Vorsicht Krise

Sie betreiben in Ihrem Unternehmen professionelles Riskmanagement?
Prima, dann sind Sie natürlich auch auf die nächste Finanzkrise bestens vorbereitet. Kennen sämtliche mikroökonomischen Indikatoren und verfügen über ein breites Instrumentarium, das Ihnen erlaubt, rechtzeitig auf volkswirtschaftliche Veränderungen zu reagieren.
Wenn nicht, haben Sie ein Problem.




Es gibt viele Möglichkeiten, sich vor der nächsten Feuersbrunst zu schützen. Man kann sich einen Rauchmelder kaufen und gebannt auf die Anzeige starren. Man kann eine Brandschutzmauer zu den Nachbarn aufbauen. Man kann nachschauen, ob die von nebenan genügend Wassereimer bereithalten. Man kann aber auch schon heute seine eigene Feuerwehr aufstellen und sich Gedanken darüber machen, welche Lehren die alten Aschehaufen für die nächste Katastrophe parat halten.

Die Berater von McKinsey & Company plädieren für diese Variante und haben sich in unterschiedlichen Formationen als „Feuerwehren“ spezialisiert: auf den Zusammenbruch von Finanzmärkten, auf Bankenrettungen, wackelige Währungen und andere kapitale Kalamitäten. Finanzkrisen sind ein Spezialgebiet im weltweiten Consulting-Netzwerk, das drei Autoren jetzt kompakt kommunizieren. Dominic Barton, Roberto Newell und Gregory Wilson haben die Finanzkrisen der neunziger Jahre hautnah erlebt und ihre Erfahrungen in einem Buch gebündelt: „Dangerous Markets“ erscheint im September in den USA und soll helfen, Risiken im Voraus zu erkennen und zu minimieren.

Dass so etwas möglich ist, ist eine der Kernthesen der Autoren, auch wenn die Krisen von Mexiko 1994 über Russland, Indonesien und Thailand 1997/98 bis zu Argentinien in diesem Jahr unterschiedlich sein mögen: „Die Warnsignale“, schreibt das Trio, „sind von Land zu Land gleich, von einigen regionalen und nationalen Variationen abgesehen.“

Das nächste flammende Inferno kommt bestimmt

Krisen entstehen und entwickeln sich nach gemeinsamen Mustern. Deshalb sind aus Beratersicht auch Finanzkrisen vorhersehbar, und ihr Ausmaß lässt sich abschätzen. Und deshalb lassen sich auch Vorsichtsmaßnahmen ergreifen, strategische Optionen entwickeln und Korrekturmaßnahmen einleiten, um die Schäden zu begrenzen.

„Dangerous Markets“ untersucht die Trümmer der jüngsten weltweiten Finanzkrisen, um drei Dinge klar zu machen: Erstens sind Krisen eine teure Angelegenheit und erfordern Jahre des Wiederaufbaus. Zweitens sichern Firmen ihr Überleben, wenn sie sich rechtzeitig ein Instrumentarium zulegen, um die Zeichen der Zeit zu erkennen und um mit wohl vorbereiteten Aktionsplänen darauf zu reagieren. Mehr noch: Die Vorbereitung lässt sie sogar mit mehr Marktanteil in die Zukunft gehen.

Drittens: Unternehmer, Banker und Anleger tragen mindestens genauso viel Verantwortung wie Politiker und internationale Bürokraten, wenn es darum geht, das globale Finanzsystem transparenter, stabiler und feuerfester zu machen.

Das nächste flammende Inferno, so viel ist sicher, kommt bestimmt. Wirtschaftliche Liberalisierung und steigende Mobilität haben zunehmend integrierte Märkte geschaffen, in denen sich schwache Volkswirtschaften noch weniger vor Schocks schützen können als die großen Finanzdrehscheiben New York und London. Von 1980 bis ins Jahr 2000 wuchs das Volumen internationaler Wertpapier-Transaktionen pro Jahr um 20 Prozent auf derzeit 1,8 Billionen Dollar – am Tag. Auf eine ähnliche Summe sind auch grenzüberschreitende Bankkredite gestiegen. Im Jahr 2000 gaben Unternehmen weltweit Schuldverschreibungen im Wert von 5,6 Billionen Dollar aus.

Ein immenser Kreislauf mit teuren Nebenwirkungen

Angesichts derartiger globaler Abhängigkeiten brechen immer öfter Krisen aus, und ihre Folgen sind ernster als je zuvor. „Man kann weglaufen, aber man kann sich nirgendwo verstecken“, ist das düstere Fazit der Berater, was den Schutz vor Finanzkrisen im 21. Jahrhundert angeht. In den achtziger Jahren zählte die Weltbank 45 Bankenkrisen, bei denen ein Großteil des Finanzkapitals im System (sprich Land) vernichtet wurde; in den neunziger Jahren lag die Zahl schon bei 63, betroffen waren unter anderem Thailand, Korea, Brasilien, Osteuropa und die Türkei.

Die Vorstellung, dass nach dem Eingreifen der jeweiligen Regierung und der Weltbank eine Krise schnell gemeistert sei, wird von Statistiken in „Dangerous Markets“ als gefährlicher Irrglaube entlarvt: Mehr als die Hälfte aller Finanzkrisen der vergangenen zwei Jahrzehnte dauerte mindestens vier Jahre. Ein Kollaps vernichtet in der Regel Werte in Höhe von 15 bis 20 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP); in Indonesien und Argentinien waren es sogar ruinöse 55 Prozent. „Geschäfte und Banken brechen zusammen, die Verbrauchernachfrage und Investitionen können auf Jahre hinaus Schaden nehmen“, warnen die McKinsey-Berater. Neben den direkten Kosten einer Krise sind die langfristigen Opportunitätskosten enorm: Für Mexiko schätzen die Autoren sie auf zehn Prozent des verschenkten BIP-Wachstums.

Am Anfang steht immer eine Schwäche in der Volkswirtschaft, vor allem die wachsende Unfähigkeit von Unternehmen, effizient und profitabel zu produzieren. Leichtsinnige Kredite der örtlichen Banken schüren die Glut. Die Regierung macht Druck, weil Investitionen aus dem Ausland boomen und ehrgeizige Wachstumsträume beflügeln. Die Aufsichtsbehörden sehen dem Schwelbrand meist hilflos zu, bis eine verfehlte Wirtschaftspolitik oder ein externer Schock den Feuersturm entfacht.

Für ein Unternehmen kann es dann allerdings schon zu spät sein. Da werden plötzlich Kredite fällig gestellt, von heute auf morgen geht Lieferanten die Luft aus, oder Abnehmer sind nicht mehr zahlungsfähig. Vorbeugung heißt deshalb die wichtigste Maxime, für die McKinsey eine Liste von Schlüsselfaktoren identifiziert hat, die hilft, Signale einer Finanzkrise rechtzeitig zu erkennen.

„Die Warnung vor einem Finanzsturm liegt in den mikroökonomischen Bedingungen. Sie kündigen eine Finanzkrise an, lange bevor sie zur Katastrophe wird.“ Mit relativ einfachen Messgrößen jedoch, so die Autoren, lasse sich nicht nur bestimmen, wo eine Krise wahrscheinlich ausbrechen wird, sondern auch wann ungefähr (siehe nächste Seite).

Und auch dann bleibt für das Management genug zu tun: „Wie Führungskräfte eine Reihe taktischer Entscheidungen in den ersten paar Tagen managen, kann über Leben und Tod einer Firma entscheiden“, warnen die Autoren – und legen jedem Unternehmer fünf Ratschläge für die ersten hundert Tage einer Krise ans Herz.

Erstens sollte der Unternehmer die Cash-Position seiner Firma in- und auswendig kennen und schnell maximieren können – sei es durch radikale Kostenkontrolle, das Abstoßen von Ladenhütern oder das Eintreiben von Außenständen. Zweitens: Schwierigkeiten in der Lieferkette lassen sich vermeiden, wenn man ein gutes Verhältnis zu den wichtigsten Herstellern und Abnehmern pflegt. Denn operative Risiken sind genau so brisant wie Ebbe in der Kasse. Drittens sind Planungen wichtig, in denen Worst-Case-Fälle durchgespielt werden können. Viertens sollten Unternehmer ihre Performance täglich überwachen und bereit sein, schwächelnde Geschäfte abzustoßen. Ebenso wichtig für die Zukunft ist, fünftens, die offene Kommunikation mit allen wichtigen Parteien – Mitarbeitern, Gläubigern, Anlegern. Idealerweise sollten diese Schritte vorher durchdacht und die Aufgaben auf rechtzeitig aufgestellte Krisenteams verteilt sein.

Professionalität im Vorfeld minimiert die eigenen Probleme – und verschafft im Zweifel sogar Wettbewerbsvorteile: Wenn die Konkurrenz reihenweise Pleite geht, so argumentieren die Berater, wenn Kunden und Partner sich neu formieren und alte Regeln und Normen plötzlich in Frage gestellt werden, tun sich gut vorbereiteten Firmen neue Märkte auf. Das gilt für Multis wie Johnson & Johnson oder die Citigroup ebenso wie für Local Champions von Brasilien bis Indien – wenn sie ihr Umfeld gut kennen. „Im tiefsten Tal einer Krise, wenn sich die Schwachen und die Misstrauischen zurückziehen, findet der Visionär die besten strategischen Gelegenheiten“, loben die Autoren kalkulierten Wagemut.

Sehr amerikanisch lassen sich die Chancen einer Krise zu einer Checkliste eindampfen, die im Buch „Die fünf Stufen der Freiheit“ heißt: Risikomanagement und eine Vision für die unternehmerische Zukunft sind also eng miteinander verzahnt. Nur wer die Gefahren der globalen Märkte fortwährend im Blick behält und sich in alle möglichen Szenarien hineindenkt, kann im Brandfall gelassen „Feuer“ rufen, den Alarmknopf drücken und sein Team zur Krisenbewältigung losschicken. Das jedenfalls ist die Vision, die das Berater-Trio seinen Lesern mit auf den Weg gibt, angereichert mit zahlreichen Statistiken, Ablaufplänen und Fallbeispielen aus aller Welt.

  1. Regulierungen weichen auf und erlauben ausländischen Investoren größeren Einfluss.
  2. Das Wettbewerbs-Umfeld ändert sich und schafft Platz für neue Branchenführer.
  3. Kunden-Bedürfnisse und -Verhalten wandeln sich. Das führt entweder zu einer Flucht in bewährte Marken oder zu einer größeren Bereitschaft, neue Anbieter auszuprobieren.
  4. Organisatorische Reformen lassen sich plötzlich viel einfacher realisieren, weil sowieso alles im Fluss ist.
  5. Eine Finanzkrise krempelt gesellschaftliche Werte um und kann einem ausländischen Unternehmen so den Eintritt in einen bisher kritischen Markt erlauben.

Zum Weiterlesen:

Dominic Barton/Roberto Newell/Gregory Wilson: Dangerous Markets – Managing in Financial Crises. John Wiley & Sons, September 2002; 320 Seiten; 49,95 Dollar

Dominic Barton/Roberto Newell/Gregory Wilson: Preparing for a financial crisis. In: McKinsey Quarterly: 2002 Special Edition – Risk and resilience. Seite 78–87

Vorzeichen einer drohenden Krise

Es bedarf einer Mischung aus Kunst und Wissenschaft, um die Warnsignale einer bevorstehenden Finanzkrise zu erkennen. Jeder Manager sollte die folgenden acht Hauptindikatoren besonders im Auge behalten. Nicht nur das Niveau, sondern auch der Trend ist wichtig. Wenn sich mehrere der Indikatoren gleichzeitig in die falsche Richtung bewegen, könnte sich eine Krise zusammenbrauen.

1 Wertvernichtung in der Privatwirtschaft:

In jeder Krise lässt sich beobachten, dass die aggregierte Rendite auf das eingesetzte Kapital (Return on Invested Capital, ROIC) in der Privatwirtschaft vor der Krise mehrere Jahre lang unter dem gewichteten, durchschnittlichen Kapitalkostensatz (Weighted Average Cost of Capital, WACC) lag. Beispiel: In Kolumbien gelang es 90 Prozent der 500 größten Unternehmen in den beiden Jahren vor der Krise 1998 nicht, ihre Kapitalkosten zu erwirtschaften. 

2 Zinsdeckungsverhältnis:

Das Zinsdeckungsverhältnis (Interest Coverage Ratio, ICR) eines Unternehmens ist das Verhältnis seines Cashflows zum Zinsaufwand. Wenn das ICR bei vielen Unternehmen unter den Wert 2 sinkt, ist die Wirtschaft insgesamt anfälliger für eine Pleitewelle. Beispiel: 1999 wiesen 40 Prozent der börsennotierten Unternehmen in Südkorea ein ICR von unter 1 auf.

3 Bankenprofitabilität:

Wenn die Gesamtkapitalrentabilität (Return on Assets, ROA) unter ein Prozent fällt und die Nettozinsmarge unter zwei Prozent, könnte eine Krise bevorstehen. Auch eine Steigerung der Verzinsung für Interbank-Kredite könnte auf Profitabilitätsprobleme hindeuten. Beispiel: Die ROA des kolumbianischen Bankensektors betrug vor der Krise 1998 minus 1,03 Prozent.

4 Schnelles Wachstum der Kreditportfolios:

Wachsen die Kreditportfolios der Banken länger als ein Jahr um mehr als 20 Prozent jährlich, stellen sich viele dieser Kredite nach Erkenntnissen der Berater als Not leidend heraus. Daraus kann sich ebenfalls eine Finanzkrise entwickeln. Beispiel: In Kolumbien wuchsen Firmenkredite vor der 1998-er Krise um 25 Prozent pro Jahr.

5 Rückläufige Einlagen:

Man sollte sich in Acht nehmen, wenn die Kunden lokaler Banken verstärkt ihre Einlagen abheben. Hält der rückläufige Trend bei den Einlagen zwei Quartale lang an, ist größte Vorsicht geboten. Die Einlagenentwicklung kann den Berichten der Notenbanken und den Bilanzen der Geschäftsbanken entnommen werden. Beispiel: Im vergangenen Jahr transferierten argentinische Anleger 22 Prozent ihrer Guthaben ins Ausland, um sich vor dem drohenden Währungsverfall zu schützen, nachdem die neue argentinische Regierung zuvor die 1:1-Bindung des Pesos an den US-Dollar aufgegeben hatte.

6 Not leidende Kredite:

Eine Krise könnte sich anbahnen, wenn Not leidende Kredite mehr als fünf Prozent der Bilanzsumme der Banken ausmachen. Die Berichte privater Analysten sind häufig die beste Informationsquelle für Not leidende Kredite, da die Banken das wahre Ausmaß des Problems häufig erst sehr spät preisgeben. Beispiel: In Thailand stieg der Anteil Not leidender Kredite an der Bilanzsumme im Jahr 1997 auf 22,5 Prozent. Im Zuge der Krise stieg dieser Anteil explosionsartig und erreichte 1998 mit 54 Prozent seinen Höhepunkt.

7 Kreditwachstum und -laufzeiten ausländischer Banken:

Kreditnehmer sollten aufmerksam sein, wenn Kredite ausländischer Banken zunehmen und die meisten dieser Kredite Laufzeiten von weniger als einem Jahr aufweisen oder in ausländischen Währungen lauten. Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) liefert entsprechende Daten. Beispiel: In Thailand stiegen die ausländischen Kredite vor der 1997-er Krise dreieinhalb Jahre lang um 45 Prozent pro Jahr, und 37 Prozent der Kredite hatten Laufzeiten von höchstens einem Jahr. Der Anteil der kurzfristigen Kredite erreichte 1995 mit 50 Prozent seinen Höhepunkt.

8 Aufblähung der Vermögenspreise:

Ein jährlicher Anstieg der Vermögenspreise um mehr als 20 Prozent über mehrere Jahre hinweg kann auf eine künstliche Aufblähung hindeuten, die im nächsten Moment platzen könnte. Man sollte die Immobilien- und Aktienmärkte sehr genau verfolgen, da Vermögenswerte dieser Art den Banken als Sicherheit dienen. Beispiel: In Thailand stiegen die Immobilienpreise in den Jahren 1993 bis 1996 um nicht weniger als 395 Prozent.


Dieser Text stammt aus unserer Redaktion Corporate Publishing.