Pilot-Projekt

Ärzte und Fachpersonal sind bestens ausgebildet, und doch passieren in Krankenhäusern immer wieder Fehler. Um die Behandlung der Patienten zu verbessern und die medizinischen Standards zu erhöhen, müssen sich die Mitarbeiter des Vanderbilt Medical Center deshalb regelmäßig weiterbilden – und bei Flugkapitänen in die Lehre gehen. Ein Besuch in Nashville.




Am 27. März 1977, einem nebligen Tag auf der kanarischen Insel Teneriffa, machte Jacob Louis Veldhuyzen van Zanten nach 30 Jahren Berufserfahrung einen fatalen Fehler. Der Pilot startete seine Boeing 747 ohne Genehmigung eines Fluglotsen. Die vagen Hinweise von Flugingenieur und Co-Pilot ignorierte der erste Mann an Bord – und beschleunigte. Sekunden später prallte die Maschine auf einen anderen Jumbojet, der, im Nebel versteckt, die Startbahn blockierte, und explodierte in einem gewaltigen Feuerball. 583 Menschen starben.

Steve Montague beginnt seine Trainings fast immer mit der nüchternen Schilderung jener Katastrophe, dem schlimmsten Unfall der zivilen Luftfahrt. „Wie konnte das passieren?“, fragt der Pilot dann – und schaut regelmäßig in ratlose Gesichter. „Wie war eine solche Fehlentscheidung möglich? Und warum haben jene, die Bedenken hatten, nicht eingegriffen?“ Die rund 20 Mitarbeiter des Kinderkrankenhauses Vanderbilt Children’s Hospital in Nashville schweigen. Also gibt sich Montague die Antwort auch heute Vormittag selbst: „Vermeidbares menschliches Versagen und die Angst vor einer Konfrontation waren für diese Katastrophe verantwortlich. Das kann in jedem Cockpit passieren. Und in jedem OP.“

Steve Montague fliegt seit 17 Jahren im Dienst von American Airlines, seit drei Jahren arbeitet er an seinen freien Tagen für LifeWings, ein Unternehmen, das ihn und 24 Kollegen überall dorthin schickt, wo Menschen beschäftigt sind, die in gefährlichen Situationen möglichst keine Fehler machen dürfen. Die 25 Flugkapitäne und ihr Chef Stephen Harden, ein ehemaliger Top-Gun-Pilot, arbeiten als Trainer. LifeWings wird engagiert, wenn Feuerwehrmannschaften den Ernstfall erproben, Gutachter-Teams von Versicherungen für Extremsituationen geschult oder die Crews von Flugzeugträgern für den Einsatz auf See fit gemacht werden sollen. Die meiste Trainingszeit verbringen die Berufspiloten jedoch in Krankenhäusern. Dort ist der Nachholbedarf am größten.

Bis zu 98.000 Patienten sterben in den Vereinigten Staaten jedes Jahr infolge vermeidbarer medizinischer Fehler – so lautete 1999 der besorgniserregende Befund des US-amerikanischen Institute of Medicine. Die Organisation hatte die Qualität der medizinischen Leistung im Land untersucht und das Versagen von Ärzten und medizinischem Fachpersonal in ihrem Bericht „Irren ist menschlich“ als eine der fünf häufigsten Todesursachen in den USA identifiziert. Immer wieder verwechselten OP-Teams Patienten, amputierten falsche Gliedmaßen oder vergaßen medizinische Instrumente im Körper der Operierten. Die Kosten der unrühmlichen Leistungsbilanz in US-Krankenhäusern wurden mit 17 bis 29 Milliarden US-Dollar beziffert. Jährlich.

Ganz neu waren die Ergebnisse seinerzeit nicht. Schon Anfang der neunziger Jahre hatte eine Untersuchung auf das „extrem hohe Risiko“ von Intensiv-Patienten hingewiesen, in US-Krankenhäusern falsch oder nachlässig behandelt zu werden. Übertragen auf den Bankensektor entspräche das schlechte medizinische Leistungsniveau der Abbuchung von 32.000 Schecks von falschen Konten – pro Stunde. In der Luftfahrt, so hieß es, käme es täglich zwei gefährlichen Landungen auf dem O’Hare International Airport in Chicago gleich.

Unklarheiten im Cockpit mit katastrophalen Folgen

In der Realität schneidet insbesondere die Flugindustrie um ein Vielfaches besser ab. Heute. Damals war der Unfall auf den Kanaren nur einer von vielen. Da missachtete etwa ein United-Airlines-Pilot die behutsamen Warnungen seiner Crew und musste sein Flugzeug fernab des eigentlichen Ziels in Woodland notlanden, weil der Treibstoff ausgegangen war. Eine andere Maschine stürzte unmittelbar nach dem Start aufgrund von Triebwerksproblemen in einen Fluss nahe des Washingtoner Flughafens, nachdem es zwischen den beiden erfahrenen Piloten zu einem Disput gekommen war: Der Co-Pilot plädierte dafür, die Maschine aufgrund der Wetterverhältnisse zu enteisen; nicht nötig, befand der erste Mann an Bord und setzte sich durch. Die Tragödie auf Teneriffa markierte eine drastische Wende in der Branche, die ihre Sicherheitsstandards inzwischen seit mehr als 25 Jahren kontinuierlich optimiert.

Die Technik erwies sich so wenig als Problem wie Ausbildung und Erfahrung des fliegenden Personals, das ergaben die Analysen der amerikanischen Luft- und Raumfahrtbehörde Nasa Ende der siebziger Jahre. Für die Serie der vermeidbaren Unfälle waren mangelhafte Kommunikation und undurchsichtige Entscheidungsprozesse an Bord verantwortlich. Eine Erkenntnis, auf die die Behörde mit der Entwicklung des Cockpit- oder Crew Resource Management Program (CRM) reagierte.

In dem Kommunikations- und Verhaltenstraining geht es vor allem darum, die mentalen Prozesse der Piloten zu unterstützen. CRM will helfen, Krisensituation zu vermeiden – und im Ernstfall den Überblick zu behalten, unerwartete Probleme zu lösen und richtige Entscheidungen zu treffen. Die Schulungen sensibilisieren Piloten dafür, ihre physischen und psychischen Grenzen zu erkennen, sie helfen ihnen, Probleme deutlich zu artikulieren, auf Team-Mitglieder zu hören und sie zu unterstützen, Konflikte zu lösen, Notfall-Pläne zu entwickeln und für Entscheidungen in Extremsituationen alle verfügbaren Ressourcen zu mobilisieren. Die Grundlagen hierfür liefern standardisierte Checklisten und Protokolle sowie eine klar geregelte Kommunikation, in der alle Teammitglieder, unabhängig von ihrer hierarchischen Stellung, nicht nur das Recht, sondern die Pflicht haben, Bedenken zu äußern.

CRM wurde für jeden Piloten zur Bedingung erklärt – sie gilt bis heute: Wer für kommerzielle Fluggesellschaften oder für das Militär in den USA oder Europa fliegen will, muss die Standards und Routinen des Programms beherrschen und anwenden. Der Effekt auf die Flugsicherheit war enorm. Nach Einführung von CRM reduzierte sich die Zahl der Unfälle auf ein Minimum. Fliegen gilt heute als sichere Angelegenheit.

Rhea Seddon setzt auf einen ähnlichen Effekt im Krankenhaus. Die kleine, zierliche Frau Ende 50 hat sich vorgenommen, die Qualität der Patientenversorgung zu verbessern – und Qualität ist aus ihrer Sicht das Ergebnis von Verhalten plus angewandten Techniken. Im Vanderbilt Medical Center in Nashville sollen deshalb alle Mitarbeiter von Piloten lernen: „Menschen machen Fehler“, sagt sie, „aber wir können sie minimieren, wenn wir die standardisierten Prozesse der Flugsicherung auch im Gesundheitsbereich benutzen.“ Seddon weiß, wovon sie spricht. Die Medizinerin war eine der ersten sechs Frauen, die die Nasa 1978 in ihr Astronauten-Programm aufnahm. Dreimal war Seddon zur medizinischen Forschung im All, das letzte Mal 1993. Sie hat jahrelang Nasa-Jets geflogen, das erste EKG im Weltraum gemacht und erstmals ein Tier im All seziert. Nach 19 Jahren bei der Luft- und Raumfahrtbehörde kam Rhea Seddon 1997 als Qualitäts-Expertin ins Vanderbilt Medical Center. Weil sie wusste, wie sehr sich die Strukturen gleichen. „Im OP finden wir heute häufig noch eine Kultur, wie wir sie aus dem Cockpit vor Einführung von CRM kennen“, sagt die ehemalige Astronautin. Der Chefarzt übernehme als Kapitän die Kontrolle, „während eine Crew aus Anästhesisten, Ärzten und Krankenschwestern auf Probleme aufmerksam macht – und bestenfalls hoffen darf, dass ihre Hinweise aufgegriffen werden.“

Die Ähnlichkeiten beider Berufe, die schlechte Leistungsbilanz der Mediziner und die enormen Fortschritte in der Flugsicherheit veranlasste das amerikanische Institute of Medicine bereits im Jahr 2001 zu der Empfehlung, auch das Gesundheitspersonal mit CRM-Programmen zu schulen. Vanderbilt war eines der ersten Krankenhäuser, das dem Rat folgte und Piloten in seine OPs und Behandlungsräume holte.

Die Trainings aus der Luftfahrt stehen Pate

Seit 2003 gehen im Klinikum in Nashville die Flugkapitäne von LifeWings ein und aus. Unternehmensgründer Stephen Harden reist zum Interviewtermin in der eigenen Maschine an, in dunkelbrauner lederner Fliegerjacke und schwarzer Sonnenbrille. Rund 15 Tage im Monat fliegt der 52-Jährige für FedEx, an allen anderen Tagen bringt er Medizinern, Krankenschwestern, Feuerwehrleuten, Versicherungsangestellten oder Schiffsbauern bei, was er im Cockpit gelernt hat.

Ursprünglich entwickelte Harden CRM-Programme für die Luftfahrt. Die amerikanische Air National Guard gehörte zu seinen Kunden, die italienische, belgische und Schweizer Luftwaffe sowie etliche kommerzielle Fluggesellschaften. Erst nachdem ein Krankenhaus ihn vor einigen Jahren bat, sein Gesundheitspersonal zu trainieren, baute der Flugkapitän den Trainingsbereich aus. Inzwischen sind 25 Piloten für ihn vor allem in amerikanischen Krankenhäusern unterwegs. 2005 schulte LifeWings mehr als 12.000 Ärzte, Krankenschwestern und anderes Pflegepersonal.

Um für jeden Klinik-Bereich den richtigen Ansatz zu finden, verbringen LifeWings-Piloten vor Beginn der Schulungen einige Tage in der entsprechenden Abteilung; sie beobachten Prozesse, identifizieren Fehler im System, die zu unnötigen Risiken für die Patienten führen können, und bewerten, wie das Team seine Arbeit koordiniert, miteinander kommuniziert und Konflikte löst. Die Informationen helfen später in den Workshops, gemeinsam mit den Mitarbeitern die jeweils passenden Checklisten und Protokolle zu entwickeln. Sie bilden die Basis für die künftige Zusammenarbeit, die bis dahin ja nicht am Wissen und Können des Einzelnen krankte, sondern an Strukturen und Schwachstellen im System.

„Die Kultur im Krankenhaus soll sich dauerhaft verändern“, sagt Stephen Harden – und das erfordert in erster Linie eine andere Kommunikation. Wo bislang ein Einziger das Sagen hatte, müssen künftig auch andere mitreden wollen und dürfen. Wo bisher nur Fakten und sichere Erkenntnisse gefragt waren, sollen künftig auch Ahnungen, Unsicherheiten oder schlicht ein mulmiges Gefühl relevant sein. Der Ton insgesamt soll ein anderer werden: Wer etwas zu sagen hat, muss es deutlich sagen – zaghaft geflüsterte Einwände oder ein besorgtes Gemurmel im Hintergrund führen in Extremsituationen weder im Cockpit noch im OP zum Ziel.

Denn hier wie dort sind es über Jahre und Jahrzehnte gewachsene Hierarchien, die den offenen Austausch zwischen Führung und Mannschaft blockieren. Und unabhängig davon, ob es sich um Piloten und Kabinen-Crew oder um Ärzte und Pflegepersonal handelt: Der andere Umgang miteinander will mühsam erlernt werden – in kleinen, oft banal erscheinenden Schritten, die erst in Summe und nach zahlreichen Wiederholungen langsam die erhoffte Wirkung zeigen.

Die CRM-Kurse in Krankenhäusern beinhalten im Prinzip alle bekannten Elemente des klassischen Führungs- und Kommunikationsinstrumentariums. Dialogtraining, Sichtbarmachen von Verhaltensweisen durch Gruppendiskussion, Einübung neuer Muster, Erlernen eines neuen Formen- und Formulierungs-Repertoires. All das allein würde das klinische Fachpersonal auf Dauer allerdings kaum überzeugen. Erst die abteilungsspezifischen Checklisten, Verfahrensprotokolle und neu strukturieren Prozesse, die den Umgang im Akutfall spürbar verbessern und Fehlerquellen eliminieren, lassen aus der anfänglichen Skepsis von Ärzteschaft und Vertretern der Fach- und Pflegeabteilungen im Laufe des Prozesses nicht selten Begeisterung werden.

John Byrne beispielsweise, Herz-Spezialist und Chairman im Vanderbilt Medical Center, mag sich heute gar nicht mehr an die Zeit vor CRM erinnern. Gute Ärzte seien sie immer schon gewesen, sagt er. Und natürlich sei das Ziel der Abteilung immer eine Spitzenmedizin gewesen. Aber dass sich die jüngste Kollegin im Team heute während einer OP besorgt zu Wort meldet und darum bittet, eine Entscheidung noch einmal zu überprüfen, oder dass die Krankenschwester, wie kürzlich, den Mut hat, ihn mitten in der Nacht zu Hause anzurufen, weil sie der Diagnose eines Assistenzarztes misstraute, das hätte es vor den CRM-Trainings nicht gegeben. „Früher hätten beide keinen Pieps gemacht“, sagt Byrne, „die Entscheidungen von Vorgesetzten wurden grundsätzlich nicht infrage gestellt.“ Seit die Abteilung das Piloten-Mantra gelernt und zu ihrem eigenen gemacht hat, passieren derartige Dinge immer öfter: See it, say it, fix it – sieh es, sag es, behebe es.

Kommunikation ist Pflicht – auch ohne sichtbaren Grund

Byrne selbst geht mit gutem Beispiel voran, spätestens seit er erkannt hat, dass der Umgang innerhalb der Abteilung vertrauensvoller und die Entscheidungen unterm Strich besser geworden sind. Auch seine eigenen. Um die medizinische Leistung der Herzchirurgie auch künftig weiterzubringen, hat der Chef auf der internen Web-Seite eine Liste sogenannter red flags – roter Fahnen – veröffentlicht. Das sind medizinische Warnsignale, bei denen sich auch die schüchternste Schwester spätestens zu Wort melden muss, egal, was der momentane Vorgesetzte sagt, und egal, wie spät es ist. Daneben hat Byrne zur Pflicht gemacht, dass ihn eine Schwester zwei Stunden nach jeder Operation anruft, um den Zustand des Patienten zu besprechen, „auch wenn es scheinbar keinen Grund zur Sorge gibt“.

Standards wie diese lassen sich im Vanderbilt heute überall finden. Wird ein Patient intern verlegt, gehen Kollegen beider Abteilungen durch Checklisten: Wie ist der Puls? Welche Medikamente werden gegeben? Gab es Unregelmäßigkeiten? Jede Operation beginnt neuerdings mit einem kurzen standardisierten Briefing: Alle Team-Mitglieder stellen sich mit Namen und Fachgebiet vor, auch der Name des Patienten wird gegengecheckt. Anschließend präzisiert der Operateur knapp den bevorstehenden Eingriff, benennt die betroffenen Körperteile sowie die Körperseite, überprüft mögliche allergische Reaktionen und fragt ab, ob alle nötigen Instrumente und Medikamente vorhanden sind. Die Runde endet mit der Frage, ob alle Beteiligten bereit sind – die offizielle Aufforderung, Bedenken zu äußern. Erst wenn alle am Tisch geantwortet haben, beginnt die Operation.

Skeptiker, die derartige Rituale für überflüssig halten und als reine Zeitverschwendung abtun, hält Qualitäts-Expertin Rhea Seddon für naiv. „Die Ursachen für folgenschwere Fehler sind unvorstellbar banal und gerade deshalb durch Standards so leicht zu vermeiden.“ Nachfragen, überprüfen, vergleichen, rückversichern, nochmals überprüfen, ist aus ihrer Sicht der sicherste Weg, Fehler aufzuspüren und auszumerzen, bevor sie größeren Schaden anrichten.

Eine Reihe von Kritikern, intern wie extern, hält dagegen. Ihr Hauptargument: Die Prinzipien der Flugsicherheit seien nicht einfach auf den Gesundheitsbereich übertragbar. „Die Medizin ist komplexer, die Menschen müssen intensiver miteinander arbeiten“, sagt beispielsweise Robert Helmreich, Psychologie-Professor an der University of Texas in Austin und Direktor eines Projektes, das die Team-Leistung und den Einfluss von Kultur und Verhaltensweisen in der Flug- und Gesundheitsbranche untersucht. Schon die Definition eines Fehlers, so Helmreich, sei in der Medizin ungleich „unschärfer“ als in der Luftfahrt, wo es außerdem viel einfacher sei, festzustellen, wer für Fehler verantwortlich ist. Hinzu komme, so meint der Psychologe, dass Mediziner schon aus Angst vor Schadenersatzklagen Fehler gar nicht offen kommunizieren könnten. Schließlich müssten sie um den Verlust ihrer medizinischen Zulassung fürchten, ganz anders als Piloten, die in der Regel gerade dann vor einer Bestrafung geschützt sind, wenn sie Vorfälle prompt melden.

Den letzten Einwand lässt Rhea Seddon gelten – beirren lässt sie sich davon nicht. Die Bereitschaft vieler Mediziner zur offenen Diskussion von Irrtümern sei bereits immens gestiegen, seitdem sich Ärzte in einigen US-Bundesstaaten über schiefgelaufene Fälle austauschen dürfen, ohne dass man sie anschließend im Fall einer Klage zur Vorlage ihrer Informationen bei Gericht zwingen kann. Daneben müsse Offenheit und der Umgang mit eigenen Fehlern und Versäumnissen eben auch gelernt werden.

Im Vanderbilt soll das durch die Einführung einer regelmäßigen Abschlussbesprechung nach jeder Operation erreicht werden. „Mediziner halten eine derartige Prozedur häufig für Zeitverschwendung“, hat Seddon gelernt, „weil im Normalfall ja alles nach Plan läuft.“ Wozu dann also noch reden? Ganz einfach, meint Seddon, um das Reden zu lernen. Wenn ein Team nur zusammenkommt, um Fehler zu diskutieren, bleiben sie tabu, dann stellt auch eine Abschlussbesprechung sofort eine einschüchternde Bedrohung dar. „Nur wenn immer über alles gesprochen wird, kann der offene Dialog zur Routine werden.“

Die Zufriedenheit steigt, die Fehlerquote sinkt

Die Entwicklung der vergangenen Jahre gibt der ehemaligen Astronautin Recht. Unter den rund 6000 Vanderbilt-Medical-Center-Mitarbeitern, von denen inzwischen rund die Hälfte in CRM geschult wurde, ist die Zufriedenheit sichtbar gewachsen. Die Fluktuation unter den Schwestern in der Chirurgie ist auf weniger als zwei Prozent gefallen – ein Bruchteil der andernorts üblichen acht bis zwölf Prozent. Auch die Patientensicherheit, sagt Seddon, sei durch die Pilotentrainings deutlich gestiegen. Seit 2003 hat sich die Zahl der Operationen im Haus nahezu verdoppelt – die Zahl der medizinischen Fehler hingegen blieb unverändert. Das Verhältnis von statistisch erwartbaren zu tatsächlich eingetretenen Todesfällen ist eindeutig: Bis zum Jahr 2003 lag die Kennzahl bei deutlich über eins, in den vergangenen drei Jahren sank sie auf 0,75. Nach knapp 19 Jahren Erfahrung bei der Nasa hätte Rhea Seddon den Beweis für sich selbst nicht gebraucht. Für die Zweifler liefert sie in ihrer nüchternen Art eine überzeugende Übersetzung: „Rund 200 Patienten, die bei uns früher vermutlich gestorben wären, haben überlebt.“


Dieser Text stammt aus unserer Redaktion Corporate Publishing.