Ahorn Gruppe / Sterbereport 2022

Für einige Tage sorgen die Toten noch einmal für große Betriebsamkeit unter den Lebenden – wenn sie für ihre Bestattung abgeholt, verwahrt, in den Sarg gelegt und darin zurechtgemacht werden. Am Hauptsitz der Firma Grieneisen in Berlin ließen sich Fachkräfte bei ihrer so ­routinierten wie beherzten Versorgung ­Verstorbener begleiten.



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Dominik Kleinen


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Im Kühlraum liegen die Toten, bis sie von Torsten Gierich (rechts)und seinem Kollegen Alexander Heß (links) in ihren Sarg gebettet werden. Betriebsleiter Dominik Kleinen (ganz oben) muss die Kosten im Blick behalten und Fachkräfte finden.

Vor dem unwiderruflichen Abschied gibt es einen kleinen Aufschub, da teilen sich die Toten noch einmal Zeit und Raum mit den Lebenden. Sie liegen bei kaltem Gebläse in weiße Plastiktücher gewickelt Seite an Seite in einem dunklen Raum. Von dort kommen sie nach einigen Tagen, höchstens wenigen Wochen, zum Friedhof oder zum Krematorium. Doch vorher werden sie zurechtgemacht für ihre letzte Reise: sanft auf Kissen gebettet und zugedeckt, als hätten sie nichts anderes vor, als wie Dornröschen sehr lange zu schlafen. 

Der Hauptsitz des Unternehmens Grieneisen GBG Bestattungen ist im Fürstenbrunner Weg in Berlin-Charlottenburg angesiedelt, in einem Mischgebiet aus Industrie und Wohnen. Es ist ein dreistöckiges Haus, moderne Architektur, viel Glas und Holz. Grieneisen gehört zur Ahorn Gruppe, die sich deutschlandweit aus etwa 270 Filialen mit etwa 1100 Angestellten zusammensetzt, darunter allein in Berlin 32 der Marke „Grieneisen“. In den beiden oberen Etagen sind Büros, in denen es viel um die Verwaltung des Sterbens geht, im Erdgeschoss und im Keller aber ist der Tod viel konkreter und omnipräsent. 

Das Konzept des Gebäudes nennt sich „Haus der Begegnung“. Nur hundert Meter entfernt tost der Verkehr auf dem Spandauer Damm, rechts nebenan befindet sich ein Motorradgeschäft, links ein Supermarkt, gegenüber eine Geburtsklinik, vor der Eingangstür breitet sich eine kleine Parkanlage aus mit mächtigen Bäumen, Steinen und Stelen. 103 Menschen arbeiten hier für die Ahorn Gruppe, 15 von ihnen
bei Grieneisen, darunter Bestatter, Bestattungsfachberater, Bestattungsfachkräfte und ein Thanatopraktiker. 

Steigt man vom dritten Stock die Treppen hinunter, gibt einem die Nase zuverlässige Hinweise. In den beiden oberen Etagen mit den Büroräumen riecht es nach Kaffee und frisch gedrucktem Papier. Darunter, im Erdgeschoss, breitet sich dagegen ein zarter, süßlich-modriger Geruch aus, der sich zwei Treppen tiefer, im Keller, deutlich verstärkt. In dem Kühlraum, wo immer zwischen 70 und 100 Tote liegen, die vom Bestattungsunternehmen Grieneisen versorgt werden, ist er besonders kräftig. Es ist der Anfangsgeruch der Verstorbenen, nicht zu vergleichen mit dem abstoßenden Gestank starker Verwesung. Dieser hier ist markant, aber nicht unangenehm. Er entsteht durch den Zersetzungsprozess, genannt Autolyse, der schon bald nach dem Tod beginnt. Er ist nicht giftig, wie manche befürchten. Doch bei den Mitarbeitern setzt er sich zart in Kleidung und Haare, wie eine Botschaft der Verstorbenen an die Menschen draußen: „Macht euch nichts vor. Wir sind Teil eurer Welt.“

Die Arbeit im Haus beginnt heute hier im Untergeschoss um 6.42 Uhr, in einer Gruppe von Männern werden die Kaffeebecher zur Seite gestellt, Zigaretten ausgedrückt. Zwei der drei blitzsauberen silberfarbenen Busse warten im Hinterhof auf Beladung, die Hecktüren stehen weit offen.


Macht euch nichts vor: Wir sind Teil eurer Welt.

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Thomas Boelitz war früher Zimmermann. Heute präpariert er als Bestatter Verstorbene für den Sarg und benötigt dafür spezielle Hilfsmittel.

Frank Staginnus, 58, Torsten Gierich, 54, und Thomas Boelitz, 38, haben Schichtdienst. Rund um die Uhr ist jemand da, sie sind Teil des Teams „Fuhrpark“. Ausschließlich Männer gehören dazu, zu ihren Aufgaben zählt, anders als der Name vermuten lässt, nicht nur die Organisation der An- und Abfahrten, sondern vor allem die Versorgung der Toten. Sie tragen stets polierte Schuhe, schwarzen Anzug, kurzärmeliges weißes Hemd und Weste, eine Berufsbekleidung mit Feierlichkeitsnote, denn sie müssen jeden Moment dafür angezogen sein, in einer Wohnung, einem Krankenhaus oder einem Pflegeheim einen Leichnam abzuholen, wenn ihnen das aufgetragen wird. 

Jetzt haben sie sechs Särge vor sich, Papiere liegen obenauf, die sie Laufzettel nennen, darauf stehen Name, Geburtstag und Todestag, außerdem Hinweise für den Umgang mit den Verstorbenen, die heute an der Reihe sind, das Haus zu verlassen. Pro Leichnam investieren sie etwa eine halbe Stunde, manchmal weniger, manchmal mehr. Strenge zeitliche Vorgaben wie etwa in der Pflege gibt es nicht, dafür Sachzwänge: Sie müssen Termine einhalten – etwa einen Sarg rechtzeitig für eine Einäscherung ins Krematorium oder für eine Trauerfeier in eine Friedhofskapelle bringen. Es ist eine große Aufgabe, die sie jetzt vor sich haben, und es ist ihnen an dem feinen Maß Ehrfurcht anzumerken, dass sie darum wissen: Niemand wird diesen Menschen noch einmal so nahekommen wie sie, niemand mehr dafür sorgen können, dass ihr Hals nicht überstreckt ist und der Kopf nach hinten kippt, dass die Gesichtszüge entspannt wirken und die Arme nicht aussehen wie gebrochene Flügel.

Jede Bewegung – Routine. Plastikhandschuhe an. Die schwere Eisentür zum Kühlraum aufziehen. Die Daten auf den Laufzetteln mit denen an den Verstorbenen abgleichen. Den passenden Sarg auf ein Rollgestell heben, den Toten aus dem Regal holen, in den Sarg legen, in den Versorgungsraum nebenan rollen. 

Gerhard Kleinemeier *, 89 Jahre alt geworden, ist seit zehn Tagen hier. Die Männer heben ihn an, sie entfernen die weiße Folie aus Plastik und Vlies. Dann liegt der Leichnam da, mit Windel. Er bekommt ein weißes Totenhemd angezogen, so haben die Angehörigen es bestellt. Er wird noch am selben Tag im Krematorium eingeäschert werden. Neonlicht, weiß gekachelte Wände, Fliesen am Boden. Sie arbeiten konzentriert wie ein Team am OP-Tisch, sprechen nicht viel. Ein Kasten mit Chirurgenbesteck steht bereit. Pinzetten und Scheren sind darin, lange gebogene Nadeln, Seziermesser, Gefäßheber, lange Drähte. Griffbereit haben sie Nierenschalen, Desinfektionsspray, Watte, Kinnstützen, Kämme und Bürsten zurechtgelegt. Ob in dem toten Körper, an dem sie arbeiten, einmal eine Seele war? Dazu habe jeder seine eigene Auffassung. „Ist letztlich egal“, brummt Gierich, „jetzt ist sie auf jeden Fall nicht mehr da.“ 

*Alle Namen der Verstorbenen sind von der Redaktion geändert.

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Frank Staginnus zeichnet am Sarg die Stelle für die Griffe an. Die Edelstahlbecken erinnern an einen OP-Saal, die Schminkutensilien eher ans Theater.
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Frank Staginnus betrachtet das Gesicht des alten Mannes, dessen Mund weit offen steht, er probiert mit beiden Händen, ob sich der Mund auf einfache Weise schließen lässt, schüttelt den Kopf, steckt Garn in das Öhr einer Nadel. Er sticht hinter den Zähnen vom Unterkiefer unter das Kinn, von dort zurück, durch den Oberkiefer bis in ein Nasenloch. Jetzt durch die Nasenscheidewand in das andere Nasenloch, dann sticht er die Nadel von innen zurück in die Mundhöhle. Er zieht die Fadenenden zusammen, der Mund ist zu. So eine Ligatur gehört zu den Grundfertigkeiten von Bestattern, der Eingriff sieht martialisch aus und macht fast allen anfangs zu schaffen. Viele lassen das Kinn weg, das ist eine kleine Ligatur, Staginnus macht immer die aufwendige große, damit sicher ist, dass beim Transport keine Flüssigkeiten austreten können. Er nimmt jetzt einen Kamm und ordnet die Haarbüschel des Mannes, bis sie ordentlich um seinen Kopf liegen. „Man hat mich schon den Udo Walz der Toten genannt“, sagt er und lächelt.

Es gibt nicht viel, was die drei erschrecken kann. Kinder einzusargen, wie sie es hier nennen, gehört dazu. Auch Menschen, die einer Gewalttat zum Opfer fielen oder durch einen Unfall oder einen Suizid entstellt sind. Und manchmal versetzt es einem von ihnen einen Stich, wenn einer aus ihrem eigenen Jahrgang vor ihnen liegt. „Die Einschläge kommen näher, das merkste dann“, sagt Gierich. Gestorbene Angehörige oder Freunde zu versorgen ist belastend. „Da hast du eine Bindung“, sagt Thomas Boelitz, ein großer Mann mit sehr warmen braunen Augen, dem man den Kraftsport ansieht, „das ist was ganz anderes als bei Fremden.“ Meistens tauschen sie in so einem Fall die Schicht. 


Die Einschläge kommen näher, das merkste dann.

Staginnus ist seit 1991 Bestatter bei Grieneisen, damals lernte man by doing und von anderen, den Ausbildungsberuf „Bestattungsfachkraft“ gibt es erst seit 2003. Er hat viel erlebt und viel gesehen, nach der Arbeit freut er sich auf seine Laube im Grünen. Er durfte, kaum hatte er 1991 begonnen, Marlene Dietrich versorgen, dann Hildegard Knef. Er half bei der Umbettung von Friedrich II., König von Preußen, nach Potsdam mit und war einer der Bestatter von Horst Buchholz und Harald Juhnke. Er ist ein freundlicher Mann und pragmatisch. „Der Aufwand muss sinnvoll sein“, sagt er. Zwar ist in der europaweit geltenden Norm für Bestatter, der DIN EN 15017, auch unter „Versorgung von Verstorbenen“ „das Verschließen der Körperöffnungen“ aufgelistet, weil so verhindert werden soll, dass Gase und Flüssigkeiten und damit möglicherweise Keime und Viren austreten. Das bedeutet, dass Rachen und Nasenlöcher sowie Anus und Vagina tamponiert oder mit einem feuchtigkeitsbindenden Pulver behandelt werden müssen. Doch in der Praxis sei das kein Dogma. Staginnus sagt: „Man tut, was sinnvoll ist.“ Ist alles sauber an der Windel, die die Toten tragen, lassen die Männer sie dran. Ein Muss sei allerdings immer, dass der Intimbereich der Verstorbenen abgedeckt wird, jedenfalls der Unterleib, der Busen darf offen liegen. Und Mund und Augen, die bei Toten schnell austrocknen und verfärben, müssen geschlossen werden. 

An diesem Morgen verlässt auch Elli Talowski * das Kühlzimmer. Sie wurde nur 65 Jahre alt und zählt zu den jüngsten Verstorbenen gerade. Ihr Sarg ist schneeweiß und golden, Eichenfurnier lackiert, die Familie hat eine lange Wunschliste und ein Paket mitgegeben. Fotos gehören dazu. Eine fröhliche Frau mit blonden Haaren, Kinder, Mann, Hund, blühender Garten. Ihre Hände mit den dunkelrot lackierten Nägeln werden gefaltet, die Fotos davorgelegt. Unter den Kopf kommt ein Kissen, auf dem steht: „Wir haben Dich alle fest gedrückt. Du trägst unsere Küsse. Wir lieben Dich, Mama.“ 

Jeans und eine Bluse soll sie tragen, darunter Unterwäsche mit Spitze. Ihre Augenbrauen sind dunkel und mit schönem Schwung tätowiert, sie muss eine Frau gewesen sein, die auf ihr Äußeres Wert legte. Die Männer arbeiten präzise. Gierich zupft schweigend den Slip mit der Spitze über der Windel zurecht, Staginnus schiebt den BH über die zur Seite fallenden Brüste. Sie drapieren Jeans und Bluse darüber, umhüllen den kahlen Kopf mit einem Tuch. „Krebs“, sagt Thomas Boelitz knapp. Gierich zieht ihr Stiefeletten an. Staginnus setzt ihr die Brille mit dem orangefarbenen Rahmen auf, wie von der Familie gewünscht. 

Da niemand, wenn er schläft, eine Brille trägt, kann man das ein bisschen widersinnig finden, aber Staginnus lächelt und sagt: „Ach watt.“ Wenn man etwas lerne beim täglichen Versorgen von Toten, dann sei es das: „Man muss nicht alles verstehen“, erklärt er. Und auch diesen Gedanken teilt er mit, der ihm oft durch den Kopf gehe: „Der Tod ist die einzige Gerechtigkeit im Leben, vor der sich keener verstecken kann.“ Wie es denn war, mit Marlene Dietrich und Hildegard Knef? Das werde er manchmal gefragt: „Keen bisschen anders als alle anderen“, sagt er dann. 

Bei den Leichen, die von der Polizei beschlagnahmt wurden, weil die Todesursache nicht klar war, ist alles ein bisschen anders.
Da kann es Wochen, ja sogar Monate dauern, bis sie für die Einäscherung fertig gemacht werden können. Einen solchen Toten holen sie an diesem Morgen aus dem Kühlraum, er steckt in einem dicht verschlossenen Plastiksack, als Thomas Boelitz den Reißverschluss ein Stück öffnet, steigt beißender Verwesungsgeruch auf, eine Made schiebt sich ins Freie. 

Boelitz macht den Reißverschluss wieder zu. In solch einem Zustand versorgen sie nicht weiter, sondern setzen den Sargdeckel drauf – so kommt der Tote ins Krematorium. Es gibt dann nur noch eine kurze Begegnung mit einem Menschen. Vor jeder Einäscherung nimmt ein Arzt im Krematorium die vorgeschriebene zweite Leichenschau vor. 

9.30 Uhr, sie stemmen sechs Särge in die Wagen. Heckklappen zu, vorsichtig, ohne Knallen. Kaffee, Raucherpause, ein bisschen Austausch über die Energiepreise. Dann sagt Boelitz: „Abfahrt.“


Man tut, was sinnvoll ist.

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Zwei Särge hat Torsten Gierich verladen. Beim Schließen der Hecktüren darf es nachher nicht knallen.

Das Haus im Fürstenbrunner Weg ist längst von oben bis unten aufgewacht, als sie zurückkommen. Weil der Krankenstand gerade hoch ist, hilft Frank Staginnus im Lager aus, wo sich Hunderte Särge, Decken, Kissen, goldene Nägel, Griffe und Kreuze befinden. 

Neben der Bestattung von Privatpersonen betreut Grieneisen auch das Sterbefallmanagement der Charité-Häuser und ist Ansprechpartner für verschiedene Pflegeeinrichtungen. Hunderte Quadratkilometer decken sie in Berlin und Brandenburg ab. Das Rad dreht sich schnell, es dauert nicht lange, dann sind die frei gewordenen Plätze im Kühlraum wieder mit neuen Verstorbenen belegt. 

Thomas Boelitz hat zwei Kinder und war mal Zimmermann. Er wechselte die Branche, weil Bestatter zu sein ihm sicherer vorkam und seine Mutter auch schon Bestatterin war. Er erlebt, wie stark das Thema Tod verdrängt wird und sagt, die meisten hätten keine Vorstellung davon, wie viel gestorben wird. Die wollten das gar nicht wissen. „Die Leute lassen das nur an sich ran, wenn es irgendwen aus ihrer Nähe trifft. Es wird aber ständig gestorben.“

Im Erdgeschoss steht jetzt ein Beratungsgespräch an, eines von vier oder fünf jede Woche. Margarethe Schüller * hat kurz vor ihrem 90. Geburtstag ihren letzten Atemzug getan, sie liegt bereits im Kühlraum, direkt neben ihr ist jetzt ein Platz frei, der von Elli Talowski. Mathias Probst geht der Tochter der Verstorbenen und deren Mann mit festem Schritt entgegen, seine Miene drückt Mitgefühl aus. Die Tochter sagt gleich zu ihm: „Keine Sorge! Ich bin nicht traurig. Ich bin erleichtert.“


Ich bin ein Schleuser, ich möchte, dass die Menschen gut durch diese Zeit kommen.

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Im Lager der Grieneisen-Zentrale befinden sich ­Hunderte Kruzifixe, Särge, Urnen, Decken, Kissen, Nägel und Griffe.

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Sie setzen sich in ein Zimmer, in dem in Vitrinen Urnen ausgestellt sind, die Frau spricht aufgeregt. Das Verhältnis zur Mutter war unterkühlt, die Mutter sei immer sehr kritisch mit ihr gewesen und habe klargestellt: „Ich vererbe dir nichts.“ Die Tochter hat sie trotzdem jahrelang gepflegt, sie ist jetzt nahe an einem Burnout und will so wenig Geld wie möglich ausgeben. Zwar hatte die Mutter eine Sterbegeldversicherung, doch die reicht nicht aus.

Sie einigen sich auf den einfachsten Sarg, darin die Standardausstattung mit Unterlage, Kissen und Decke, die Asche ihrer Mutter soll anonym in einer Urnengemeinschaftsanlage bestattet werden. 20 Minuten Feier mit „La Paloma“ und „Time to say Goodbye“ aus der Musikanlage. 4500 Euro kostet das alles zusammen, 3848 Euro davon deckt die Sterbegeldversicherung ab, bleiben 652 Euro, die die Tochter zahlen muss.

Für Probst bedeutet dieses kostengünstige Gesamtpaket, dass er dafür kaum Provision bekommt. Aber das sei ihm egal, sagt er. Der höfliche Mann sagt sogar „scheißegal“. Er spricht von Berufsehre. Es widere ihn an, wenn Bestatter Trauernden etwas aufdrängen würden, das sie gar nicht wollten. „Ich bin ein Schleuser“, sagt er, „ich möchte, dass die Menschen gut durch diese Zeit kommen.“ Er will sogar kostenlos eine kleine Trauerrede halten bei Margarethe Schüllers Beisetzung, damit kein beklemmendes Schweigen entsteht. „So was mache ich dann auch für mich selbst“, sagt er. Das Ehepaar geht erleichtert. 

Nur wenige Schritte weiter im Erdgeschoss liegt in einem kleinen Raum ein Toter im schwarzen Anzug, mit teurer Uhr, gedämpftes Licht fällt aus kerzenförmigen Lampen. Es ist der Abschiedsraum. Wer hier – für einen Aufpreis von 119 Euro – aufgebahrt liegt und von seinen Angehörigen über mehrere Stunden besucht werden kann, ist sorgfältig hergerichtet worden – er hat ja, anders als die meisten anderen, noch ein Rendezvous vor sich. 

Ein hoher Beamter aus Berlin, 78 Jahre alt, wurde aus dem Versorgungsbereich im Sarg mit dem Fahrstuhl nach oben gebracht, er liegt jetzt bereit für die letzte Begegnung mit seinem Sohn, seiner Frau und einer kleinen Gruppe Angehöriger. Sein Sarg ist das Modell „Kiefernfurnier Diadem“, die Griffe sind schnell verwitternde Attrappen, die altem Messing ähnlich sehen, das Ganze kostet vierstellig. Sein Mund ist sanft geschlossen, Fäden sind nicht zu sehen. Unter seinen Augenlidern haben die Bestatter gewölbte Kappen aus Kunststoff platziert, sein Gesicht wurde mit Feuchtigkeitscreme behandelt und mit Make-up getönt.

Nichts aufdrängen

Die Familie versammelt sich im Foyer, sie flüstern durcheinander; als sie zurückkommen, haben sie verweinte Augen und schweigen. Ihrem Verstorbenen ist noch eine weitere Station beschieden, auch wenn der Sargdeckel dann geschlossen bleiben muss: In einigen Tagen ist eine große Trauerfeier auf dem Friedhof geplant. Erst danach wird er nach Ruhleben ins Krematorium gebracht. 

Während Boelitz und Gierich einen Neuzugang aus einem Pflegeheim ausladen und eine Etage darüber Mathias Probst den Auftrag der Tochter der verstorbenen Frau Schüller ins Softwareprogramm „Phönix“ tippt, sitzt Dominik Kleinen, der Leiter des Berliner Betriebes Grieneisen, in seinem Büro und überlegt, wie er die Krankenstände ausgleichen könnte.

Kleinen hat Theaterwissenschaft studiert und schon früh festgestellt, dass ihn der Umgang mit dem Lebensende interessiert. Seit Januar 2021 ist er Betriebsleiter hier. Seine Stimme ist sanft, er wählt seine Worte genau, und manchmal wirkt er ein wenig gequält. Das hat mit der Personallage zu tun – und auch mit dem umkämpften Markt und dem Preisdruck, der dadurch entsteht. 

In Berlin gibt es mehrere Hundert Bestattungsunternehmen, allein in fußläufiger Nähe der Grieneisen-Zentrale im Fürstenbrunner Weg sind es drei. Grieneisen verfügt hier über knapp zehn Prozent Marktanteil, aber die Quote zu halten ist nicht einfach. Auf seiner Homepage veröffentlicht das Unternehmen ein Diagramm in Tortenform, das die typische Verteilung der Kosten für eine Bestattung zeigt: Allein 50 Prozent entstehen durch amtliche Gebühren, etwa für Dokumente oder eine Kremierung, 30 Prozent für „Material“ wie den Sarg und andere Ausstattungsartikel. Mit nur 20 Prozent fallen die Dienstleistungen der Bestatter ins Gewicht – also die Beratung, die Gespräche, die Überführung und die Versorgung der Toten. 

Die allermeisten Kunden geben bei Grieneisen zwischen 3000 und 6000 Euro für eine Bestattung mit allem Drum und Dran aus – die recht unterschiedlich hohen Gebühren für den Friedhof kommen on top. Wenn jemand die Bestattung eines Angehörigen nicht aus eigener Kraft tragen kann, kann er Unterstützung beim Staat beantragen, für so eine Sozialbestattung bekommt der Bestatter pauschal 1570 Euro. Wenn sich niemand findet, der bestattungs- oder kostenpflichtig ist, werden die Bestattungskosten ganz vom Staat getragen. Beim Bestatten von Kindern hat Grieneisen vergünstigte Preise – „wir wollen den Trauernden in dieser Extremsituation unbedingt ersparen, sich mit Kostenaufstellungen befassen zu müssen“, sagt Kleinen.

Je aufwendiger die Bestattung sein soll, desto teurer wird es. Die Grenzen nach oben sind weit offen, ein fünfstelliger Betrag kann durchaus zusammenkommen. Ein Sarg mit speziellem Design, konisch geformt, röhrenförmig oder in Übergröße, Innenausstattung aus Samt oder Seide, Urnen aus allen möglichen Materialien und mit unterschiedlichen Verzierungen, sehr große Trauerfeiern mit Live-Musik oder Fotogalerie, Baumbestattung, Seebestattung, Luftbestattung mithilfe von Kooperationspartnern im Ausland – fast all das kann man haben, wenn man es bezahlt. 

Seit die Krankenkassen im Jahr 2004 das Sterbegeld abgeschafft haben, einen Zuschuss zu den Bestattungskosten, versuchen viele Klienten, die Kosten zu reduzieren. Am einfachsten sei es für alle, sagt Kleinen, wenn die Verstorbenen zu Lebzeiten vorgesorgt hätten – und das mit Blick auf die realen Preise. Wobei für ihn Vorsorge mehr umfasst als nur den finanziellen Teil: Auch psychologisch lässt sich durch das zeitige Ansprechen der Themen Tod und Trauer vorsorgen. 

Manche Entscheidungen im Unternehmen stellten sich später als Fehler heraus: Grieneisen hatte sich beim Land Berlin für „Polizeiüberführungen“ beworben und den Zuschlag bekommen. Das war zwar eine krisensichere Einnahmequelle, doch sie brachte auch Nachteile mit sich: Mit einem Mal fielen zusätzlich zu allem anderen viele Nachttermine an, die Männer vom Fuhrpark waren am Anschlag. Sie sind zwar kräftig und tüchtig, sie neigen auch nicht zum Jammern – aber sie empfanden die Anforderungen als so extrem, dass sie untereinander manchmal von „Körperverletzung“ sprachen. Außerdem blieb für private Aufträge bald kaum noch Zeit. 

Thomas Boelitz, der Bestatter, der vorher Zimmermann war, erinnert sich gut: Wie unangenehm es ihm und den Kollegen gewesen sei, immer wieder mit dem penetranten Geruch von Verwesung und Müll von einer Polizeiüberführung direkt zu einer Privatabholung zu fahren. Sie fürchteten: Das werde ihnen den guten Ruf verderben. Kleinen nahm die Sorgen und Bedenken ernst. Er kündigte die Polizeiüberführungen. Sein Team atmete auf. 

Traumberuf Totenfrau

Betriebsleiter Kleinen sieht noch Luft nach oben. Vor allem würde er gern Frauen für den Versorgungsbereich einstellen. Er findet gemischte Teams grundsätzlich gut, auch weil dann Frauen Frauen ankleiden könnten, erst recht, wenn es um Spitzenwäsche geht. Wenn Angehörige sich ausdrücklich eine Bestatterin wünschen, hat er immerhin Mandy Herforth-Klöber in der Hinterhand, die in einer Grieneisen-Filiale in Bautzen arbeitet. Wegstrecke nach Berlin: gut 200 Kilometer. 

Herforth-Klöber ist 36 Jahre alt, als Thanatopraktikerin und Bestattermeisterin besonders gut ausgebildet und eine schmale, zupackende Frau. Sie konnte sich schon als 15-Jährige keinen besseren Beruf vorstellen, obwohl sie keinen Bestatter kannte und auch noch nie einen Toten gesehen hatte. „Die anderen wollten Friseurin oder Feuerwehrmann werden, ich Totenfrau“, erzählt sie, als sie am Nachmittag in Berlin vorbeischaut. Sie nimmt den Kollegen einen Verstorbenen ab, wäscht ihn mit Hingabe, streichelt seine Wangen, bewegt seine Arme und Beine. Es ist, als würde sie ihm wieder etwas Leben einhauchen. Sie sagt: „In Bautzen habe ich viel mehr Zeit. Da kann man sich solche Extras erlauben.“ 

So eine wie Mandy Herforth-Klöber würde Kleinen sofort in Berlin einstellen, aber die Personalabteilung, die auf Onlineportalen, aber auch in Lokalzeitungen nach Bestattern sucht, tut sich schwer, Verstärkung zu finden. Die Themen Tod und Bestattung, die Arbeitszeiten, das körperlich anstrengende Heben und Tragen oder überhaupt Leichen anzufassen und ihren Geruch auszuhalten, das kommt für viele nicht infrage. 

Und auch die Verdienstmöglichkeiten sind überschaubar: Das Gehalt von langjährig angestellten Bestattern liegt selten über 3000 Euro. Nur wer viele Nacht- und Wochenenddienste übernimmt oder Zusatzleistungen wie die Thanatopraxie anbieten kann, kommt hier und da auf mehr. 

Mandy Herforth-Klöber erfüllt das Zusammensein mit den Toten bis heute mit Ehrfurcht, einen schöneren Beruf kann sie sich nicht vorstellen. Sie ist mit einem Bestatter verheiratet, ihr Leben hat durch die Begegnung mit den Toten einen Sinn, findet sie, den andere in ihrer Freizeit erst mühsam suchen müssen. 

Sie beschreibt es so: „Wir geben die Menschen von der Welt wieder ab. Wir tun das Gleiche wie eine Hebamme – nur in die andere Richtung.“  


Am einfachsten wäre es, wenn die Verstorbenen zu Lebzeiten vorgesorgt hätten.

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Wenn Hinterbliebene in der Grieneisen-Zentrale Abschied nehmen, signalisiert das leuchtende Schild, dass hier nicht gestört werden darf.

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Aus dem Magazin

Tod und Trauer, Menschen und Möglichkeiten, Abschied und Anteilnahme, Regeln und Rituale, Nachlass und Nachfolge, Produkte und Preise, Begleitung und Bestattung – eine Branche im Umbruch.

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Dieser Text stammt aus unserer Redaktion Corporate Publishing.