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Absolute Beginners

Wie viel Glück ist dabei, wenn sich unser Leben verändert? Und wie viel Einfluss haben wir darauf? Wir haben Leute getroffen, die einen Neubeginn gewagt haben.





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Wie viel Glück ist dabei, wenn sich unser Leben verändert? Und wie viel Einfluss haben wir darauf? Arbeitsforschende sprechen von Push- und Pull-Faktoren, von Schub und Sog also, wenn wir uns verändern wollen. Doch was sorgt dafür, dass wir uns kräftig von alten Ufern abstoßen und aufbrechen, neue zu suchen? Und was ist es, das uns genau an jenes neue Ufer zieht? Wollen wir bloß weg aus einer Situation? Oder ist die eigentlich ganz okay – doch dort drüben leuchtet magisch ein Licht, singt hell eine Stimme? Und ist es clever, ihr zu folgen?

Natürlich muss es niemand machen wie David Glasheen aus Sydney. Seine Firma hielt Bergbau-Anteile in
Papua-Neuguinea, doch dann kostete ihn ein Börsencrash seine Millionen, seine Immobilien und seine Familie. Da war er 44. Er zog fort von der „Kreditkartengesellschaft“, gut 3000 Kilometer nach Norden auf eine 40 Hektar große Insel am Ende des Great Barrier Reef. Seitdem läuft er da herum, häufig nackt, fängt Fische mit dem Speer und schläft in einer Blechdachhütte mit Solarpanel. Seine Facebook-Fotos sind einige Jahre alt, aber vergangenes Jahr lebte er noch. Da war er 77.

Wir haben Leute getroffen, die sich aufgemacht haben. Sie alle hatten Gründe. Und ein Ziel.

Beruf: Hôtelière
Ort: Lübeck
Kaffee: Filterkaffee mit Milch

Wer über Nina Dietze spricht, kommt ohne die Begriffe „Corona“ und „Lächeln“ kaum aus. „Corona“, weil eine Person, die ein Hotel eröffnet und plötzlich Reisebeschränkungen, Maskenpflicht, Lüftungsgebot und so weiter managen muss, also mitten in einer Pandemie ein Hotel eröffnet – nun, weil die schon mal die Frage zu hören bekommt, ob da nicht einige Cappuccino-Tassen im Schrank fehlen. Und „Lächeln“ deshalb, weil Nina Dietze damit die Frage kontert – mit einem Lächeln, das Backsteine erweichen kann.

Ihm folgt ein „Nein, alles okay.“ Es fehlen keine Tassen. „Corona ist Mist. Aber auch das geht vorbei“, sagt Nina Dietze mit ihrer leicht rauen Stimme. „Die Leute reisen trotzdem.“ Außerdem hatte sie, als im Mai 2021 die ersten Gäste eincheckten, schon dreieinhalb Jahre lang das Haus entkernt, kernsaniert, kerndesignt. Insofern war das Hotel vor der Pandemie – und wird auch nach ihr sein. Vergangenen Juli bis Oktober war ihr Haus praktisch durchgebucht. Es beruhigt zudem, dass ihr Mann in der Stahlindustrie arbeitet. Festes Gehalt in einem anderen Sektor.

Nina Dietze ist „Die Reederin“. So heißt ihr Sieben-Zimmer-Hotel auf der Lübecker Altstadtinsel. 150 Jahre lang gehörte das Haus der Reederfamilie Bertling und Nachfolgern, bevor die Dietzes es kauften. Mit offensichtlicher Lust hat sie die Details ihres Hotels ausgewählt, Schätze gefunden und aufpoliert. Zum Beispiel jene Schranktüren, die im ersten Stock mal die Front eines riesigen Büroungetüms bildeten und jetzt, blaugrau lackiert, zu Kopfenden der Betten wurden. Oder jene hundert Jahre alten Tapetenreste, die hinter Glas leise das maritime Thema bespielen. Die Empfangsräume sind hoch, klar, luftig. Ebenso die Zimmer, jedes benannt nach einem Bertling-Schiff. Die Atmosphäre: skandinavisch-gemütlich, aber urban. Sofas ohne Plüsch.

Das Hotel ist wie Nina Dietze: modern und zugleich von beinahe altmodischer Liebenswürdigkeit. Alles atmet Großzügigkeit, das Frühstück zum Beispiel und die Chefin auch. Sie hat Restaurantfachfrau gelernt und später Hotelmanagement studiert. Ob Feinschmecker-Restau-rant oder Hotelkette, Café, Veranstalter oder Kellnerei in einem Hotel im Londoner Soho: Ein Dutzend Jahre lang sog Dietze den Duft der Branche ein wie andere den
von gemahlenem Kaffee am Morgen. Dabei lernte sie rasch, was sie nicht wollte. Veranstaltungen mit 5000 Menschen organisieren zum Beispiel. Oder den Gästen erklären, was alles nicht geht, statt Mögliches möglich zu machen. „Die Branche“, sagt sie, „wird sich weiter auftrennen: in Low-Budget-Häuser mit Kaffee aus dem Automaten und Hotels, die ein Erlebnis bieten – und Service nicht von der Stange.“

Nina Dietze bezieht den Hotelnamen ausdrücklich auf sich. „,Die Reederin‘ steht für eine gute Gastgeberin, und das bin ich“, sagt sie. Lächelt. Und als hätte es eines Beweises bedurft, steht sie kurz danach auf und fragt: „Weißweinschorle?“ Wie sich der Reeder um seine Schiffe kümmert, so kümmert sich die Reederin um ihre Gäste. Nina Dietze ist Teil ihres Konzeptes. „Es macht mir viel Spaß, ich fühle mich dann unglaublich lebendig.“

Sie lebt einen Wunsch.

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Beruf: Psychotherapeut
Ort: Schleswig
Kaffee: Filterkaffee plus ein Schuss Milch

Wenn der Lange zwischen Wiesen und Feldern hindurchjoggt, vor sich einen Buggy, vorbei an Sonnenraps und Eichen, dann bekommt er den Kopf frei und die Glieder. Unwichtiges wird durchs Sieb gerüttelt, die Dinge sortieren sich. Es ist einiges, was Lennart Bartenstein derzeit 

sortieren muss: seine neue Praxis in Schleswig, ein neues E-Mobil, das ihn dorthin trägt vom recht neuen Zuhause auf dem sehr platten Land irgendwo nördlich von Eckernförde, und eben die Zwerge im ersten und dritten Lebensjahr.

Frisch selbstständig, frischer Wohnort, frisches Auto, frisches Baby: nicht spektakulär eigentlich. Dinge, die schon Millionen andere gewuppt haben. „Das beruhigt auch“, sagt Bartenstein. „Aber wie für diese Millionen anderen, so sind sie für uns eben auch biografisch erstmalig – wir gehen sie zum ersten Mal an. Das bleibt aufregend.“

Als er 2012 nach Kiel zieht, hat der 1,90-Meter-Mann einen groben Zehn-Jahres-Plan: Er studiert Psychologie, Weiterstudium zum Verhaltenstherapeuten in Trier inklusive PiA (Psychotherapeut in Ausbildung), schließlich Anstellung in einer Praxis in Eckernförde. „Aus meinem Elternhaus habe ich mitgenommen, solche Wege durchzuhalten und neue Schritte immer mit der Gewissheit zu gehen: Es wird schon gut werden.“

Dabei sind die Chancen auf eine eigene Praxis zunächst marginal. Denn auch die Zahl der Berufsjahre entscheidet, ob jemand einen Sitz erhält. „Ich habe ein starkes Autonomiebedürfnis, was meine Arbeit betrifft. Ich wollte immer selbstständig arbeiten.“ So bewirbt er sich auf einen Sitz in Schleswig – und erhält tatsächlich den Zuschlag. Gegen alle Wahrscheinlichkeit. „Man kann auch mal Glück haben“, sagt die bisherige Praxisinhaberin. Und man kann für dieses Glück auch was tun, denkt Bartenstein. Denn eigentlich ist er so gestrickt: aktiv werden, in Bewegung geraten, sich Handlungsoptionen verschaffen. „Das ist ein zentrales Ziel der Arbeit mit meinen Klienten. Und es wäre blöd, wenn ich dieses Ziel nicht selber verfolgen würde.“

Der Mensch, notierte der US-Psychotherapeut Carl Rogers schon Anfang der Sechzigerjahre, wolle selbstbestimmt leben und aktualisiere sich daher stetig, um die eigenen Fähigkeiten zu entfalten und unabhängig zu werden. Im besten Fall entwickeln wir uns entsprechend unserer Bedürfnisse. „Wir denken ja in Bildern“, sagt Bartenstein. „Und das Bild von einer eigenen Praxis hatte ich schon lange. Es hat mir geholfen, am Ziel festzuhalten.“ Hilfreich waren dabei aber auch seine Frau und die Eltern: zusammen renovieren, die Praxis einrichten, buchstäblich neuen Boden unter den Füßen legen. „Ein Familienprojekt“, sagt Bartenstein. „Familie ist eine wichtige Ressource – für mich schließt sich auch in dieser Hinsicht ein Kreis.“
Und nun? Was ist der Plan für die kommenden zehn Jahre? „Vielleicht promovieren. Unsere Kinder begleiten beim Aufwachsen. Arbeit und Pflichten mehr an meinen Bedürfnissen entlang gestalten. Und den Freiraum nutzen, den eine eigene Praxis bietet.“

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Beruf: Trainee Sustainability Coffee bei Tchibo
Ort: Nairobi
Kaffee: fully-washed aus Äthiopien, pur aus dem Handfilter

Hallo. Schon 1 Kaffee gehabt heute?
Na klar! 😉 Und du?

Leider nö, Zeit zu knapp
Schade, die Zeit sollte man sich nehmen. 😕

Okay - so richtig mit Omas Kafeemühle?
😄 Nichts gegen Omas Handmühle, aber die Technik hat etwas nachgeholfen, zumindest beim Mahlen.

Wo erwische ich Dich?
In Nairobi, etwas außerhalb vom Zentrum, arbeite heute im Exportbüro.

Hier grau, kalt, nass. Und bei Dir?
25 Grad, Sonne, ein leichtes Lüftchen. Schön hier! Aber wir liegen auch 1600 Meter hoch. Das Wetter unten an der Küste ist jetzt ’ne andere Hausnummer. 😏

Und in Tansania? Wann warst Du dort?
Gleich zu Beginn meiner Trainee-Tour im Juli. Da war es im Gegensatz zu Deutschland noch ziemlich kalt, besonders in der Höhe. Mittags kam aber oft die Sonne raus, und die hatte es direkt in sich.

Wo war das?
Auf einer Kaffeefarm am Fuß des Kilimandscharo. Machare heißt die.

Was hast Du dort konkret gemacht?
Rein körperliche Arbeit: auf dem Feld Bäume beschnitten und Kaffeekirschen gepflückt. Säcke geschleppt. Die Bohnen zum Trocknen gewendet. Von den Trockenbetten auf die Patios transportiert. Defekte Bohnen mit der Hand aussortiert. Gute Bohnen für Samples mit der Hand geschält.

Was sind Patios?
Vulkanartige Hügel von Kaffeebohnen. Die werden aufgeschichtet, sobald die Bohnen einen bestimmten Trocknungsgrad erreicht haben. So trocknen sie dann weiter, man spart Platz damit. Allerdings müssen sie jeden Tag abgedeckt, umgelegt und wieder zugedeckt werden.

Ah okay. Klingt anstrengend. Und wie schwer ist so ein Kaffeesack?
In der Regel 60 Kilo.

WHAT? 😮 Den kannst Du tragen? Oder zu zweit?
Die Locals tragen sie auf der Schulter. Oder auf dem Kopf. Habe ich nicht geschafft. Ich kann ihn nur zu zweit tragen.

💪 Wie viele Tage hast Du so gearbeitet?
In Tansania arbeitet man auch samstags, also 6 Tage die Woche. In der Factory war ich zwei Wochen. Aber mit Unterbrechungen.
Ah, noch ’ne Arbeit: Eimer mit frisch gewaschenen Kaffeebohnen schleppen, vom Waschkanal zu den Trockentischen. SEHR anstrengend. 😉


Da erhält der Begriff „Trainee“ ’ne ganz neue Färbung. 😃
Stimmt! 😄

Kennst Du körperliche Arbeit aus Deinem bisherigen Leben? Außer von den klassischen „Kartoffelferien“ aus der Kindheit nicht wirklich.

Oh, hattest Du die? Wirklich? Wo?
Im Münsterland. Eine Gegend mit viel Land und schönen Bauernhöfen. Da konnten wir uns was dazuverdienen. Aber unter körperlicher Arbeit verstehen die meisten sicher etwas anderes.

Und abgesehen von dieser Arbeit: Das Beeindruckendste, was Du bisher in Ostafrika erlebt hast?
🧐 Hmm, nicht einfach.
Der Kontrast zu unserem gewohnten Leben vielleicht.

Konkret?
Ganz alltägliche Dinge. Kein Supermarkt an jeder Ecke, der 24/7 unsere Bedürfnisse erfüllt. Keine durchgetakteten Prozesse, wie wir sie in Deutschland so lieben.
Das kann sehr angenehm sein, wenn man sich drauf einlässt. Bringt einen auch mal an Grenzen. Erweitert aber letztlich den Horizont.

Wovon erzählst Du Deinen Freundinnen und Freunden noch? Von den Touren in die Kaffeeregionen rund um den Mount Kenya.
Und davon, abends auf der „Washing Station“ zu sein, wenn die Farmerinnen und Farmer ihre Tagesernte abliefern: tolle Atmosphäre, so mitten im Gewusel!
Oder in der Hauptsaison im Exportbüro/Quality Lab/ Lagerhaus in Nairobi zu sein, hautnah am Kaffee – besonders wenn die Lkw Schlange stehen und die Kooperativen frischen Kaffee zur Verarbeitung bringen.

Klingt so, als würde es dort freudig zugehen.
Ja! Kann man nicht in Worte fassen, muss man erlebt haben.

Brauen sich die Locals auch gelegentlich einen Kaffee? Aus den eigenen Bohnen?
Tansania und Kenia sind eher Teeländer. Manchmal gibt es auch Kaffee, dann aber ziemlich dünn – fast wie Tee wiederum. Und selbst geröstet.

Überm Feuer geröstet, die Bohnen? Oder wie sonst?
Ja, offenes Feuer ist in Afrika elementar. Überall sieht man Rauch aufsteigen. Und auch der Geruch in der Luft verrät einem, dass irgendjemand irgendwo ein kleines Feuerchen macht. Wenn ich Afrika beschreiben muss, kommt mir der Geruch von Feuerholz und Rauch als Erstes in den Sinn.

 

Lea Essing war für Tchibo ein halbes Jahr in Ostafrika unterwegs. Mittlerweile ist sie „Sourcing & Origin Manager“ für den Konzern: Sie verantwortet Einkauf und Management der Spezialitätenkaffees und der Kaffeefarmen Ipanema in Brasilien und Machare in Tansania.

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Beruf: Pastorin
Ort: Grüsch, Schweiz
Kaffee: lieber schwarzen Tee mit Sahnewölkchen

„Mein Mann und ich sind gerade von der Ostsee hierhergezogen. Grüsch liegt im Kanton Graubünden in der Ostschweiz. Das Dorf ist vor einigen Jahren mit Fanas und Valzeina zu einer Gemeinde fusioniert, und die drei reformierten Kirchengemeinden haben es genauso gemacht. Dirk und ich teilen uns eine 140-Prozent-Stelle. Wir sind in den Dörfern für Gottesdienste, Seelsorge und Religionsunterricht zuständig. Wir haben schon Ideen, beginnen aber ganz sachte. Wir müssen die Menschen erst mal kennenlernen und sie uns auch. Das fängt mit der Sprache an: Eine Beerdigung auf Schwyzerdütsch kann ich ihnen nicht bieten. Aber ihnen nahe sein schon, denke ich.

Hier im Tal liegen wir auf gut 600 Metern Höhe, die Berge da drüben sind fast 2400 Meter hoch. Für mich bedeuten Berge Weite. Viele verbinden Weite mit dem Meer, das ging mir nie so. Unser altes Pastorat lag nur 15 Fußminuten von der Ostsee entfernt. Aber das Meer ist für mich Tohuwabohu, also „wüst und leer“, wie es in der Bibel heißt. Grau, dunkel, eine Wüste! Berge sind dagegen licht. Hier fühle ich mich dem Himmel näher, das meine ich auch spirituell. Selbst wenn ich im Regen wandere, sehe ich auf der anderen Talseite die Sonne scheinen.

Wir arbeiten ein Jahr lang auf Probe, der Kirchengemeinderat könnte uns danach hinauswerfen – die Schweizer denken ja sehr basisdemokratisch. Aber ich bin zuversichtlich: Ich habe vergangenes Jahr drei Sabbatmonate eingelegt und hier ein Praktikum gemacht, inklusive Prüfungen über die Reformation in der Schweiz. Das war spannend! Außerdem war ich bei einem Bergbauern, habe Kühe gehütet, beim Käsen geholfen, Käse verpackt und ihn Wanderern verkauft. Sogar Kühe gemolken habe
ich. Wenn morgens die Sonne über dem Nebelmeer im Rheintal aufging: Das ist ein Meer, das ich mag!

Wir sind noch nicht lange hier, aber mein Eindruck ist, dass Engagement hier selbstverständlich ist. Wenn den Menschen etwas fehlt, scheinen sie es selbst in die Hand zu nehmen, statt auf den Staat zu warten. Und Ehrenamtliche erhalten eine Aufwandsentschädigung. Das gefällt mir sehr, denn das bedeutet, dass wir Pastorinnen mehr das tun können, wofür wir ausgebildet wurden und was unsere Berufung ist: den Menschen zugewandt zu sein, statt uns um Kirchenbau-Sanierung oder Kinder- garten-Finanzen zu kümmern.

Dirk hat als Kind in Namibia gelebt, ich habe in Amsterdam studiert und mehrere Monate in Israel verbracht. Das weitet den Horizont. Wir wollten noch mal weg – aber erst, wenn unsere drei Kinder aus dem Haus sind. Denn als wir vor zwölf Jahren die Pfarrstelle gewechselt haben, haben wir gesehen, wie schwer es für sie war, neu anzudocken. 2021 machte unser Jüngster Abi und zog nach Kiel. Wir hatten schon begonnen zu planen, da erzählte mir Anna: Du wirst Oma! Den zweiten Satz schob sie allerdings sofort hinterher: dass wir deswegen unsere Schweiz-Pläne nicht umwerfen sollten.

Dafür bin ich ihr sehr dankbar. Denn auch wenn ich immer mal heule, weil unser Enkel 1000 Kilometer entfernt aufwächst – Co-Oma und Co-Opa wohnen ganz in der Nähe. Und wir werden dann eher die Ferien-Großeltern. Alle drei Kinder lieben die Berge und haben sich schon angekündigt. Von Kiel nach Chur muss man nur einmal umsteigen. Und unser Pfarrhaus in Grüsch ist groß.“

Die australische Insel übrigens, die für David Glasheen zum Mittelpunkt seines Lebens wurde, wo er mit seinem Hund lebt, sich auszieht, Fisch fängt und Bier braut – diese Insel hatte schon mal einen prominenten Besucher: William Bligh.

Der Name klingt irgendwie vertraut, oder? Ganz recht, Bligh war jener britische Kommandant, der im April 1789 von Meuterern der „Bounty“ in ein Beiboot gesetzt wurde. Zusammen mit 18 Getreuen segelte er anschließend sechs Wochen lang durch die Südsee – immer westwärts und sagenhafte 6700 Kilometer weit. Unterwegs entdeckten die Ausgesetzten völlig ausgezehrt die Insel. Die Männer aßen sich dort an Austern satt, deckten sich mit Wasser ein, schliefen ruhig. Bligh nannte das Eiland dankbar „Restoration Island“.

Restoration heißt „Wiederherstellung“. Nicht das schlechteste Ziel, wenn du zu neuen Ufern aufbrichst.

Beruf: Poet
Ort: Montagnola / Schweiz
Kaffee: ja

Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe, Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne, Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
In andre, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.

Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten, An keinem wie an einer Heimat hängen,
Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen, Er will uns Stuf’ um Stufe heben, weiten.

Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen; Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.

Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
Uns neuen Räumen jung entgegen senden,
Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden, Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!

(„Stufen“, aus: Hermann Hesse, Sämtliche Werke in 20 Bänden. Herausgegeben von Volker Michels. Band 10: Die Gedichte.
© Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 2002. Alle Rechte bei und vorbehalten durch Suhrkamp Verlag Berlin.)


Dieser Text stammt aus unserer Redaktion Corporate Publishing.