Wenn der Kunde „wow“ sagt

Kunden wollen Qualität. Und zwar immer mehr davon. Früher reichte es, handwerklich gute Produkte anzubieten, heute geht es um Dienstleistungen, Kommunikation und Kreativität. Vor allem in Deutschland.


Deutschland 1963. In den Zeitungen erscheinen ganzseitige Anzeigen, auf denen ein VW-Käfer eine Landstraße Richtung Horizont fährt. Auf einer Folge von 16 Schwarz-Weiß-Fotos verschwindet er allmählich in der Ferne. „Der VW läuft ... und läuft ... und läuft ...“ steht darunter. Was für ein Versprechen in einer Zeit, in der ein Reparaturhandbuch zur Autoausstattung gehörte wie Lenkrad und Gaspedal! Ein Wagen, der es bis zum Horizont schafft, ohne dass ein Keilriemen reißt, ein Reifen platzt oder der Motor qualmt.
Deutschland 2007. Im Fernsehen läuft ein Werbespot, in dem ein junges Ehepaar eine Großfamilie besucht. Der Kinderlärm foltert die Gäste wie in einem Danteschen Höllenszenario, sie sind erleichtert, als es endlich Zeit ist zu gehen. Dann entdeckt der Mann auf dem Weg durch den Vorgarten die große Familienlimousine der Gastgeber, einen VW-Touran. „Weißt du Schatz, eigentlich hätte ich auch gern Kinder“, meint er zu seiner Frau. Was nimmt man nicht alles in Kauf, um so ein Auto fahren zu dürfen?
Die Werbung erzählt Geschichten von perfekten Produkten. Doch was die Kunden darunter verstehen, hat sich in den vergangenen Jahrzehnten grundlegend geändert. Der legendäre VW-Slogan „... und läuft ... und läuft ...“ war das Kaufversprechen einer Ära, in der Käufer allen Grund hatten, an der Funktionstüchtigkeit und Haltbarkeit ihres Autos zu zweifeln. Qualität bedeutete Zuverlässigkeit. Dem Kunden von heute wäre das längst nicht mehr genug. Er will nicht nur fahren, sondern Fahrspaß. Qualität ist für ihn eine Frage von Lifestyle und Glücksgefühl geworden. Ein Grund zum Kinderkriegen eben.
Was die Werbung zeigt, ist die Oberfläche eines allgemeinen Epochenwandels, der alle Branchen erfasst hat und sich in kaum einem Land so schnell vollzieht wie in Deutschland. Die Zeiten, in denen Qualität in erster Linie eine Frage solider Fertigung war, sind vorbei. Denn die Produktionsstandards für Autos, Haushaltsgeräte oder Computer haben sich weltweit angeglichen; fast alle Waren lassen sich mittlerweile in Osteuropa oder China genauso gut, aber billiger herstellen als in Westeuropa oder in den USA. Die Unterschiede zwischen Produkten werden deshalb in neuen Maßeinheiten gemessen: Qualität bedeutet Innovation und Image, Design und Perfektion, Originalität und Service – und zwar alles auf einmal.

Nur kaufen? Der Kunde muss suchen, finden, erwerben, installieren, erhalten und anwenden

Ein Autohersteller muss heute nicht nur technisch erstklassige Fahrzeuge entwickeln, er muss auch individuelle Spezialanfertigungen sowie Dienstleistungen anbieten, Finanzierungs-, Leasing- oder Wartungsoptionen beispielsweise, und am besten nicht nur das Gesamtprodukt, sondern auch seine Auslieferung zum Erlebnis machen. „Wer in Zukunft erfolgreich sein will, muss seine Kunden nicht nur zufriedenstellen, sondern rundherum begeistern“, sagt Christian Malorny, Principal im Berliner Büro von McKinsey & Company. „Qualität ist, wenn der Kunde ‚wow‘ sagt.“

„Kreative Qualität“ nennt Malorny den Imperativ, und er bezieht sich längst nicht mehr nur auf Produkte, die den Kunden – wie früher – schon durch ihre Funktionsweise und ihre Lebensdauer zufriedenstellten. Zuverlässigkeit ist heute ein notwendiges, aber kein hinreichendes Kriterium mehr für die Güte einer Ware oder Dienstleistung, meint der Berater und formuliert damit nicht weniger als einen ganz neuen Qualitätsbegriff (siehe auch Thesen Seite 16).

Die amerikanischen Wirtschaftswissenschaftler James P. Womack und Daniel T. Jones, die Anfang der Neunziger zu den Ersten gehörten, die im Westen die japanischen „schlanken Produktionsprozesse“ bekannt machten, sprechen von einer Ära der „schlanken Lösungen“. Denn vor allem die Dienstleistungsindustrie wird von den veränderten Qualitätsanforderungen ergriffen. „Viele Unternehmen und Dienstleister liefern ausgezeichnete Produkte und Serviceleistungen ab, sind aber leider ausschließlich auf das Produkt konzentriert“, schreiben die Autoren in ihrem Buch „Lean Solutions“. „Weil sie damit nur ein einzelnes wesentliches Element des gesamten Konsumprozesses überblicken, nehmen sie die Kundenerfahrungen beim Suchen, Finden, Erwerben, Installieren, Erhalten, Verbessern und Anwenden des Produktes als Teil des Problemlösungsprozesses nicht zur Kenntnis.“ Gerd Kamiske, emeritierter Professor für Qualitätswissenschaft an der Technischen Universität Berlin, sieht Qualität als „Integrationswissenschaft“, die bei der Koordination von Unternehmensprozessen künftig eine Schlüsselrolle spielen wird: „Qualität ist nicht nur eine Aufgabe für Qualitätsprüfer, sondern eine Einstellungsfrage, die jeden Mitarbeiter eines Unternehmens betrifft.“

Das ist neu und gleichzeitig uralt. Denn ein Qualitätsbewusstsein ist dem Menschen gewissermaßen angeboren. Sobald der Homo sapiens anfing, Waren herzustellen und damit zu handeln, begann ihn auch deren Qualität zu interessieren. Wer eine Steinaxt erwarb, wollte wissen, ob der verwendete Stein hart und haltbar oder weich und spröde war. Bevor man einen Topf kaufte, testete man, ob er tatsächlich das Wasser hielt. Und hatte der Töpfer das Gefäß schön verziert, war der Kunde unter Umständen bereit, ein wenig mehr zu zahlen.

Zunächst musste man kein Spezialist sein, um die Güte eines Produktes zu beurteilen. Doch schon bald entstanden Techniken, bei denen die Qualität nicht mehr einfach am Endprodukt zu erkennen war: Sie definierte sich im Herstellungsprozess selbst. Glaubt man der Legende, war der Philosoph Archimedes der erste unabhängige Qualitätsprüfer der Welt. Sein Freund und Förderer, König Hieron II von Sizilien, hatte eine goldene Krone in Auftrag gegeben. Als sie geliefert wurde, war sie genauso schwer wie der Goldbarren, den Hieron für die Herstellung zur Verfügung gestellt hatte. Trotzdem hatte der misstrauische König den Verdacht, der Goldschmied könnte einen Teil des Materials abgezwackt und den Rest mit Silber gestreckt haben. Archimedes sollte die Krone prüfen, allerdings ohne sie zu beschädigen. Der Denker grübelte ein paar Tage und kam schließlich in der Badewanne auf die Idee, die Krone anhand der unterschiedlichen spezifischen Gewichte von Gold und Silber zu analysieren. Damit hatte er gleichzeitig eine wichtige physikalische Gesetzmäßigkeit entdeckt, lief vor Begeisterung nackt durch die Stadt zum König und rief dabei sein berühmtes „Heureka!“, „Ich hab’s gefunden!“, das für den Goldschmied das Todesurteil bedeuten sollte.

Wo man mit Qualität Kunden betrügen konnte, konnte man mit ihr auch Kunden gewinnen. So bildeten sich in den Städten die Handwerkszünfte. Sie legten Standards fest, wie man Tücher zu weben, Fleisch zu verarbeiten, Bier zu brauen oder Leder zu gerben hatte. Außerdem führten sie genormte Maßeinheiten ein, Ellen und Füße, Scheffel und Steine. Die Mitgliedschaft in der Zunft kostete die Handwerker zwar Geld, doch die Zugehörigkeit war wie ein Gütesiegel.

Bis ins 19. Jahrhundert lag die Verantwortung für die Qualität eines Produktes stets bei demjenigen, der es herstellte. Wer sein Handwerk verstand, produzierte auch gute Waren – ein Zusammenhang, an dem zunächst auch die industrielle Revolution wenig änderte, obwohl die Erfindung der Dampfmaschine und die Nutzung von Elektrizität völlig neue Produktionsmaschinen hervorbrachte, die den Menschen so manchen Arbeitsschritt abnahmen oder erleichterten, etwa das Nähen, Schmieden oder Sägen.

Anfang des 20. Jahrhunderts wurde der Herstellungsprozess jedoch allmählich zerschlagen und in immer kleinere, einfachere Einzelschritte unterteilt. Vordenker dieses Prozesses war ein technikvernarrter Amerikaner namens Frederick Winslow Taylor. Schon als Kind hatte er sich für sein Bett eine Vorrichtung gebaut, die ihn daran hinderte, auf dem Rücken zu schlafen, weil er in dieser Lage unter Albträumen litt. Später machte er eine Werkzeugmacherlehre bei den Wasserwerken in Philadelphia, trat als Maschinist in eine Stahlfabrik ein, erwarb neben der Arbeit per Fernstudium einen Abschluss in Ingenieurswissenschaften und stieg schnell zum Cheftechniker auf. In dieser Funktion begann er, die Produktionsprozesse wie ein Mechaniker zu zerlegen und neu zusammenzubauen. Der einzelne Arbeiter musste seine Tätigkeit nicht verstehen, er musste sie lediglich verrichten – wie ein Automat. Für die Qualität seiner Teile war der Einzelne nicht mehr zuständig; die Verantwortung lag nun im Herstellungsprozess an sich und damit bei den Managern, die ihn organisierten. Diese Trennung schien Taylor ausgesprochen effizient, denn ein qualifizierter Arbeiter, der früher selbst am Band gestanden hatte, konnte jetzt mehrere Angelernte anleiten und kontrollieren. Ein neuer Job war geboren: der Qualitätsprüfer.

Knapp ein Jahrhundert lang sollte diese Stelle eine der begehrtesten in jeder Fabrik sein, eine Blaukragenarbeit mit dem Ansehen und Gehalt eines Weißkragenjobs. Kein Land hatte mehr Qualitätsprüfer als Deutschland. Schließlich waren sie die Garanten von „Made in Germany“ und sorgten dafür, dass nur erstklassige Produkte die Fabrik verließen. Je mehr Wert ein Unternehmen auf Qualität legte, desto mehr Prüfer beschäftigte es, um Zwischen- oder Endprodukte unter die Lupe zu nehmen und gegebenenfalls mit einem roten „Gesperrt“-Aufkleber zu disqualifizieren. „Die Inspektoren hatten häufig mehr Macht als die Produktionsleiter, die Konstrukteure oder der Vertrieb“, sagt Gerd Kamiske, der vor seiner Hochschulkarriere Inspektionsleiter von Volkswagen in Wolfsburg war. Die rund 35.000 Bandarbeiter im VW-Stammwerk ließ er von etwa 3500 Prüfern überwachen. Bei DaimlerChrysler in Stuttgart waren es zeitweise sogar 20.000 Inspektoren. Ihre Gehälter waren der sprichwörtliche Preis, den man für Qualität zu zahlen hatte. Doch der Erfolg schien dem Verfahren recht zu geben. Deutsche Wertarbeit machte die Bundesrepublik zur Exportnation und innerhalb kurzer Zeit zu einem der wohlhabendsten Länder der Erde.

Wäre es nach den Deutschen gegangen, hätte die Industriegeschichte damit ruhig aufhören können. Doch ein einzelnes japanisches Unternehmen sollte dem Rest der Welt vorführen, dass die Größe eines Inspektorenteams kein Beweis ist für hohe Qualität, sondern für eine hohe Fehlerquote: Toyota. „In den Siebzigern merkte man in den USA und Europa, dass Toyota sehr gute Autos herstellte, jeden Preis mitgehen konnte und schnell Marktanteile gewann“, erinnert sich Gerd Kamiske. „Westliche Manager konnten sich das zunächst nicht erklären und glaubten, japanische Arbeiter seien einfach besser.“

Die Wahrheit war weitaus unangenehmer. 1980 war Toyota auf dem amerikanischen Markt bereits so erfolgreich, dass die Japaner eine eigene Fabrik brauchten. Dazu gründeten sie ein Gemeinschaftsunternehmen mit dem Konkurrenten General Motors (GM), der in Fremont ein stillgelegtes Autowerk hatte. Die Produktion, die japanische Manager in der New United Motor Manufacturing Inc. (Nummi) aufbauten, war nach nur drei Jahren die produktivste in den USA. „Das war für die westlichen Automanager sehr peinlich“, sagt Kamiske. „Denn damit war der Beweis erbracht: Nicht die japanischen Arbeiter sind besser, sondern das Management.“

Während die westlichen Fabriken sich darauf spezialisiert hatten, fehlerhafte Teile auszusortieren, ließen die Japaner sie gar nicht erst entstehen. Statt gefürchteter Qualitätsprüfer gab es Manager, die ihre Arbeiter ermutigten, sich selbst für die Qualität verantwortlich zu fühlen. Jeder wurde darin geschult, zu beurteilen, ob er seine Aufgabe richtig gemacht hatte. Bevor er ein fehlerhaftes Teil weitergab, konnte er mit einer Reißleine die gesamte Produktion anhalten. Außerdem wurden alle ermutigt, Verbesserungsvorschläge zu machen, sodass die Prozesse stetig optimiert wurden und der Ausschuss mit der Zeit gegen null ging.

Deutsche Wertarbeit? Selbst gute Fabriken erreichen nur eine Wertschöpfung von 25 Prozent

„Im Nachhinein kann man sich wundern, warum wir in Europa darauf nicht selbst gekommen sind“, sagt Kamiske heute. Immerhin verdankte Toyota sein System maßgeblich den Ideen des Amerikaners William Edwards Deming. Doch während Europäer oder Amerikaner stets genügend Arbeiter zur Verfügung gehabt und zur Not Fremdarbeiter aus anderen Ländern angeheuert hatten, wollte Japan nicht zum Einwanderungsland werden. Sein Wirtschaftswunder nach dem Zweiten Weltkrieg musste deswegen von einer gleichbleibenden Bevölkerung angetrieben werden, die so lernte, dass Qualität und Produktivität zwei Seiten derselben Medaille waren.

„In Europa hat es erstaunlich lange gedauert, bis die Manager eingesehen haben, dass sie nicht weitermachen konnten wie bisher“, sagt Kamiske. Inzwischen hat das japanische Effizienzdenken auch in westlichen Unternehmen Einzug gehalten – quer durch alle Industrien. Das Wort „Qualitätskontrolle“ wurde durch „Qualitätssicherung“ ersetzt. Tausende Qualitätsinspektoren wurden überflüssig; an ihre Stelle traten Qualitätsmanagement-Instrumente wie Six Sigma oder Total Quality Management. BWL-Absolventen beherrschen heute Fachjapanisch wie „Muda, Mura, Muri“ (Verschwendung, Unausgeglichenheit, Überlastung), „Poka Yoke“ (Vermeidung unnötiger Fehler) oder „Kaizen“ (Verbesserung durch Mitarbeiter). Und doch kann bisher kaum ein westliches Unternehmen mit der japanischen Produktivität mithalten.

„In guten deutschen Fabriken liegt die echte Wertschöpfung nur bei 25 Prozent,“ sagt McKinsey-Berater Malorny. „In Japan ist es doppelt so viel.“ Der Rest der deutschen Arbeitskraft geht in Verwaltung, Fehlleistungen wie Ausschussproduktion oder sogenannte Blindleistungen, etwa Störungen durch ausgefallene Maschinen. „Die Toyota-Revolution ist in Deutschland noch lange nicht abgeschlossen“, meint Malorny.

Umso schwieriger ist es für viele Unternehmen, sich jetzt schon dem nächsten Umbruch zu stellen – dem Schritt von einer hocheffizienten Herstellung zu einem ganzheitlichen Qualitätsansatz, der über die Fertigung von Produkten hinausgeht. Dabei ist der Reformdruck diesmal weitaus höher als noch in den achtziger und neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Immer mehr Unternehmen verlagern ihre Produktion nach Asien und Osteuropa. An ihre Stelle treten Forschung und Entwicklung sowie vor allem die Serviceindustrie mit ihren spezifischen Qualitätsanforderungen. „In der Dienstleistungsgesellschaft hört die Qualität nicht mit der Fertigung des Produktes auf“, sagt auch Malorny. „Es schließen sich Dienstleistungen an, die selbst zum Produkt werden.“ Qualitätsstandards dafür müssen erst gesetzt werden, sei es für die Bedienerfreundlichkeit von Internetsuchmaschinen oder die Kundenorientierung von öffentlichen Ämtern oder Finanzdienstleistungen. Und genau darin sehen Experten das „Dilemma des Verbrauchers im 21. Jahrhundert“, wie Womack und Jones es formulieren. Die meisten Anbieter hätten grundsätzlich keine Schwierigkeit damit, aus Sicht eines Verbrauchers an den Konsum zu denken. Auch der optimale Produktionsprozess, meinen die Amerikaner, bedeute für die meisten Hersteller – zumindest theoretisch – kein Problem. Mühe bereite es ihnen hingegen noch, „diese miteinander verknüpften Prozesse als einen ganzheitlichen Wertschöpfungsprozess, einen Wertstrom, zu begreifen“.

Fehlervermeidung sorgt für Qualität – auch bei Dienstleistungen

Denn je breiter und komplexer das Produktangebot wird, desto mehr Entscheidungen müssen Kunden treffen – und umso größer ist die Gefahr, dass sie das Falsche wählen. Zum Beispiel beim Computerkauf: Wer einen neuen Rechner braucht, muss sich nicht nur einen Überblick über eine Vielzahl unterschiedlicher Hersteller und Ausstattungsvarianten verschaffen und abwägen, ob er besser ins Geschäft geht oder im Internet bestellt. Um den vollen Umfang eines Angebots zu bewerten, muss er in den einmaligen Kaufpreis auch etwaige Installationskosten, Wartungsverträge, Garantieleistungen oder spätere Aufrüstungsmöglichkeiten einkalkulieren – eine Berechnung, für die Durchschnittsverbraucher in der Regel weder die Zeit, geschweige denn das Know-how haben. Dabei können Fehlkäufe sowohl für den Kunden als auch für den Verkäufer teuer werden, etwa wenn sich ein technisch wenig versierter Käufer für einen für seine Ansprüche völlig überdimensionierten Computer entscheidet. Die Gefahr ist groß, dass schon der Aufbau und die Bedienung des Geräts den neuen Besitzer überfordern und er deshalb dauernd den Kundendienst in Anspruch nimmt – oder das Gerät am Ende vielleicht sogar umtauscht. So haben schlechte Kaufentscheidungen für den Konsumprozess dieselben Folgen wie schlechtes Qualitätsmanagement für eine Fabrik: Verschwendung, Unausgeglichenheit und Überlastung. Muda, Mura, Muri.

Doch während in der Produktion längst jeder Arbeitsschritt hinterfragt und verbessert wird, ist der Zusammenhang von Qualität und Produktivität für viele Dienstleistungsunternehmen noch neu. Dabei ist Fehlervermeidung dort umso wichtiger; schließlich stehen die Kunden mit Verkäufern, Callcenter-Telefonisten, Bankberatern oder Hotelangestellten in direktem Kontakt. „Bei jeder Dienstleistung ist der Kunde während der Entstehung des Produktes selbst anwesend“, sagt Christian Malorny. „Das macht ihn besonders kritisch.“ Und unzufriedene Kunden können sich Unternehmen immer weniger leisten. Untersuchungen zeigen, dass Kunden von guten Erfahrungen drei Menschen erzählen, von schlechten im Schnitt zwölf.

Wie das Toyota-Prinzip für Dienstleister funktionieren kann, haben Womack und Jones an Autoreparaturen untersucht. Für eine typische Reparatur muss ein Kunde rund 210 Minuten aufbringen, angefangen von der Suche nach einer geeigneten Werkstatt und eine erste Terminabsprache über die Ablieferung des Wagens und mehrere Telefonate bezüglich Problemanalyse und Ersatzteillieferung bis hin zur Abholung, die oft mit dem unsicheren Gefühl einhergeht, die Mechaniker könnten unnötige Leistungen in Rechnung gestellt haben.

Von dieser Zeit dienen nur 58 Minuten der eigentlichen Problemlösung, so ergab die Analyse der beiden Autoren, der Rest geht für Wartezeiten drauf, für überflüssige Fahrten oder wiederholte Erklärungen. Würde die Werkstatt ihre Abläufe optimieren – indem ein Techniker beispielsweise gleich im ersten Telefonat den Defekt bespricht, die Reparatur gründlich vorbereitet und einen genauen Terminplan festlegt – ließe sich der Vorgang für den Kunden in nur 75 Minuten abwickeln. Auch die Werkstatt würde davon profitieren: Sie könnte ihren Zeitaufwand dritteln, die Arbeitszeit ihrer teuren Mechaniker immerhin halbieren und durch effizientere Strukturen auch die Zuverlässigkeit ihrer Reparaturen verbessern. „Kennzeichen des New Age des Konsums wird die Verringerung der Gesamtkosten sein – insbesondere derjenigen, die auf Zeitverschwendung zurückzuführen sind“, lautet das Fazit der US-Autoren.

Dass die These nicht nur in der Theorie funktioniert, zeigt der Erfolg der Billigfluglinien. Während herkömmliche Airlines jahrzehntelang an denselben Abläufen festhielten, reduzierten die Low-Budget-Flieger die Flugabwicklung auf das gerade notwendige Minimum und senkten dadurch die Kosten und erhöhten gleichzeitig die Zuverlässigkeit. Logistikanbieter sind inzwischen darauf spezialisiert, für ihre Kunden komplexe Just-in-time-Zulieferstrukturen zu organisieren, bei denen jeder Einzelschritt perfekt klappen muss – ein Ansatz, der übrigens ebenfalls von Toyota stammt. Und auch die Gesundheitsbranche hat heute erkannt, dass effizientes Management von Krankenhäusern und Arztpraxen Kosten senkt und die Behandlungsqualität erhöht.

„Die Zukunft liegt in maßgeschneiderten Dienstleistungen“, meint Unternehmensberater Christian Malorny. „Doch Individualität kann man sich nur leisten, wenn die Prozesse fehlerfrei sind.“ Eine Autoreparatur im Jahre 2017 würde dann vielleicht genauso uhrwerkmäßig funktionieren wie heute eine Toyota-Fabrik: Eine Software im Auto könnte den Defekt identifizieren, dem Fahrer melden und die Daten gleich an die Werkstatt senden. Die hätte bei Ablieferung des Wagens die entsprechenden Ersatzteile schon parat und könnte sie in vorher berechneter Zeit einbauen. Der Bordcomputer würde dem Fahrer anschließend versichern, dass nur notwendige Reparaturen vorgenommen wurden. Damit bezahlte er ausschließlich das, was er auch wirklich brauchte. Kein Zeitverlust und keine Zusatzkosten. Und die Qualität gibt es gratis dazu.


Dieser Text stammt aus unserer Redaktion Corporate Publishing.