Wer nicht fragt, bleibt dumm

Preis und Wert, Profitabilität und Wachstum, Diversifikation und Spezialisierung, Eigenkapital und Schulden, Unternehmenswert und Börsenkurs – wie hängen diese Begriffe miteinander zusammen, und wie beeinflussen sie sich gegenseitig? Wie stellt man zwischen ihnen eine Balance her? Worauf muss man dabei achten?
Was ist gut, was ist schlecht? Wieso, weshalb, warum?
Fünf Grundsatzfragen – fünf Antworten.




Frage 1:
Ist es wert, was es kostet?

Seit Wochen hatte eine Passantin jeden Morgen an der Bushaltestelle einen älteren Herrn mit seinem niedlichen Hund warten sehen. Nun sprach sie ihn an:

„Einen sehr schönen Hund haben Sie da.“
„Ja, nicht wahr? Und Kunststücke kann er auch.“
„Wo könnte ich so einen kaufen?“
„Soviel ich weiß, gibt es keine mehr. Aber Sie könnten meinen kaufen.“
„Was soll er denn kosten?“
„100.000 Euro.“
„Was? Sind Sie wahnsinnig? So viel ist doch kein Hund wert!“
„Mir schon.“

Einige Tage später steht der Mann ohne seinen Hund an der Haltestelle.

„Haben Sie Ihren Hund etwa verkaufen können?“, fragt die Passantin.
„Ja, genau.“
„Und – haben Sie Ihre 100.000 Euro bekommen?“
„Ja, habe ich. Eine freundliche ältere Dame hat mir ihre beiden süßen Kätzchen zu je 50.000 Euro dafür geboten. Da habe ich natürlich sofort zugeschlagen.“

Wert und Preis sind nicht dasselbe. Der Wert einer Sache hängt immer von der Bedeutung ab, die der Einzelne ihr zuschreibt. Er beziffert die subjektive Einschätzung des zu erwartenden Nutzens: Was bringt mir ein Produkt oder eine Dienstleistung? Dieser Nutzen kann rein emotionaler Natur sein, er kann ein sehr spezifisches Bedürfnis erfüllen – und er wird nur der Einfachheit halber in finanziellen Größen gemessen.

Preise sind nichts anderes als die aggregierten Wertvorstellungen beziehungsweise Nutzeneinschätzungen aller Marktteilnehmer. Im Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage entsteht ein finanzieller Maßstab, zu dem Verfügungsrechte ge- und verkauft werden können.

Dieser Maßstab, der Preis, ist eine Größe, die sich im Einzelfall zufällig mit den persönlichen Wertvorstellungen deckt. Üblicherweise decken sich Preis und Erwartung nicht, nur deshalb kommt es überhaupt zu Transaktionen, also Käufen und korrespondierenden Verkäufen. Ein Käufer akzeptiert nur Preise, die unter seinem subjektiven Wertempfinden liegen – ein Verkäufer nur jene, die über seinem subjektiven Nutzen liegen. Anders ausgedrückt: Ich kaufe nur, wenn mir ein Gut exakt so viel oder mehr wert ist als der Preis, der dafür verlangt wird. Und ich verkaufe nur, wenn der Preis nach meinem subjektiven Empfinden höher ist als der Wert, den ich meinem Gut zumesse. Mergers & Acquisitions folgen den gleichen Gesetzen. Der Preis für ein Unternehmen bewegt sich in einer Bandbreite von Wertvorstellungen zwischen Käufer und Verkäufer. Mögliche Synergien, die nur vom Käufer realisiert werden können, erhöhen einseitig seine Werteinschätzung des Unternehmens. Dadurch lässt sich ein Preis finden, der für beide Parteien attraktiv ist.

Frage 2:
Was ist wichtiger – Profitabilität oder Wachstum?

Es waren nicht nur die Fehler einer jungen, unerfahrenen Generation von Gründern, die in Zeiten der New Economy ihren Unternehmenswert schnell durch extensives Wachstum steigern wollten. Auch etablierte Unternehmen setzen oft genug am falschen Hebel an. Einen nachhaltigen Wertzuwachs durch Wachstum erreicht jedoch nur, wer sich zunächst einmal auf die Profitabilität konzentriert.
Ein unprofitables Unternehmen (dessen Kapitalrendite niedriger ist als seine Kapitalkosten) sollte in jedem Fall zuerst die Profitabilität steigern. Wachstum würde Wert vernichten, weil zusätzliches Kapital investiert wird, das seine Kapitalkosten voraussichtlich nicht verdienen wird.
Auch ein Unternehmen, das genau seine Kapitalkosten verdient (oder sogar ein wenig mehr), sollte zunächst alles daransetzen, die Profitabilität zu steigern. Weil zusätzliches Wachstum zwar die Größe des Unternehmens positiv beeinflussen, aber keinen zusätzlichen Wert stiften würde. Ein hochprofitables Unternehmen dagegen schafft durch zusätzliches Wachstum deutlich mehr Wert als durch weitere Profitabilitätssteigerungen.

Das Bewertungsmodell zeigt den Zusammenhang. Das angenommene Beispiel: ein Unternehmen mit einem Eigenkapital von 100 Geldeinheiten und acht Prozent Kapitalkosten (siehe Grafik).

Entwicklung 1:
Bei einer Gewinnmarge von zehn Prozent (also nur knapp über den Kapitalkosten) und einem langfristigen Wachstum von zwei Prozent würde das Unternehmen am Kapitalmarkt einen Preis von 133 erzielen (der faire Wert). Steigerungen der Profitabilität hätten einen deutlich höheren Einfluss auf den Wert als die Steigerung des langfristigen Wachstums.

Unternehmen in der Basis-Chemie oder Metallverarbeitung zeigen häufig so ein Bild. Diese Branchen operieren relativ nah an ihren Kapitalkosten. Aggressive Wachstumsstrategien sind dort selten der richtige erste Schritt: Unternehmen in diesen Branchen steigern ihren Wert eher, wenn sie an der Profitabilitätsschraube drehen.

Entwicklung 2:
Das Unternehmen hat eine Gewinnmarge von 16 Prozent und ein langfristiges Wachstum von vier Prozent – der faire Wert wäre 300. Eine Steigerung des Wachstums würde sich auf den Wert des Unternehmens deutlich stärker auswirken als eine weitere Steigerung der ohnehin hohen Profitabilität. Pharmaunternehmen und die Hersteller von Luxusgütern fallen häufig in diese Kategorie. Fazit:
Wachstum ist der richtige Wertsteigerungshebel – aber nur, wenn die Rendite schon stimmt.

Wachstumsrate

7%1003005007009001100
6%100200300400500600
5%33100167233300367433
4%50100150200250300350
3%2060100140180220260300
2%3367100133167200233267
1%144371100129157186214243
0%255075100125150175200225
2%4%6%8%10%12%14%16%18%
Gewinnmarge (Return on Equity)

Quelle: Beispielzahlen; errechnet anhand einer vereinfachten Bewertungsformel

Frage 3:
Ist eins plus eins gleich, größer oder kleiner als zwei?

a) 1+1 = 2
b) 1+1 > 2
c) 1+1 < 2

Der Grundgedanke der Diversifikation ist einleuchtend: Je breiter sich ein Unternehmen aufstellt, desto geringer sind die Risiken der einzelnen Geschäftsbereiche, und desto stabiler ist der Cashflow. Geht es der einen Branche schlecht, lässt sich das durch die Ergebnisse anderer Branchen ausgleichen. Diese Logik führte in den sechziger und siebziger Jahren zu gewaltigen Unternehmens-Konglomeraten. Da wurden Chemie- und Konsumgüterunternehmen verschmolzen, Bergbaukonzerne kauften Elektronikhersteller.

Die Wissenschaft hielt dagegen. In einer perfekten Modellwelt führe dieser einleuchtende Grundgedanke nicht zu mehr Wert. Der Kapitalanleger könne diese Art der Diversifikation durch den Aktienkauf verschiedener Unternehmen schließlich selbst vornehmen. Durch die Diversifikation auf Unternehmensebene würden seine Anlagemöglichkeiten auf Dauer sogar eingeschränkt: Selbst wenn er wollte, würde er aufgrund der gängigen Praxis kaum noch ein spezialisiertes Unternehmen finden und kaufen können.

Die Modellwelt der Wissenschaft entspricht jedoch nicht der Realität. Tatsächlich erfordert der optimale Diversifikationsgrad eine sensible Steuerung.

Richtig ist: Durch die Diversifikation auf Unternehmensebene sinkt die Insolvenzwahrscheinlichkeit, und damit sinken auch die Kapitalkosten. Zudem können die einzelnen Geschäftsbereiche Ressourcen gemeinsam nutzen und sinnvolle Synergien schaffen. Diversifikation schafft hier Wert.

Richtig ist allerdings auch: Durch die Diversifikation entstehen im Unternehmen Komplexitätskosten; das Gebilde wird intransparent, schwerer steuerbar, es besteht die Gefahr, sich zu verzetteln. Nicht selten werden auf diesem Weg Unternehmensbereiche quersubventioniert, die sich allein nicht mehr tragen würden. Und die Diversifikation zerstört hier Wert. Die alte Frage – Fokussierung auf die Kernkompetenz oder breite Diversifikation – ist auch heute nicht pauschal zu beantworten. Es geht nicht um richtig oder falsch, sondern um die sinnvolle Kombination. 

Frage 4:
Sind Schulden schlecht für den Unternehmenswert?

Natürlich nicht. In der Unternehmensfinanzierung haben Verbindlichkeiten einen großen Vorteil: Sie sind steuerlich gegenüber dem Eigenkapital begünstigt, weil ihre Kosten, die Zinsen, in der Regel die Besteuerungsbasis verringern. Ein erhöhter Fremdkapitaleinsatz senkt die durchschnittlichen Kapitalkosten des Unternehmens. Aus Wertgesichtspunkten ist ein rein aus Eigenmitteln finanziertes Unternehmen also absurd.

Allerdings steigt mit dem zunehmenden Verschuldungsgrad die Wahrscheinlichkeit einer Insolvenz – und damit steigen die Kapitalkosten, weil Anteilseigner und Gläubiger höhere Risikoprämien verlangen. Diese fressen den steuerlichen Vorteil irgendwann auf. Ziel des Unternehmens muss es also sein, den Verschuldungsgrad so zu steuern, dass das Optimum aus Steuervorteil und Risikoprämien erreicht wird. Ein weiterer, aus Eigentümersicht positiver Aspekt der Schulden ist die disziplinierende Wirkung auf das Management. Für Zins und Tilgung werden stetige Zahlungsüberschüsse benötigt; diese vorgegebene Planung der Mittel verhindert so manches zweifelhafte und wenig renditeträchtige Projekt. Diesen Disziplinierungseffekt verstehen vor allem Finanzinvestoren im Rahmen von Leveraged Buy-outs für sich zu nutzen.

Fazit: Ein Unternehmen sollte die Fremdfinanzierung nicht als Ergänzung zur verfügbaren Eigenkapitalfinanzierung steuern, sondern umgekehrt, die Fremdkapitalaufnahme aktiv in Abhängigkeit von der Fremdkapitaltragfähigkeit und des langfristigen Finanzplanes des Unternehmens kalkulieren. Überschüssiges Eigenkapital ist durch Dividenden oder Aktienrückkäufe an die Eigentümer auszuschütten.

Frage 5:
Warum können schlechte Unternehmen auch gute Investments sein?

Was wird eigentlich an der Börse gehandelt?, fragte sich der britische Wirtschaftswissenschaftler John Maynard Keynes und erklärte seine Theorie in den dreißiger Jahren an einem anschaulichen Beispiel. Er verglich den Aktienmarkt mit einem Schönheitswettbewerb, bei dem die Teilnehmer aufgefordert werden, aus hundert Fotos von Frauen die sechs schönsten auszuwählen. Derjenige, dessen Wahl am ehesten mit der Ansicht aller übereinstimmt, sollte einen Preis gewinnen.

Der rationale Teilnehmer, so Keynes, wird versuchen, nicht die Frauen auszuwählen, die er für die schönsten hält, sondern die, von denen er annimmt, dass sie die meisten Stimmen bekommen werden. Wenn er den anderen Teilnehmern am Spiel ebenso viel Vernunft unterstellt wie sich selbst, wird er die Frauen wählen, von denen er meint, die anderen würden meinen, dass die anderen meinen ...

Keynes: „Es geht nicht darum, diejenigen auszuwählen, die nach dem eigenen Urteil wirklich die hübschesten sind oder jene, welche nach der durchschnittlichen Meinung die hübschesten sind. Wir haben einen dritten Grad erreicht, wo wir unsere Intelligenz dafür einsetzen, das vorherzusehen, von dem die durchschnittliche Meinung erwartet, dass es die durchschnittliche Meinung ist.“

Was also wird an der Börse gehandelt? Fundamentale Unternehmenswerte? Nein, zumindest nicht unmittelbar. Gehandelt werden Erwartungen über die zukünftige Entwicklung von Unternehmen. Ein für den Anleger gutes Investment (in Aktien eines Unternehmens) ist nicht notwendigerweise ein Unternehmen, das hochprofitabel und stark wachsend ist, sondern eines, von dem der Anleger heute glaubt, dass es zu niedrig bewertet ist. Die Investition ist aus seiner Sicht dann lohnend, wenn die im Aktienkurs widergespiegelten Erwartungen künftig erfüllt, besser noch, wenn sie übertroffen werden. Sehr gute Unternehmen (profitabel, wachsend) können deshalb denkbar schlechte Investments sein, der Aktienkauf von mittelmäßigen Unternehmen dagegen kann ein hervorragendes Investment sein. Was aber bedeutet das für ein Unternehmen? Wie kann es Shareholder Value schaffen?

Aus Unternehmenssicht sind alle Investitionsprojekte, die eine Rendite über den Kapitalkosten verdienen, grundsätzlich wertschaffend. Für den Aktionär wird jedoch nur Wert kreiert, wenn die Erwartungen des Marktes über die zukünftige Wertschaffung des Unternehmens erfüllt oder übertroffen werden. Werden die Erwartungen nicht erfüllt, sinkt der Aktienkurs – auch wenn alle Investitionsprojekte des Unternehmens rentabel sind.

Zu hohe Markterwartungen stellen für Unternehmen aber ein ebenso großes Problem dar wie zu geringe Erwartungen. Im ersten Fall sind die Investoren enttäuscht, im zweiten macht sich das Unternehmen zum Übernahmekandidaten.

Aufgabe des Unternehmens ist also auch das Management von Erwartungen. Ein kapitalmarktanalytisches Instrumentarium kann das Spektrum der künftig erwarteten Unternehmensentwicklung transparent machen. Vor diesem Hintergrund gilt es, ständig und glaubwürdig mit den Investoren zu kommunizieren. Nur wer die Erwartungen des Kapitalmarkts kennt, kann sie gegebenenfalls korrigieren.


Dieser Text stammt aus unserer Redaktion Corporate Publishing.