Zimmer mit Aussicht

Strategische Planung, langfristiges Denken, das sorgfältige Abwägen von Unbekannten, Assets und Zielen sowie ein gut ausbalanciertes Set von Investments und Risiken: Die Anlage eines großen Gartens folgt ganz ähnlichen Regeln wie die Komposition eines Unternehmens-Portfolios. So gesehen, gehören Vita Sackville-West und Sir Harold Nicolson zu den großen Visionären des 20. Jahrhunderts. Der Park, den das exzentrische Schriftstellerpaar in den Dreißiger Jahren anlegte, ist heute eine der berühmtesten Grünanlagen der Welt.




Die Farmer rechts und links konnten es nicht ahnen, aber die distinguierte Dame mittleren Alters, die an diesem Apriltag des Jahres 1930 den Feldweg zum Schloss hinauffuhr, war so etwas wie eine Berühmtheit. Vita Sackville-West, Spross einer adeligen Familie, Autorin von mehr als 40 Büchern, Trägerin des renommierten Hawthornden-Preises, Geliebte von Virginia Woolf und Vorbild für Orlando in Woolfs gleichnamigem Roman, befand sich auf der Suche nach einer neuen Bleibe. Sissinghurst Castle, in der sanft gewellten Landschaft Südenglands gelegen, schien dafür eher ungeeignet. Vom Herrenhaus, das einst an dieser Stelle gestanden hatte, war wenig mehr übrig als die Gesindehäuser, ein paar Stallungen, der backsteinerne Tor-Turm sowie die Grundmauern des ehemaligen Schlosses. Den umgebenden Park hatte sich die Natur längst zurückerobert. Er war, wie sich später herausstellen sollte, bis in zwei Metern Tiefe voll von Gerümpel diverser Jahrhunderte. Vita Sackville aber sah in der Unordnung kein Problem – sie erblickte vor allem Möglichkeiten.

... Als ich den Ort ... zum ersten Mal sah, entflammte er augenblicklich mein Herz und meine Phantasie. Ich habe mich auf den ersten Blick in ihn verliebt. ... Es war Dornröschens Garten: aber ein Garten, der nach Befreiung schrie. Und es war leicht vorauszusehen, sogar zu diesem Moment, welchen Kampf es uns kosten würde, ihn zu befreien.*

Drei Wochen später erwarben Vita und ihr Ehemann Harold Nicolson Sissinghurst Castle inklusive der umgebenden 400 Acres, zogen in zwei Cottages auf dem Gelände und machten sich unverzüglich an die Arbeit. Es war die Geburtsstunde eines der einflussreichsten Gärten Englands, erdacht von zwei exzentrischen Autodidakten, die – ohne je eine gärtnerische Ausbildung genossen zu haben – zu einem der berühmtesten Gartendesigner-Duos des 20. Jahrhunderts zusammenwachsen sollten.

Dabei ist der versteckt liegende Park weder besonders überwältigend noch sonderlich groß: Das gesamte Anwesen lässt sich bequem in weniger als einer halben Stunde umwandern. Sissinghursts Besonderheit ist seine kluge, facettenreiche Konzeption, die auf alle lauten Effekte verzichtet und dennoch faszinierend genug ist, um Millionen Menschen anzuziehen. Ironischerweise hatten seine Erbauer dies zunächst überhaupt nicht im Sinn – ihren Traumgarten schufen Vita Sackville-West und Harold Nicolson ausschließlich für sich selbst.

Die Essenz des Gartendesigns – wie aller Formen architektonischer Planung – ist die Veränderung von Erwartungen durch das Element der Überraschung, postulierte Nicolson, ein ehemaliger Diplomat, Schriftsteller und Biograf König George V. Äußerlich von gewisser Ähnlichkeit mit dem jungen Ernest Hemingway, war Harold Nicolson ein kühler, sehr rationaler Kopf. Kaum war der Kaufvertrag für Sissinghurst unterschrieben, machte er sich an die Planung des Gartens.

1. ZIELDEFINITION

Die Wochentage verbrachte Nicolson in seinem Londoner Apartment, sandte von dort aus aber jeden Tag Vorschläge, Ideen und Kritik zur Gartenplanung nach Sissinghurst. Vita antwortete ebenso fleißig – insgesamt kam das Paar während der knapp 50 Jahre dauernden Ehe auf mehr als 10.500 Briefe.

Unser hervorragendes Klima bedingt unseren Stil – der englische Rasen ist die Grundlage unseres Entwurfs ..., analysierte Nicolson in einem von ihnen. Der Gartenarchitekt muss erkennen, dass die Eckpfeiler eines jeden guten englischen Gartens Wasser, Bäume, Hecken und Rasen sind.

Diese Eckpfeiler begann Nicolson nun zu einem streng mathematischen System von Geraden und Gegengeraden, Achsen und Plätzen zu ordnen, die sich vom alten Tor-Turm wie ein unregelmäßig geknüpftes Netz über die Landschaft legten. Vita wiederum machte sich auf die Suche nach Pflanzen, mit denen sie Harolds reduziertes Raster opulent zu füllen gedachte. Damit war eine der Hauptattraktionen Sissinghursts – die augenfällige Konkurrenz zwischen Ordnung und Disziplinlosigkeit, zwischen dem geometrisch strengen Rahmen des Gartens und überwuchernden Beeten, zwischen Harolds planerischem Geist und Vitas Fantasie – bereits angelegt. Heute gelten die gegensätzlichen Geister als eine Art Lennon/McCartney des Gartendesigns: Jeder für sich allein talentiert, zusammen aber unschlagbar.

„Dieser Garten ist das Porträt einer Ehe“, meint ihr Sohn Nigel Nicolson, „Harold machte den Entwurf, Vita pflanzte ihn an.“

2. BESTANDSAUFNAHME

Nicolsons Entwurf sah vor, den Park mit hohen Hecken, Mauern und Stauden in zehn separate Mini-Parks zu unterteilen, die jeder für sich völlig unterschiedlich gestaltet werden sollten. Die Hauptachse sollte durch geradlinige Perspektiven, durch geschnittene Heckenreihen, die auf Endpunkte in Form von Statuen oder Steinbänken zulaufen, deutlich gemacht und unterstrichen werden. Wer genau hinschaut, entdeckt in ihnen den Grundriss des alten Schlosses wieder.

Wir waren völlig einer Meinung, was den Gesamtentwurf des Gartens anging: lange Achsengänge von Nord nach Süd und von Ost nach West, in der Regel mit Statuen, Torbögen oder einem Paar von Pappelposten als Endpunkt, verbunden mit der intimen Überraschung kleiner geometrischer Gärten, die davon abgehen, fast wie die Zimmer eines riesigen Hauses von den Hauptkorridoren. (Vita)

Ganz unabsichtlich schufen Sackville und Nicolson mit ihren Zimmerfluchten wohl einen der Gründe, warum heute Monat für Monat zehntausende Besucher mit ganz unterschiedlichen Interessen und Vorlieben ihr Garten-Reich aufsuchen: Irgendwo in Sissinghurst findet sich für jeden etwas. Romantischere Naturen verlieren sich eher im Rosengarten, während Freunde heimischer Gartentradition durch den Cottage Garten oder den Obstgarten – Sissinghursts natürlichsten, weitgehend der Natur überlassenen Abschnitt – spazieren. Der White Garden, eine weitere Attraktion, erreicht jedes Jahr Anfang Juli seine volle Blüte. Aber auch die Allee auffällig drapierter Linden, die Sissinghurst gen Süden begrenzt, ist eine Sehenswürdigkeit besonderer Art.

Über diesen Lindengang, den Harold „my life’s work“ oder kurz „MLW“ nannte, führte Sissinghursts Oberarchitekt gesondert Buch. In seinen Notizbüchern zeichnete der penible Planer maßstabgerecht den Garten auf, nummerierte die Bäume von 1 bis 30 und widmete jedem Abschnitt des Lindengangs eine eigene Seite. Diese kleinen Karten ergänzte er mit praktischen Anmerkungen, Bepflanzungsplänen und einem fortlaufenden Kommentar zum Stand der Dinge.

Hinten Forsythien und hohe Tulpen. Vorne eine gute Mischung von Schlüsselblumen und Anemonen, aber die decken nicht genug. Einfach auffüllen. Unter Baum 8: Narcissus nanus (Wildnarzisse), lassen. Topf: sehr schlechte Traubenhyazinthe, herausnehmen und neu auffüllen. Baum 9: gute Anemomen. Schlüsselblumen mit Baumwolle abdecken. Ableger vom gelben Goldlack beim Cottage machen.

Nicolsons Idee, einen Garten wie die Zimmer eines Hauses einzurichten, war nicht neu, sondern ein Gartenklassiker seit den Tagen der Renaissance; ungewöhnlich hingegen war, dass Sissinghursts neue Eigentümer ihren Garten tatsächlich wie ein Haus nutzten. Vita und Harold zogen mit ihrer Küche ins so genannte South Cottage im Süden des Parks ein, während ihre beiden Söhne im kleinen Priest’s House am Nordende unterkamen. Die ansehnliche Schar an Gärtnern und sonstigem Personal – Vita stammte aus einer reichen adeligen Familie, außerdem verkauften sich ihre Bücher bereits zu Lebzeiten sehr gut – logierten im alten Haupthaus.

Sommers wie winters musste die Familie den halben Garten durchqueren, um vom Schlafzimmer ins Bad und in die Küche zu kommen. Sobald es warm genug war, wurde eine Erechtheum genannte Laube am Nordausgang zum Outdoor-Speisezimmer umfunktioniert. Ein mannshoher, schmaler Eibengang, dessen dichtes grünes Laub tatsächlich wie eine Wand wirkt, verband beide „Zimmer“.

Das Dumme war nur, dass sich die äußeren Gegebenheiten Harolds streng geometrischem Plan vehement widersetzten. Im Südwesten fällt Sissinghursts Gelände deutlich ab, außerdem war kaum eine der Grundmauern des alten Schlosses gerade geschnitten worden.

Das ist der Ärger mit Sissinghurst: Es ist großartig, aber die Winkel stimmen nie. (Harold)

Das geografische Problem lösten die Planer, indem sie die Mauern und Hecken so hoch anlegten, dass sich der Garten und damit die geometrische Ungenauigkeit von keinem Punkt überblicken lässt – es sei denn, man klettert auf den Turm. Ihren Buchen- und Eibenhecken widmeten sie daher auch besondere Sorgfalt. Als Sissinghursts Chefgärtner Jack Vass 1941 zum Dienst bei der Royal Air Force eingezogen wurde, gab er Order, man dürfe während seiner Abwesenheit notfalls alles vernachlässigen, jedoch keinesfalls die Hecken.

„Zeit“, bekräftigt Sarah Cook, „ist der entscheidende Faktor.“ Cook – Fleecejacke, Schlabbershirt, wache Augen, kräftige Hände – ist die Nach- Nach-Nachfolgerin von Vass und heute Chefgärtnerin in Sissinghurst. Ihr Büro befindet sich in einem ehemaligen Schuppen am Ausgang des Parks, versteckt hinter dem Verkaufstresen für Eintrittskarten und Bildbände. Ein Regal steckt voller Kladden, in denen Cook die nächsten anstehenden Arbeiten plant. Auf dem Bürotisch liegt ein Plastikbeutel mit Kochäpfeln und einem Zettel „Please help yourself!!!“

„Wenn wir mal ein Jahr mit der Gartenpflege aussetzten, würden es die Besucher vermutlich nicht einmal merken“, sagt die Gärtnerin. „Nach fünf Jahren jedoch wären die Schäden irreparabel.“ Ein Gärtner müsse deshalb beständig mit unterschiedlichen Zeiträumen operieren. Cooks aktuelle Planungen erstrecken sich von den nächsten sieben Tagen bis zu den kommenden sieben Jahren, während derer der Garten fortlaufend verjüngt wird. Jahr für Jahr beispielsweise müssen im Rosengarten fünf bis sieben Rosen ausgetauscht werden, „weil wir sonst eines Tages nur noch alte Rosen hätten“.

In fünf Jahren, sagt Cook, werde sie einige Sträucher im Cottage Garden ersetzen lassen, im Jahr 2010 seien die Apfelbäume im Obstgarten dran. „Am wichtigsten ist es, zu erkennen, dass das Ergebnis nie perfekt sein wird. Ein Garten verändert sich jede Stunde, jeden Tag, jeden Monat. Man kann ihn unmöglich bewahren. Aber man kann seine Idee am Leben erhalten.“

3. PLANUNG

Die Idee stammte zu einem großen Teil von Vita Sackville-West. Die Schriftstellerin, die sich im alten Tor-Turm ihr Schreibzimmer einrichtete, in dem sie ihr Hauptwerk „Pepita“ sowie später, als der Ruf Sissinghursts landesweit bekannt geworden war, eine wöchentliche Gartenkolumne für den Observer verfasste, war die kreative Träumerin des Designer-Duos.

Sissinghurst war ein romantischer Ort, und im Rahmen von Harold Nicolsons Strenge musste er als solcher behandelt werden. Ich wollte ein Gewirr von Rosen und Geißblatt, Feigen und Weinreben. (Vita)

So weit die Strategie. Über die Details gerieten die gegensätzlichen Charaktere regelmäßig aneinander. Nein, Liebling, was die Azaleen angeht, bin ich nicht Deiner Meinung, schrieb Harold 1947 an Vita. Zum einen, weil ich nicht das Gefühl habe, dass die Azaleen überhaupt Sissinghurst-Pflanzen sind. Es sind Ascot- oder Sunningdale-Pflanzen. Nichts für unser lieblich-romantisches angelsächsisch-römisches Tudor-Kent. Ich weiß, Du wirst mit Recht einwenden, dass dann auch die Magnolien nicht hierher passen. Aber Du weißt schon, was ich meine. Alles Spießbürgerliche sollte vermieden werden.

Vita setzte sich durch. Die Azaleen wurden gepflanzt. Vieles andere aber, was zum Standardrepertoire großer Gärten gehört, ließen die beiden einfach weg. In Sissinghurst gibt es keine wasserspeienden Engel und kein Trompe-l’œil. Für die Gartenkritikerin Jane Brown ist „die Beschränkung eine der bemerkenswertesten Eigenschaften von Sissinghurst“.

Eine andere ist die jahreszeitliche Vielfalt, die Sackville/Nicolson erreichten, indem sie jedes der Gartenzimmer an eine andere Saison koppelten. Vita: Von Anfang an stand für uns fest, dass der Garten mit all seinen Räumen und Unterabteilungen jahreszeitliche Züge tragen sollte; er war groß genug, um Platz dafür zu bieten. Wir konnten einen Frühlingsgarten von März bis Mitte Mai haben, einen Frühsommergarten von Mai bis Juli, einen Spätsommergarten von Juli bis August und einen Herbstgarten von September bis Oktober. Der Winter muss sehen, wie er mit ein paar wenigen winterfesten Sträuchern und ein paar früheren Knollen zurechtkommt.

„Schauen Sie“, ruft Sarah Cook, während sie ihren Besucher durch den Weißen Garten führt, „im Spätherbst sind hier die meisten Blumen längst verwelkt. Dafür blühen im Cottage Garden jetzt die Dahlien, Astern, Clematis und Gladiolen, als stünde der größte Besucheransturm erst noch bevor.“ Harolds Lindengang wiederum ist eigentlich nur ein paar Wochen im Frühjahr interessant, wenn die Schneeglöckchen, Narzissen und Tulpen zu Füßen der Bäume blühen. Der Nussgarten ist ob seiner verwelkenden Blätter komplett in einen goldenes Gelb getaucht, während die mächtigen Eichen entlang des Wassergrabens noch in saftigem Grün stehen und alle paar Sekunden mit lautem Plumpf eine Eichel im Wasser versenken. „Jede Ecke ist immer irgendwie interessant“, meint Cook, „aber jede hat auch irgendwann im Jahr ihren Höhepunkt.“

Manche Besucher erinnert Sissinghurst an einen gut bestückten Wochenmarkt, der zu jeder Jahreszeit andere, immer aber verlockende Angebote bereit hält. Andere fühlen sich eher an ein Schloss mit zahllosen, ganz unterschiedlich ausgestatteten Salons erinnert. Sieben Vollzeitgärtner sowie mehrere Dutzend Freiwillige sind permanent damit beschäftigt, sein Interieur zu restaurieren.

4. INVESTMENT

Das Markenzeichen dieses Schlosses entstand erst nach dem Krieg, als Vita auf die Idee kam, einen bislang eher vernachlässigten Gartenabschnitt südöstlich des Priest’s House in einen Themenpark besonderer Art zu verwandeln: Einen monochrom strukturierten White Garden stellte sie sich vor, in dem ausschließlich weiß, grau und grün blühende Pflanzen ihren Platz finden sollten. Ich möchte nicht vorzeitig mit meinem grau-grün- weißen Garten prahlen , schrieb sie ihren Lesern im Observer, vielleicht wird es ein schrecklicher Reinfall.

Das Gegenteil war der Fall. Der White Garden avancierte zu einer Art USP Sissinghursts – zu jener Attraktion, wegen derer die meisten Besucher den Weg nach Kent auf sich nehmen. „Häufig nachgeahmt, niemals erreicht, hat dieser Garten eine Vielzahl von zumeist erfolglosen Nachahmern auf drei Kontinenten gefunden“, schrieb der Gartenkolumnist Michael Weishan in der Zeitschrift Country Living. „Die Wahrheit ist: Der Bau eines solchen Gartens ist unglaublich komplex, weil sein Erfolg von der richtigen Planung zusammen mit der Fähigkeit und der Bereitwilligkeit zu Experimenten abhängt.“

5. ERGEBNISKONTROLLE

Nicht einmal zehn Jahre benötigten Nicolson und Sackville, bis sich Sissinghursts vernachlässigter Park in einen blühenden Garten nach ihren Vorstellungen verwandelt hatte. Angesichts zahlreicher Neugieriger mussten die Sissinghurst-Eigner bald dazu übergehen, Tage der offenen Tür einzurichten. Weil sie von jedem Besucher einen Shilling (heute: fünf Pence) kassierten, nannten sie ihre Gäste Shillings. Schon 1954 summierten sich die Shillings zu 1394 Britischen Pfund, die Vita sofort wieder in Setzlinge, Knollen und Zwiebeln investierte. Mit dem öffentlichen Interesse wuchs auch bei Nicolson und Sackville der Ehrgeiz, was die Außenwirkung des Gartens betraf.

Der heutige Garten ist eine außerordentliche Leistung, schrieb Harold 1951 an Vita, aber wir müssen ihn zum schönsten in ganz England machen. Wir haben das Skelett und viel Fleisch. Jetzt müssen wir exzellente Kosmetik hinzufügen, hübsche Kleider und außergewöhnlichen Schmuck.

Als Vita 1962 starb, war Sissinghurst bereits so etwas wie eine nationale Berühmtheit. Heute kurven jedes Jahr 160.000 Menschen Sissinghursts schmalen Feldweg hinauf. Erstehen ihre Eintrittskarte am Kiosk des gemeinnützigen National Trust, der das Anwesen nach dem Tod Vitas und Harolds übernommen hat. Wandeln mit rücklings verschränkten Armen durch die Abteilungen des Parks, beugen sich hinunter zu den schwarzen Kunststoffschildchen, die penibel die lateinischen Namen jeder einzelnen Pflanze nennen, versuchen die Gärtner in Fachsimpeleien zu verstricken und verschwinden schließlich mit Gartenbüchern oder Setzlingen aus dem Souvenirladen wieder in ihren Bussen, die auf einem sorgfältig getarnten Besucherparkplatz parken.

„Der schönste Garten Englands“, wie ihn der Gardening-Autor Tony Lord nennt, ist alles andere als ein spektakulärer Park, eher ein Kleinod, dessen stille Attraktionen im Verborgenen blühen. Es ist ein Garten, der eigentlich zehn Gärten in einem ist und der von März bis Oktober in jeder Ecke stille Sensationen bereithält, weshalb sich ein Besuch immer wieder lohnt. „Ein Garten wie Sissinghurst ist ein Kunstwerk“, meint Cook, „aber eines, das sich fortlaufend verändert. Die Kunst besteht darin, das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren, während alle möglichen Einflüsse – Wetter, Besucher, Kosten, Moden – einen davon abzubringen versuchen.“ Sackville und Nicolson verfolgten dieses Ziel mehr als 30 Jahre lang mit großer Konsequenz – selbst der Zweite Weltkrieg, während dessen im Schloss Schutzräume eingerichtet wurden, konnte sie nicht von ihrer Vision ablenken.

Ich glaube, das Geheimnis Deiner Gartenarbeit besteht darin, dass Du den Mut hast, hässliche oder undankbare Blumen zu beseitigen, schrieb Harold 1937 an Vita. Abgesehen von diesen scheußlichen Fackellilien, für die Du eine Schwäche hast, gibt es dort keine einzige hässliche Blume. Außerdem denke ich, dass das Konzept wirklich recht gelungen ist. Das heißt, wir haben erreicht, was wir erreichen wollten – ein perfekt ausgewogenes Verhältnis zwischen Klassik und Romantik, zwischen dem Üblichen und dem Überraschenden.

*Alle kursiven Zitate stammen aus dem Buch „Sissinghurst – Portrait eines Gartens.“ Herausgegeben von Julia Bachstein. Schöffling & Co., 2002; 140 Seiten; 14,50 Euro

Tony Lord: Sissinghurst – Der schönste Garten Englands. Dumont monte, 2001; 168 Seiten; 12,80 Euro

Sissinghurst Castle ist vom 22. März bis zum 2. November 2004 freitags bis dienstags von 11 Uhr bis 18.30 Uhr geöffnet (Eintritt: 6,50 Pfund).

Sissingshurst Castle Garden Sissinghurst, Kent TN17 2AB Telefon: +44/15 80/71 07 01 Fax: +44/15 80/71 07 02

E-Mail
Webseite


Dieser Text stammt aus unserer Redaktion Corporate Publishing.