Osnabrück im Glück

Bürgernah und trotzdem sparsam: Die Landkreisverwaltung Osnabrück gilt bundesweit als vorbildlich. Ein Besuch.




Glücklich in Osnabrück? Ausgerechnet in und um Osnabrück herum sollen die glücklichsten Deutschen leben. Das jedenfalls haben der Stern, McKinsey & Company, das ZDF und AOL herausgefunden, als sie vor zwei Jahren 450.000 Deutschen den Puls fühlten. In diesem Jahr landete die Region erneut im Spitzenfeld, auf Platz sieben von 42, und war damit immerhin noch die glücklichste Gegend Norddeutschlands. Die Ursachen dafür, frohlockten Stadt und Landkreis in einer Anzeigenserie, lägen nicht nur in der „gesunden Luft, die täglich aus dem nahen Teutoburger Wald herüberweht“, sondern auch bei den „vielen gesunden Unternehmen, die hier zu Hause sind und uns zu einem der stärksten Wirtschaftsstandorte Deutschlands gemacht haben“. Gut möglich aber auch, dass die Landkreisverwaltung selbst einen Anteil an der Glücksproduktion in Osnabrück hat. Denn sie gilt bundesweit als außergewöhnlich bürgernah, reform- und experimentierfreudig. Und obwohl sie sich ihre Bürgernähe mitunter einiges kosten lässt, ist sie durch mehr Wirtschaftlichkeit an anderer Stelle insgesamt auch sparsamer als viele andere öffentliche Verwaltungen.

Landkreis vor Ort: nahe an den Wünschen der Bürger

Um davon einen Eindruck zu bekommen, muss man das Kreishaus in Osnabrück zunächst links liegen lassen und fast 30 Kilometer hinausfahren ins Rathaus der Kreisgemeinde Bad Essen. Dort sitzt die Verwaltungsfachangestellte Bettina Gottschalk in einem modernen Großraumbüro, vor sich zwei Stempel als Symbol einer bürgernahen Verwaltung. Den Stempel ihres Vorgesetzten, des Bürgermeisters, benutzt sie, wenn beispielweise ein Bad Essener kommt, der einen neuen Personalausweis beantragt. Will der Kunde auch sein neues Auto anmelden, stellt Bettina Gottschalk die Dokumente und das Kennzeichen im Auftrag des Landrats aus und greift dazu zum zweiten Stempel. Vor drei Jahren hätte sie den Kunden noch vertrösten müssen: „Für die Zulassung müssen Sie Donnerstag noch mal kommen, da ist immer der Kfz-Kollege vom Landkreis hier.“ Und ganz früher hätte sie gesagt: „Für Kfz-Angelegenheiten müssen Sie nach Osnabrück fahren.“ Heute springt Bettina Gottschalk zwischen vielen hoheitlichen Aufgaben hin und her.

Dienstleistungen wieder zurück in die Rathäuser der Kreisgemeinden und -städte zu verlegen heißt in Osnabrück „Landkreis vor Ort“. Als das Projekt vor vier Jahren begann, sprachen Kritiker vom „Verkauf von Landkreisinteressen“ oder verwiesen auf die Kosten der „unnötig aufgeblähten Bürokratie“. Und das nicht zu Unrecht: „Landkreis vor Ort“ widerspricht eindeutig dem Trend zur Kosten sparenden Zentralisierung. Das Projekt belastet den Kreishaushalt mit rund 50.000 Euro im Jahr, die vor allem in die anteilige Bezahlung von Gemeindeangestellten wie Bettina Gottschalk fließen. Aber: In einem Landkreis, der fast so groß ist wie das Saarland, kann eine Verwaltung vielleicht keine Glücksgefühle, aber Zufriedenheit hervorrufen, wenn sie den Bürgern mit der Zulassung ihres Autos, dem Beantragen des Erziehungsgeldes, dem Ausstellen des Jagd- oder Führerscheins und vielen anderen Dienstleistungen etliche Kilometer entgegenkommt. Die Osnabrücker Kreisverwaltung hat ausgerechnet, dass sie der Landbevölkerung dadurch fast 1,3 Millionen Fahrkilometer oder eine halbe Million Euro im Jahr erspart.

Auch sonst weiß man im Kreishaus sehr genau, was die Bürger schätzen und wünschen. In Deutschland gibt es wohl keine zweite Kreisverwaltung, die die Menschen ihres Einzugsbereichs schon so lange und so regelmäßig durch ein Marktforschungsinstitut befragen lässt. In den vergangenen drei Jahren führten die Interviewer fast 4000 Telefongespräche, der Osnabrücker „Kundenmonitor“ erfasst nahezu alle Verwaltungsbereiche und Kundengruppen: Ausländer und Bafög-Bezieher, Empfänger von Strafzetteln und Jagdscheinbesitzer, Eltern von Erstklässlern, Kleingärtner und Autofahrer, demnächst auch unterhaltspflichtige Väter. In den Ämtern weiß deshalb jeder sehr genau, wie die Menschen über die Gebühren und die Freundlichkeit des Personals denken, was sie von den Öffnungszeiten halten, wie sie die Qualität und das Tempo der Beratung beurteilen und ob sie das Amtsdeutsch der Briefe verstehen oder nicht.

30.000 Euro kostet der Kundenmonitor jährlich, dazu addieren sich die internen Personalkosten für die Mitarbeiter, die alle drei Monate sämtliche Daten in Balkendiagramme und Excel-Tabellen verwandeln. Und dann miteinander vergleichen, die Verwaltungsbereiche untereinander und die gesamte Landkreisverwaltung mit anderen Landkreisverwaltungen. Verglichen werden die Wartezeit in der Kfz-Zulassungsstelle, die Zahl der Widersprüche in Bußgeldverfahren und die Fallzahlen pro Sachbearbeiter. Der Kreis hat sich auch schon mit einer Bank gemessen (und schnitt schlechter ab) und mit einer Krankenkasse (nur wenig schlechter). Es geht ständig darum nachzusteuern, also besser zu werden.

Als die befragten Bürger der Ausländerbehörde zu schlechte Noten gaben, folgte prompt eine Schulung für die Mitarbeiter, zudem wurde ein Integrationsbeauftragter eingestellt. Nach Unmut bei interviewten Auto-Kunden öffnet die Kfz-Zulassungsstelle inzwischen auch samstags. Als der Kundenmonitor schlechte Werte bei der telefonischen Erreichbarkeit lieferte, richteten die IT-Experten einen Rückruf-Service auf der Website ein: „Teilen Sie uns kurz mit, worum es geht“, bitten sie dort die Kunden und fragen: „Wann soll der Rückruf erfolgen?“

Servicegarantien und neue Dienste für mehr Glück – und Effizienz

Das ständige Hineinhorchen in den Kunden und das Nachsteuern scheinen die Kreativität im Kreishaus anzuregen. In Osnabrück bekommt der verwaltete Bürger zeitliche „Servicegarantien“ auf viele Leistungen, vom amtsärztlichen Gutachten bis zur Gaststätten-Konzessionierung. Oder er kann sich auf der Website ein Wunschkennzeichen für sein Auto reservieren, was auch die Kfz-Sachbearbeiter freut. Pro Monat erledigen heute mehrere hundert Autofahrer am Computer, wozu sie früher angerufen hätten. Rund 1000 Osnabrücker Schüler, Eltern und Lehrer bekommen auf Wunsch eine SMS, wenn im Winter die Busse wegen Glatteis nicht fahren. Es gibt ein „Büro für Selbsthilfe und Ehrenamt“ und das Projekt „Wir AG“, das Schülerfirmen voranbringt. Auf der Website ist ein virtuelles Fundbüro eingerichtet, das – wieder unter dem Stichwort „Landkreis vor Ort“ – 18 Rathäuser im großen Osnabrücker Land abdeckt.

Geld für Experimente – Misserfolg erlaubt

Manche dieser Ideen kosten viel Geld, andere entlasten die Verwaltung. Manche erweisen sich wegen zu geringer Nachfrage als unwirtschaftlich, andere schlafen ein, wie der Jugendkreistag oder die Internet-Chats, die früher einmal regen Zulauf hatten.

„Hier herrscht Trial and Error, der Geist des Probierens. Wenn’s nicht klappt, wird es wieder eingestampft.“ Das sagt Kai Brauer, Projektleiter Online, der auf der Website des Landkreises schon viel ausprobiert und dafür etliche Preise bekommen hat. Brauers Büro ist die gesamte Verwaltung im Kleinen: Die Zahl der Mitarbeiter wurde von drei auf zwei reduziert, und Brauer entwickelt aus der Not eine Tugend. Seit kurzem ist der neue Internet-Auftritt online, dank einer Public Private Partnership mit einem regionalen Provider bietet er trotz verkleinerter Mannschaft im Kreishaus neuerdings Inhalte: Job-, Immobilien-, Pendler- und Autobörsen, dazu Kleinanzeigen und einen Veranstaltungskalender, es fehlt nur noch die Partnerbörse. Dass dabei die Grenzen des Landkreises Osnabrück weit überschritten werden und, wie manche mäkelten, Werbung für Konkurrenzkreise und -städte gemacht werde, stört die Nutzer kaum. Brauer sagt: „Den Bürger interessieren doch unsere Verwaltungsgrenzen nicht.“

Begonnen hat der bürgernahe Reformprozess der Osnabrücker Kreisverwaltung Anfang der neunziger Jahre. Angeregt durch die Beispiele niederländischer Kommunen, näherte sich die Verwaltungsspitze Schritt für Schritt dem heute praktizierten „Steuerungskreislauf“. 1996 und 2002 erhielt der Kreis dafür den Preis der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer, eine Art Verwaltungs-Oscar. In Unternehmen ist eine zielorientierte, strategische Steuerung heute nicht mehr aufregend; für eine Landkreisverwaltung war sie Mitte der neunziger Jahre ein Paradigmenwechsel. Dort hatte man bis dahin nur Übung in der „Bewirtschaftung von Haushaltstiteln“, kannte den Verbrauch von „Ressourcen“, aber keine eigenen Produkte und Leistungen. Und hatte noch nie ausdrücklich Ziele formuliert und sich schon gar nicht auf Kennzahlenvergleiche mit anderen Verwaltungen eingelassen.

Da grenzte es an eine Revolution, dass die Akteure plötzlich „Leitbilder“ entwerfen sollten, die später in „mittelfristige Entwicklungsziele“ und „Handlungsschwerpunkte“ mündeten und – ganz zum Schluss – in „Kontrakte“: Vereinbarungen, die in Menge und Qualität festhalten, was die einzelnen Fachdienste zum „Produkthaushalt“ beitragen können; etwa, in welcher Zeit ein Bauantrag genehmigt werden soll und was die Genehmigung höchstens kosten darf; wie viele Kilometer Radweg das Straßenbauamt im nächsten Jahr asphaltieren muss oder wie viele Arbeitslose die landkreiseigene Arbeitsagentur vermitteln will.

Mehr Rechenschaft, mehr Verantwortung, mehr Kreativität

Vorstände und Referatsleiter müssen heute in Quartalsberichten Rechenschaft über ihre Zielerreichung ablegen, und das in einer klaren Bildersprache. Schwarze, waagerecht verlaufende Pfeile stehen für die „planmäßige Entwicklung“; rote, abwärts zeigende Pfeile für „negative Entwicklungen“. „Auf diese Pfeile stürzen sich Presse und Opposition am liebsten“, sagt Horst Hüsemann, Referatsleiter für Controlling und Finanzen, dennoch mache die Arbeit heute eindeutig mehr Spaß: „Früher haben die Abteilungen oft Inseldiskussionen geführt, heute ist man vernetzter und hat viel stärker den Eindruck, etwas gestalten zu können. Das Geld wird nach strategischen Überlegungen kanalisiert. Wir haben mehr Verantwortung, aber auch mehr Raum für Kreativität.“ Über die Jahre ist im Kreishaus das Bewusstsein entstanden, dass man ein Lenkrad in der Hand hält und Steuern richtig Spaß machen kann.

In dem Backsteinbau am Rande von Osnabrück sitzen deshalb Menschen wie Klaus Wagner, Leiter des Fachdienstes Ordnung. Fachdienst – so heißen jetzt die ehemaligen Ämter, während die Dezernenten in Vorstände umbenannt wurden. Klaus Wagner ist Chef von hundert Mitarbeitern, die sich um Ordnung bemühen: Bei Schankerlaubnissen und Jagdscheinen, im Ausländerwesen, im Straßenverkehr oder beim Brand- und Katastrophenschutz. Das Schildchen mit seinem vollen Namen trägt Wagner am Revers, auf seinem Tischkalender steht „Alles in Ordnung“; der 56-Jährige redet so laut und bestimmend, dass es nicht wundert, als er erzählt, er stamme aus einer Polizistenfamilie und sei ein „bekennender Ordnungstyp“.

Andererseits trägt der beamtete Ordnungstyp, seit 39 Jahren im öffentlichen Dienst, Jeans und Nickelbrille, hat den obersten Hemdknopf geöffnet und sagt, er sehe gar nicht ein, warum er alle Fahrschulen im Landkreis jedes Jahr prüfen solle, wie es die Fahrerlaubnisverordnung verlangt, „und die hat Gesetzescharakter“. Wagner nutzt seinen Ermessensspielraum und lässt stattdessen nur noch „anlassbezogen“ prüfen, wenn also auffällig viele Fahrschüler durch die Prüfung beim TÜV rauschen, wenn sich Fahrschüler über eine bestimmte Schule beschweren oder die Konkurrenz entsprechende Tipps gegeben hat. Wagner: „Wir fahren seit Jahren gut mit dieser Praxis und ersparen uns so eine Menge Aufwand. Ich nehme das mal auf meine Kappe.“

In anderen Bereichen gilt ebenfalls Bürokratieabbau – zur Freude beider Seiten: Jagdscheine müssen nur noch alle drei Jahre statt jährlich verlängert werden, Gleiches soll bald auch bei Genehmigungen für Straßenumzüge gelten.

Mit der Unterstützung der Landwirte wurde der Kreis jetzt zum Kleinkläranlagen-Modell Niedersachsens erklärt: Statt wie bislang dreimal im Jahr müssen Bauern in Zukunft nur noch einmal jährlich zertifizierte Klärtechniker zur Grundwasserkontrolle auf ihre Grundstücke lassen. Bei vorbildlichen Betrieben reicht sogar eine Prüfung der Jauchegrube alle zwei Jahre, nur wer die Grenzwerte nicht einhält, wird wieder so intensiv wie früher kontrolliert.

Verwaltungs-Populismus? Bürgerfreundliches Kosten-Nutzen-Denken, findet Reinhold Kassing, Erster Kreisrat und Vorstand I, verantwortlich für Service, Gesundheit, Finanzen, strategische Steuerung und Kreisentwicklung. Intern gilt der Wahlbeamte (CDU) als ruheloser Antreiber, der mit immer neuen Ideen Staub aufwirbelt. Kassing schätzt „Küchenzurufqualität“ und meint damit, dass man auch über Verwaltungsvorgänge so verständlich reden können sollte wie in der heimischen Küche über Privates. Es ärgert ihn, wenn „die Leute unsere Bescheide nicht verstehen“. Also schickte Kassing vor kurzem fünf Auszubildende auf ein Seminar über moderne Korrespondenz und ließ sie anschließend die ausgehende Post im Kreishaus prüfen. Was sie herausfanden, stellten sie als Tipp-Sammlung ins Intranet: Verwenden Sie Verben statt Substantive; benutzen Sie keine Blähwörter wie Problemstellung, Zukunftsprognose, mündliches Gespräch ...; vermeiden Sie Schachtelsätze; setzen Sie Paragrafenketten an das Satzende, schreiben Sie: „Wir übernehmen die Kosten für einen Kindergartenplatz in der Blumengasse gemäß §...“ anstatt „Hiermit gewähren wir Ihnen gemäß § 100 Abs. 1 Nr. 1 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) Eingliederungshilfe nach §§ 39, 40 Abs. 1 Nr. 8 und § 43 Abs. 1 BSHG in Verbindung mit § 55 Abs. 2 Nr. 2 des Neunten Sozialhilfegesetzbuches (SGB IX) im Kindergarten in der Blumengasse.“

Solche Beispiele lassen sich im Osnabrücker Kreishaus viele finden – vom Azubi-Projekt bis zum neuen intranetgestützten Vorschlagswesen. In der Summe stehen sie nicht nur für eine innovative, sondern auch für eine Verwaltung, die – gerade deshalb? – einen äußerst erfolgreichen Sparkurs fährt. 2004 wählte das Bundesinnenministerium Osnabrück als Teilnehmer der Europäischen Qualitätskonferenz für öffentliche Verwaltungen in Rotterdam aus – als eine von drei deutschen Vorzeige-Verwaltungen. Vorzeigbar ist neben dem Genannten, dass die Schulden des Landkreises seit 1984 von 274 auf 90 Millionen gesunken sind; dass die Pro-Kopf-Verschuldung mit 250 Euro pro Einwohner fast nur noch ein Viertel des Wertes von 1984 beträgt und den Landesdurchschnitt von 341 Euro weit unterbietet und dass die Personalausgaben pro Einwohner mit 110 Euro so niedrig sind wie nirgendwo sonst in Niedersachsen.

Alte Aufgaben neu organisieren

Wer sich die Arbeit von Jürgen Schwietert anschaut, versteht, wie das gelang. Es ist Mittagspause, und der Abteilungsleiter sitzt in der Kreishaus-Kantine, auf dem Speiseplan steht „Hähnchenbrustfilet à la Heidi Klum“. Seit der Kantinen-Pächter gewechselt hat, sind die Menübeschreibungen ausgefallener und das Essen angeblich besser. Seither zahlt der Landkreis auch keine Zuschüsse mehr, dafür darf der Pächter jetzt externe Gäste bewirten.

Jürgen Schwietert führt seit wenigen Wochen den Regiebetrieb 9 und ist damit verantwortlich für die Pflege von 640 Kilometern Kreisstraße und 291 Kilometer Radweg, an denen 25.000 Bäume stehen. In seinen Kreisstraßenmeistereien arbeiten rund 30 Mitarbeiter, vor fünf Jahren waren es noch doppelt so viele. Die Leistung der Abteilung hat darunter nicht gelitten: Erstens sitzen auf den Mähfahrzeugen heute nicht mehr zwei Männer – einer, der fährt, und einer, der mäht, sondern einer, der fährt und mäht, „moderne Maschinen mit ihren Sensoren weichen den Leitpfosten automatisch aus“, sagt Schwietert. Zweitens ist seit wenigen Jahren Schichtdienst von 6 bis 22 Uhr möglich, wenn im Frühjahr das Grün am Straßenrand besonders stark wuchert. So spart sich Osnabrück zudem eine Anfahrt des schweren Geräts zum Mähort, im zweitgrößten Landkreis des Bundeslandes dauert die leicht 45 Minuten und mehr. In Zukunft will Schwietert Jahreszeitkonten einführen, die sich im Frühjahr und Sommer prall füllen können und im Herbst und Winter wieder schrumpfen.

Drittens schickt er Fremdfirmen jetzt immer öfter in Begleitung seiner eigenen Mitarbeiter los. So muss er nicht erst die zu schneidenden Bäume zählen lassen, dann eine Ausschreibung formulieren und nach der Arbeit kontrollieren, wie viele Bäume und wie gut sie tatsächlich geschnitten wurden – die eigenen Leute waren ja immer dabei. „Ich mache also nur noch eine reine Preisanfrage nach dem Stundensatz“, sagt Schwietert. Eine öffentliche Ausschreibung kostet 2000 Euro, eine beschränkte Ausschreibung 1000, die freihändige Vergabe 200.

Digitaldruck, online Materialbestellung – sparen ohne Schmerzen

Es gibt noch viele andere Beispiele, die zeigen, dass Osnabrück spart, ohne schlechter zu arbeiten. Statt der hauseigenen Druckerei liefert heute täglich eine Digitaldruckerei aus Osnabrück mit Zeitgarantie per Boten Formulare oder Broschüren ins Kreishaus, und das in besserer Qualität und größerer Vielfalt als früher. Die Kollegen in der Verwaltung sind geschult, wie sie beim neuen web-basierten Auftragsmanagement am Computer ihre Order selbst direkt in der Druckerei platzieren. Um knapp 60.000 Euro wird der Kreishaushalt jährlich durch die stillgelegte Druckerei entlastet, es sind vor allem eingesparte Personalkosten.

Auch das Service-Center neben der Kantine hat gerade dichtgemacht. Hier holten sich die Mitarbeiter bislang, was sie an Büromaterial brauchten: Sie trugen Faxkartuschen, Klebestifte, Umschläge und Papier in eine Liste ein, dazu Stückzahl, Name, Datum, Einzelpreis. Ein Sachbearbeiter reichte ihnen die Ware aus den Regalen hinter sich und übertrug die Listen in seinen Computer, damit er wusste, wann er nachbestellen musste.

Auf diese Weise orderten die Mitarbeiter früher Waren für etwa 150.000 Euro pro Jahr. Heute bestellen sie im Intranet direkt bei den Lieferanten. Die Rahmenverträge sind bereits abgeschlossen. Der Einkauf wird so um neun Prozent billiger, geringere Prozess- und Personalkosten noch nicht mitgerechnet.

Trotz aller Erfolge wird der Spardruck aber auch in Osnabrück nicht sinken. 2004 musste der Landrat eine Haushaltssperre verhängen – zehn Prozent bei den allgemeinen Ausgaben, zwanzig Prozent bei den Investitionen. Die finanzielle Lage sei, wie es in einem Strategiepapier hieß, „mehr als Besorgnis erregend“, höchste Priorität: „die Zahlungsunfähigkeit verhindern“. Finanzvorstand Kassing will am Konsolidierungskurs „eisern festhalten“ und damit am Ziel, auch 2005 im Kreis wieder 30 Stellen einzusparen. 30 von 730. Vor zehn Jahren waren im Landkreis noch 950 Mitarbeiter beschäftigt.

Und doch werden im Kreis – vor allem dank der zielorientierten Steuerung – nicht einfach pauschal Budgets zusammengestrichen. Jüngstes Beispiel ist das Gesundheitswesen. Zwar haben Stadt und Kreis Osnabrück zum Jahresanfang ihre Gesundheitsämter zu einer Behörde fusioniert, was beide Kommunalhaushalte um rund 400.000 Euro jährlich entlastet; gleichzeitig investiert der Landkreis gut 150.000 Euro in den wachsenden Markt der Gesundheitsbranche – etwa in ein Entwicklungskonzept für die Kreiskurorte oder in ein „Institut für Gesundheit und Bildung Osnabrück“, das die Akteure – darunter Kliniken, Kurverwaltungen, ein Herz- und ein Diabeteszentrum – näher zusammenführen soll.

Reformer wie in der freien Wirtschaft

Initiativen wie diese sind ganz nach dem Geschmack von Christian Niehaves, Geschäftsführer der kreiseigenen Abfallwirtschaftstochter AWIGO. Auf seinem Schreibtisch liegt der Quartalsbericht des Kundenmonitors, der die gesamte Landkreisverwaltung mit der Mülltochter vergleicht, und überall hat AWIGO bessere Werte. Niehaves hat offenbar viel richtig gemacht. Vor allem natürlich bei den Gebühren, die seit seinem Antritt vor sechs Jahren zweimal gesenkt wurden, unter anderem weil Niehaves zuvor die Preise seiner Dienstleister gedrückt hatte. Auch beim Service denkt er zuerst an seine Kunden: Er lässt sie zwischen gelbem Sack und gelber Tonne wählen und erinnert sie auf Wunsch per E-Mail an die aktuelle Müllabfuhr. Zum Jahresanfang hat Niehaves die alte Praxis beendet, nach der die 94.000 Haushalte im Landkreis ihren Gebührenbescheid von einer der 22 Stadt- oder Gemeindeverwaltung bekamen. Hatten die Bürger Fragen dazu, riefen sie im Rathaus an; kam das Müllauto nicht, waren die zwei beauftragten Entsorgungsfirmen ihre Ansprechpartner – sofern man telefonisch zu ihnen durchdrang.

Jetzt ist alles bei der AWIGO zentralisiert: Mitarbeiter verschicken alle Gebührenbescheide, das spart pro Jahr 160.000 Euro; das Service-Center ist von morgens sieben bis 20 Uhr besetzt, an sieben Tagen in der Woche. Dass er in einer Verwaltung so viel ändern könnte, hätte Niehaves nie erwartet. „Ich komme aus einer Selbstständigen-Familie und habe früher über Verwaltungen eigentlich nur geschimpft. Als BWL-Student hatte ich später dann natürlich den Traum, einmal irgendwo Top-Manager zu werden, aber nicht Leiter eines kommunalen Regiebetriebs.“

Es kam dann anders. Niehaves ging in die Entsorgungswirtschaft, bis ihn ein Personalberater auf Osnabrück ansprach. „Ich habe mich darauf vor allem wegen des Beraters eingelassen, nicht wegen des Jobs bei AWIGO.“ Beim ersten Gespräch mit der Verwaltungsspitze wendete sich das Blatt. Niehaves wurde gefragt, wie er über das Thema Bestechung und Bestechlichkeit denke, und antwortete, bei einer zweistelligen Millionensumme könnte er wohl schon schwach werden. Er bekam das Jobangebot. Und war sicher: „Die sind hier anders drauf. Den Job machst du.“


Dieser Text stammt aus unserer Redaktion Corporate Publishing.