Ahorn Gruppe / Sterbereport 2022

Sarg oder Urne? Neuerdings kann man auch einen Kokon wählen. Start-ups wie Recompose oder Meine Erde wollen mit einer neuen Form der Beisetzung das Bestattungswesen modernisieren – und ökologischer machen. 





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Als Edward Abbey tot war, steckten die Männer ihn mit einem Haufen Trockeneis in seinen blauen Schlafsack und legten ihn auf die Ladefläche ihres Chevy-Pick-ups. Dann fuhren sie in die Wüste von Arizona und vergruben ihn, nachdem sie einen ganzen Tag lang nach einem geeigneten Ort gesucht hatten. 

Was klingt wie ein Verbrechen, war in Wirklichkeit der letzte Wille des Verstorbenen: Edward Paul Abbey, genannt „Cactus Ed“, war sein Leben lang Outdoor-Fan und Umweltaktivist. Er hatte zeitweise als Nationalpark-Ranger gearbeitet und nie eingesehen, eines Tages auf dieselbe Art beerdigt zu werden wie ein Stadtmensch, der eine Bullennatter nicht von einer Klapperschlange unterscheiden kann. Sein Auftrag an seine Freunde lautete deshalb: keine Einbalsamierung, kein Sarg, kein Friedhof. Sondern bitte Schlafsack, ein Platz in der Natur und viel Bier bei seinem Begräbnis. „Mein Körper soll Dünger für einen Kaktus oder einen Salbeibusch werden“, so verfügte es der Naturliebhaber, der Zeit seines Lebens auch zahlreiche Romane und Sachbücher über das Leben in der Wildnis geschrieben hatte. 

Wer in Deutschland plant, so bestattet zu werden wie Edward Abbey und seine letzte Ruhe irgendwo in der Natur finden möchte, hat es deutlich schwerer. Zwei Regelungen stehen hierzulande einem Begräbnis im eigenen Schlafsack inmitten der Lieblingslandschaft im Weg: der Beisetzungszwang und der Friedhofszwang. Letzterer gilt in allen Bundesländern außer Bremen, dort wurde er gelockert. Wer gestorben ist, heißt das, muss nach bestimmten Vorschriften beigesetzt werden – und zwar, außer bei Seebestattungen, an einem Ort, der als Friedhof ausgewiesen ist. 

Doch es kommt Bewegung in die Branche. Denn immer mehr Menschen wünschen sich eine letzte Ruhestätte, die im Einklang mit der Natur steht. Bestattungen in Waldgebieten, die für Urnenbeisetzungen freigegeben wurden, boomen. Marktführer sind hier die Firmen FriedWald und RuheForst. Auch über den ökologischen Fußabdruck ihrer letzten Reise machen sich zunehmend mehr Menschen Gedanken. Wer eine möglichst „grüne“ Bestattung möchte, hat wohl bald eine neue Möglichkeit – die kontrollierte Kompostierung ohne Sarg. Sie verwandelt einen Leichnam binnen weniger Wochen in Erde. 

Erfunden hat die Methode das US-Unternehmen Recompose, das im Bundesstaat Washington sitzt und dort eine kontrollierte Renaturierung von Leichnamen seit 2020 anbietet. Die Gründerin Katrina Spade begann nach eigenen Angaben vor rund zehn Jahren, nach Alternativen zu den gängigen Bestattungsformen zu suchen, weil sie ihr nicht nachhaltig genug erschienen: eine Verbrennung verbraucht viel Energie und verursacht Emissionen, eine Sargbestattung wiederum benötigt jahrzehntelang Platz, der gerade in den Städten rar ist. Mit der „Rekompostierung“ bietet ihre Firma nun einen Weg, eins mit der Natur zu werden, ohne ihr zu schaden. Das Angebot kommt gut an: Immer mehr US-Bundesstaaten erlauben die Methode und Hunderte Menschen haben sich bereits zu Lebzeiten ihre spätere Kompostierung gesichert, indem sie Geld dafür auf ein Treuhandkonto einzahlten.

In Deutschland bietet das Berliner Unternehmen Circulum Vitae unter dem Namen Meine Erde ebenfalls eine solche Bestattung an. Reerdigung nennen die Gründer Pablo Metz und Max Huesch das und bezeichnen es auf ihrer Website als „Die schönste Art zu bleiben“. „Viele Menschen, mit denen wir über den Tod gesprochen haben, machen sich Gedanken darüber, was von ihnen bleibt – nicht nur im übertragenen Sinne“, sagt Metz, der zuvor schon andere Start-ups gegründet hat. „Bin ich eigentlich weg, wenn ich sterbe? Wir wollen mit der Reerdigung eine Alternative anbieten, die – obwohl es ein trauriger Moment für die Hinterbliebenen ist – Optimismus verbreiten kann: Zwar ist ein Mensch gestorben, aber das Leben endet nicht. Indem er zu Erde wird, bleibt er dem Kreislauf der Natur erhalten.“

Letzteres gilt zwar streng genommen auch für die Erd- und Feuerbestattung – nur geht es da langsamer (Erdbestattung) beziehungsweise ist nicht ganz so augenfällig (Feuerbestattung).

Die erste deutsche „Reerdigung“ fand im Februar 2022 im schleswig-holsteinischen Mölln statt. „Wir haben mit der Evangelischen Nordkirche zusammengearbeitet, wo man erst skeptisch war, dann aber schnell merkte, dass das etwas ist, nach dem die Menschen suchen“, sagt Metz. Als die Kirche grünes Licht gegeben hatte, baten die Gründer einen Partnerbestatter vor Ort, Angehörige zu fragen, ob sie sich eine „Reerdigung“ als Bestattungsform für ihr verstorbenes Familienmitglied vorstellen könnten. „Nach einer Stunde kam der Rückruf des Bestatters: Er hatte jemanden gefunden.“ 

Um die deutschen Gesetze zu erfüllen, wird der bei der Kompostierung entstehende Humus nach den Regeln einer Erdbestattung auf einem Friedhof beigesetzt. Sie im eigenen Vorgarten oder einem Naturschutzgebiet auszubringen, wäre nicht erlaubt. In Mölln wurde auf Wunsch der Angehörigen ein Rosenbusch in die so entstandene Erde gepflanzt. 

Rund eine Million Bestattungen finden jedes Jahr in Deutschland statt. Die Feuerbestattung war dabei lange Zeit verpönt, den Katholiken bis 1963 sogar verboten. Doch seitdem wird die Kremierung, die meist preiswerter ist und mehr Zeit zwischen Tod und Beisetzung erlaubt, immer stärker nachgefragt – und macht nun das Gros aus: Bundesweit lag der Anteil der Urnenbestattungen im Jahr 2020 bei 76 Prozent, in Ostdeutschland und in Großstädten ist er sogar noch höher. 

Welche Bestattungsmethode die ökologischere sein mag, ist umstritten: Schadstoffe in der Asche seien schlecht für den Boden, sagen die einen. Urnen seien energieeffizienter im Transport als Särge, entgegnen die anderen. Auch bei einer Verbrennung ist ein Sarg erforderlich, halten wiederum die Befürworter der Erdbestattung dagegen. Auf beiden Seiten finden sich aber immer mehr Angebote, die die Ressourcen schon sollen: Sie reichen von Krematorien, die mit Ökostrom betrieben werden und die Abwärme nutzen, über Särge mit dem FSC-Holzsiegel bis hin zu Grabsteinen aus garantiert einheimischem Material. 

Mit der „Grünen Linie“ gibt es inzwischen auch ein Netzwerk von zertifizierten Unternehmen der Branche, die besonderen Wert auf den Umweltschutz legen. Die niederländische Firma Loop bietet sogar zertifizierte Särge aus Pilzgeflecht an, die eine schnellere und natürlichere Verwesung ermöglichen sollen als die Behältnisse aus Holz. Das sogenannte Myzel besteht aus fadenförmigen Zellen, die ein verzweigtes Geflecht bilden, das in Sargform gezüchtet und dann zum Aushärten getrocknet wird. Es erwacht gewissermaßen wieder zum Leben, wenn es unter der Erde mit Feuchtigkeit in Kontakt kommt, und verwandelt Sarg und Inhalt nach und nach in Nährstoffe für die oberhalb wachsenden Pflanzen.

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Max Huesch (links) und Pablo Metz von Meine Erde haben die Methode, Leichname kontrolliert zu kompostieren, in Deutschland etabliert.

In den Jahren vor der ersten „Reerdigung“ hatten Metz und Huesch nicht nur lange mit Friedhofsverwaltungen, Seelsorgerinnen und Seelsorgern sowie dem Gesundheitsministerium Schleswig-Holsteins gesprochen – sie hatten vor allem intensiv über Verwesung und Zellverfall recherchiert. Dann entwickelten sie den „Kokon“, der im Unterschied zum Sarg mehrfach benutzbar ist. Dass es in diesem Behältnis nicht wie bei einer herkömmlichen Erdbestattung Jahre oder gar Jahrzehnte dauert, bis ein Leichnam zu Erde geworden ist, liegt
an einer Kombination aus Wärme, Luftzufuhr und Feuchtigkeit. „Die Mikroorganismen, die das Gewebe zersetzen, brauchen die richtigen Bedingungen“, sagt Metz. „Wir betten den Körper auf eine Mischung aus Grünschnitt, Stroh, Blumen und schließen dann den Kokon.“ Er heize sich durch den Zersetzungsprozess von selbst auf, zuerst auf rund 50, nach einer Weile auf 70 Grad. „Es handelt sich dabei um einen mit Sauerstoff getriebenen Prozess, bei dem keine Klimagase wie Methan oder Ähnliches frei werden“, sagt Metz, der bei der Entwicklung der Methode auch von der technischen Expertise seines Mitgründers Max
Huesch profitieren konnte, einem ausgebildeten Maschinenbauer und Wirtschaftsingenieur. 

Nach rund 40 Tagen sei die Zersetzung abgeschlossen. Vielleicht sei das kein Zufall, sagt Metz: „Die 40 Tage sind ja nicht nur ein Zeitraum, der in der Bibel und bei anderen Weltreligionen immer wieder auftaucht. Auch in der Psychologie gelten die ersten 40 Tage oft als die erste, intensivste Trauerphase.“ Vereinzelte Knochenreste, wie sie auch bei der Kremierung übrig bleiben können, werden zermahlen. Die Erde ist frei von Keimen und Krankheitserregern, die durch die hohen Temperaturen, die bei der Kompostierung entstehen, absterben. Sie kann deshalb auch ohne besondere Schutzvorkehrungen transportiert werden. 

Für ihre erste Reerdigung wollten sich die Gründer trotzdem nicht allein auf Fachliteratur, Verwesungsstudien und eigene Berechnungen verlassen. „Uns ist die Verantwortung bewusst, die damit einhergeht, dass Hinterbliebene uns den Leichnam eines geliebten Menschen überlassen“, so Metz. „Wir mussten sicher sein, dass es funktioniert. Deshalb haben wir die Methode vorab an Schweinekadavern erprobt, die in ihrer Körperlichkeit einem menschlichen Leichnam einigermaßen nahekommen.“ 

Metz sieht Meine Erde nicht in Konkurrenz zu den etablierten Bestattungsunternehmen. Die sollen weiterhin die Schnittstelle zwischen Angehörigen, Ämtern und Friedhofsverwaltung darstellen. Meine Erde – oder andere Firmen, die in die Kompostierung menschlicher Überreste einsteigen – könnten eher an die Stelle der Krematorien treten, wenn sich die Methode durchsetzen sollte. Theoretisch, sagt Metz, wäre es auch denkbar, dass Krematorien, von denen es rund 160 in Deutschland gibt, die Technik von Meine Erde lizenzieren und Kompostierung wie Verbrennung parallel anbieten.

Die amerikanische Firma Recompose gibt auf ihrer Website an, dass die Kompostierung eines Leichnams zwischen 840 und 1400 Kilogramm Kohlenstoffdioxid (CO2) einspare – verglichen mit einer Feuer- oder konventionellen Erdbestattung. Ein sehr hoher Wert, der vermutlich auch anteilige Faktoren wie die Herstellung des Ofens oder die Erschließung des für die Verbrennung benötigten Erdgases mit einbezieht. Denn für den reinen Vorgang der Verbrennung in einem effizienten Ofen geht etwa Dominikus Bücker, Leiter des Instituts
für nachhaltige Energieversorgung an der TU Rosenheim und Begleiter eines Energiesparprojektes bei Krematorien, von eher zehn bis 15 Kilogramm CO2 aus. Das entspräche ungefähr einer einstündigen Autofahrt.

Meine Erde will sich nicht auf einen Betrag beim Kohlendioxid festlegen, den jede Reerdigung einsparen könnte. Es gäbe viele unterschiedliche Studien, und das Unternehmen arbeite gerade daran, eine möglichst unabhängige Untersuchung der Ökobilanz von Reerdigungen in Deutschland zu erstellen, sagt Metz. Für ihn ist der Umweltaspekt wichtig, aber nicht das zentrale Element seiner Arbeit: „Da spielt das Ökologische eine große Rolle, aber für die Menschen ist das Wichtigste, dass diesen Weg zu wählen sich gut und richtig anfühlt.“ 

Eine 86-jährige Berlinerin, erzählt er, habe nach einem Medienbericht über das Unternehmen so lange herumtelefoniert, bis sie über
den Friedhofsverband schließlich an die private Handynummer von Metz gelangt sei. „Sie rief mich an und sagte: ,Ich will genau so beerdigt werden, wie Sie das machen. Aber mein Bestatter kennt Ihr System nicht. Können Sie den bitte anrufen und ihm das erklären?‘“  --

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Foto: © Sabel Roizen
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Foto: © Sabel Roizen

Hinter jeder Luke, wie hier bei Recompose, kann aus menschlichen Überresten gute Erde werden.

1. Der Leichnam wird in einem sargähnlichen Behältnis (bei Meine Erde „Kokon“ genannt, bei ­Recompose „Vessel“) auf luftiges Material wie Stroh, Blumen und Grünschnitt gebettet.

2. In einer Wand mit mehreren
wabenartigen Schächten, die je einen Kokon aufnehmen können, wird das Behältnis aufbewahrt. Durch die geschlossene Luke vor jedem Behältnis wird die in Deutschland gesetzlich vorgeschriebene Totenruhe gewahrt. 

3. Natürliche Mikroorganismen nehmen ihre Arbeit auf und zersetzen das Gewebe. Es werden keine Würmer oder Insekten zugesetzt. 

4. Durch Wärme und Luftzufuhr geht der Zersetzungsprozess deutlich schneller vonstatten als in einem Sarg unter der Erde. 

5. Um zu vermeiden, dass sich Flüssigkeit ablagert, die wiederum den Prozess der Kompostierung verlangsamen würde, wird das Behältnis mehrfach gedreht. Bei Meine Erde beginnt dieser Vorgang nach zehn Tagen: Der Kokon wird dann alle zwei Tage ganz langsam zweimal gedreht.

6. Bei Recompose wird nach 30 Tagen die Erde aus dem Behältnis entnommen und für weitere zwei bis vier Wochen getrocknet. Bei Meine Erde bleibt der Kokon 40 Tage geschlossen. Der ­Inhalt wird während dieserZeit – und falls nötig auch noch danach – getrocknet. 

7. Nicht organische Gegenstände wie künstliche Gelenke werden entfernt, eventuelle Knochen- oder Zahnreste werden zermahlen.

8. Die entstandene Erde wiegt laut Angaben von Meine Erde durch den anfangs beigegebenen Grünschnitt etwas das 1,2-Fache des Leichnams. In Deutschland muss diese Erde auf einem Friedhof beigesetzt werden, in den USA können Angehörige sie mit nach Hause nehmen und im eigenen Garten verwenden oder an ein Landschaftsschutzgebiet spenden. 

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Aus dem Magazin

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Dieser Text stammt aus unserer Redaktion Corporate Publishing.