Mit Thomas ist das doch etwas anderes!

Aus Fehlern wird man eben nicht immer klug. Oder: Ein Plädoyer für Luftschlösser.




Milena wusste immer Rat. „Hör sehr genau hin, was die Leute sagen oder tun, vor allem dann, wenn du verliebt bist, hör seeeehr genau hin!“ Und dann erzählte sie von Thomas. Beim ersten Frühstück war sie vom Tisch aufgestanden und hatte den Jogurtbecher in den Müll geworfen. Thomas, wie von der Tarantel gestochen, hinter ihr her. Vor ihren Augen fischte er den Jogurtbecher wieder aus dem Eimer und sagte: „Entschuldige, aber in meinem Haushalt wird recycelt. Am Becher hat’s Papier dran!“

„Boah. Er hat sich nicht dafür bedankt, dass du ihm geholfen hast, den Tisch abzuräumen?“

„Doch, er klaubte das Stück Papier vom Becher, legte es zum Altpapier und nahm mich in die Arme.“

„Wie schön. Und daraufhin hast du ihn verlassen?“ „Nein. Wir sind seit ein paar Monaten zusammen.“

„Du mit deinem Schuh-Tick und ein Ökofundi? Ich glaub’s ja nicht! Ich dachte, ich müsse immer seeeehr genau zuhören?“

„Ja, schon. Aber mit Thomas ist das etwas anderes.“

„Bitte stell ihn mir nicht vor. Erst dann, wenn ihr mindestens sechs Monate zusammen seid. Ich mag nicht dauernd neue Namen lernen.“

WARUM SIND WIR BLOSS SO EIN PERFEKTES PAAR? ICH LIEBE DICH!

Die Natur ist träge, uneinsichtig und ineffizient. Irgendwo in der Rinde eines Baumes versteckt sich ein Wurm, den allein der Vogel mit dem längsten Schnabel zu fassen kriegt. Findet der Vogel – nehmen wir einmal an, es handle sich dabei um ein Männchen – findet der kleine Kerl also per Zufall nicht nur den Wurm, sondern auch noch ein lediges Weibchen mit per Zufall ebenso langem Schnabel, und balzt das Männchen erfolgreich um das Weibchen, dann gründet das Paar eine Familie, und möglicherweise und irgendwann, nach zehntausenden von Jahren, ziehen Familien von Langschnäblern über den Horizont. Oder Hochbeinige staksen auf der Suche nach Appetitlichem durchs Watt, Pinguine sitzen in antarktischer Kälte auf ihren Eiern, genetisch angepasste Wesen, die ihren Po einsetzen, um erfolgreicher zu überleben als der Rest. Der Rest? Das wäre die riesige Mehrheit, der kein glücklicher Zufall geholfen hat. Tierfamilien, denen die Natur die lange Nase gezeigt hat und sie frei von jedem Mitleid in die Dürre führte.

DEIN MAUSI HAT DICH SEHR GERN, WEISST DU DAS?

Wir Menschen sind Teil der Natur, und innerhalb der Struktur, die wir als unser Ich begreifen, leben verschiedene „Ichs“ oder „Seelen“. Ein genetisch festgelegtes Ich und zahllose andere. Eines dieser Ichs muss mitverantwortlich dafür sein, dass wir uns in einen anderen Menschen verlieben. Es ist derselbe Mechanismus, nach dem die Figur der Mutter im Theaterstück „Sechs Personen suchen einen Autor“ von Luigi Pirandello tickt. Verliebte leben in einem endlos andauernden Gefühl, das keine Unterbrechung kennt. Und offenbar ist dieser Zustand, wenn er denn beendet ist, immer wiederholbar. Nicht wie bei einem Automaten und auch nicht auf Knopfdruck, sondern immer frisch und jedes Mal lebendig, mit unerwarteter und nicht steuerbarer Leidenschaft, fest entschlossen, dass der Walzer auf Kreppsohlen diesmal gelingen wird.

MEIN LIEBSTER SCHATZ, SEI NICHT TRAURIG, UNSERE SONNE SCHEINT DOCH SO STARK.

Wer einmal einen klugen Lateinlehrer hatte, dem wird der Satz „Prius deligere quam diligere“ noch lange als Drohung in den Ohren nachhallen: „Erst auswählen, dann lieben“. Bloß ist diese Einsicht etwas, das nicht in unseren genetischen Code eingegangen ist. Wenn unser Liebes-Ich will und die Hormone hochfahren, geht der Film ab. Ist die Liebe vorüber, werden Männer zu Schweinen und Frauen zu Hyänen. Dann füllen sich die Wartezimmer der Scheidungsanwälte mit Unglücklichen und Gierigen, auf den Couches der Psychiater krümmen sich seelisch Verletzte, bei den Atemtherapeuten schnappen Erstickende nach Luft, und Ärzte verschreiben Kurpackungen voller Schönwetterpillen.

Was wäre, wenn wir aus unseren Erfahrungen lernen würden? Nicht immer und immer wieder dieselben Fehler machten? Wenn die Liebesschwüre und Trennungsschmerzen unserer Ahnen genetisch nicht folgenlos geblieben wären?

ICH WEISS NICHT, OB DU GARSTIG WARST ODER ICH NERVÖS. ICH WEISS BLOSS, DASS ICH DICH LIEB HABE.

Es gibt eine Denkweise, die zwar aus der Mode gekommen ist, aber immer wieder mal zum Vorschein kommt. Ein Teil der Darwinisten ist der Meinung, erworbene Merkmale würden die Gene, die Träger unseres Erbmaterials, nicht beeinflussen. Nicht so ein Teil der Lamarckianer (nach Jean Baptiste Lamarck, einem französischen Naturwissenschafter, der 1829 gestorben ist). Sie glauben daran, dass die von den Eltern erworbenen Fähigkeiten und körperlichen Anpassungen von ihren Nachkommen in gewissem Maße ererbt werden können.

Der Darwinismus sieht alle Mühen als verloren: Jede Generation muss wieder ganz von vorn anfangen, und die Evolution ist das Ergebnis des blinden Zufalls und des Selektionsdrucks. Die Lamarckianer betrachten die Evolution als kumulativen Effekt der Bestrebungen und Errungenschaften der Ahnen. Laut ihnen spielte sich die Entwicklungsgeschichte etwa so ab: Giraffen hatten ursprünglich kurze Hälse. Sie waren gezwungen, sich dauernd zu strecken, um die Blätter hoher Bäume in den Savannen, dem Lebensraum der Giraffen, zu erreichen. Das Überlebenstraining führte zu einer Verlängerung der Hälse, und die werden auf die folgenden Generationen vererbt. Das Leben schreitet also nicht allein durch glückliche Zufälle fort, sondern durch unser Lernen.

AUTSCH. TUT MIR LEID. WOLLTE DICH ANRUFEN. WARST NICHT DA.

Stellen wir uns vor, wir hätten die Möglichkeit erhalten, von den Erfahrungen und vom Wissen von Generationen vor uns zu profitieren. Ein paradiesischer Zustand, wenn wir das auf unsere geistigen wie physischen Fähigkeiten übertragen. Wir würden unsere Hand nicht mehr auf die heiße Herdplatte halten. Wir wüssten, welchen Wein zu Fisch bestellen. Wir sprächen fehlerfreies Griechisch, sängen das hohe C, könnten Stepp tanzen, begriffen die Steuergesetze und die Anleitungen, wie man den Fernseher programmiert. Wir würden keine Management-Fehler begehen, ein Business solide planen, falschen Versprechungen auf Anhieb misstrauen, das zweite Unternehmen erfolgreich und nicht platt machen, uns die Zähne nicht mit „Veet“ putzen und Muttis Geburtstag nicht vergessen.

Wären wir die bestangepassten Lebewesen? Bräuchten wir alle Fehler, die von unseren Urgroßmüttern und Urgroßvätern, Müttern und Vätern begangen wurden, nicht zu wiederholen?

Versuchen wir nun, dieses Denken auf unser Liebesleben zu übertragen. Was käme dabei für die „Krone der Schöpfung“ heraus?

UFF. TÖNT NACH SEHR SCHLECHTEM GESCHMACK.

Eine Möglichkeit ist das Ausschalten jener Hormone, die uns das Leben schön und schwer machen. Die mehrfache Frustration in Liebesdingen mitsamt Kampfscheidungen und Seelenpein lässt uns auskühlen. Möglicher Lerneffekt? Wir würden unsere Partner allein nach Kalkül auswählen, wie die Habsburger, die bekannt waren für ihre machtbewusste Vermählungsstrategie. Das Wort Liebe könnten wir aus dem Wortschatz streichen. Ob uns das glücklicher machte?

NEIN, DU BIST KEIN MONSTER.

Danke, Britta. Bist eine gute Freundin. Magst du auf einen Teller Spaghetti mit Crevetten zu mir rüberkommen? Eine Flasche Champagner hat’s im Kühlschrank auch noch. Und zwei Jogurt.


Dieser Text stammt aus unserer Redaktion Corporate Publishing.