§ Emergency Room

Wer früher Konkurs anmelden musste, hatte auch seinen Ruf ruiniert.
Das neue Insolvenzrecht öffnet Wege zur Rettung überschuldeter Firmen – und droht jenen Unternehmern mit ernsten Folgen, die die Notbremse zu spät ziehen.




In der Pleitewelle des vorigen Jahres sind große Konzerne wie Philipp Holzmann und KirchMedia, aber auch knapp 38.000 kleine und mittlere Unternehmen untergegangen. Nur ein Konzern konnte über das so genannte Insolvenzplanverfahren saniert werden: der Berliner Schreibwarenhersteller Herlitz. Insolvenzen müssen nämlich nicht zwangsläufig in der Zerschlagung enden. Wie bei schwer Erkrankten verbessern sich die Heilungschancen hoch verschuldeter Unternehmen, wenn Spezialisten früh genug eingreifen.

Ein rechtzeitiger Insolvenzantrag kann das Überleben einer Firma sichern und vor allem das hohe Haftungsrisiko von Organen und Beratern eines angeschlagenen Unternehmens vermindern. Leider reagieren die Betroffenen häufig falsch, nämlich gar nicht – oder zu spät.

Die neue Insolvenzordnung von 1999 – sie hat das aus dem Jahr 1935 stammende Konkurs- und Vergleichsrecht abgelöst – macht flexible Lösungen möglich. Das alte Recht war in der Praxis bedeutungslos geworden: Die für einen Vergleich nötige Mindestquote von 35 Prozent der Gläubigerforderungen konnten überschuldete Firmen nur in Ausnahmefällen erfüllen. Zielsetzung für das neue, einheitliche Insolvenzrecht: angeschlagene Unternehmen in ihrem Bestand erhalten helfen, das Schuldnervermögen liquidieren und die Gläubiger durch eine Unternehmenssanierung befriedigen. Insolvenzverwaltern bieten sich dafür zwei Verfahrenswege an. Zum einen die übertragende Sanierung, bei der das gesamte Unternehmen oder einzelne Unternehmensteile auf einen Dritten übertragen werden; zum anderen das Insolvenzplanverfahren, das dem Reorganisationsverfahren des „Chapter 11“ nach amerikanischem Konkursrecht ähnelt und die Ertragskraft des Unternehmens wiederherstellt.

Wer zu spät kommt ...

Unternehmen, die zu sanieren wären, melden aber in der Regel viel zu spät Insolvenz an. Dadurch vergeben sie oft ihre letzte Chance auf Rettung. Um verspäteten Anmeldungen entgegenzuwirken und sie möglichst zu verhindern, hat der Gesetzgeber die Insolvenzgründe „Zahlungsunfähigkeit“ und „Überschuldung“ neu geregelt. Der Zeitpunkt eines möglichen Insolvenzantrags wurde beispielsweise durch den neuen Grund „drohende Zahlungsunfähigkeit“ deutlich vorverlagert. Damit hat sich gleichzeitig das Haftungsrisiko der Unternehmensorgane für den Fall drastisch verschärft, dass ein Insolvenzantrag zu spät gestellt wird. Heute lässt sich präzise feststellen, wann ein Unternehmen zahlungsunfähig oder überschuldet ist. Dies erleichtert es geschädigten Gläubigern, Verantwortliche anschließend in Anspruch zu nehmen.

Unternehmensorgane können insbesondere wegen Insolvenzverschleppung zivilrechtlich haftbar gemacht werden. Stellt der Geschäftsführer einer GmbH beziehungsweise der Vorstand einer AG nicht unverzüglich, spätestens aber drei Wochen nach Vorliegen eines Eröffnungsgrundes einen Insolvenzantrag, ist er den Gläubigern schadensersatzpflichtig. Für häufig nicht gezahlte Sozialabgaben sind die Verantwortlichen zivilrechtlich haftbar. Strafrechtlich droht außerdem eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder eine Geldstrafe. Eine strafrechtliche Haftung kann sich zusätzlich wegen Bankrott, Beitragsvorenthalt, Untreue oder Betrug ergeben. Die zeitlich vorgelagerte Antragspflicht erleichtert Strafverfolgungsbehörden die Arbeit. Gegenwärtig wird deshalb vermehrt wegen Insolvenzdelikten ermittelt. Viele Prozesse laufen beispielsweise gegen Manager von Unternehmen, die ehemals am Neuen Markt notiert waren.

Hohes Risiko auch für Berater

Aber auch Unternehmensberater, Rechtsanwälte oder Steuerberater eines angeschlagenen Unternehmens können haftbar gemacht werden. Wenn ein Berater es unterlässt, seinen Mandanten darüber aufzuklären, dass dessen Unternehmen insolvenzreif und er deshalb verpflichtet ist, die Insolvenz zu beantragen, ist er dem späteren Insolvenzverwalter zum Schadensersatz verpflichtet. So entschied der Bundesgerichtshof am 26. Oktober 2000 (Az.: IX ZR 289/99; NJW 2001, S. 517).

In Ausnahmefällen können sich für rechts-, steuer- und wirtschaftskundige Berater sogar strafrechtliche Konsequenzen ergeben. Erkennt ein Berater beispielsweise, dass ein Mandant strafrechtlich riskante Entscheidungen trifft und er mit seinem Rat die Tat des Mandanten fördert, macht er sich der Beihilfe zu einem Insolvenzdelikt strafbar. Im Sinne der Prävention können Insolvenzspezialisten diese Haftungsrisiken klären und teilweise auch eine Insolvenz abwenden.

Trotz der erhöhten Risiken handeln viele Verantwortliche in einer Krise immer noch nach dem Prinzip Hoffnung. Die Geschäftsleitung sieht ihre Position, ihren Ruf und die weitere Karriere gefährdet. Unternehmensberater bangen um lukrative Aufträge und um den eigenen Ruf. Arbeitnehmer, Betriebsräte und Gewerkschaften sorgen sich um die Arbeitsplätze, Banken und Lieferanten um ihr Geld. Politiker fürchten um die Stabilität in ihrer Region und raten zum Durchhalten. Einig sind sich die Beteiligten und Interessenvertreter meist in einem Ziel: notwendige und schmerzhafte Eingriffe so lange wie möglich zu vermeiden. In einer akuten Krise sind aber schnelle und radikale Maßnahmen erforderlich. In dieser Situation verlängern Naturheilmittel nur das Leiden. Der Patient, um im Bild zu bleiben, gehört auf die Intensivstation und muss von einem erfahrenen Team behandelt werden.

In einer akuten Krise kann Zaudern tödlich sein

Bei einer Intensivsanierung im Planverfahren muss dem Unternehmen zunächst innerhalb kurzer Zeit Liquidität zugeführt werden. Im Unterschied zur übertragenden Sanierung können während des Planverfahrens bestehende Finanzierungsmittel wie langfristige Kreditlinien aufrechterhalten werden. Innerhalb des Kreditrahmens ist mit den Gläubigerbanken die Aufnahme eines Massedarlehens zu verhandeln. Der Faktor Zeit spielt dabei eine entscheidende Rolle. Kunden reagieren verunsichert, wenn keine schnelle Sanierung in Sicht ist, und suchen sich andere Lieferanten oder Auftragnehmer. Deshalb muss das Planverfahren innerhalb kürzester Fristen durchgeführt werden. Bei der Herlitz AG lagen zwischen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens und der Planbestätigung durch die Gläubigerversammlung nur sechs Wochen. Das Team des Insolvenzverwalters band die verschiedenen Gläubigergruppen frühzeitig ein, baute eine intensive Kommunikation auf, ging auf Änderungsvorschläge ein und aktualisierte ständig den Plan. So wurde eine Zustimmung von 100 Prozent der Gläubigerstimmen erreicht. Der Plan machte es möglich, Unternehmensstrukturen innerhalb kurzer Zeit neu zu ordnen, überflüssige Bereiche abzutrennen und die Bilanz wieder in Ordnung zu bringen. Und vor allem: nahezu alle Arbeitsplätze zu erhalten.

Der Verlauf eines Planverfahrens hängt sowohl von der Person des Verwalters als auch von dessen Mannschaft ab. An der Schnittstelle von Wirtschaft und Justiz benötigt ein Insolvenzverwalter solide juristische und kaufmännische Kenntnisse. Er ist Interessenvertreter der Gläubiger, muss aber unabhängig sein und widerstreitende Interessen ausgleichen. Organisationstalent und Kooperationsfähigkeit sind gefordert, da der Verwalter gleichzeitig zeitweilig Aufgaben eines Unternehmers und eines Unternehmensberaters übernimmt oder sich deren versichert. Für die Sanierung wird ein kompetentes und multidisziplinäres Team benötigt, das seit Jahren eingespielt ist. Gerade in größeren Verfahren reicht es nicht, nur auf einen erfahrenen Verwalter zu vertrauen. Der Insolvenzverwalter muss auch in der Lage sein, kurzfristig ein Team von Spezialisten abzustellen, das sich im Arbeits- und Steuerrecht, im Controlling und weiteren betriebswirtschaftlichen Funktionen auskennt. Schließlich muss das Team die Geschäftsleitung bei ihren Aufgaben unterstützen.

Im Unterschied zu den USA, wo viele überschuldete Unternehmen unter dem Gläubigerschutz des Chapter 11 erfolgreich saniert wurden, gilt in Deutschland ein Insolvenzantrag immer noch als Totalschaden für die Karriere. Dieses überholte Bild verhindert, dass Verantwortliche die Fakten nüchtern betrachten und früh genug Insolvenzantrag stellen. Oft ziehen Unternehmer, Manager oder Berater erst die Notbremse, wenn es zu spät ist, und gehen damit persönlich ein hohes Haftungsrisiko ein. Ob überschuldete Unternehmen oder schwer kranke Patienten: In einer ernsten Krise ist keine Zeit zu verlieren und die Hilfe von Spezialisten erforderlich. Nur so kann etwa die Insolvenz zur Chance werden, ein Unternehmen umfassend und nachhaltig zu sanieren.


Dieser Text stammt aus unserer Redaktion Corporate Publishing.