Gefängnis mit beschränkter Haftung

Gedränge in den Zellen, kaputte Alarmknöpfe, Ausbruch-Skandale – angesichts leerer öffentlicher Kassen steckt auch der Strafvollzug in der Krise. Warum nicht privatisieren?, fragen sich deshalb immer mehr deutsche Landesregierungen. Aber lassen sich Haftanstalten tatsächlich ganz oder in Teilen privat betreiben? Ein Besuch beim britischen Gefängnisbetreiber Serco.




Wer Direktor Rod MacFarquhar besucht, bekommt binnen weniger Minuten einen Eindruck vom Erfolgsrezept seines Arbeitgebers. Am Eingang des Gefängnisses im nordenglischen Doncaster fordern wohl gelaunte Damen („Hello darling, how are you?“) die Besucher auf, einen Fingerabdruck zu hinterlassen, kontrollieren den Personalausweis und machen vor einer blauen Wand ein Foto für den Tages-Passierschein. Kaugummis müssen in den Mülleimer, Mobiltelefone bleiben in der Rezeption. An der Wand hängt ein Foto vom Gefängnismitarbeiter des Monats, im Wartezimmer flimmert der „Tagesgedanke des Direktors“ über den Bildschirm. Heute denkt er: „Der Zeitpunkt ist immer richtig, um etwas Richtiges zu tun.“

In seinem Büro spricht Rod MacFarquhar über Zahlen: 260 Wärter arbeiten im Schichtdienst, das Gefängnis hat 770 Zellen und 1050 Häftlinge. „Sie sind in drei Gebäuden untergebracht“, sagt er und zeigt auf einen Grundriss des Gefängnisgeländes: Lange Gänge verbinden die drei Teile miteinander, führen weiter zur Krankenstation und in die Großküche. Ein geschlossenes System. „Das macht die Begleitung der Gefangenen in den Gängen überflüssig“, sagt der Direktor und lädt den Gast zum Rundgang ein.

Das Labyrinth beginnt hinter zwei dicht aufeinander folgenden schweren Metalltüren: Die weiß gestrichenen schmalen Verbindungsgänge sind kühl, die Wände unverputzt, an der Decke leuchten grelle Neonröhren. Ab und zu eilen Gefängnismitarbeiter durch die kargen Flure, in dunkler Hose, weißem Hemd und Krawatte. Auch Häftlinge schlendern vorbei, allein oder in kleinen Gruppen. Sie werden von 200 Kameras überwacht. „Das spart Personal und ist viel effizienter,“ sagt MacFarquhar.

Das Wort Effizienz benutzt er gern und oft. Je effizienter er sein Gefängnis leitet, desto mehr verdient er. Bis zu zehn Prozent kann sein variabler Bonus am Jahresgehalt ausmachen. Das ist gut für ihn und für seinen Arbeitgeber, die Premier Custodial Group Ltd. Rod MacFarquhar hat mehr als 30 Jahre in staatlichen Gefängnissen gearbeitet, bevor er vor einigen Jahren zu Premier wechselte. Heute ist er froh, den „restriktiven staatlichen Dienst“ hinter sich gelassen zu haben. Er verwaltet ein kleineres Jahresgesamtbudget und erreicht doch mehr, wie er sagt, „weil ich entscheiden kann, wofür ich das Geld ausgebe“. Flexibler sei er auch bei der Bezahlung und dem Einsatz des Personals im Schichtdienst.

Premier ist ein Tochterunternehmen der britischen Serco Group. Der an der Börse gelistete Konzern macht 90 Prozent seines Geschäftes mit Aufgaben, die er vom Staat übernommen hat. Neben Gefängnissen betreibt Serco auch Krankenhäuser, Schulen, Eisenbahnlinien und Einrichtungen der Armee. Das ist in Großbritannien seit Jahren gängige Praxis. Und ein lukratives Geschäft: Im vergangenen Jahr machte Serco mit seinen rund 40.000 Mitarbeitern 1,6 Milliarden Pfund Umsatz (gut 2,35 Milliarden Euro) und erzielte einen Vorsteuergewinn von 82,67 Millionen Euro, 8,6 Prozent mehr als im Vorjahr. Auch in den USA mischt die Privatwirtschaft seit langem bei der Erfüllung traditioneller öffentlicher Aufgaben mit: Firmen wie Edison, Victory Schools und Chancellor Beacon Academies haben Management und Unterricht an vielen staatlichen Schulen übernommen. Sie versprechen – bislang allerdings erfolglos – Gewinne zu machen und gleichzeitig zu schaffen, was mehr als 15 Jahre öffentlicher Schulreform in den Vereinigten Staaten nicht erreicht haben: amerikanische Kinder besser auszubilden. Gefängniskonzerne wie Geo Group, Wackenhut Corporation oder Cornell Companies sind bereits so etabliert, dass in einigen US-Bundesstaaten jedes zweite Gefängnis privat betrieben wird. Kanada und Australien vertrauen ebenfalls auf die billigeren Knastbetreiber.

Der Staat zahlt den Unternehmen einen festen Betrag pro Häftling und Tag. Bleiben die Privaten mit ihren Kosten darunter, können sie die Differenz als Gewinn verbuchen. Dabei helfen ihnen eine schlanke Verwaltung und Größenvorteile. Durch die zentrale Leitung mehrerer Gefängnisse lassen sich die Verwaltungskosten reduzieren und bessere Preise beim Einkauf von Materialien aushandeln.

Wo liegen die Grenzen der Privatisierung?

Nach Meinung unabhängiger Experten wie etwa des Briten Stephen Nathan, Autor des Newsletters „Prison Privatisation Report International“, sparen die Privaten jedoch auch bei der Betreuung der Inhaftierten. „Unternehmen setzten auf mehr Technik und weniger Personal, das meist schlecht bezahlt und schlecht ausgebildet ist“, so Nathan. Gegner halten den menschlichen Kontakt zwischen qualifizierten Gefängnismitarbeitern und Häftlingen für unersetzbar. Seit Jahren wird deshalb eine hitzige Debatte geführt, in der Nathan zu dem Schluss gekommen ist: „Gefängnisse sind nicht mit der Müllabfuhr zu vergleichen. Nicht alles lässt sich privatisieren.“

Die Fragen stellen sich tatsächlich: Was kann der Staat abgeben, was nicht? Wo sollte die Grenze zwischen Effizienz und Profitmaximierung gezogen werden? Wo schadet das Streben der Unternehmen nach Eigennutz dem Gemeinwohl? Oder sind derartige Bedenken unbegründet, weil der Staat den Firmen die übertragenen Aufgaben auch wieder entziehen kann und damit Leistungsdruck auf den Privaten lastet?

Auch hier zu Lande wird heftig diskutiert. Denn immer mehr deutsche Politiker liebäugeln mit der Option, Projekte in Partnerschaft mit der Privatindustrie zu schmieden (siehe Seite 39). Angesichts leerer Länderkassen schwindet die langjährige Skepsis – und einstige Tabus wie etwa der private Betrieb von Gefängnissen werden Realität.

Ab Anfang 2006 wird Serco das erste teilprivatisierte Gefängnis Deutschlands mit betreiben, das derzeit im hessischen Hünfeld gebaut wird. Im vergangenen November unterschrieb der britische Konzern einen Fünf-Jahres-Vertrag mit dem Land Hessen.

Eine Revolution – auch wenn ihre praktische Umsetzung noch lange nicht an den ausländischen Standard reicht. Zwar hatte Hessens Justizminister Christean Wagner vor, das Gefängnis im hessischen Hünfeld mit 500 Haftplätzen komplett privat betreiben zu lassen. In der nach Polizeirecht geführten Abschiebehaft ist der Einsatz von externen Sicherheitskräften auch bereits Usus. Eine Rechtsprüfung ergab jedoch, dass der deutsche Staat, anders als in Großbritannien, die Leitung einer Justizvollzugsanstalt nicht abgeben darf. Hoheitliche Aufgaben – und dazu zählen insbesondere jene, die mit Zwang gegenüber dem Bürger verbunden sind – dürfen grundsätzlich nur Beamte übernehmen.

Also einigte man sich auf einen Kompromiss. Serco-Mitarbeiter dürfen unter anderem das Essen kochen, den Garten pflegen, die Häftlinge beim Drogenentzug oder bei Eheproblemen beraten, sich um ihre Fort- und Weiterbildung kümmern und ihnen Jobs im Gefängnis besorgen. Für diese Aufgaben wird Serco rund 40 Prozent des Personals in Hünfeld stellen. Zu deutlich niedrigeren Preisen als der Staat für Beamten zu zahlen hätte: Hessen rechnet mit Einsparungen von 660.000 Euro pro Jahr, das entspricht rund 15 Prozent.

Während Politiker frohlocken, steigt die Skepsis derer, die bereits mit der Teilprivatisierung von Gefängnissen die Linie zwischen Aufgaben des Staates und den Tätigkeitsfeldern der Privatwirtschaft überschritten sehen. Zwar soll der Sicherheitsbereich in der neuen Justizvollzugsanstalt (JVA) nahezu vollständig in staatlicher Hand bleiben – Serco-Mitarbeiter werden die Beamten allerdings bei der Verwaltung und bei Routine-Wachdiensten wie der Monitorüberwachung oder der Begleitung der Gefangenen innerhalb der Anstalt unterstützen. Das ist Grund genug für Misstrauen: „Wer mit Gefangenen zu tun hat, wenig verdient und keinen sicheren Arbeitsplatz hat, ist wesentlich anfälliger für Einflussnahme von innerhalb und außerhalb der Anstalt“, kritisiert etwa Andreas Jürgens, rechtspolitischer Sprecher der hessischen Landtagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen.

Überfüllte Gefängnisse und leere Kassen: Ausweg Privatisierung

Torsten Kunze, der das Projekt Hünfeld im hessischen Justizministerium von Beginn an begleitet hat, kennt die Vorbehalte. Aber er kennt auch die Realität in staatlichen Gefängnissen. Als sich die hessische Landesregierung 1999 entschloss, mit Privaten zusammenzuarbeiten, fehlten im Land etwa 1200 Haftplätze. „Viele Zellen waren mehrfach belegt“, sagt Kunze und fügt nach kurzer Pause hinzu: „Im Hinblick auf die Sicherheit der Anstalten ein nicht ganz ungefährliches Unterfangen.“

Der Jurist hat gelernt, sich vorsichtig auszudrücken. In ruhigem Redefluss arbeitet er sich durch die prekäre Finanzlage des Landes Ende der neunziger Jahre und die Vorteile einer Zusammenarbeit mit der Privatwirtschaft beim Bau und Betrieb der Justizvollzugsanstalt. Weil nicht das Land, sondern ein privater Generalunternehmer die Gefängnismauern hochzieht, liegen die Kosten in Hünfeld bei 100.000 Euro pro Haftplatz. Bei der unter staatlicher Ägide gebauten JVA Weiterstadt, die das Land Hessen 1997 in Betrieb nahm, kostete ein Haftplatz noch 250.000 Euro. Dauerten Planung und Bau in Weiterstadt über zehn Jahre, werden es in Hünfeld voraussichtlich vier sein. „Ordentliche Unterschiede“, findet Kunze.

Fest steht, dass der rein staatliche Betrieb von Gefängnissen kein Garant für ideale Verhältnisse ist. Die meisten deutschen Bundesländer beklagen überfüllte Gefängnisse und schlechte Haftbedingungen. Nach fünf Ausbrüchen aus der Hamburger Haftanstalt Billwerder innerhalb von fünf Monaten sprach selbst Justizsenator Roger Kusch vom „Schweizer-Käse-Knast“. In Saarbrücken legte jüngst ein Häftling vor Gericht erfolgreich Beschwerde gegen menschenunwürdige Inhaftierung ein – wegen Überfüllung hausten er und ein Mitgefangener auf acht Quadratmetern. Auch andere Bundesländer beklagen die Umstände. In Bayern gab es im März 2005 für 13.108 Gefangene 11.756 Haftplätze.

Derartige Zustände sind nicht hinnehmbar, diesbezüglich herrscht Konsens. Aber welcher Weg ist richtig, um sie zu beseitigen? Mit der Reform ihrer eigenen Systeme tun sich die Länder schwer. Und so wagt nicht nur Hessen den Schritt in Richtung Privatisierung. Sachsen-Anhalt und Baden-Württemberg planen bereits, beim Bau neuer Justizvollzugsanstalten mit Privaten zusammenzuarbeiten. Nordrhein-Westfalen will noch in diesem Jahr den Bau und Betrieb eines Gefängnisses in Ratingen ausschreiben. Und alle beobachten genau, was in Hessen passiert. Dort wird Justizminister Wagner nicht müde zu versichern: „Der Staat behält in Hünfeld das Kommando.“ Tatsächlich gibt das Land dem privaten Betreiber einen detaillierten Rahmen vor. Anzahl und Nährwertangebot der Mahlzeiten sind ebenso definiert wie die Häufigkeit der Arzt-Sprechstunden oder die nötige Qualifikation der Serco-Mitarbeiter.

Dass sich trotzdem einiges erst in der Praxis einspielen wird, bestreitet auch der hessische Oberstaatsanwalt Torsten Kunze nicht. Vor allem im Sicherheitsbereich. Befürchten die Kritiker nicht zu Recht, dass es im Gefängnisalltag zu Problemen zwischen öffentlich und privat kommen kann? „Nein“, meint Kunze. Routine-Wachdienste wie die Monitorüberwachung oder die Begleitung der Gefangenen innerhalb der Anstalt seien Bereiche, in denen Gefangene selten aggressiv sind. Was aber, wenn es doch zu Schwierigkeiten kommt? Sind die Serco-Mitarbeiter darauf vorbereitet? Ja, sagt Kunze, sie bekommen Sicherheitsschulungen und „sie können sich selbst verteidigen“. Körperliche Gewalt aber dürften selbst in Krisensituationen nur Beamte anwenden.

Für Wolfgang Schröder, den Bundesvorsitzenden des Bundes der Strafvollzugsbediensteten (BSBD) ein Risiko: „In gefährlichen Situationen ist der Vollzugsbeamte allein auf weiter Flur.“ Zwar dürfe ein privat Angestellter Nothilfe leisten, doch was genau darunter falle, sei unklar. Wer trotzdem eingreife, so glaubt Schröder, „ist durch einen Crash-Kurs von wenigen Wochen nicht ausreichend auf solche Situationen vorbereitet.“ Die Ausbildung eines Justizvollzugsbeamten dauert immerhin zwei Jahre.

Das ist lange, verglichen mit der Ausbildung von Wärtern in privat betriebenen Gefängnissen im Ausland. Und es erklärt die Skepsis derer, die sich eine vollständige Privatisierung nicht vorstellen mögen.

Beim Privatbetreiber Premier im britischen Doncaster lernen die Wärter ihren Job beispielsweise in acht Wochen, wie Gefängnisdirektor Rod Mac-Farquhar ungerührt erzählt: sechs Wochen Theorie, eine Woche Verhaltenstraining für Krawallsituationen, eine Woche Begleitung eines dienstälteren Kollegen. „Das reicht“, findet MacFarquhar. Und das, obwohl fast keiner seiner Angestellten zuvor in einem Gefängnis gearbeitet hat.

Neu ist für die meisten auch das harte Personal-Regiment des Anstaltsleiters. Bezweifelt MacFarquhar beispielsweise, dass krank gemeldete Mitarbeiter arbeitsunfähig sind, schickt er Kollegen zu Kontrollbesuchen. Wer nicht zu Hause angetroffen wird und keinen triftigen Grund für seine Abwesenheit hat, riskiert, dass ihm mit sofortiger Wirkung das Krankengeld gestrichen wird. Aus Sicht des Direktors zahlt sich das Misstrauen aus: „Unser Krankenstand liegt weit unter dem in staatlichen Gefängnissen“, sagt MacFarquhar sichtlich zufrieden.

Weniger Gehalt, mehr Arbeit, viel Lob

Zu diesem Ergebnis kam auch das Independent Monitoring Board (IMB), das kürzlich die nationalen Zahlen veröffentlichte. Die unabhängige Regulierungsbehörde dokumentierte auch, dass britische Wärter in privaten Gefängnissen im Durchschnitt weniger verdienen als Beamte. Je nach Aufgabe und Dienstgrad liegt die Gehaltsdifferenz bei 18 bis 48 Prozent. Erst im oberen Management dreht sich das Verhältnis um. Zudem müssen private Angestellte länger arbeiten und haben weniger Urlaub.

In dem von MacFarquhar gemanagten Gefängnis in Doncaster liegt das Einstiegsgehalt eines Wärters bei 15.250 Pfund, das entspricht rund 22.270 Euro im Jahr – gut 4000 Euro weniger als im staatlichen Dienst. Das Durchschnittsalter der Belegschaft liegt bei Ende 20, die Mitarbeiter-Fluktuation ist mit elf Prozent im Vergleich zum öffentlichen Sektor hoch. Was also kann der Anstaltsdirektor seinen Mitarbeitern bieten, was sie nicht in einem staatlichen Gefängnis finden? „Lob und gutes Arbeitsklima.“

Das sind relativ schwache Beweggründe, wie es scheint. Neil Goodwin, leitender Wärter in Doncaster, ist klein und schmächtig und arbeitet schon seit ein paar Jahren für Premier. Ganz gern, wie er sagt. Doch in der Region bestünde auch nicht viel Auswahl. Früher habe es etliche Jobs im Bergbau gegeben, doch das sei vorbei. „Heute muss man froh sein, überhaupt etwas zu haben“, sagt Goodwin, um das Thema abzuschließen, während er die Tür zum Aufenthaltsraum der Gefangenen aufschließt.

In der Mitte des großen Raums steht ein Billardtisch. Gelangweilt fläzen sich einige Männer auf weißen Plastikstühlen. Aus dem Gemeinschaftsbad hört man lautes Gegröle. Einige Gefangene warten, dass eines der drei Münztelefone frei wird. Die meisten tragen Trainingshosen und Muskel-Shirts. Paul Pitts, einer der Häftlinge, wird übermorgen entlassen. „Mit meiner Freundin essen gehen“, sagt er auf die Frage, was er als Erstes vorhat. Dreimal habe er schon eingesessen. „Wegen Autodiebstahl und so.“ Zweimal war der 28-Jährige in einem staatlichen Gefängnis, bevor er nach Doncaster kam. Aber hier gefällt es ihm zweifellos „viel besser“. Im staatlichen Gefängnis habe er die meiste Zeit in seiner winzigen Zelle verbracht, im Privatknast seien die Gefangenen mindestens elf Stunden am Tag draußen. Und wer sich gut verhalte, bekäme mit Glück einen Job, wie er als „Buddy Volunteer“. Ein paar Stunden am Tag gibt er seinen Mitgefangenen Tipps für die Zeit nach der Haft.

Eine Ausnahme: Anspruchsvollere Jobs sind auch in privaten Gefängnissen Mangelware. In Doncaster putzen Häftlinge Aufenthaltsräume oder helfen in der Küche. Im größten Arbeitsraum sitzt eine Hand voll Männer vor Computern. Einige studieren Lernprogramme. In einer Ecke hocken sieben Gefangene um einen niedrigen Tisch und verpacken schweigend Teebeutel in Plastiktüten, gegenüber hantieren zwei an einer Druckmaschine. In einer separaten kleinen Werkstatt schrauben fünf junge Männer an Motoren. Die Warteliste für den Kurs ist lang. Für 366 der 1120 Gefangenen gibt es in Doncaster Jobs. Irgendeinen. Der Rest habe die Chance, sich fortzubilden, heißt es. De facto vertrödeln die meisten jedoch den Tag und hängen mit Knast-Freunden ab. „Hier lassen einen die Wächter auch mal in Ruhe“, sagt ein Gefangener und grinst.

Für den unabhängigen Experten Stephen Nathan liegt genau darin die Gefahr: „Je mehr Zeit Häftlinge unbeschäftigt zusammen verbringen, desto geringer ist die Chance ihrer Wiedereingliederung und desto höher das Gewaltpotenzial im Gefängnis.“ Das Problem gibt es in jeder Haftanstalt. Aber in privaten Gefängnissen hält Nathan es für größer, weil es zu wenig Personal gebe, und das sei auch noch schlecht ausgebildet.
„Da haben die erfahrenen Gefangenen die unerfahrenen Wärter voll im Griff.“

Dass der Effizienzgedanke die Sicherheit in Gefängnissen beeinträchtigen kann, scheinen auch Probleme mit Gewalt und überforderten Mitarbeitern zu belegen, die es in den von Premier betriebenen Gefängnissen in der Vergangenheit immer wieder gab.

Gewalt und gefälschte Dokumente

In der schottischen Haftanstalt Kilmarnock etwa, die Premier betreibt, filmte kürzlich ein BBC-Reporter heimlich ungefilterten Knast-Alltag. Einzelne Wärter mussten sich gleichzeitig um bis zu 80 Gefangene kümmern. Es gab keine regelmäßigen Kontrollgänge, obwohl in Kilmarnock immer wieder Gefangene Selbstmord begangen hatten. Drogen- und Alkoholmissbrauch wurden toleriert. Wärter fälschten Papiere und dokumentierten Kontrollgänge, die niemals stattgefunden hatten. Und Kollegen, die von den Verstößen wussten, schwiegen. Schon aus Eigeninteresse: Premier kann von der staatlichen Aufsichtsbehörde mit Strafgeldern belegt werden, wenn es in den Haftanstalten zu Verstößen wie Körperverletzungen, Drogenschmuggel oder Sicherheitsmängeln kommt. Weil das Gehalt der Mitarbeiter an den wirtschaftlichen Erfolg des Gefängnisses gekoppelt ist, unterbleibt in der Regel die Meldung von Missständen.

Klaus Tiemann, Geschäftsführer des deutschen Serco-Ablegers, muss eine derartige Berichterstattung in Deutschland kaum fürchten. „Manchmal bin ich froh, dass wir in Hünfeld nicht für den Sicherheitsbereich verantwortlich sind“, meint er. Großbritannien und Deutschland seien nicht zu vergleichen, „noch nicht“. Der 54-Jährige sitzt in seinem schlichten Bonner Büro und vermeidet angesichts des Vertrags mit dem Land Hessen jeden Hauch eines auftrumpfenden Tonfalls. Ist ganz Diplomat. Bleibt bescheiden. Und signalisiert mit jeder Faser Verständnis. „Deutschland tut sich schwer, öffentliche Aufgaben an Private zu übertragen.“

Hünfelds Erfolg wäre ein erster Schritt – zu mehr Pragmatismus

Tiemann setzt dennoch darauf, dass Hünfeld der Startschuss ist, auf den er so lange gewartet hat. Zwar nimmt die Firma mit ihren rund 1000 Mitarbeitern dem Staat schon seit einigen Jahren Arbeiten ab. In den Gebäuden hinter Tiemanns Büro bilden Serco-Mitarbeiter beispielsweise IT-Fachleute für die Bundeswehr aus, in Monheim am Rhein wird das Unternehmen bald Schulgebäude und Sporthallen betreiben. „Doch nirgendwo geht die Einbeziehung der Privaten so weit wie in Hünfeld“, sagt Tiemann.

Mitte November soll der Probebetrieb mit 50 Gefangenen beginnen. So sieht es der Vertrag vor. Die Vollbelegung ist für Ende Januar geplant. Zwei Drittel der Mitarbeiter hat die Firma bereits ausgewählt. Und bezahlt sie mit „marktüblichen Gehältern, wie es der Vertrag mit Hessen vorschreibt“, sagt Tiemann. Lohn-Dumping gäbe es nicht. Kann Tiemann das Einstiegsgehalt beziffern? „Nein, das will ich nicht.“ Genauso wenig mag er sagen, wie viele Verträge er bereits mit Werkstattbetrieben unterschrieben hat.

Serco ist vertraglich verpflichtet, 349 Gefangene sinnvoll zu beschäftigen, in Werkstattbetrieben oder in der Küche, in einer Ausbildung oder einer Therapie. Das entspricht rund 70 Prozent aller Häftlinge. Weit mehr als in staatlichen Gefängnissen üblich ist. Immerhin, so die Begründung des Landes Hessen, sei Serco eine Firma, die sich bei der Akquisition leichter tue. Tiemann sagt: „Auch wir stoßen hier in eine neue Welt vor. Ich würde gern mal von anderen Justizvollzugsanstalten wissen, wie die das machen.“

Kann er sich vorstellen, Gefängnisse in Zukunft komplett zu betreiben? „Als Staatsbürger“, sagt Tiemann, hätte er wahrscheinlich auch ein „Grundsatzproblem, wenn ein Privater für die Überwachung und die Sicherheit von Gefängnissen voll verantwortlich ist.“ Als Manager könne er sich die Übertragung hoheitlicher Aufgaben auf Private mittelfristig „sehr wohl vorstellen“. Doch jetzt solle man erst einmal ein paar Erfahrungen sammeln. Danach gelte es, gemeinsam pragmatisch auf die jetzt gültigen Rechtsgutachten zu schauen, sagt Tiemann. „Ich könnte mir vorstellen, dass man dann zu modifizierten Analysen kommt.“

Privatisierung und Public Private Partnership (PPP)

Bund, Länder und Gemeinden knausern angesichts leerer Kassen seit Jahren mit Investitionen. Allein 2004 gingen diese Ausgaben bei den Kommunen, die zwei Drittel aller öffentlichen Investitionen bestreiten, um acht Prozent zurück. Stattdessen streben immer mehr Kommunen, aber auch Bund und Länder Allianzen mit der Privatwirtschaft an, so genannte Public Private Partnerships (PPP): Geplant, gebaut, betrieben und finanziert werden die Projekte von Privat, allerdings im Auftrag des Staates. Der Staat wird Kunde – und ist das finanzielle Risiko los. Das wirtschaftlichste Unternehmen bekommt den Zuschlag – und danach nur so viel Geld wie vereinbart. Kosten der Bau oder der Betrieb mehr als erwartet, muss nicht der Staat, sondern die Firma die Verluste wettmachen. Verzögert sich die Inbetriebnahme oder kann der Private die vereinbarten Standards nicht einhalten, muss er Strafe zahlen.

Wie teuer ein Geschäft im Auftrag des Staates werden kann, erfährt seit September 2003 der Betreiber des privat gebauten Warnowtunnels in Rostock. Autofahrer, die einen kilometerlangen Umweg und mögliche Staus vermeiden wollen, müssen für die Fahrt zwischen zwei und 15 Euro bezahlen. Weil jedoch weniger Autofahrer den Tunnel nutzen, als in der Kalkulation unterstellt, ist er ein erhebliches Verlustgeschäft.
Dennoch steuert die Bundesregierung PPP-Projekte an, um den Neu- und Ausbau von Autobahnen und Bundesstraßen voranzutreiben. Allein fünf Autobahn-Projekte, die das Bundesverkehrsministerium als vorrangig einstuft, sollen den Unternehmen noch in diesem Jahr ein Auftragsvolumen von rund einer Milliarde Euro bescheren. Länder spekulieren auf die kostengünstigere Bereitstellung von Gefängnissen, Kommunen wollen mit Hilfe von Privaten vor allem Schulen, Rathäuser und andere Verwaltungsgebäude in Schuss bringen. Die Europäische Investitionsbank, die seit Jahren PPP-Projekte in Großbritannien, Portugal, Spanien, Griechenland und Dänemark mit Krediten unterstützt, rechnet mit Einsparungen von zehn bis 20 Prozent – wenn private Unternehmen die Leistungen über den ganzen „Lebenszyklus“ einer Investition hinweg übernehmen, also für die Dauer von 20, 25 oder 30 Jahren.


Dieser Text stammt aus unserer Redaktion Corporate Publishing.