-Konzerns verantwortlich und vor einiger Zeit nach Kanada gewechselt. Bei Spezialaufgaben dagegen sei es oft sehr mühsam, die passenden Berater zu finden. „Da mangelt es an Markttransparenz“, sagt Wittenberg. Und so brachte er seine Beratungs-Einkäufer in Kontakt zu WLA – „und die haben sofort die Benefits gesehen, nicht zuletzt attraktive Preise“. Die ersten Projekte mit den von WLA vermittelten Beratern kommen gerade in Gang.

Was der BAT-Manager beschreibt, heißt im Werbedeutsch von WLA „Entdecker-Funktion“: Wer Beratung sucht und wissen will, wer am Markt zum Projekt passt, erhält Hilfe – schau, hier sind die relevanten Firmen. Hinzu kommt die „Challenger-Funktion“: Die große Beratungsgesellschaft, die schon seit Jahren mit Aufträgen versorgt wird, soll endlich mal herausgefordert werden – bitte schön, hier sind die Kandidaten.

Zu diesen Herausforderern zählt seit Kurzem auch Bluemont Consulting. Über WLA kam die in München ansässige Managementberatung an den lukrativen Auftrag eines renommierten Chemie-Unternehmens. „Zu dem Kunden hatten wir vorher keinerlei Kontakte, wir waren nicht auf seiner Liste“, berichtet Bluemont-Geschäftsführer Jürgen Lukas. „WLA ist für uns ganz klar eine Option, Kunden zu erschließen, die uns bislang nicht auf dem Schirm hatten.“

Bluemont Consulting wurde bereits mehrfach für seine Expertise prämiert – so wie die meisten der Dienstleister im WLA-Pool. Die Plattform tritt mit dem Versprechen an, dass sie die „besten Beraterinnen und Berater für Ihr Projekt“ unter Vertrag hat. „Uns geht es um Qualitätsführerschaft“, formuliert Maier den Anspruch. Pro Woche spricht er mit mindestens einem Dutzend Beratungen. „Ungefähr ein Drittel davon passt in unser Anforderungsprofil. Wir sourcen restriktiv.“ Freelancer – auch noch so renommierte – finden keinen Platz im Portfolio; die Vertragspartner müssen in der Lage sein, ein Team zusammenzustellen. Consultingfirmen dagegen, die beste Referenzen, schwergewichtige abgeschlossene Projekte, eine gute Performance auf der Arbeitgeberbewertungs-Plattform Kununu und Auszeichnungen wie „Beste Berater“ von brand eins /thema oder das von der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Management und Beratung vergebene Siegel „Hidden Champions of Consulting“ vorweisen können, kommen bevorzugt auf die WLA-Shortlist. Insgesamt bringen es die Consultants aus dem Dienstleister-Pool der Plattform auf mehr als 300 Awards.


Klein und effizient: White Label Advisory in Hamburgs Hafencity

Berater machen eine Offerte

Die beiden Gründer wollen die Anbahnung eines Geschäftes gerade an einem fiktiven Beispiel erklären, als auf dem Monitor im Besprechungsraum eine Nachricht aufploppt: Eine reale Anfrage ist eingegangen. Eine Saatgutfirma sucht Beratung in IT-Fragen, Projektlaufzeit sechs Monate, ein erfahrener Consultant mit mehr als fünf Jahren Beratungspraxis soll das Team leiten.

WLA veröffentlicht den Bedarf sofort intern unter den angeschlossenen Beratungsgesellschaften. Sie werden automatisch benachrichtigt und können sich jetzt für den Auftrag bewerben oder erst einmal den Klienten kontaktieren, um Details abzuklären. Im Schnitt geben drei bis vier Firmen eine Offerte ab.

So oder ähnlich sieht der erste Aufschlag immer aus: Ein Klient – um diesen Teil der Akquise kümmert sich bevorzugt Philipp Weber – meldet einen Beratungsbedarf an, versehen mit den nötigen Angaben: Inhalt des Auftrags, Dauer des Projektes, gewünschtes Hierarchie-Level der Berater. Während bei Strategiethemen in der Regel hoch bezahlte erfahrene Spezialisten mit langer Projekthistorie ranmüssen, reichen bei kleineren Projektumfängen auch Jungberater mit wenigen Jahren Berufserfahrung.

Der Klient schickt seine Anfrage an WLA, nicht an eine oder mehrere Beratungsgesellschaften, in dieser frühen Phase – aus Sicht des Kunden – noch namenlose Subdienstleister. Für den Klienten, so Philipp Weber, sei es zu diesem Zeitpunkt noch nicht wichtig, „welche Firmen sich hinter unserem Vorhang verbergen. Entscheidend für ihn ist, dass wir die benötigte Expertise unter unserem Dach haben.“

Sobald sich eine Beratung um ein Projekt bewirbt, fällt der Vorhang. Der Klient sieht den Klarnamen des Anbieters und erhält mit dem Angebot auch die Lebensläufe der Teammitglieder in einer von WLA standardisierten und damit vergleichbaren Form – mit beruflichen Stationen, persönlichen Stärken und relevanter Projekterfahrung. Der Klient erfährt zudem, worauf es noch ankommt, zum Beispiel „dass die Teams tatsächlich schon mal zusammen im Feuer gestanden haben“, aber eben nicht, ob ein Berater vielleicht vor 15 Jahren einmal als Jungspund in einem Projekt bei Daimler dem Teamleiter die Aktentasche hinterhergetragen hat.


Der Name erinnert bewusst an Handelsmarken, die nicht auf große Namen setzen, aber Qualität bieten.

Die Tickets werden größer

Die Beratungsfirmen dürfen übrigens, wenn sie einen Auftrag über WLA bekommen haben, beim nächsten Mal ohne die Plattform – und provisionsfrei – mit demselben Klienten ins Geschäft kommen. WLA verzichtet auf das sogenannte Umgehungsverbot – wohl in der nicht unberechtigten Hoffnung, dass ein Klient, dem man etwa eine IT-Beratung vermittelt hat, später erneut anklopft, beispielsweise wenn er das neue Hochregallager plant.

Langwierige Honorar- und Rabattverhandlungen sind bei WLA kein Thema. Die Klienten müssen weder böse Überraschungen beim Eintreffen der Rechnung befürchten noch können sie sich Hoffnung auf Wühltischangebote machen. Auch werden keine monatlichen Pauschalpakete geschnürt.

Die Preise sind standardisiert. Es gibt vier Preisstufen, Bronze, Silber, Gold und Platin, in die sich die Beratungen selbst einsortieren, sowie vier Hierarchiestufen, vom Assistant mit einem Jahr Joberfahrung bis zum Director. Zusammen ergibt das 16 mögliche Tagessätze, von 425 Euro für einen Assistant in der Kategorie Bronze, der den Job von seinem Büro in Deutschland aus erledigt, bis 2500 Euro für einen Director in der Kategorie Platin, der täglich beim Klienten anrückt. Ein Angebot in der günstigen Bronze-Kategorie kann am Ende trotzdem teurer sein als eine Silber- oder Gold-Offerte – zum Beispiel, wenn der betreffende Berater deutlich mehr Arbeitstage veranschlagt als die Mitbewerber. Die Rechnung stellt WLA. Für ihre Tätigkeit als Generalunternehmer behält die Plattform eine Marge von 15 Prozent ein.

Bewerben sich mehrere Beratungsgesellschaften, lädt WLA den Klienten – statt ihm eine Shortlist zu überreichen – zu einem etwa halbstündigen Beratungsgespräch ein, das Helikopterflug genannt wird. Es soll einen Überblick verschaffen: Wer ist preislich attraktiv? Wer hat das beste Renommee im Markt? Wer punktet mit einem besonders attraktiven Lösungsansatz? Am Ende muss der Klient die Entscheidung treffen.

Im Dezember 2019 ging WLA an den Start, damals mit fünf Vertragspartnern und knapp 200 Beraterinnen und Beratern. Schon ein halbes Jahr später war der Dienstleister-Pool auf 1000 Berater angewachsen. Heute bilden mehr als 3700 Consultants in 20 Ländern ein fast globales Netzwerk. Dank ihres schnellen Wachstums war die Plattform nie in der Situation, bei einer Anfrage passen zu müssen. „Das wäre das Schlimmste“, sagt Philipp Maier, „wenn ein Konzern mit Beratungsbedarf anklopft und wir sagen müssen: Wir haben leider keinen.“

Die Schallgrenze von einer Million Euro ausgeschriebenen Projektvolumens binnen eines Monats wurde im September vorigen Jahres erstmals durchbrochen. Philipp Maier ist zuversichtlich: „Die Tickets werden immer größer; es geht schon lange nicht mehr um eine eintägige Schulung, sondern beispielsweise um 195 Beratertage zum Tagessatz von 1800 Euro.“

Die Ehrfurcht vor den Dickschiffen der Branche ist inzwischen komplett verflogen. Und der Erfolg verwöhnt. Schließlich erleben die beiden Hamburger Unternehmer immer häufiger, „dass wir mit einer 35-Mann-Beratung gegen einen der ganz Großen pitchen – und gewinnen“. //

Kleine MannschaftAls die Berater-Plattform White Label Advisory gegründet wurde, stellten drei private Investoren aus der Hamburger Kaufmannschaft eine mittlere sechsstellige Summe als Start- kapital für den technischen Aufbau bereit. Die beiden Gründer Philipp Maier und Philipp Weber beschreiben ihr Unternehmen selbst als „Deutschlands größtes Generalunternehmen für Beratungsleistungen“. Außer ihnen waren Anfang 2022 drei Mitarbeiter an Bord, eine personelle Verstärkung ist geplant.