Göttliche Berater?

Gute Güte

Erschöpft vom Home Office und auf dem Sprung: Das Seelenheil ihrer Mitarbeiter bereitet Unternehmen zunehmend Sorgen. Also steuern sie gegen – mit Ritualen, Spiritualität und Achtsamkeit. Ihre Helfer: ein neuer Typus Berater.





Anfangsentspannung

Namaste. Kommen Sie in einen bequemen Sitz, und atmen Sie tief ein. Und aus. Und noch einmal tiiieeef ein. Und geräuschvoll wieder aus: haaaa…! Lassen Sie los, und geben Sie alle negative Energie des Tages an die Matte ab. Oder das Sofa. Oder eben den Chefinnensessel. Denn hier soll für ein paar Minuten Lesezeit die Frage erörtert werden, was Spirituelles, Religiöses und die kollektive Suche nach dem Sinn in Unternehmen zu suchen haben. Denn das scheint der neueste Trend in der Managementberatung zu sein.

Achtsam zu handeln, Stress zu mindern sowie den Purpose, also Sinn und Zweck im eigenen Tun (und dem der Firma) zu suchen, wird nicht mehr nur Führungskräften beigebracht oder abverlangt, sondern zunehmend auch ihren Belegschaften. Ging es dabei anfangs vor allem um die Gesundheit und Motivation der Angestellten, geht es heute auch darum, das Gemeinschaftsgefühl zu stärken – nun, da viele Mitarbeiter allein daheim vorm Rechner sitzen.

Da das Thema geeignet ist, den einen oder die andere unnötig aufzuregen, von wegen: Opium fürs Volk, soll es hier verhandelt werden als entspannende Yoga-Einheit. Darum wird in der Folge, wie in der Bewegungslehre aus Indien, diese und jene Körperregion, dieses und jenes Argument gewendet werden. Es wird pulstreibende und entspannende Sequenzen geben. Zwischendurch steht alles auch mal auf dem Kopf, damit der, vielleicht nach einer Schlussmeditation, klarer über die Sache nachdenken kann. Darauf dreimal Om.


Mit der Pandemie und der plötzlichen Vertreibung aus den Büros ins Home Office setzte 2020 auch ein Verfall der Sitten ein.

Atemübungen

Bevor es zu den Gedanken des Zen-Meisters Polenski im Allgäu geht, der meditierenden Managementberaterin von Hehn und des Purpose-Coaches Kuhrcke in Berlin sowie der Hirnforscherin Hölzel in München, wird erst mal gelüftet: Bei den Pranayama atmet man im Yoga auf ungewohnte Arten ein und aus, in der Absicht, neue Energie zu schöpfen. Im Beraterkosmos weht ein frischer Wind – natürlich aus Amerika.

Mit der Corona-Pandemie und der plötzlichen Vertreibung aus den Büros ins Home Office setzte 2020 auch ein Verfall der Sitten ein (Jogginghose), zudem fielen bisher unterschätzte Gewohnheiten schlagartig weg (Klatsch am Kaffeeautomaten). Und, schlimmer noch: Abertausende Arbeitsverhältnisse waren über Nacht in Gefahr oder wurden gleich gekündigt, vor allem in schlecht bezahlten Dienstleistungsberufen.

Ein Jahr später, 2021, ungefähr zwischen Pandemiewelle drei und vier, gaben binnen nur fünf Monaten fast 20 Millionen Amerikaner ihrerseits die Jobs dran, weil sie die als zu belastend, sinnentleert oder schlecht entlohnt empfanden. Im August traf die Welle zum Beispiel Hotels, Gaststätten und die Gesundheitsbranche, aber auch professionelle Dienstleister wie Beratungsfirmen.

Die enorme Zahl sandte eine Botschaft an Arbeitgeber und Wirtschaft: Die Zeiten, in denen Menschen bereit sind, irgendeiner Beschäftigung nachzugehen, Hauptsache, sie sichert die Existenz, sind endgültig vorbei. Und das über alle Schichten hinweg.

Von den noch Beschäftigten forderte die Telearbeit angestrengte Konzentration durch ermüdende Videokonferenzen, die mit der Zoom-Fatigue gleich ihr eigenes Erschöpfungssyndrom hervorbrachten. All das geschah in Abwesenheit von Ansporn und Kontrolle durch Kollegen und Konkurrenten, dafür mit Homeschooling für die Kinder und unter Ausschüttung des Stresshormons Cortisol, das durch Angst um Existenz und Gesundheit erzeugt wird.

Der Wille, diesen Entwicklungen zu begegnen, hat laut der New York Times in den USA einen ganz neuen Beratertypus hervorgebracht. Aus theologischen Fakultäten und Personal-beratungsagenturen heraus sowie über Start-ups ist eine Art Consultant-Klerus entstanden, der sich um das Heil versprengter, abhängig beschäftigter Seelen kümmert. Gerufen von Unternehmen, schwärmte er, zunächst per Video, zur Mission in die Heimbüros aus, um Wahrnehmung und Wertschätzung zu überbringen – oder zumindest Anleitungen dafür, wie man wieder zu selbigen käme, trotz Entfernung und Entfremdung. Seit es (wieder) möglich ist, gehen die Berater auch direkt an die Arbeitsstätten, um dort auf die – wie die Gründer solcher Firmen es umschreiben – „spirituellen Bedürfnisse“ ihrer Klienten durch „seelsorgerische Arbeit“ einzugehen.

Die Coaches, oft konfessionell geprägt, aber nicht festgelegt, haben es sich zur Aufgabe gemacht, die ferngesteuerte Arbeit und die durch Lockdowns entgleisten Tagesabläufe wieder auf Spur zu bringen – mit neuen Ritualen, Botschaften und Ansprachen. Die werden gemeinsam mit den zu betreuenden Teams entwickelt. Oft sind es viele kleine Maßnahmen wie die, sich zu Beginn des ersten Video-Meetings am Tag eine gemeinsame Minute der Stille zu gönnen. Das muss man mögen.

Die teils theologisch gebildeten und immer spirituell geschulten Berater sollen Sinn stiften, wo er scheinbar oder tatsächlich flöten gegangen ist. Sie sollen die Bindung zu Arbeitgebern wie Kollegen aufrechterhalten helfen und damit, sicher nicht zuletzt, die Produktivität.

Was Fragen aufwirft: Dürfen quasi-religiöse Riten, Bedürfnisse nach Spiritualität und seelische Nöte abhängig Beschäftigter Gegenstand von Firmenmeetings, beruflichen Coachings und der Personalpolitik sein? Was hat das Metaphysische auf der Arbeit verloren?

Die neuen Seelsorger, die teils pro bono arbeiten, aber meistens für Geld, tragen Titel, die in deutschen Ohren eher befremdlich klingen: Ritual-Berater, Geistlichkeitsdesignerin oder „seelenorientierte Ratgeber“. Ihre Agenturen haben Namen, die wie TV-Mystery-Serien klingen: Ritualist, Ritual Design Lab oder Sacred Design Lab.

Die Gründer letzterer Agentur treibt laut ihrer Homepage Folgendes an: „Wir stellen uns eine Welt vor, in der jeder Mensch mit seiner ihm innewohnenden Güte verbunden ist. Anerkannt und geliebt in einem fürsorglichen Umfeld, vermag er es, seine Fähigkeiten großzügig allem Schönen, der Gerechtigkeit und Ganzheitlichkeit zu widmen.“

Was in europäischen Ohren nach missionarischem Eifer klingt, wird in Amerika als Dienstleistung anscheinend nachgefragt – nach Angaben des Labors von Unternehmen wie Pinterest, der Obama Foundation oder IDEO, dem kalifornischen Miterfinder der weltweit erfolgreich verbreiteten Projektarbeit-Methode Design Thinking.

26%der deutschen Arbeitnehmer sagen, ihr Wohlbefinden habe sich seit Start der Corona-Krise verschlechtert. (Bertelsmann-Stiftung 2021)

41%der deutschen Arbeitnehmer im Home Office sagen, der Kontakt zu anderen Abteilungen habe in der Pandemie gelitten. (Bertelsmann-Stiftung 2021)

30,3%mehr aktive Kündigungen gab es in 2021 in den USA – insgesamt 47,4 Millionen. (U.S. Bureau of Labor Statistics)

Aufwärmen mit dem Sonnengruß

Spricht man mit deutschen Teilnehmern des so großen wie unübersichtlichen Marktes für Purpose-Beratung und Achtsamkeitsstrategien über die Blüten, die Amerikas Szene treibt, reichen die Reaktionen von nervösem Lachen über ein Sich-Verwahren gegen jedwede Möglichkeit, mit Glaubensfragen in Verbindung gebracht zu werden, bis zu gelassenem Amüsement.

„Erst hieß es Vision, dann Leadership, jetzt Purpose“, sagt Zen-Meister Hinnerk Polenski lakonisch und leidenschaftlicher: „Wie immer man es nennt, wer hierherkommt, strebt danach, frei von Leid zu leben.“ Das aber bitte ohne Esoterik, erst recht, „seit sie sich mehr und mehr von rechts kapern lässt“.

Polenski, einst selbst Unternehmensberater, nimmt sich in seinem Kloster im Allgäu bei einem Tee Zeit, um am Telefon die anhaltende Anziehungskraft des Zen-Buddhismus auf Managerinnen und Vorstände zu erklären. Die Sonne grüßt, ein Workshop-Wochenende mit einer Handvoll „Schülern“ aus der deutschen Start-up-Szene liegt hinter ihm, die Einweihung einer neuen, zur Abwechslung mal weiblichen Buddha-Statue hat er vor sich. Gäste aus Fernost sind extra angereist.

„Sinn heißt eigentlich, eine tiefe Erfüllung in sich selbst zu finden“, erklärt Polenski, der dabei nicht pastoral, sondern eher nach Kiel klingt, wo er herstammt.

Der 62-Jährige hat sich in seinen 25 Jahren als Zen-Lehrer für Führungskräfte nicht nur einmal die Frage gestellt, ob Unternehmen seine Angebote vor allem wahrnehmen, um ihre Effizienz hoch und die Krankenstände niedrig zu halten. Doch selbst wenn: „Ich kämpfe für Menschen.“ Wenn es hinterher jemandem besser gehe und sein Umfeld davon profitiere, dann sei das okay.

Zen ist seit seinem Aufkommen im frühen Mittelalter in Indien und China eine Praxis von Eliten für Eliten gewesen. Denn man brauchte Zeit, Macht und Vermögen, um sich der Philosophie hinzugeben. Die japanischen Samurai praktizierten es später aus vergleichbaren Beweggründen wie Führungskräfte heute: Körper und Geist in Einklang bringen, sich ihres Tuns, dessen Folgen und ihrer selbst bewusst werden, etwa durch Meditation. Ruhe, Klarheit, Zufriedenheit finden, darum geht es. Menschen, die sich auf diesen Weg machten, sagt Polenski, „kommen von selbst. Alles andere funktioniert auch nicht. Der Wunsch, etwas zu verändern, ist Voraussetzung.“

Was die Start-up-Generation von den Vorständen von vor 20 Jahren seiner Beobachtung nach unterscheidet: Sie sei unprätentiöser, lässiger, dafür in Sachen Selbsterkenntnis vorgebildet und darum anspruchsvoller auf ihrer Suche nach Sinnerfüllung. Manche kämen immer wieder. Denn der Druck, der auf der Gründergeneration lastet, sei nicht kleiner geworden, „wenn man bedenkt“, sagt Polenski, „dass im Schnitt acht von zehn Start-ups keinen Erfolg haben“. Der Zen-Meister selbst kümmert sich im Allgäu um die Fortgeschrittenen in Master-classes, die schon mal bis zu 3000 Euro für ein langes Wochenende kosten können.

Ein Teil der Klientel findet jedoch erst ins Kloster in Buchenberg, wenn der Druck im eigenen Leben höllisch geworden ist. Typische Daseinsform: Mann um die 40, selbstständig oder Vertriebsleiter, Vater kleiner Kinder, hohe Hypothek fürs Eigenheim, die Corona-Sorgen on top. So einer sucht Entlastung statt Erleuchtung.

„Bompu“ bieten sie in solchen Fällen an, um Menschen herauszuhelfen aus „den Verstrickungen und der empfundenen Enge“ (Polenski). Das sei eine rein funktionale Zen-Praxis ohne spirituelle Elemente – kraftvolles Training, Körperwahrnehmung, Meditation. Nicht nur die Schwelle zum Einsteigen, auch der Preis liegt deutlich niedriger: ab 400 Euro für sieben Tage.


„Sinn heißt eigentlich, eine tiefe Erfüllung in sich selbst zu finden.“

Dynamischer Teil – die Körperstellungen

Mit Svea von Hehn, der Mitgründerin der Managementberatung Return on Meaning, und Tim Kuhrcke, dem Deutschland-Direktor von Brighthouse, geht es in das kraftvolle Wechselspiel von Bewegung und Gegenbewegung. Beide versuchen von Berlin aus, in Unternehmen, Behörden, Körperschaften und Organisationen den dort erwünschten Kulturwandel auszulösen, zu organisieren und zu begleiten.

Brighthouse ist eine amerikanische Tochter des Beratungsriesen Boston Consulting Group (BCG), seit vier Jahren mit Standbein in Deutschland. Schwerpunkt: Purpose. Return on Meaning legt den Fokus auf Achtsamkeit und den sogenannten Kulturwandel ihrer Auftraggeber. Das „Meaning“ im Firmennamen spielt darauf an: Statt des Return on Investment versprechen sie Rendite, sobald Teams sinnerfüllt und „menschenfreundlich“ zu agieren vermögen, nach innen wie außen. „Ich nenne es noch lieber: gehirnfreundlich“, sagt Svea von Hehn, eine promovierte Psychologin, die als junge Frau ein paar Jahre McKinsey-Beraterin war. Wo Klarheit und Verbundenheit zu Achtsamkeit führten, sagt sie, arbeite das Gehirn automatisch besser. Ein höheres Konzentrationsvermögen sei eine Folge. Von Hehn kann das aus den Studien ablesen, über die sie ihre Arbeit in Zusammenarbeit mit Universitäten evaluiert.

Sowohl Kuhrcke als auch von Hehn versichern, sie hielten nichts von spirituellen Praktiken oder Anleihen aus dem Religiösen in ihrer Arbeit. „Wir wollen Purpose ja gerade aus der Esoterik-Ecke herausholen“, sagt Kuhrcke. Und von Hehn: „Was wir vermitteln, muss streng wissenschaftlich basiert sein, sonst machen wir es nicht.“ Aber wie stellen sie es dann an, dass beim Kunden ein ganz neuer Geist einzieht?

Kuhrcke antwortet: „Wir helfen großen Organisationen dabei, ihren neuen Nordstern zu finden.“ Sei der Purpose erst mal neu definiert, solle er „herausfordernd und unbequem sein, mit einer inhärenten Spannung. Das Schlimmste wäre, wenn alle zustimmend nicken.“ Schließlich müsse dieser neu formulierte Sinn einen Wandel in großen Unternehmen oder einem ganzen Konzern auslösen und die Mitarbeiter durch einen langen Prozess tragen, oft über Jahre hinweg. Deshalb kämen sie in ihrer Arbeit zwangsläufig irgendwann an den Punkt, „wo es von science to art geht“, vom Faktischen ins Kreative. Mit Zahlen, Daten und Appellen an die Vernunft kommt man da nicht weiter. Man versucht in den Workshops, die folgen, alle Sinne anzusprechen und auch das Unterbewusste.

Zu Svea von Hehns Kunden gehören Tech-Konzerne, Firmen aus der Automobilbranche, große Mischkonzerne, Pharma-Unternehmen und viele Start-ups. Sie erzählt, sie habe manchmal das Gefühl, Unternehmen zu therapieren – nicht etwa weil die krank oder kaputt sind, sondern weil die Trainings heilend wirken können, indem dadurch das Reflexionsvermögen und die emotionale Intelligenz wachsen. Dafür bietet sie auch Meditation an.

Nordstern suchen, ohne Leid leben, meditieren lernen: Das klingt schon ziemlich nach einem Streben nach Seelenheil. Tim Kuhrcke nennt es lieber „die Frage nach Resonanz: Welche Rolle spiele ich? Was bewirke ich mit dem, was ich tue? Und will ich das?“

Für welche Konzerne Brighthouse nach den Sternen greift, sagt er nicht. Im BCG-Kosmos hält man Kunden geheim. Er erwähnt aber, dass manche ihrer Organisationen, sprich Konzerne, bis zu 200 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hätten, die zum Teil seit mehr als 20 Jahren in Transformationsprozessen steckten. Das heißt, sie sind erschöpft vom vielen Change im Management, etwa in der Autoindustrie oder dem Maschinenbau. „Dabei“, sagt der Brighthouse-Manager, „geht’s jetzt erst richtig los: Klimawandel, Digitalisierung, neue Konkurrenz.“

DIN-Spaltmaß trifft auf Tesla und Fridays for Future. Die externen Sinnsucher versuchen in solchen Fällen, eine neue Unbroken Chain of Why zu schmieden, eine lückenlose Kette der Warum-Fragen. Das Purpose-Schema, das aus dem agilen Arbeiten kommt, sieht so aus:

1. Kettenglied: Zweck

Frage: Warum existieren wir als Unternehmen?
Antwort: Weil wir diesen und jenen Wert auf jene Art und Weise schaffen wollen.

2. Kettenglied: Ergebnisse
Warum wollen wir bestimmte Ergebnisse erzielen?
Weil das Erreichen dieser Ergebnisse es uns ermöglicht, unseren Zweck zu erfüllen.

3. Kettenglied: Arbeit

Warum machen wir die Arbeit, die wir machen?
Weil diese Arbeit direkt zu den gewünschten Ergebnissen führt.

Vielleicht funktioniert das. Ganz sicher lässt es sich prima herunterbeten, ein Rosenkranz des modernen Kapitalismus.

Kopfstand

Eine Umkehrstellung gehört in fast jede Hatha-Yoga-Einheit, der Kopfstand ist die herausforderndste. Er trainiert das Gleichgewicht, bringt den Kreislauf in Schwung und soll angeblich die Gehirnaktivität anregen. Die Yogalehrerin Britta Hölzel beherrscht ihn, aber sie kann noch viel mehr, nämlich in Köpfe hineinschauen.

Hölzel betreibt in München das Institut für Achtsamkeit und Meditation und schult seit vielen Jahren Mitarbeiter von Unternehmen. Die Psychologin und promovierte Neurowissenschaftlerin erforscht außerdem am Klinikum rechts der Isar, was dabei im Gehirn passiert. Die Magnetresonanztomografie, sagt sie, zeige dort nach mehreren Wochen Achtsamkeitsmeditation Veränderungen. Der Hippocampus, jene Hirnregion, die unter anderem für Lern- und Gedächtnisprozesse zuständig ist, zeigt dann eine erhöhte Dichte der grauen Masse. Der vordere cinguläre Kortex, der unter anderem für die Aufmerksamkeit und Konzentrationsfähigkeit zuständig ist, weist eine verstärkte Aktivität auf.

Das sind gute Nachrichten. Denn dass das Gegenteil – negativer Stress und dauerndes Multitasking – dem Gehirn an dieser Stelle schadet, ist schon länger bekannt. Auch worauf man das Augenmerk beim Meditieren richtet, wirkt sich zielgenau aus: Nutzt man Methoden, um die Loving Kindness, die Empathie, zu steigern und so das Sozialverhalten zu beeinflussen, zeigt im Gehirn die dafür zuständige Insula deutlich mehr Aktivität. Das ist für den erwünschten Perspektivwechsel in der Mitarbeiterführung oder bei der Purpose-Suche hilfreich. Aber, stellt Hölzel klar: „Mit Spiritualität oder Glauben hat das nichts zu tun.“

Niemand möchte in den Verdacht geraten, Gehirnwäsche zu betreiben.

Drehbewegungen

Bei Dehnübungen wie dem Drehsitz wird die Wirbelsäule sanft, aber intensiv um ihre eigene Achse geschraubt. Das Rückgrat und die Resilienz stärken sollen auch Workshops zur Stressreduktion. Britta Hölzel kann nicht nur beobachten, sondern auch messen, dass ihre Klienten solche Kurse positiv verändert verlassen. „Aber sie kommen viel zu häufig wieder genau in die alten Situationen zurück, die den ungesunden Stress ausgelöst haben. Leider.“ Es nützt also wenig, den Mitarbeitern schöne Seminare zu sponsern, wenn die Strukturen schlecht bleiben.

Schlussentspannung

Besteht bei diesen ganzen Methoden nicht ohnehin die Gefahr, dass man dem Einzelnen abverlangt, sich immerfort zu optimieren, auf dass er sich störungsfrei in die Gesellschaft einfügt?

Svea von Hehn sagt, sie verstehe die Befürchtung, sehe es aber anders: Die Bemühungen, den Einzelnen zu unterstützen, sich im Unternehmenskontext in Achtsamkeit zu üben, befreie die Unternehmen und die Gesellschaft nicht davon, Faktoren, die zu Entgrenzung und Belastung führen, anzugehen. Achtsamkeit nimmt sie als eine zeitgemäße „Erweiterung des Führungs- und Gesundheitsmanagements“ wahr. Wenn das messbare Faktoren wie den Krankenstand, die Zufriedenheit und Verweildauer in Unternehmen günstig beeinflusst (was es tut), umso besser.

Mitarbeiter und Managerinnen, die lernen, Nein zu sagen, wenn sie überlastet sind, oder fortan den Mut fassen, konstruktiv Vorschläge oder wertschätzend Kritik zu äußern, verändern immer auch das große Ganze, erlebt sie: „Dann bohrt die Firma eben kein Loch mitten in einem Naturschutzgebiet, obwohl sie das eben noch vorhatte.“ Was nie funktioniere, sei, „einen Purpose dort zu entwickeln, wo keiner da ist. Wir machen kein Marketing.“

Vielleicht ist das der entscheidende Unterschied, den es zu machen gilt, sowohl aus Sicht der Berater als auch aus Sicht derer, die beraten werden: Das Ziel kann sein, (wieder) an das zu glauben, was man macht, aber nicht an das, was man glauben soll. Eine sinnlose Aufgabe, ein falsches Ziel, eine schwache Struktur lassen sich nicht wegritualisieren.

Zeit, sich zu entspannen nach all der Anstrengung: Legen Sie sich auf den Rücken, und strecken Sie sich der Länge nach aus, die Arme neben dem Körper, vielleicht unter einer Decke. Der Kiefer ist entspannt, die Stirn glatt. Überlassen Sie sich ganz Ihrer Atmung. Sie müssen an nichts denken, um jetzt loszulassen. Die Position heißt im Übrigen Shavasana, die Totenhaltung. Nichtstun ist absolute Pflicht. Namaste. //

Geschäftssinn62 Prozent der Arbeitnehmer glauben, dass es der Firma um die Steigerung der Produktivität geht, wenn sie sich um ihre mentale Gesundheit kümmert – und nur 45 Prozent, dass es ihr um die Menschen als Ganzes geht. Das ist das Ergebnis einer Studie aus dem Herbst 2021, erstellt für Modern Health, ein US-Start-up für mentale Gesundheit, das Firmen mit Coachings, Meditationen und Kursen hilft. 2021 wurde es mit mehr als einer Milliarde Dollar bewertet, zu den Investoren zählt Carsten Maschmeyer.

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