Technology after the bubble

Kaum eine andere Technologie hat ihren Wunderwaffen-Nimbus so rasant eingebüßt wie die Informationstechnologie.
Dabei ist sie nach wie vor der stärkste Treibsatz für Unternehmen, die sich rundum erneuern wollen.




Setzt man den Zeitpunkt, an dem das World Wide Web gesponnen wurde, als seinen inoffiziellen Geburtstermin an, dann ist das globale Datennetz just 23 Jahre alt geworden. Zeit genug für Unternehmen, sollte man meinen, sich mit den Möglichkeiten der neuen Technologie auseinander zu setzen und sie nutz- und gewinnbringend zu implementieren. Tatsächlich ist das bislang jedoch erst wenigen geglückt.

6,4 Billionen US-Dollar haben Unternehmen von 1995 bis 2002 in Informationstechnologie und Datenvernetzung investiert – und die ersten Jahre des neuen Jahrtausends damit verbracht, das Ausbleiben der erhofften Resultate zu beklagen. Damit ist die junge, aufregende, einst vielversprechende Technologie exakt dort angekommen, wo viele ältere Technologien vor ihr bereits gelandet sind: auf dem Boden der Tatsachen.

Intelligente Technologie macht schneller, schlanker, smarter

Gerade diese neue Nüchternheit könnte ihr jedoch zu einer zweiten – und diesmal dauerhaften – Blüte verhelfen. Unter anderem zwingt die Wirtschaftskrise viele Unternehmen dazu, sich auf ihr originäres Können zu besinnen, Rand-Geschäftsfelder auszugliedern und sich mit kompetenten Partnern zu vernetzen – ein Prozess, der sich nur mithilfe von IT effizient managen lässt. Zudem wägen die Unternehmen Kosten und erwarteten Nutzen heute misstrauischer ab als je zuvor, bevor sie in Bits & Bytes investieren. „In den verschwenderischen Neunzigern reichte noch eine einigermaßen schlüssige Return-on-capital-Analyse, um jemanden zur Kaufentscheidung zu bewegen“, schreiben die McKinsey-Berater Michael Nevens und James Manyika in einem Essay mit dem Titel „Technology after the Bubble“. „Heute verlangen Kunden von IT-Anbietern meist mehr: Sie erwarten nicht nur eine Analyse ihres Geschäftsumfeldes und ihrer bestehenden IT-Struktur, sondern wollen auch genau wissen, wie sich das IT-Investment letztlich rechnen wird.“

Die Auswirkungen dieser Investitionen können sich durchaus sehen lassen, wie das McKinsey Global Institute, der Think Tank von McKinsey & Company, in umfassenden Vergleichsstudien nachgewiesen hat. Demnach waren in den neunziger Jahren Informationstechnologien an den meisten Innovationen in Unternehmen erheblich beteiligt; einige Neuerungen wurden durch den Einsatz von IT überhaupt erst möglich. Im Retail Banking beispielsweise konnten mit neuen Technologien Back-Office-Funktionen automatisiert und völlig neue Vertriebskanäle erschlossen werden. Mit der Mobilfunktechnik ist sogar ein komplett neues Geschäftsfeld entstanden. Firmen wie der Broker Charles Schwab, der Computerversender Dell oder der Handelsriese Wal-Mart, dessen überlegenes Lieferantensystem auf einer hoch entwickelten gemeinsamen Informations- und Beschaffungsplattform ruht, haben die neunziger Jahre genutzt, um mit intelligenter Technologie schneller, schlanker und smarter zu werden.

Es gibt jedoch auch Gegenstimmen, große Enttäuschungen, Zweifel. Und die sind durchaus berechtigt: Warum haben so viele Unternehmen in den Post-Boom-Jahren vor allem negative Erfahrungen mit IT gemacht? Wieso bezeichnet beispielsweise Thomas Hoof, Chef des Versandhauses Manufactum, jüngst in einem Interview den Saldo aus 25 Jahren PC-Nutzung als „negativ, haarsträubend negativ?“ Weshalb werden viele Unternehmenslenker vom Eindruck getrieben, der IT-Boom sei eine Blase gewesen, die jetzt, geplatzt, nichts als horrende Kosten hinterlässt?

Das Problem ist nicht die Technik, sondern das Management

Die Antwort der Experten wird den meisten nicht gefallen: Den Frust verdanken sie weniger der Technik selbst als der wenig sinnvollen Art und Weise, wie sie eingesetzt wurde. Viele Unternehmen haben die IT abgekoppelt vom übrigen Geschäftsprozess installiert – vergleichbar einem Fahrzeugbauer, der seine Motoren an die Hallenwand schraubt und sich wundert, dass sich seine Autos partout nicht von der Stelle bewegen. „Die Wirtschaftsgeschichte zeigt, dass Innovationen wenig nutzen, solange sie nicht durch ein entsprechendes Management umgesetzt werden“, erläutern Nevens und Manyika. „Technologische Innovation ist eine notwendige, aber keine ausreichende Voraussetzung für Erfolg.“ Mit anderen Worten: Es hilft nichts, ein Unternehmen technologisch aufzurüsten, im Übrigen aber alles beim Alten zu belassen. Als digitale – und zudem sehr exklusive – Insel in einem Meer analoger Anachronismen musste IT zwangsläufig die hohen Erwartungen enttäuschen.

Und nebenbei horrende Kosten verursachen. In Unternehmen mit 1500 Mitarbeitern stoßen Unternehmensberater schon mal auf mehr als 1100 individuelle PC-Konfigurationen – ein Alptraum für die Administration. Umgekehrt gibt es Beispiele von Unternehmen, die durch verbindliche Standards ihre Kosten für Desktop-Systeme und Server um fast 40 Prozent gesenkt haben.

Oft genug setzte das vermeintliche Wunderwerkzeug IT auch einfach an den falschen Stellschrauben an. „Unternehmen müssen unterscheiden lernen, wo sich durch die Technologie lediglich marginale Verbesserungen erzielen lassen und wo echter Mehrwert zu erzeugen ist“, meint Peter Leukert, Partner im Business Technology Office (BTO) von McKinsey. Die gute Nachricht: In der derzeitigen Krise stellt sich dieser Lerneffekt quasi von selbst ein. Knappe Kassen lassen vielen Unternehmen zurzeit gar keine andere Wahl, als gründlich darüber nachzudenken, wo bei ihnen die relevanten Hebel sitzen und ob sie sich durch digitale Technik in Bewegung setzen lassen. „Früher interessierten sich Unternehmer vor allem dafür, was sie mit einer neuen Technologie alles anfangen können“, sagt Leukert, „heute überlegen sie sich eher, wie sie Technologie einsetzen können, um ihre Prozesse wirklich effizienter zu gestalten.“

Die verarbeitende Industrie hinkt hinterher

Der Paradigmenwechsel lässt sich auch an dem Weg ablesen, den das Thema IT binnen weniger Jahre in den Unternehmensstrukturen zurückgelegt hat: Wurde IT früher häufig als Anhängsel von Buchhaltung oder Bürotechnik verwaltet, zählt sie heute zu den strategischen, zentralen Aufgaben. Vom schlichten Tool der Effizienzsteigerung hat sich IT zum mächtigen Treibsatz der Unternehmensentwicklung schlechthin gemausert. Wie weit dieser Prozess gehen kann, lässt sich am besten bei vielen Banken oder Versicherungen beobachten.

Diese Branchen, die sich seit jeher mit nichts anderem als der Veredelung von Informationen beschäftigen (zum Beispiel: Welches Angebot und welche Nachfrage liegen zu einem bestimmten Zeitpunkt für ein bestimmtes Wertpapier vor?), sind in der intelligenten Verarbeitung dieser Ware besonders weit fortgeschritten. Wenn man sich vergegenwärtigt, dass früher das Überprüfen von Liquidität, Berechtigung, Bankleitzahl und Kontonummer bei jeder Banküberweisung manuell erledigt werden musste, kann man sich vorstellen, welche Erleichterung die Digitalisierung dieses simplen Prozesses gebracht hat.

Ganz anders sieht es überraschenderweise in der verarbeitenden Industrie aus. Und das, obwohl Produkte wie Telefone, Fernseher und Waschmaschinen ihren Wert vielfach schon längst nicht mehr aus Material oder Elektronik beziehen, sondern aus der Reife ihrer Software. „Neuwagen fahren heute mit Computern, deren Rechenleistung der einer frühen Mondrakete entspricht“, sagt Stefan Spang, der Leiter des deutschen McKinsey-BTOs. In den neuesten Oberklassewagen beispielsweise steckten Systeme, die es an Komplexität mit dem Netzwerk eines mittelgroßen Unternehmens aufnehmen könnten. „Erstaunlich ist nur, dass in vielen Industrieunternehmen viele Manager auf diese Tatsache noch nicht angemessen reagiert haben. IT spielt in ihrem Selbstverständnis immer noch eine untergeordnete Rolle, die erforderlichen Prozesse sind bei weitem nicht so professionell wie ansonsten in diesen Häusern üblich.“

Allerdings verfügen Nachzügler, die ihr Unternehmen erst jetzt zu digitalisieren beginnen, gegenüber Earlybirds über einen unbestreitbaren Vorteil: Sie können aus den Erfahrungen der Pioniere lernen. Bei der Untersuchung effektiver IT-Strategien haben Nevens und Manyika fünf signifikante Erfolgsfaktoren ausgemacht:

  1. Der technologische Wandel im Unternehmen geht mit einem adäquaten Wandel in den Managementmethoden einher.
  2. IT-Investments fokussieren sich auf eine Reduzierung der Interaktionskosten, die die Produktivität am stärksten beeinflussen.
  3. Es herrscht Klarheit über die spezifischen Produktivitätsfaktoren im Unternehmen; IT wird dort eingesetzt, wo die stärkste Hebelwirkung zu erwarten ist.
  4. IT-Investitionen folgen einem dezidierten Zeitplan, der einen schrittweisen Aufbau der IT-Struktur erlaubt.
  5. Geschäftsprozesse und Organisationsstrukturen werden so umgebaut, dass die Management-Innovationen und IT-Kapazitäten optimal zum Tragen kommen.

Mit einem solch ganzheitlichen Ansatz werden sich auch die IT-Innovationen der Zukunft Gewinn bringend nutzen lassen. Dazu zählt beispielsweise der Aufbau großer, zentral gesteuerter Server, die sich über Netzwerke mit großer Bandbreite anwählen lassen. Die häufig verwirrende, aufwändig zu pflegende Zahl von Software-Varianten, Konfigurationen und Datenbanken in Unternehmen wird dabei durch ein einziges elektronisches Herz ersetzt. Auf dieses digitale Herzstück können Mitarbeiter von jedem Punkt der Erde aus mit abgespeckten IT-Stationen, den so genannten Ultra-thin Clients, zugreifen. Die Kommunikation zwischen Unternehmen und Kooperationspartnern wiederum wird zunehmend durch so genannte Web Services erleichtert. Diese internetbasierte Technologie fungiert als Dolmetscher zwischen unterschiedlichen Applikationen und IT-Systemen und spart jede Menge Zeit und Geld gegenüber der individuellen Anpassung unterschiedlicher Systeme.

Natürlich werden auch diese schönen neuen Technologien nicht als Selbstläufer funktionieren. Und selbstverständlich wird es auch enttäuschte Erwartungen geben. Schließlich vermag „keine Technologie der Welt einen unintelligenten Geschäftsprozess in einen schlauen zu verwandeln“, wie BTO-Experte Leukert aus Erfahrung weiß. „Aber IT kann den Anlass bieten, grundlegend über Geschäftsprozesse nachzudenken. Und genau darin steckt ihre enorme transformatorische Kraft.“

Zum Weiterlesen:

The McKinsey Quarterly, 04/2002 Special Edition Technology; darin: James M. Manyika, T. Michael Nevens: Technology after the Bubble

Dan Lohmeyer, Sofya Pogreb, Scott Robinson: Who’s accountable for IT?

John Hagel III: Edging into Web Services

How IT enabled productivity growth, McKinsey Global Institute, November 2002

Das Business Technology Office (BTO)

wurde 1997 gegründet und ist mit mehr als 450 Beratern an 14 Standorten inzwischen eines der größten und am schnellsten wachsenden Büros von McKinsey & Company.
Das BTO unterstützt Topmanager führender Unternehmen dabei, komplexe Herausforderungen im Spannungsfeld zwischen Business und Technologie zu meistern. Ziel der Beratungsprojekte ist es, durch effektiven Einsatz von Technologie unternehmerische Probleme zu lösen und somit den substanziellen Wert eines Unternehmens nachhaltig zu steigern.

www.bto.mckinsey.de

Dieser Text stammt aus unserer Redaktion Corporate Publishing.