G DATA / Cybersicherheit in Zahlen 2023

Die Forschung zu Quantencomputern macht rasante Fortschritte. Was bedeutet das für die Cybersicherheit? Ein Gespräch mit dem Leiter des Instituts für Quantenkontrolle am Forschungszentrum Jülich: Tommaso Calarco ist einer der führenden Forscher auf diesem Gebiet.





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Blackbox: Was und wie Quantencomputer rechnen, können Forscherinnen und Forscher bislang nicht immer in einem verständlichen Maß auslesen. Vor diesem Dilemma stehen auch die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Fraunhofer Instituts im baden-württembergischen Ehningen, die mit diesem Modell von IBM arbeiten.

Herr Professor Calarco, wenn Sie Ihren Eltern Ihre Arbeit erklären wollen: Wie beschreiben Sie ihnen, was ein Quantencomputer eigentlich ist und wie er funktioniert?

Tommaso Calarco: Ich würde damit anfangen, dass sie ja wahr­scheinlich wissen, dass normale Computer aus Transistoren und Schaltkreisen bestehen, die mit Nullen und Einsen arbei­ten. Also sogenannten Bits. Alle unsere digitalen Geräte, vom Smartphone bis zur Digitaluhr, arbeiten so. In der Quantentech­nologie verwenden wir statt dieser Transistoren einzelne Teil­chen. Also Atome – Ionen oder Photonen. Und damit ändert sich alles.


Warum? 

Weil diese einzelnen Teilchen nicht nur die beiden Zustände  eins und null kennen, sondern auch alle Möglichkeiten dazwi­schen. Sie können sogar zwei Zustände gleichzeitig haben. Das ist für uns Menschen schwer vorstellbar. Wir nennen diese Teilchen Quantenbits oder Qubits. Und sie ermöglichen eine völlig neue Art von Rechenoperationen. 


Okay. Und wenn Sie es beispielsweise für Ihre Großeltern noch anschaulicher machen wollen? 

Dann würde ich ein Labyrinth als Metapher wählen. Wenn ein Mensch in einem Labyrinth steht und hinausfinden will,  entscheidet er sich an der Weggabelung für links oder rechts. Wie ein Computer, eins oder null. Wenn er nicht weiterkommt, geht er zu einer früheren Abzweigung zurück und entscheidet sich für die andere Option. Das ist die alte Methode. Die Arbeitsweise von Quantencomputern kann man sich so vorstellen, als würde man das Labyrinth mit riesigen Mengen Wasser fluten. Das Wasser kann an jeder Abzweigung gleichzeitig in beide Richtungen fließen und kommt dadurch immer ans Ziel. Aber genau darin liegt auch das aktuelle Problem der Quantenforschung. 


Welches ist das?

Gewissermaßen sehen wir zwar, wie das Wasser aus dem Labyrinth kommt, also dass es seinen Weg gefunden hat. Aber wir wissen nicht, wie. Wir wissen nicht, welcher Weg der richtige war. Auf die Quantenforschung übertragen bedeutet das: Wir können nicht immer in einem für Menschen verständlichen Maß auslesen, was die derzeitigen Quanten­computer berechnen.

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Foto: Forschungszentrum Jülich / Sascha Kreklau

Der Quantenkontrolleur
Der gebürtige Italiener Tommaso Calarco ist als Physiker auf die Optimierung von Quantenprozessen spezialisiert. Der Professor für Theoretische Physik an der Universität Köln leitet das Quantum Community Network und ist Direktor des Instituts für Quantenkontrolle am Forschungszentrum Jülich. Der 53-Jährige ist zudem Initiator einer europäischen Forschungsinitiative zu Quantentechnologien und Verfasser des europäischen „Quantum Manifest“. Der Musik gilt seine zweite große Leidenschaft: Tommaso Calarco hat einen Bachelor in Klassischer Gitarre.


In der Quantentech­nologie verwenden wir statt dieser Transistoren einzelne Teil­chen. Also Atome – Ionen oder Photonen. Und damit ändert sich alles.

Was sind die größten Hindernisse dabei? Woran forschen Sie gerade?

Was uns bremst, sind vor allem zwei Dinge: Zum einen fehlen uns oft noch die praktischen Anwendungsfälle, in denen Quantencomputer tatsächlich einen Vorteil bringen. Zum anderen brauchen wir eine starke Fehlerkorrektur. Denn im Gegensatz zu herkömmlichen Computern, die sehr zuverlässig arbeiten, wird kein Qubit je vollkommen fehlerfrei sein. Und wenn man sehr viele Rechenoperationen durchführt, pflanzt sich ein einziger kleiner Fehler immer weiter fort. Deshalb reicht es nicht, nur ein Qubit zu verwenden, sondern man braucht drei oder fünf oder siebzehn. Je mehr, desto zuverlässiger. Wenn also ein Qubit einen Fehler macht, kommen wir immer noch zu dem richtigen Ergebnis.


In wie vielen Firmen und Universitäten wird an Quantencomputern gearbeitet?

Mehrere Hundert Organisationen arbeiten an der Entwicklung von Bauteilen und Teilsystemen. Komplette Quantencomputer­systeme gibt es an mehreren Dutzend Orten weltweit. Es sind inzwischen sicherlich mehrere Hunderttausend Menschen, die daran arbeiten.


Wo stehen wir denn aktuell, was ist der leistungsfähigste Quantencomputer?

Das ist schwer zu sagen. Die Leistung herkömmlicher Rech­ner können wir sehr gut messen und vergleichen. Da gibt es zum Beispiel die Taktfrequenz des Prozessors in Gigahertz oder die Rechenoperationen pro Sekunde, die etwa in Teraflops gemessen werden. 

Bei Quantencomputern sind drei Faktoren wichtig: die Zahl der Qubits, die Qualität dieser Qubits, also die Fehlerhäufigkeit, und die Konnektivität, also mit wie vielen Qubits jeder Qubit verbunden ist. Diese drei Größen in einer einzelnen Kennzahl zusammenzufassen ist nicht einfach. Deshalb gibt es zurzeit sehr hitzige Diskussionen darüber, was eine gute Vergleichs­größe wäre. 

IBM sagt beispielsweise, „Quantenvolumen“ sei die beste Metrik, um die Leistungsfähigkeit eines Quantencomputers zu messen. Nun stehen IBMs Quantencomputer zufälligerweise genau in dieser Metrik sehr gut da. Die nächste Firma hingegen schlägt vielleicht eine andere Gewichtung vor, die eher ihr einen Vorsprung verschafft.


Wie groß ist so ein Quantencomputer?

Normalerweise etwa so groß wie ein etwas geräumigerer Kleiderschrank. Aber es gibt auch kleinere Versionen. Ein Modell passt sogar in ein klassisches 19­Zoll­Rack, wie man es aus gewöhnlichen Serverräumen kennt. Er hat nur vier Qubits, aber er existiert.

Weshalb können wir derzeit noch nicht gut genug auslesen, was die Quantencomputer rechnen. Woran liegt das?

An der Tatsache, dass die Beobachtung von einem quanten­mechanischen System dessen Zustand unvermeidbar verändert – das ist sogar einer der Grundsätze der Quantenmechanik.


Heißt das, dass wir Quantencomputer nutzen werden, ohne sie auszulesen wie einen herkömmlichen Rechner?

Nicht wirklich. Wir müssen Ergebnisse auslesen können, wenn wir die Lösung der Probleme, die wir einem Quantencomputer gestellt haben, nutzen möchten. Das heißt also, dass wir die Quantencomputer programmieren müssen, damit sie während des Rechenprozesses zwar gleichzeitig mehrere, miteinander verschränkte Lösungswege ausloten — es uns aber am Ende ermöglichen, das Ergebnis direkt auszulesen. Also Quanten­verarbeitung ja, aber mit klassischem Output. 


Welche Probleme werden wir in zehn Jahren mit Quantum Computing lösen – oder zumindest angehen können?

Ich bin recht zuversichtlich, dass wir in zehn Jahren erste Anwendungen für die Simulation komplexer Vorgänge sehen werden. Das heißt, wir werden beobachten, wie sich gewisse Chemikalien oder Materialien verhalten, bevor wir sie wirklich entwickelt haben. Bisher ist uns diese Vorabberechnung von Eigenschaften neuer Stoffe unmöglich. Welche Wirkung kann ein bestimmtes Molekül als Medikament auslösen? Mithilfe von Quantensimulatoren werden wir das langfristig effizient ausrechnen können. 


Werden Quantencomputer das können, weil sie einfach leistungsfähiger, also schneller sind als die herkömmlichen Rechner? Oder weil sie völlig anders arbeiten? 

Beides, man kann damit ganz neue Dinge machen. Oder alte Dinge anders. Wenn ein Quantencomputer einfach nur schnel­ler rechnen kann als herkömmliche Supercomputer, sprechen wir von „Quantum Supremacy“, also der Quantenüberlegen­heit. Google hat das 2019 mit einem Rechner mit 53 Qubits geschafft. Aber das hatte keinerlei praktischen Nutzen, das war einfach ein extrem komplexes mathematisches Problem. Wenn ein Quantencomputer eine wirklich relevante Aufgabe lösen kann, die ein herkömmlicher Rechner nicht schafft, sprechen wir vom „Quantenvorteil“. Davon sind wir noch einige Jahre entfernt. 


Welche Art von Aufgaben werden Quantencomputer besser lösen können als herkömmliche Supercomputer? 

Ein wichtiges Beispiel ist die Faktorisierung von Zahlen, also ihre Zerlegung in Primzahlen. In welche Primzahlen ist 21 zerlegbar? Das lässt sich noch im Kopf machen: drei mal sieben. Bei der Zahl 7391 wird es für Menschen schon schwie­rig, ein Computer bekommt auch das noch recht schnell durchprobiert. 

Aber bei einer 32­stelligen Zahl kommen selbst Super­computer an ihre Grenzen. Quantencomputer hingegen wer­den auch solche Zahlen sehr schnell zerlegen können. Und das ist in Zukunft ganz entscheidend für das Thema Cybersicherheit. 


Weil ein superschneller Quantencomputer einfach in ein paar Sekunden alle Passwörter der Welt durchprobieren könnte? Dann könnte er auch mein Online-Banking knacken, oder? 

Das ist zwar eine häufige Sorge, aber das ist nicht wirklich ein Problem. Ihre Bank und alle anderen professionellen Systeme würden ja nach einigen Fehlversuchen den Zugriff sperren. Aber ein funktionierender Quantencomputer würde die häufigsten Algorithmen für Verschlüsselungen knacken. Denn unsere heutigen Verschlüsselungsalgorithmen basieren eben darauf, dass die Faktorisierung einer großen Zahl in Primzahlen wie gesagt sehr schwierig ist. Gleichzeitig aber ist es sehr einfach, Primzahlen miteinander zu multiplizieren. Das kann jeder mit dem Taschenrechner.

Die Verschlüsselung ist also einfach, aber die Dekodierung ist sehr schwierig. So soll es ja sein. Aber diese Primzahl­-Fak­torisierung ist ein Problem, für dessen Lösung sich Quanten­computer dummerweise besonders gut eignen.

 


Wir müssen Verfahren zur Dekodierung entwickeln, die nicht von Quanten­computern geknackt werden können.

Sie werden also die gängigen Verschlüsselungen von Messengern wie WhatsApp über E-Commerce bis hin zu digitalen Signaturen knacken können?

Davon ist auszugehen. Noch ist das vollkommen unmöglich, zehn bis fünfzehn Jahre wird es mindestens noch dauern. Aber das klingt nach mehr Zeit, als es ist. Denn wir müssen bis dahin neue Verschlüsselungsverfahren entwickelt haben, die nicht auf Faktorisierung setzen und dagegen resistent sind, von Quanten­computern geknackt zu werden. 

Dieses Feld nennt man „Post-­Quantum Cryptography“. Und daran wird schon mit Hochdruck geforscht. Denn wir müssen diese neuen Methoden ja nicht nur erfinden, wir müs­sen sie auch testen und alle Systeme damit ausstatten. Jedes Smartphone nutzt heute Verschlüsselungen, also müssen wir auch eine neue Generation von Verschlüsselungs­-Algorithmen auf jedes Smartphone bringen.


Wie muss man sich diese Verschlüsselung für das Post-Quantum-Cryptography-Zeitalter vorstellen?

Sie wird im Prinzip auf eine ähnliche Art funktionieren müssen wie die bisherige: Die Verschlüsselung muss einfach sein, die Entschlüsselung komplex. „Schwer reversibel“ nennen wir das in der Mathematik. 

Statt der Primzahlzerlegung werden wir aber komple­xere mathematische Operationen dafür verwenden müssen. Es gibt beispielsweise Ansätze, die mit elliptischen Kurven und deren algebraischer Struktur arbeiten.


Können Sie die Verschlüsselung einer Mail mithilfe einer elliptischen Kurve so erklären, dass ein Laie wie ich es noch verstehen kann?

Es tut mir leid, aber ich fürchte: nein (lacht). 


Das klingt nach einem drohenden Wettlauf zwischen Gut und Böse – zwischen Sicherheitsforschenden und kriminellen Hackern. Wird man Quantencomputer reglementieren müssen wie Atomwaffen? 

Oh ja! Es gibt bereits eine engagierte Debatte, wer Quanten­computer nutzen darf, welche Ausfuhrkontrollen für bestimmte Bauteile existieren sollten und so weiter. Aktuell diskutieren die US­-Regierung und die EU­-Kommission, welche Regeln sinnvoll sind und wer sie aufstellen darf. Naturgemäß finden solche Gespräche oft hinter verschlossenen Türen statt, deshalb können wir über ihren genauen Stand nicht reden. Aber das „Quantum Industry Consortium“ und das Gremium „Quan­tum Community Network“, dem ich selbst vorstehe, beschäfti­gen sich mit guten und sinnvollen Kriterien, wie man diese Kontrolle angehen sollte. 


In der Digitalwirtschaft wirkt Europa oft abgehängt. Wie groß ist seine Rolle im Bereich Quantencomputer?

IBM und Google sind zwei große amerikanische Player in diesem Bereich. Daneben gibt es zahlreiche US­-Start­ups oder Ausgründungen von US­-Unternehmen wie Honeywell, die mit Quantinuum ein sehr erfolgreiches Unternehmen gestartet haben. Aber Europa muss sich nicht verstecken – mit Start­ups wie Pasqal und Quandela aus Frankreich oder Alpine Quantum Technologies (AQT) aus Österreich und IQM aus Finnland. 

Auch auf wissenschaftlicher Ebene tut sich eine Menge, es gibt eine sehr rege Zusammenarbeit. So bauen wir zum Beispiel gerade eine europäische Infrastruktur auf, bei der sich sieben Hochleistungsrechenzentren in Europa zusammen­schließen. Europäische Start­ups können dort ihre Quanten­computer gewissermaßen auf den Prüfstand stellen, testen und einer breiten User­-Community zur Verfügung stellen. Europas große Chance liegt in der Kollaboration. 


Wo steht China in der Quantenforschung?

Die chinesischen Forschenden sind extrem stark dabei. Lange Zeit waren sie nicht besonders relevant, aber sie haben aufge­holt. Das liegt vor allem an der staatlichen Förderung, nennens­werte Privatunternehmen gibt es kaum. Aber einige Zahlen, die man aus China hört, sind Fantasiezahlen. Oft ist zum Beispiel von zehn Milliarden Dollar die Rede, die vom Staat in den Sektor investiert werden. Realistisch ist vermutlich ein Viertel davon. Das ist immer noch eine Menge, und es gibt mittler­weile Gruppen, die sehr gute Arbeit leisten. Aber sie sind im Gegensatz zu Forschenden in den USA und Europa eher nur untereinander vernetzt. Das ist für die Cybersicherheit nicht unbedingt ideal. 


Dieser Text stammt aus unserer Redaktion Corporate Publishing.