Pure Freude

Mit ausgefeilten kargen Möbeln aus Holz oder Stahl hat sich Nils Holger Moormann aus Aschau im Chiemgau in 20 Jahren zum Guru seiner Branche entwickelt. Mehr als 60 Designpreise und Awards hat er bisher für seine Produkte eingesammelt, die in vielen wichtigen Museen Europas vertreten sind.
Sein Rezept: Konsequenz und Haltung.




Die Dinge sind kantig, nicht kuschelig. Das Material pur, die Funktion erkennbar, die Linien schnörkellos. Regale, Tische, Container, Leitern, Lampen – keins der Moormann-Möbel signalisiert Gemütlichkeit. Niemand denkt bei ihnen an Einrichtung. Sie stehen so cool und kompromisslos, so gnadenlos bescheiden, so demonstrativ anders in der Welt, dass der zufällige Betrachter sich abwendet. Oder der Sache näher tritt. Dann ist er verloren.

Denn der spröde Charme der Moormann-Möbel verführt zum näheren Betrachten. Und schnell wird erkennbar, wie viel Fantasie, Können und Witz in allen von ihnen versammelt sind. Man muss kein Fachmann sein, um zu begreifen, dass in jedem Stück Idee und Umsetzung perfekt zusammengehen. Das Resultat: Man will das haben, besitzen, damit spielen.

Der mittlerweile 51-jährige Nils Holger Moormann, der sich gern als „grausamer Design-Fürst“ ironisiert, herrscht nun schon an die 22 Jahre in seiner sachlich-sinnlichen Möbelprovinz, die er nicht in einem schicken Metropolen-Ambiente, sondern im oberbayrischen Aschau installiert hat, wo der Chiemgau am lieblichsten ist und die nahen Berge rufen.

Ausgerechnet Aschau! Anbrausende Herbstwälder verschwinden bergan im Nebel, Holzgiebel und freundliche Farben, verdämmernde Rosengärten, Pensionistenglück. Edelkoch Winkler kocht hier auf. Ausgerechnet hier, im Schatten der Kampenwand, des Aschauer Hausbergs, hat Moormann seine Möbelproduktions- und Handelsgesellschaft angesiedelt.

Wurzeln in der Geschichte

Vor zwei Jahrhundertwenden hatte sich hier der Baron von Cramer-Klett Remisen, Reithalle und die Verwaltung in Hufeisenform ins Gelände bauen lassen. Als alles attraktiv heruntergekommen war, verkaufte sein Nachfahr, Baron Rasso von Cramer-Klett, die Reithalle den Aschauern, die daraus eine Festhalle machten. Den Rest erwarb Moormann, der für sich und seine Design-Entourage eine neue Bleibe suchte, weil die alte – auch schon in Aschau – zu eng geworden war.

Das alte Gemäuer wieder fit für die Zukunft zu machen war für Moormann das pure Vergnügen. „Für mich ist das Wurzeln in der Geschichte wichtig“, sagt er, „Design muss auf etwas fußen. Wir machen Highend-Produkte, Hochleistung bis zur Besessenheit, da muss man locker bleiben. Sonst erstarrt alles in deiner Übersensibilität.“

Um locker zu bleiben, hat der Elite-Möbler ein eigentlich einfaches Rezept: Er folgt seiner Nase und seinem Spieltrieb. Am liebsten hätte er den Gast mit seinem neuesten Spielzeug, einem blauroten Eicher-Diesel-Traktor, Baujahr 1961, vom Bahnhof abgeholt. Aber es regnet, und Moormann hat ein Einsehen. Den Eicher, 35 PS, hat er gerade in seinen Fuhrpark geholt, damit der mit vorgeschnallter Schaufel winters den Schnee räumen kann. Sagt Moormann. Er vergisst nicht anzumerken, dass seine Versandleute, die jetzt mit dem Ungetüm plus Hänger die Produkte vom nahen Lager heranschaffen müssen, lieber einen wettersicheren Kleintransporter gehabt hätten. Man kann nicht alles haben. Im Übrigen ist er stolz auf seine Versandleute. Sie sind schnell und schlau und selbstständig.

Es wird rasch klar, dass Fürst Moormann, ein bekennender Einzelgänger, eher schüchtern und spröde wie seine Möbel, seine Mitarbeiter respektiert und liebt. Aber er schätzt doch sehr das patriarchalische Modell vom Unternehmer. „Ein Traum“, findet er. „Ich darf auch einen Schmarrn machen.“ Macht er auch. Man kann auch sagen: Er macht, was er will.

Er versenkt Jahresgewinne in eine denkmalschützerische Renovierung von Remisen und Dachböden. Und kaum weniger in ein Bauernhaus aus dem Jahre 1525, in dem er seit zwei Jahren wohnt. Aber am liebsten haust er in einer dazu gehörenden Holzhütte mit Ofen, Bett und Tisch und lässt sich vom nahen Gebirgsbach in den Schlaf rauschen. Ein Luxusmönch.

Er nimmt jedes Jahr sechs Wochen Auszeit und reist nach Laos, Patagonien, diesen Winter nach Madagaskar, „gern auch in Krisengebiete“. Dort entfaltet er sein Liegefahrrad und strampelt über Berge, durch Wüsten und Sumpfland. Mit karger Ausrüstung, aber immer die eine Satteltasche mit Büchern gefüllt. Kein Handy. Keine Verbindung zum Geschäft. „Die Mannschaft soll Verantwortung tragen“, sagt Moormann, „sie hat mich noch nie enttäuscht.“

Krise als Trainingslager

Der Langstrecken-Radler ist auch daheim und im Geschäft einer mit langem Atem. Gegen sein eigenes Temperament und gegen den Zeitgeist dekretiert er eine „Entschleunigung“ und setzt auf eine langfristige Modellpolitik und stete Verbesserung seiner Produkte. „Meine Möbel sollen zwar verführen“, sagt Moormann, „aber sie dürfen nie enttäuschen. Ich verliere sonst die Wertschätzung meiner Kunden.“

Er glaubt, die derzeitige Kaufverweigerung der Menschen liege auch darin begründet, „dass die Leute nichts mehr vom Wert der Dinge wissen. Die Dinge sprechen nicht mehr zu dir“, weiß Moormann, „du hast sie nur noch. Sie stellen dir das Leben voll.“ Er fordert von seinen Produkten „Vererbungsqualität“.

Als „überzeugter Freund des Einzelhandels“ plagt ihn, dass in den vergangenen Jahren fast 50 Prozent seiner engagierten Möbelhändler aufgegeben haben und damit Menschen, die Wissen haben. Er nennt sie „Kulturbotschafter“. Moormann: „Man muss erklären können, warum ein Regal so viel kosten kann und muss.“

Denn das weiß Moormann auch: „Wir werden nicht reich in unserem Metier. Dafür sind wir zu teuer, zu langsam, zu wenig leistungsfähig. Nur wenn der Kunde uns wertschätzt, hat er die Geduld. Wenn du es nicht schaffst, deine Firma werthaltig zu machen, hast du keine Chance.“ Moormann ist überzeugt, dass diese Haltung ihn über die letzten schweren Jahre gebracht hat. Denn der Einbruch des Neuen Marktes hat ihn natürlich auch erwischt. Zwei Jahre in Folge gab es Umsatzrückgänge von 20 Prozent. Dieses Jahr ging es wieder satt bergauf mit plus 25 Prozent. „Wir sind durch“, konnte er seiner Crew verkünden.

Die Schwierigkeiten hat Moormann als „Super-Trainingslager“ empfunden. „Erst im tiefen Keller“, sagt Moormann, „habe ich erfahren, was für eine tolle Mannschaft ich habe.“ Er hat sich auf seine Weise revanchiert: Als ihm seine langjährige Buchhalterin nahe legte, sie zu entlassen, weil das Geschäft ihr Gehalt nicht mehr hergäbe, hat er einen seiner raren Zornanfälle bekommen. Und niemanden entlassen, sondern zwei Designer zusätzlich engagiert. Wir schaffen das, hat er sein 16-köpfiges Team – „meine Ersatz-Familie“ – aufgemischt. Energie fließt, wenn man sich bewegt. „Ohne Kommerz keine Kultur!“, hat Moormann sich und den seinen zugerufen. Das hat die Truppe richtig verstanden und in Produkte und Aufträge umgesetzt. Und Moormann selbst hat getan, was er ohnehin am liebsten tut. Er hat sich in sein Auto gesetzt und seine Kunden besucht.

Ein wenig die Welt verbessern

So hat er schließlich vor mehr als 20 Jahren, nach abgebrochenem Jurastudium und allerlei Jobs auf der Suche nach seinem Lebenszweck, mit der Möbelsache begonnen. Mit Prototypen eines Freundes hat er Möbelhändler und Inneneinrichter besucht und dabei festgestellt, dass ihn die Sache interessiert. Und dass er ein guter Verkäufer von Dingen ist, die ihn interessieren. „Ich habe erst mit 29 Jahren gemerkt, dass ich kreativ bin“, wundert sich Moormann heute noch. „Was für eine vergeudete Zeit! Aber dann bin ich dem nachgegangen.“

Heute wie damals setzt er sich in seinen Wagen, derzeit ein zum Wohnmobil umgebauter Renault Espace, und grast die Kundschaft ab. „Superfrei“ fühlt er sich dann, fährt gern nachts und parkt irgendwann „mittenmang“ vor dem Laden, den er am Morgen besuchen will. Einst kam er als Wanderprediger und bunter Vogel zu den Einrichtern, den Hütern des guten Geschmacks. Heute besucht er Freunde, rät, hört zu und berichtet vom fernen Fürstentum in Aschau.

„Ich kann nur jedem Chef empfehlen, dahin am Markt zu gehen, wo es weh tut“, fasst er die Erfahrungen der vergangenen Jahre zusammen. Andererseits: Nicht jeder, der Moormann-Möbel will, bekommt sie auch, selbst wenn hoher Absatz winkt. „Wenn das Umfeld nicht stimmt, hat das keinen Sinn“, sagt Moormann. Er kündigt auch Kunden, wenn sie sich in eine falsche Richtung entwickeln. „Wer nie Nein sagen kann, wird auf Dauer Ja sagen müssen“, glaubt Moormann. Er weiß genau, was er will. „Ohne Werte bin ich nichts wert“, sagt er, „man kann es auch Haltung nennen.“ Damit schafft sein Laden jetzt wieder 2,5 Millionen Euro Umsatz – genug zum Überleben und Weitermachen.

Gut, dass der baumlange Beute-Bayer, dieser Querkopf und Qualitäts-Wüterich, so gern lacht und selbst aus einer jahrelangen, existenzbedrohenden Auseinandersetzung mit dem Möbelgiganten Ikea – der frech einen eleganten Tischbock kopiert hatte – noch Spaß bezog. Der Elch verlor in allen Instanzen, und Moormann feierte seinen Sieg in einem Comic-Büchlein mit eher liebevollem Spott. Doch die humorfreien Marktbeherrscher zückten eine einstweilige Verfügung. Von da an stempelte Moormann seine Post mit „censored by Elk“. Und zeigte den Schweden, was eine Harke ist. Deren Erfolgsregal Billy stellte Moormann ein „B Clever“ entgegen, viel schöner und, natürlich, dauerhafter. Es verkauft sich schlecht. Es ist zu teuer, das kleine Ding. Kleinserien sind eben einfach elitär.

Aber die Moormänner haben ihren Spaß gehabt. Es macht ihnen Freude, eine gute Idee in die Welt zu setzen. Immer in der Hoffnung, „damit die Welt ein wenig zu verbessern“. Denn davon ist Nils Holger Moormann überzeugt: „Die Fantasie, die Kraft, der Mut und die Handwerklichkeit, die wir in ein Produkt investieren, sind fühlbar. Die Menschen merken das.“


Dieser Text stammt aus unserer Redaktion Corporate Publishing.