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Business-to-Business-Marktplätze (B2B) galten lange als ideale Möglichkeit, Geschäftsprozesse professioneller zu gestalten – und erwiesen sich am Ende oft als Albtraum für Unternehmen und Lieferanten. Ein amerikanisches Beraterteam von McKinsey & Company hat jetzt Ursachenforschung betrieben und bescheinigt der geschmähten Technologie enormes Potenzial.* Die Untersuchung bezieht sich auf US-Unternehmen, kann jedoch auch hier zu Lande zur richtigen B2B-Strategie verhelfen.




Es war ein Aufbruch ins Unbekannte, als Dow Chemical 1999 seine firmeneigene E-Commerce-Handelsplattform „MyAccount@Dow“ eröffnete. Darauf konnten registrierte Kunden ihre Kontenhistorie abrufen, die Lieferbarkeit von Produkten nachprüfen und ihre Auftrags- und Lieferplanung managen. Dow sollten diese Funktionen im Gegenzug ein besseres Bild der Bestandsmengen und Beschaffungsgewohnheiten der Käufer verschaffen. So wollte der Lieferant Bestandsmanagement und Produktionsplanung optimieren.

Das Pilotprojekt zahlte sich aus: Die Plattform, mit 200 hauptsächlich lateinamerikanischen Kunden gestartet, wird heute von mehr als 8000 Unternehmen in 35 Ländern genutzt. Ende 2001 wickelte Dow Chemical bereits 40 Prozent des gesamten Absatzvolumens in Lateinamerika über die Plattform ab und erzielte damit einen Monatsumsatz von rund 100 Millionen Dollar. Der Marktplatz verarbeitet für Dow sämtliche Kontakte mit Kunden per Telefon, Fax oder Computer – und senkte die Kosten pro Transaktion von zuvor 50 bis 100 Dollar auf rund einen Dollar. Laut Dow hat das System dem Konzern eine jährliche Produktivitätssteigerung von mehr als 30 Millionen Dollar beschert.

Es ist noch nicht lange her, da sorgte B2B vor allem für Frustrationen. Viele Lieferanten, verprellt durch den technischen Aufwand, die Preisgestaltung und enttäuschte Erwartungen bezüglich Volumen- und Liquiditätsentwicklung, wollten von der gefeierten Idee der elektronischen Marktplätze nichts mehr wissen. Und obwohl sich die Begeisterung noch immer in Grenzen hält: B2B-Plattformen erleben ein Comeback – und diesmal könnten die Anbieter tatsächlich profitieren.

Unternehmenseigene Handelsplattformen sorgen für einen direkten Draht zum Kunden oder zum Lieferanten oder zu beiden. Dabei haben exklusive Plattformen, was ihren offenen Vorgängern fehlte: die sichere One-on-one-Kommunikation. Sie optimiert die gemeinsame Wertschöpfungskette (Supply Chain), zum Beispiel bei Bestandsmanagement, Produktionsplanung und Auftragsabwicklung.

Laut dem Forschungsinstitut AMR Research haben bereits 15 Prozent von 686 untersuchten großen US-Unternehmen eine eigene Handelsplattform ins Leben gerufen, weitere 28 Prozent streben das bis Ende 2003 an. Und die Nachahmer stehen Schlange: Forscher dreier US-Institute gehen davon aus, dass 90 Prozent aller Investitionen, die in den kommenden drei Jahren im Bereich Marktplatz-Infrastruktur getätigt werden, auf unternehmenseigene Handelsplattformen entfallen werden.

Was ein Marktplatz kann

Die Entscheidung ist sinnvoll, das belegt auch unsere eigene Studie: Exklusive Marktplätze bieten vielen großen Lieferanten Wettbewerbsvorteile – wenn es ihnen gelingt, das immense Potenzial dieser Netzwerke auszuschöpfen. Dabei definieren wir Lieferanten als Unternehmen, die den Großteil ihrer Produkte oder Dienstleistungen an eine relativ kleine Gruppe von Abnehmern, etwa Automobilhersteller, verkaufen. Die Abnehmer ihrerseits beliefern einen breiteren Markt, in der Regel die Endverbraucher, mit Fertigprodukten.

Zur Unterscheidung: Offene B2B-Marktplätze werden von Dritten organisiert und dirigiert. An Marktplätzen von Industriekonsortien sind Gruppen von Käufern oder Lieferanten oder beide Seiten beteiligt. Anders die exklusiven Plattformen: Die werden von nur einem unmittelbar Beteiligten kontrolliert. Deshalb geht es dort auch weniger um Preise als um Prozesse. Auf einem exklusiven Marktplatz sind Lieferanten entweder geladene Gäste oder Gastgeber – der Abnehmer hat sich also bereits für die Aufnahme einer Geschäftsbeziehung mit dem betreffenden Lieferanten entschieden, im Zweifel sogar bereits offline über Preise verhandelt. Ein „privater“ Marktplatz gleicht eher einer Informationsbörse. Wie unsere Studie ergab, entscheiden sich Abnehmer meist für den ihnen vertrauten privaten Marktplatz, auch wenn sie woanders günstiger einkaufen könnten.

Aber lohnt sich die Einrichtung einer eigenen oder die Beteiligung an einer fremden Plattform tatsächlich? Internetbasierte Technologien sind mittlerweile größtenteils standardisiert. Terminologie, Stammdaten und Informationsbedürfnisse aber können von Kunde zu Kunde variieren – was bei Lieferanten, die sich an mehreren Marktplätzen beteiligen, für Kopfzerbrechen und Mehrkosten sorgt. So muss ein Lieferant für die Beteiligung an den Handelsplattformen seiner Kunden beispielsweise 50.000 bis 100.000 Dollar jährlich für die Schnittstellen-Integration und die Systemverwaltung kalkulieren – pro Kunde.

Die Einrichtung eines eigenen Netzwerks ist noch weitaus teurer. Ein Unternehmen der Fortune-500-Liste etwa muss mit einer Investition von 60 bis 80 Millionen Dollar rechnen. Dazu kommen die laufenden Kosten, pro Jahr rund 20 Prozent der Anfangsinvestition. Dafür kann das Unternehmen die technologischen Protokolle und Informationsformate auf dem Marktplatz allerdings selbst bestimmen und optimal auf sein eigenes System abstimmen. Der Vorteil: Jeder neue Handelspartner lässt sich zu niedrigen Grenzkosten an die Plattform anschließen. Ein großer Lieferant wie Dow Chemical, der hunderte von Kunden online bedient, wickelt jährlich mehrere Millionen Interaktionen ab – ohne eigene Handelsplattform wäre ein derartiges Geschäftsvolumen nur schwer zu bewältigen.

In unserer Untersuchung haben alle Unternehmen profitiert, sowohl die mit eigenen Handelsplattformen als auch solche, die an fremden Marktplätzen beteiligt waren: Bedarfsprognosen, Produktionsplanung, Entscheidungsunterstützung und andere integrierte Verfahren, deren Nutzen sich in der Wertschöpfungskette multipliziert, haben die Produkt-Umschlagszeiten um durchschnittlich fünf bis 15 Prozent reduziert. Die Lagerbestände sanken im Schnitt um fünf Prozent. Mehr noch: Sobald Frequenz und Umfang der Interaktion wuchsen, schlossen die meisten Lieferanten nach eigenen Angaben längerfristige Verträge mit Großkunden ab und realisierten ein größeres Geschäftsvolumen mit diesen Kunden. Angesichts solcher potenzieller Vorteile würden die meisten großen Lieferanten von der Mitwirkung an einem privaten Marktplatz profitieren. Bei 59 Prozent der Teilnehmer, und das gilt für Marktplatzbetreiber und ihre Handelspartner gleichermaßen, hatte sich laut AMR Research die Investition im Schnitt nach weniger als 18 Monaten amortisiert.

Dennoch gilt es, als Lieferant genau abzuwägen, was sinnvoller ist – der eigene Marktplatz oder die Nutzung der B2B-Plattform eines Kunden. Ausschlaggebend für die Entscheidung sind die eigenen Online-Interaktionsfähigkeiten und die eigene Marktmacht innerhalb der Supply Chain.

Wie gut ein Lieferant online agiert, wird vor allem von seinen IT-Systemen und seinem sonstigen technischen Entwicklungsstand bestimmt. Basis für den Erfolg von Dow Chemical etwa waren leistungsstarke Systeme und Support-Funktionen. Die größte und kostenintensivste technische Herausforderung besteht darin, die Kataloginhalte zu verwalten: Veröffentlichung, Abgleich und fortlaufende Aktualisierung der Spezifikationen, der Preise und der Lieferbarkeit über verschiedene Marktplätze und Formate hinweg. Ohne leistungsstarke Datenmanagementsysteme wird die Aktualisierung derartiger Inhalte zur mühevollen Handarbeit. Und ein Lieferant, der nicht in der Lage ist, Daten zwischen den eigenen Abteilungen, Tochterunternehmen und Standorten auszutauschen, wird den Datentransfer mit dem Kunden vermutlich ebenso wenig managen können. Ein leistungsstarkes IT-System kann um die 100 Millionen Dollar kosten, die Implementierung leicht drei Jahre dauern.

Bleibt der zweite Faktor: die Marktmacht des Lieferanten innerhalb der Supply Chain. Wie groß sie ist, bestimmen unter anderem sein Anteil an der Wertschöpfung des Produkts oder die Kosten eines Produktionsstillstands. Wäre ein Kunde beispielsweise gezwungen, andere Lieferanten zu finden, würde sich sein Produktionsplan dann um zehn Minuten oder um zehn Tage verzögern? Je länger der Stillstand, desto mächtiger der Lieferant. Daraus ergeben sich Hinweise für Lieferanten, mit welcher der folgenden vier Strategien sie optimal mit privaten B2B-Marktplätzen umgehen können:

1. Aufbau einer eigenen Handelsplattform

Eine Handvoll Lieferanten in jeder Branche verfügt über ausreichend Macht in der Wertschöpfungskette und genügend Interaktionsmöglichkeiten, um Kunden für ihre eigenen Handelsplattformen zu gewinnen. Zu diesen Unternehmen zählt etwa der Generatorenhersteller Cummins. Der Weltkonzern begann 1999 mit der Einrichtung eines Netzwerks und ermunterte seine wichtigsten Abnehmer Kenworth und Peterbilt, sich daran zu beteiligen. Cummins hatte nur zwei direkte Wettbewerber in Nordamerika und bildete damit innerhalb der Wertschöpfungskette seiner Kunden ein wichtiges Glied. Zudem verfügte das Unternehmen über gut integrierte IT-Systeme und ein solides Datenmanagement. Als sich zeigte, dass die Kunden effizientere Möglichkeiten für das Motorendesign benötigten, baute das Unternehmen eine Handelsplattform auf. Die belebte das Neugeschäft mit Bestandskunden und intensivierte die Kundenbeziehungen, weil sie die Zusammenarbeit mit Cummins vereinfachte. Durch das Netzwerk wuchs der Umsatz, den größten Wettbewerbern konnten Marktanteile abgenommen werden. Außerdem ließen sich die Transaktions- und Entwicklungskosten für Unternehmen wie Kunden gleichermaßen senken. Weil Cummins in der Lieferkette eine derart starke Stellung hatte, lohnte es sich für die Kunden sogar, sich an der Handelsplattform finanziell zu beteiligen.

2. Mitwirkung auf der Plattform eines Kunden

Verfügt ein Lieferant zwar über gute Interaktionsmöglichkeiten, hat aber keine so starke Stellung in der Supply Chain seiner Kunden, kann er von den Handelsplattformen seiner Abnehmer profitieren. Eine solche Beteiligung intensiviert die Geschäftsbeziehung zum Kunden und kann die Vertragslaufzeiten um durchschnittlich 15 Prozent verlängern. So verbesserte ein Lebensmittel-Lieferant seine Position bei einem seiner wichtigsten Einzelhandelskunden, indem er seine überlegenen Fähigkeiten im Produktdatenmanagement auf der Handelsplattform des Kunden ausspielte. Seine integrativen Prognose-, Planungs- und Wiederbeschaffungsfähigkeiten versetzten diesen Lieferanten in die Lage, die Regale des Kunden schneller aufzufüllen als die Wettbewerber. Die Handelskette honorierte den Vorteil und verdoppelte ihre Bestellungen bei dem Lieferanten, es bestellen seitdem sogar Filialen außerhalb des angestammten Lieferreviers. Bestimmte Artikel kauft der Kunde heute ausschließlich bei diesem Lieferanten – was dem deutlich mehr einbringt, als die Online-Verbindung zur Kunden-Plattform kostet, nämlich knapp 100.000 Dollar jährlich. Wer als Lieferant sein technisches Know-how auf diese Weise nutzt, kann schrittweise sogar so viel Marktmacht aufbauen, dass sich eines Tages eine eigene Handelsplattform lohnt.

3. Eröffnung eines Firmenportals

Im umgekehrten Fall – das Unternehmen verfügt über Macht in der Wertschöpfungskette, ihm fehlen aber die für B2B-Marktplätze notwendigen Fähigkeiten in der virtuellen Interaktion – bietet sich ein Firmenportal an, das etwa aus einem Intranet für Mitarbeiter und einem passwortgeschützten Extranet für Kunden besteht. Die Lösung ist billiger als eine Handelsplattform und bietet diverse Vorteile: Die Kunden können Auftragshistorie und Projektberichte einsehen, das Unternehmen kann seine Markenbekanntheit ausbauen, sich auch online präsentieren und muss nur eine einzige Site verwalten statt einer Vielzahl von Verbindungen zu Handelsplattformen der Abnehmer. Ein großer Elektro-Dienstleister, typisch für die von uns untersuchten Unternehmen, entwickelt zurzeit für 600.000 Dollar ein solches Portal. Die Betriebskosten sollen künftig bei etwa 180.000 Dollar jährlich liegen – in etwa so viel, wie die Belieferung von nur drei Kunden über eine Handelsplattform kosten würde. Die Kostenvorteile sind enorm, und doch birgt das Portal einen Nachteil: Es ermöglicht in der Regel weder einen Direktvertrieb noch eine Zusammenarbeit der Partner in Echtzeit, etwa bei Prognosen, Planungen oder Wiederbeschaffung.

4. Entscheidung für einen Mittler

Wer als Lieferant weder über Macht in der Wertschöpfungskette verfügt – wie etwa die Hersteller von Massenartikeln – noch über ausreichende Online-Fähigkeiten, steckt im Dilemma. Beteiligt er sich nicht an einer Handelsplattform, verliert er mögliche Prozesseinsparungen und riskiert die Treue seiner Kunden. Die Beteiligung dagegen ist teuer, weil sich die Kosten für die Aktualisierung der Qualifikationen und Systeme im Unternehmen summieren. Der beste Ausweg aus der Klemme: Der Lieferant lässt einen Dritten seine Online-Beziehungen verwalten. So genannte Hubs (Knotenpunkte) für die Verteilung von Bestellungen und Content, die in den USA von Mittlern wie EC Outlook, Ironside Technologies und Trigo Technologies betrieben werden, können Lieferanten an die Handelsplattformen ihrer Kunden anbinden und sowohl Bestellungen annehmen als auch bestätigen. Derlei Mittler, die für den Vertrieb von Massenware sehr gut geeignet sind, stehen schon ab 2000 Dollar pro Jahr und Kunde bereit. Shell Oil Products Europe (SOPE) beispielsweise nutzt den externen Service Ariba Supplier Network. Das Netz, in das SOPE vor allem Produktinformation wie häufige Preisänderungen einspeist, hat SOPE geholfen, den Umsatz mit bestehenden Kunden zu steigern, in neue Märkte zu expandieren – und die Kosten für die Kundenakquisition gegenüber den Offline-Alternativen (Verkaufsbesuche, Marktforschung und Werbung) um 80 Prozent zu senken.

Der Weg zum Marktplatz

Prozesse auf exklusive Handelsplattformen zu verlagern erfordert die Unterstützung von mindestens drei Abteilungen: IT hat die Aufgabe, die Plattform zu implementieren und zu betreiben; der Einkauf muss gemäß den Vorgaben des Kunden für zeitgerechte Lieferung der Waren und Dienstleistungen sorgen; der Vertrieb schließlich hat einen starken Anreiz, diesen Kanal zu kontrollieren – und die gestiegenen Erträge als seinen Erfolg zu verbuchen. Derart unterschiedliche Bereiche lassen sich mit Schulungen, Anreizen, Informationen und strategischen Perspektiven am besten ausstatten, wenn ein spezielles E-Commerce-Team oder eine -Business-Einheit diese Verantwortung übernimmt. Dabei muss das Team von der Unternehmensleitung sichtbar unterstützt werden und befugt sein, Ziele festzulegen und Ressourcen zu verteilen. Erst dann können die Teammitglieder verschiedene Abteilungen in den Prozess einbeziehen, um externen Partnern bei der Implementierung zu helfen, Kundenbedürfnisse zu ermitteln und die Fähigkeiten des Netzwerks zu definieren.

Bei allen Vorteilen, die sich bieten, muss Interessenten jedoch klar sein: Eine unternehmenseigene Handelsplattform baut auf Kundenbeziehungen auf, die in jahrelanger Zusammenarbeit von Mitarbeitern aller Bereiche der Organisation geknüpft wurden. Auch die Beteiligung an einer Plattform hat Einfluss auf wesentliche Geschäftsprozesse und damit auf die wichtigsten Kunden. Lieferanten entscheiden sich deshalb nicht nur für einen neuen Vertriebskanal. Sie treffen eine strategische Entscheidung.

* William Hoffman/Jennifer Keedy/Karl Roberts: The unexpected return of B2B. In: The McKinsey Quarterly 03/2002: Managing an alliance portfolio


Dieser Text stammt aus unserer Redaktion Corporate Publishing.