Und sonst, Müller, alles klar?

Es gilt als unverzichtbares Führungsinstrument: Das Mitarbeitergespräch soll Stärken und Schwächen aufzeigen, Projekte und Ziele der Vergangenheit reflektieren, offenes Feedback erlauben, Zukunft gestalten helfen. Der Idealfall ist ein Dialog.




„Lieber Herr Müller, schön, Sie zu sehen, kommen Sie doch rein, nehmen Sie Platz. Nein, nicht hier am Schreibtisch, wir setzen uns an den Tisch. Ist doch gemütlicher, und wir wollen ja auch plaudern. Kommen schließlich selten genug dazu, nicht wahr? Aber wem erzähle ich das: Sie wissen ja, was in den vergangenen Monaten hier los war. Möchten Sie einen Kaffee? Frau Peters, einen Kaffee bitte für Herrn Müller und keine Störungen in den nächsten Minuten.

So, dann erzählen Sie mal, Herr Müller. Alles im grünen Bereich? Wie läuft das denn nun seit der Umorganisation in der Abteilung? Die eine oder andere Schwierigkeit kann man sicher vernachlässigen. Das ist wohl normal bei einer neuen Technologie. Und Sie sind ja auch lange genug dabei, um zu wissen, dass man nicht jede Kleinigkeit im Vorfeld kalkulieren kann. Da haben wir doch schon ganz andere Sachen erlebt, was? Gut, einige haben sich beklagt, die Leute seien nicht ausreichend vorbereitet gewesen. Aber, Herr Müller, das ist doch ganz normal. Fragen Sie mal irgendein anderes Unternehmen, ob es bei der Umstellung auf eine neue Technologie keine Probleme gab. Ich wette, da finden Sie keinen, der nicht haarsträubende Geschichten erzählen kann. Ich finde, der Schopmann hat da einen ganz ausgezeichneten Job gemacht. Für den war es wirklich eine harte Zeit. Neues Unternehmen, neue Abteilung, neue Technologie, und das alles in nur sechs Monaten.

Also der Herr Doktor Seiffert, mein Kollege im Vertrieb, hat da ganz andere Schlappen erlebt. Totalausfälle, Nachtschichten, Wochenenden. Überstunden ohne Ende. Und das Zeug läuft immer noch nicht. Die sind heute noch nicht auf unserem Stand, obwohl sie drei Monate vor uns gestartet sind. Nein, ich glaube, da können wir uns wirklich alle auf die Schulter klopfen, da müssen wir uns nicht verstecken. Greifen Sie zu, Müller, die Kekse sind wirklich lecker. Kann ich nur empfehlen. 

Aber jetzt erzählen Sie mal, Müller. Wie war denn die letzte Fortbildung? Sie haben in diesem Jahr, lassen Sie mich sehen ..., da haben wir es: gleich drei Kurse belegt. Nette Gruppe? Bei allen Kürzungen und allen notwendigen Reduzierungen im Haus, die an keinem von uns schmerzlos vorübergehen, haben wir schließlich an den Basics nicht gedreht.

Ich sage immer: Wer an der Weiterbildung seiner Leute spart, verspielt seine Zukunft. Aber heute interessiert das keinen mehr. Die sparen, egal, was es kostet. So wie sie vorher mit der Gießkanne verteilt haben, sparen sie sich heute krank. Das wird fatale Folgen haben, glauben Sie mir. Wer am falschen Ende kürzt, wird irgendwann mit einer demotivierten Belegschaft belohnt. Also ich selbst erinnere mich immer gerne an die Trainings, die ich mitgemacht habe. Das ist – das können Sie mir glauben, lieber Müller – auch für eine Führungskraft ein ganz besonderes Erlebnis. Wenn Sie da mit Ihren Kollegen durch den Schnee stapfen, sich in bitterer Kälte bei widrigen Wetterverhältnissen gemeinsam durchschlagen müssen, jeden Tag in einer anderen Hütte übernachten – das geht ganz schön an die Substanz. Und da ist nix mit Komfort und so, das sind oft ganz einfache Berghütten. Aber da lernen Sie wieder die einfachen Dinge zu schätzen. Ehrlichkeit. Zuverlässigkeit. Ein Stück Brot mit Käse. Und wenn Sie dann am Ende den Gipfel erklommen haben, gemeinsam ganz oben stehen und den Blick schweifen lassen – das schweißt zusammen. Das sind tiefe emotionale Erlebnisse. Bleibend. Das muss Ihnen doch auch so gehen, so etwas prägt, was, Müller?

Aber ich sehe hier ..., ach so, na ja, natürlich. Aber auf die Umgebung kommt es im Ernst gar nicht an, es geht um den Spirit. Um das, was ein Team am Ende wirklich zusammenhält. Um ein Wir-Gefühl, und das kann auch in einem Schulungsraum am PC entstehen, wenn man wirklich will. Die neuen Trainingsräume sind ja auch wirklich sehr ordentlich. Da habe ich am Anfang noch ganz andere Zustände erlebt, das wissen die meisten gar nicht mehr. Als wir noch in der Ackermannstraße saßen, Mann, ich könnte Ihnen da Geschichten erzählen! Nein, was wirklich zählt, ist der Zusammenhalt, das Team. Das haben wir nicht umsonst in unserem neuen Leitbild an die erste Stelle geschrieben: Unser wichtigstes Kapital sind unsere Mitarbeiter. Der gemeinsame Geist sichert unseren Erfolg.

Sprechen Sie mich jederzeit gerne an ...

Ja, Frau Peters? Herr Wagner? Nein, jetzt nicht, wir sind hier in einem sehr wichtigen Gespräch. Der soll sich schon mal die Unterlagen aus der Sitzung vom Montag anschauen und sich besonders die Forecasts vornehmen. Da habe ich noch ein paar Fragezeichen. Sagen Sie ihm, ich melde mich in einer Viertelstunde. Wo waren wir stehen geblieben? Ach ja, bei den Seminaren. Also Herr Müller, das ist schön, dass das im vergangenen Jahr alles so gut geklappt hat. Und wenn Sie an der einen oder anderen Stelle wirklich noch Unterstützung brauchen sollten, wovon ich nicht ausgehe, irgendwann muss schließlich auch mal gut sein, aber falls doch, sprechen Sie mich jederzeit gerne an. Sie wissen ja: Wenn es im Rahmen meiner Möglichkeiten liegt ...

So weit ich das im Moment überblicken kann, sind Ihre Kollegen und die Vorgesetzten in den anderen Abteilungen auch ganz zufrieden mit Ihnen. Das sieht so weit alles ganz gut aus. So kenne ich Sie ja auch, ich habe im Ernst nichts anderes erwartet. Natürlich, das eine oder andere kann man sicher noch besser machen, aber wir sind doch alle nur Menschen. Das wollen wir jetzt mal nicht auf die Goldwaage legen, nicht wahr, Müller? Wer von uns ohne Schuld ist, der werfe ... Nein, ich habe noch nicht mit allen sprechen können, aber das lässt sich auch nicht immer in der gewünschten Reihenfolge erledigen. Sie kennen das doch. Der Betrieb will schließlich weiterlaufen, und der Kunde geht nun mal vor. Aber da verlasse ich mich ganz auf unsere Kultur. Wenn es wirklich ernsthafte Klagen gäbe, hätte ich schon was gehört. Wer ein dringendes Anliegen hat, kann ja immer zu mir kommen. Wie wär’s, Müller, noch einen Kaffee?

Also, Kollege, dann wollen wir mal sehen, dass das in Zukunft so gut weitergeht wie bisher. Wir werden an einigen Stellen natürlich ein wenig mehr Gas geben müssen, Sie wissen ja, dass uns Spirit.com im letzten Quartal deutlich überholt hat, das können wir uns in diesem Jahr auf keinen Fall ein zweites Mal leisten. Ich beobachte das, ehrlich gesagt, ein wenig mit Sorge. Wir müssen einfach schneller werden, kreativer und unsere PS auf die Straße bringen, wie es der Herr Doktor Wagenbach kürzlich formuliert hat. Aber das sollte für einen erfahrenen Kollegen wie Sie auch kein Problem sein, Müller. Da haben wir zwei alte Hasen doch schon ganz andere Probleme gemeistert, was?

Und sonst? Zu Hause alles in Ordnung? Wie geht es der lieben Frau und den Kindern? Der Sohn studiert wahrscheinlich noch. Na, das ist doch wunderbar. Aber man ist schon auch froh, wenn man endlich aus der Verantwortung ist. Ich habe ja drei in der Ausbildung. Meine zwei Mädchen studieren im Ausland, der Sohn macht gerade sein Staatsexamen. Das hat die Familie ganz schön mitgenommen, das kann ich Ihnen sagen. Seien Sie froh, dass Sie nur den einen haben. Tja, lieber Müller, wenn ich könnte, wie ich wollte, würde ich noch ein Stündchen länger mit Ihnen plaudern. Man hat ja wirklich selten die Gelegenheit zu einem intensiven Austausch. Schlimm genug, dass man so einen formalen Anlass wie das Mitarbeitergespräch braucht. Aber immerhin, wir machen es noch. Ich kenne eine Menge Kollegen in anderen Firmen, die nehmen sich nicht mal mehr dafür die Zeit. Ich habe dafür überhaupt kein Verständnis. Wer sich nicht mal mehr den Freiraum für die eigenen Leute nimmt ... und so was nennt sich dann Führungskraft. Aber ich gerate schon wieder ins Plaudern. Und der Wagner wartet inzwischen sicher schon.

Helfen Sie dem Mann!

Wir müssen deshalb leider zum Ende kommen. Aber wir sind ja eigentlich auch durch. Bis auf einen Punkt, mein lieber Müller, denn so viel Zeit muss schon sein: Haben Sie mir denn auch etwas zu sagen? Raus mit der Sprache, reden Sie ganz offen. Ich kann schließlich auch noch besser werden, nicht wahr? Mir kam neulich zu Ohren, dass es Kritik an Schopmann gibt. Nicht gut organisiert, das Team leidet. Halte ich für übertrieben. Ich kann Ihnen sagen: Die Zahlen machen einen ganz ordentlichen Eindruck. Wir sind im Plan, der Umsatz steigt – bei niedrigeren Kosten.

Und, Müller, das dürfen Sie nicht vergessen: Der Junge ist gerade mal sechs Monate im Haus. Was meinen Sie, an wie vielen Baustellen der gleichzeitig arbeitet? Da darf man die Messlatte am Anfang auch nicht in allen Disziplinen gleich hoch legen. Wir haben schließlich auch mal angefangen, Müller, also sollten wir den Schopmann in dieser schwierigen Phase unterstützen. Da kommt Ihnen als langjährigem Mitarbeiter auch eine ganz besondere Verantwortung zu. 

Helfen Sie dem Mann! Dann werden sich die Irritationen von alleine legen, glauben Sie mir. Ach ja, das Gehalt. Gut, das sollten wir noch kurz ansprechen, ist doch immer ein heikles Thema. Aber wir wollten ja offen sein miteinander. Also, tja, in diesem Jahr wird da nicht viel zu machen sein, das haben Sie sich vermutlich schon gedacht. Sie kennen die Zahlen. Und das letzte Quartal ...! Wie gesagt, das können wir uns kein zweites Mal leisten.

Außerdem haben wir enorme Investitionen hinter uns. Die anderen sind ja nur am Sparen, wir denken an morgen. Diese neue Technologie hat natürlich ein riesiges Loch gerissen, das müssen wir erst mal wieder stopfen. Und dann die ganzen Schulungen. Ich meine, das muss man natürlich auch sehen, Ihr Marktwert steigt stetig, wenn Sie so wollen. Wir lassen uns die Qualifikation unserer Leute durchaus eine Menge kosten. Das ist in Zeiten wie diesen alles andere als selbstverständlich. Aber wem sage ich das: Sie sind ja eine unserer besten Kräfte. Da baue ich auch auf Ihr Commitment. Ich würde natürlich jedem gerne mit schöner Regelmäßigkeit einen Bonus oder eine Gehaltserhöhung geben, das wissen Sie. Im nächsten Jahr sieht die Situation vielleicht schon wieder viel besser aus. Lassen Sie uns gemeinsam an diesem Ziel arbeiten, Müller, dann werden wir das auch schaffen. Davon bin ich fest überzeugt.

In diesem Sinne, mein lieber Müller. Ich muss jetzt wirklich. Ich danke Ihnen für Ihre Offenheit und dafür, dass Sie sich die Zeit für dieses konstruktive Gespräch genommen haben. Bis zum nächsten Mal werden wir nicht so viel Zeit verstreichen lassen. Und wann immer der Schuh irgendwo drückt. Sie wissen ja: Meine Tür ist für Sie stets offen.“


Dieser Text stammt aus unserer Redaktion Corporate Publishing.