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Sina Schahram-Nia, Gründer und Geschäftsführer der Frankfurter Personalberatung Everest Principals.



/ Das Arbeits-Setting für Strategieberater war bisher überall gleich: vier Tage die Woche beim Klienten, ein Tag im Büro. Das waren auch die beiden Treiber dafür, dass so viele über kurz oder lang aus dem Beruf aussteigen wollten. Die hohe Arbeitsbelastung und die enorme Reisetätigkeit sind mit Familie oder Freundschaft eben nur schwer verträglich.

Mit Corona kam die große Work-Life-Balance-Euphorie – und wich im Pandemie-Alltag recht schnell der Work- Life-Balance-Ernüchterung: Die Arbeit hat sich noch stärker verdichtet, die Belastung ist größer als je zuvor. Klar, es war oft nervig zu fliegen und stundenlang im Zug oder im Taxi zu sitzen. Rückblickend waren diese Logistikzeiten aber doch gar nicht so schlecht: Es waren auch Pausen, man konnte zwischendurch mal entspannen. Inzwischen sind die Tage nicht selten getaktet von früh bis nachts. Freizeit? Können Sie vergessen.


Consulting ist ein Handwerk. Der Lehrling muss vom Meister lernen. Und wie macht er das? Er beobachtet, wie es funktioniert. Das geht remote einfach nicht gut.

Insbesondere für die Jüngeren ist das fatal, denn all das, was Strategieberatung eigentlich attraktiv macht, ist jetzt weg. Schöne Reisen, das luxuriöse Hotel, das gute Restaurant, die Zusammenarbeit mit unterschiedlichen Teams, die Interaktion mit den Klienten. Und vor allem die Möglichkeit, erfahrenen Beratern über die Schulter zu schauen. Man darf ja nicht vergessen: Consulting ist ein Handwerk. Der Lehrling muss vom Meister lernen. Und wie macht er das? Er beobachtet, wie es funktioniert. Das geht remote einfach nicht gut.

Früher sind die meisten Berater bis zum „Consulting- Abitur“ in der Firma geblieben, also bis sie Projektleiter wurden. Wahrscheinlich acht von zehn haben in der Vergangenheit so entschieden und sich erst nach einigen Jahren einen Job in der Industrie oder einem anderen Umfeld gesucht. Inzwischen hat sich die Relation ins Gegenteil verkehrt: Heute überlegen acht von zehn relativ schnell zu wechseln, ganz egal ob sie schon Projektleiter sind oder nicht.

Das hat enorme Konsequenzen für die Beratungsunternehmen. Deren Modell ist ja eine Pyramide, bei der sich sehr genau berechnen lässt, wie viele Leute jedes Jahr kommen und gehen müssen, damit die Organisation stabil bleibt. Jetzt entstehen auf einzelnen Stufen plötzlich viel mehr Lücken. Das Modell trägt nicht mehr automatisch – und das trifft die Branche im Kern. Das Industrie-Arbeitsmodell war über Jahrzehnte Standard, es wurde nie infrage gestellt. Jetzt ist das Business Model weg, ein tragfähiges neues ist noch nicht in Sicht. Die Frage, was kommt, könnte die Existenz der Beratungen bedrohen.

Denn ein Zurück in die Vergangenheit wird es nicht geben. Der Geist ist aus der Flasche, zu viele Berater haben Blut geleckt. Sie wollen vielleicht nicht rund um die Uhr remote arbeiten, ganz sicher aber auch nicht mehr nur 4 plus 1. Es wird irgendetwas dazwischen geben müssen, und von der Wahl des Modells wird abhängen, wer zu den Gewinnern und wer zu den Verlierern gehören wird. Consulting ist ein People Business, da braucht man fähige Leute – und die entscheiden, wo sie hingehen. Wer die neue Freiheit schätzen gelernt hat, will nicht mehr zurück. Der will aber auch nicht nur zu Hause vor seinem Rechner sitzen, sonst wäre es letztlich ja egal, für welche Firma er oder sie arbeitet. Jetzt wird es deshalb darum gehen, Dinge wahr werden zu lassen, die einen echten Unterschied machen, zum Beispiel eine nachhaltigere Work-Life-Balance.

In der Vergangenheit war das Geschäftsmodell der Beratungen überall ziemlich gleich, künftig wird es verschiedene Formen geben, hybride Mischungen aus alter und neuer Welt. Aber der Weg dorthin ist beschwerlich, schließlich geht es hier nicht nur um etwas mehr Flexibilität und um die Frage, ob man mehr im Büro oder zu Hause arbeitet. Hier geht es tatsächlich ums Ganze: Wer den Kulturwandel gut hinbekommt, wird große Wettbewerbsvorteile haben. Aber das gilt auch umgekehrt: Die falsche Antwort auf die Systemfrage kann den gesamten Laden sprengen. //