Raus aufs Land, rein ins Netz

In den Weiten Montanas macht die Druckerei Printingforless vor, wie man mit Hilfe von intelligent genutzter Informationstechnologie wächst und wächst und wächst.




Diese Geschichte klingt wie ein Märchen und ist ein Lehrstück. Sie spielt in der amerikanischen Pampa und ihre Hauptfigur, Andrew Field, ist ein quirliger Unternehmer Anfang 40, den eines Tages beim Fischen im Yellowstone River die Eingebung ereilt.

Die Geschichte klingt wie ein Märchen, weil Andrew Fields Firma in einem atemberaubenden Tempo wächst, wo eigentlich nicht viel wachsen kann. Und sie ist ein Lehrstück für alle Technologiefaulen und -feindlichen, die nach der geplatzten Dotcom-Blase dröhnten, sie hätten ja schon immer gewusst, dass das mit dem Internet nichts werden könne.

Beim Ranking der am schnellsten wachsenden US-Druckereien in der Zeitschrift American Printer stand Andrew Fields Firma Printingforless im Jahr 2001 auf Platz zehn (175 Prozent Umsatzplus), im Jahr darauf auf Platz drei (plus 322 Prozent), dann, so hat er gehört, sei das Ranking still und leise eingestellt worden, weil es nicht mehr zum traurigen Zustand der Branche passte. Printingforless aber wuchs weiter. Während der vergangenen vier Jahre um exakt 1064 Prozent.

Lieber dreckige Hände

Eigentlich müsste auf diese Wachstumsquote noch ein Zonenrand-Aufschlag kommen. Denn Fields Druckerei sitzt nicht in einem wirtschaftsstarken Raum wie Chicago oder Miami, sondern in Montana, also dort, wo es nicht mehr weit ist bis zum Ende der Welt. Der US-Bundesstaat an der Grenze zu Kanada ist etwa so groß wie Deutschland und Belgien zusammen, hat aber nur etwas mehr als 900.000 Einwohner, von denen die Hälfte in einigen wenigen Städten lebt. Dazwischen eröffnen sich Landschaften, die Paradiese für Panoramafotografen und Fliegenfischer sind, aber nicht für Drucker. In Anlehnung an große, aber längst vergangene Zeiten hat sich Montana den Beinamen „Treasure State“ und das Motto „Gold and Silver“ gegeben. Andrew Field hat das auf seine Weise ins 21. Jahrhundert übersetzt.

Field wuchs im Silicon Valley auf. Sein Vater und seine Brüder sind Anwälte, aber Field bevorzugt dreckige Hände. Er arbeitet in einer Druckerei, macht sich dann mit einer Autowerkstatt selbstständig, verkauft sie wieder, um mit seiner Frau in den Northern Rockies Motorenöl, Brems- und Kühlerflüssigkeit zu vertreiben. 1996 gründet er in Livingston, Montana, einem 7000-Einwohner-Städtchen am Eingang zum Yellowstone Park, seine eigene Druckerei. Die dümpelt dahin, kommt mit einem Monatsumsatz von 80.000 Dollar gerade so über die Runden. Bis Field beim Fischen einen Gedanken am Haken hat, den er nicht mehr loslässt: Fish locally, think globally, frei übersetzt: raus aufs Land, rein ins Netz. Auf dem Land ist er schon, jetzt muss er seine Firma nur noch richtig mit der Welt verkabeln.

Die Konkurrenz ist not amused, als Printingforless, kurz PFL, Anfang 1999 online geht. Denn die Druckerei bricht mit ein paar ganz wesentlichen Branchenregeln. Ihre Website ist nicht die gescannte Version einer gedruckten Firmenbroschüre, sondern die offensive Einladung, einen Druckauftrag zu erteilen. „Unsere Branche hat das Drucken über Jahre mit Absicht zu etwas Geheimnisvollem und Kompliziertem gemacht“, meint Marketing-Chef Jeff Batton: „Oft werden Kunden tagelang zerrieben zwischen dem, was der Vertreter versprochen hat, der Kalkulator dann als Preis errechnet und was der Drucker am Ende technisch und zeitlich für machbar hält.“

PFL sei angetreten, das Drucken zu entmystifizieren, sagt Batton, 32, der vorher bei einer Dotcom-Firma in San Francisco arbeitete. Auf www.printingforless.com klickt man auf Funktionen wie „Brochures“, „Catalogs“ oder „Business Cards“, gibt Anzahl, Größe, Drucktermin, Zahlungs- und Lieferart und ein paar andere Parameter ein, während der Rechner simultan zu jedem neuen Klick den Preis auf den Cent genau anzeigt. Die Preisuhr sei ein Affront für viele gewesen, erzählt Firmenchef Field, einige Konkurrenten hätten ihm deshalb hasserfüllte Mails geschickt.

Andererseits bietet die Website dem Kunden nur grafische Standards für die Gestaltung seiner Druckaufträge. Es gilt Fields Devise: „Wir sind keine Werbeagentur, unsere Kunden wollen mit ihren Drucksachen keine Designerpreise gewinnen. Aber: Wer bei uns mehrere hundert Visitenkarten oder etliche tausend Prospekte bestellt, erwartet zu Recht, dass die besser aussehen als das, was zu Hause aus dem Drucker rattert oder beim Copyshop um die Ecke zu bekommen ist.“ Außerdem soll es schnell gehen. Die Zielgruppe ist also klar definiert: PFL will den Pizzaservice, den Handwerker, den kleinen Hotelbesitzer, den selbstständigen Grafik-Designer, der für seinen Kunden eine bezahlbare Druckerei sucht, dazu all diejenigen, die noch nie einen Drucker beauftragt haben, weil ihnen das zu teuer oder zu kompliziert war – oder beides.

Franzosen, Japaner und Südamerikaner drucken in Montana

Diese Klientel umwirbt Field zudem mit einem in der Branche unüblichen Versprechen: PFL akzeptiert sämtliche Dateitypen, auch solche, die der Mann vom Pizzaservice mit einem Uralt-Programm auf dem Uralt-PC seines Freundes erstellt hat. In welchem Dateiformat auch immer die Kunden ihren selbst entworfenen Briefkopf, Flyer oder Prospekt nach Montana mailen – sie bekommen nie zu hören, dass das Format unbrauchbar sei. „Wir machen Desktop-Publishing“, sagt Field, „und versuchen nicht, unsere Kunden auf die anspruchsvolle Software der Werbeagenturen wie Quark oder PageMaker umzuerziehen. Wir müssen die Profis im Konvertieren von Dateien sein – nicht der Kunde.“ Der erhält spätestens nach zwei Tagen per Mail einen Proof in Form einer PDF- oder JPEG-Datei. Gibt er sein Okay, klingelt wenige Tage später der UPS-Kurier an seiner Tür.

Damit lockt Andrew Field die Massen. 95 Prozent des Umsatzes werden heute über die Website generiert, auf die sich täglich 8000 Interessenten klicken. Und 98 Prozent der Kunden kommen nicht mehr aus Montana, sondern aus allen anderen 49 US-Bundesstaaten, dazu aus Frankreich, Schottland, Südamerika, der Karibik, Japan, Kuwait, Taiwan. Die Kundendatei umfasst mehr als 21.000 Namen und Adressen.

Dass er diese Massen erfolgreich durch einen komplizierten Produktionsprozess schleust, ist Fields eigentliche unternehmerische Leistung, die ohne IT nicht denkbar wäre. Die typische Druckerei in den USA, sagt er, mache 80 Prozent ihres Umsatzes mit zwei Dutzend Kunden, die von Vertretern persönlich betreut werden. Die Geschäftsbeziehung zu diesen zwei Dutzend Kunden könne man getrost in Aktenordnern verwalten und ihre Auftragszettel von einer Ablage in die andere schaufeln, wie man das schon immer gemacht habe. „Ich kritisiere das nicht“, sagt Field, „denn oft funktioniert es.“ Aber nicht immer, schon gar nicht in rezessiven Phasen, wie sie die Druckindustrie in den vergangenen Jahren erlebt hat. Unlängst sei er bei einer Versteigerung in einer Druckerei gewesen, bei der es nicht funktioniert hatte, erzählt Field. „Im Prepress-Bereich hatten die an jedem Arbeitsplatz nur je einen Monitor. Drucker verarbeiten aber Informationen wie Aktienhändler an der Wall Street, und die haben sechs oder acht Schirme vor sich. Ich kann doch meinen Leuten nicht nur einen Monitor hinstellen und dann sagen: Jetzt arbeitet mal schön effizient!“

Der Begriff der Effizienz drängt sich auch bei PFL nicht auf – jedenfalls nicht auf den ersten Blick. Die Druckerei liegt nur ein paar Straßen vom Zentrum des Städtchens entfernt, ihr Kern ist eine ehemalige Molkerei, die in den vergangenen Jahren um mehrere Anbauten erweitert wurde, einige Büros sind in einem aufgebockten Wohnwagen untergebracht, den die Mitarbeiter ironisch „North Campus“ nennen. Überall ist es eng und verschachtelt, jeder Winkel wird genutzt, fürs Repräsentieren ist kein einziger Quadratzentimeter übrig. Ein Teil der Server ist durch ein Drahtgitter gegen das halbe Dutzend herumlaufender Hunde geschützt, und der Chef sitzt in einem winzigen Büro an einem selbst zusammengeschraubten Resopal-Schreibtisch für 200 Dollar.

Keine Revolution, nur Best Practice

Unter einem schrägen Dach sitzen die Mitarbeiter Lehne an Lehne, jeder vor drei Monitoren. Das sind Andrew Fields „Technical Service Reps“, seine Info-Broker mit Headset, von denen er inzwischen 30 beschäftigt. Dafür hat er keinen einzigen reisenden Vertreter mehr. Auf den Monitoren der Kollegen laufen die Aufträge mit einem dezenten „Pling“ auf, im Schnitt 150-mal pro Tag, 3000-mal im Monat – eine Auftragsflut, die in den meisten Druckereien dieser Größenordnung ein Chaos auslösen würde. Bei PFL wird die Flut systematisch kanalisiert, papierlos, versteht sich.

Die Druckerei hat ihren Produktionsprozess in rund 80 Einzelschritte zerlegt, und mit einem Klick kann der Service-Rep die Frage eines Kunden nach dem Status seines Auftrags beantworten, wenn der es nicht selbst online tun will. „Andere Branchen machen so etwas längst“, sagt Field, „aber die Druckindustrie geht nun mal auf Gutenberg zurück. Das Festhalten am Alten ist stark ausgeprägt.“ Er mache also im Grunde nichts Revolutionäres, sondern übernehme lediglich Best Practice. Dazu gehört zum Beispiel, dass jede eingehende Mail in einem vorgegebenen Zeittakt mehrmals ihre Farbe wechselt, und dadurch jeweils eine andere Dringlichkeitsstufe des Auftrags signalisiert. „Anders lassen sich Zeitgarantien nicht einhalten“, sagt Field. Dazu gehört auch, dass der Kunde angerufen wird, wenn er seine Bestellung erhalten hat. „Die meisten Druckereien verschicken den Auftrag und hoffen, dass schon nichts schief gehen wird. Wir wollen wissen, ob der Kunde zufrieden ist.“ Der Monitor erinnert die Service-Reps automatisch an den Anruf und nennt dabei gleich die Telefonnummer, die Zeitzone des Auftragsgebers und wann der am liebsten angerufen werden will. Zur Vorbereitung des Gesprächs kann sich der Unternehmensvertreter mit einem Klick noch mal die komplette Kundengeschichte anschauen: Was er bislang bestellt hat, wie oft, in welchen Abständen und welchen Volumina, welche Software er benutzt, dazu die gesamte bisherige Korrespondenz.

Die Datenbank spuckt fast alles aus: den Umsatz pro Team und Mitarbeiter, die Dauer der einzelnen Produktionsschritte, welche Kunden ein zweites und ein drittes Mal bestellen, wie viele ihrer Aufträge nachbearbeitet werden müssen und welche Fehler am häufigsten auftreten. PFL-Webmaster Michael McNicholas arbeitet gerade daran, die Kunden noch mehr einzubeziehen – und damit noch effizienter zu werden: Eines Tages sollen sie auf ihre bei PFL abgelegten Dateien selbst online zugreifen können, um zum Beispiel auf einer alten Visitenkarte die Telefonnummer zu ändern und – per Klick auf „Order“ – erneut zu bestellen.

Klar, dass PFL seine Software zum weitaus größten Teil selbst entwickelt. Neun von 90 Mitarbeitern sind ausschließlich mit IT beschäftigt, darunter fünf Programmierer. „Die typische Druckerei mit ihren 50 Mitarbeitern hat überhaupt keinen Programmierer, höchstens einen oder einen halben Mann, der die Computer am Laufen hält.“ Für einen Druckereibesitzer gibt Andrew Field überdurchschnittlich viel Geld für Hard- und Software aus, und er erzählt gern, dass seine Telefonrechnung doppelt so hoch ist wie jene für Druckfarbe. Natürlich steht in seiner Firma eine neue Druckmaschine, das Beste, was man bekommen kann, deutsche Ingenieurskunst. Damit allerdings unterscheide er sich nicht von vielen anderen Druckereien. Denn die Maschine sei zwar die Voraussetzung für sein Geschäft, aber sie generiere keine Aufträge. Zudem berge das teure Juwel enorme finanzielle Risiken, wenn es nicht ausgelastet sei.

Hundert Prozent Auslastung

Bis jetzt aber hat Field das Problem der Überkapazitäten, unter denen die amerikanische Druckbranche leidet, mit Hilfe von IT gelöst. Wie die Airlines ihre Flugzeuge überbucht Andrew Field seine Druckmaschine. Was ihre Kapazität übersteigt, wird an zwei Dutzend Partner-Druckereien im ganzen Land weitergereicht. Auf www.pflnet.com holen sie sich die Aufträge mit ein paar Klicks. Es gibt kein Bieten und kein Feilschen, die Konditionen sind glasklar: first come, first serve und fifty-fifty. Zu wenig? Keinesfalls, meint Field, sonst stünden nicht mehr als hundert Druckereien auf der Warteliste von PFL-Net. „Der Deal ist absolut fair: Wir akquirieren den Kunden, wir machen den Service, bearbeiten die Dateien und kümmern uns um die Bezahlung. Unsere Partner sind zu nichts verpflichtet, sie picken sich die für sie interessantesten Aufträge heraus, drucken und verschicken die Ware. Oft sind das ihre profitabelsten Aufträge.“

Etwa ein Drittel seines Umsatzes erwirtschaftet PFL heute außerhalb der eigenen Druckerei, ohne dass der Kunde davon etwas erfährt. Der Absender lautet immer Printingforless, Livingston, Montana, auch wenn die Ware in Chicago gedruckt und dort ausgeliefert wird. Dass eine Partner-Druckerei versucht sein könnte, die vermittelten Kunden zu eigenen Kunden zu machen, sei unwahrscheinlich. „Das sind faire und realistische Geschäftsleute. Die wollen nicht den einzelnen Kunden, sondern die vielen Aufträge, die sie sich bei uns mit ein paar Klicks holen können. Für viele unserer Partnerdruckereien gehören wir zu den größten Auftraggebern.“

Andrew Fields Druckmaschine läuft 24 Stunden lang an sieben Tagen in der Woche. Wenn sie nicht regelmäßig gereinigt und gewartet werden müsste, wäre sie zu hundert Prozent ausgelastet. Er beschäftigt jetzt 90 Mitarbeiter, von denen 30 erst im vergangenen Jahr dazugekommen sind, in diesem Jahr sollen es noch mal 15 oder 20 mehr werden. Im Ort hat er gerade ein Haus für einen Betriebskindergarten angemietet – seine Mannschaft ist jung. Für 2004 ist ein Umsatz von 14 bis 20 Millionen Dollar angepeilt. 2005 will er einen Neubau am Stadtrand beziehen, das Grundstück ist schon gekauft, subventioniert mit Steuergeld, weil der Landkreis als wirtschaftlich benachteiligt gilt.

Benachteiligt? Von den angeblichen Schwächen der amerikanischen Provinz spürt Pringtingforless nichts. Gut, der Hauptserver für die Website ist im kalifornischen San Diego, weil sich die Breitband-Verbindungen dorthin in den vergangenen fünf Jahren als extrem verlässlich erwiesen haben. Davon abgesehen, punktet der „Treasure State“ nach Fields Ansicht in jeder Hinsicht: Die gewerblichen und privaten Mieten sind geringer als in den großen Städten, ebenso die Grundstückspreise und die Löhne. Andrew Field, der Spross aus dem Silicon Valley, fühlt sich jedenfalls pudelwohl hier draußen: „Wo sonst kann ich zur gleichen Zeit im Yellowstone River nach Regenbogenforellen fischen und im World Wide Web nach Aufträgen?“

www.printingforless.com
www.pflnet.com

Dieser Text stammt aus unserer Redaktion Corporate Publishing.