Keiner bewegt sich

Die DDR ist Vergangenheit. Und mit ihr auch das System der regulierten Preise. Für das Politbüro waren sie wichtigstes Element der Sozialpolitik, aus marktwirtschaftlicher Sicht ökonomischer Selbstmord auf Raten.
Ein Blick zurück auf Preisgestaltung, Dirigismus, Ressourcenvergeudung und absurd anmutende Resultate.
Überspitzt und mitunter unfreiwillig komisch.




Die Szene. Berlin, Hauptstadt der DDR. Konferenzsaal des Sekretariats des Zentralkomitees der SED. Der Generalsekretär der Partei, der Chor der Bonzen. Es herrscht eine gewisse Ermüdung.

Der Staatssekretär beim Amt für Preise tritt ein. Generalsekretär (zum Staatssekretär): „Das sind ja wieder mal so Dinge, die ich hier erfahre. Neue Bohrmaschine und gleich 100 Mark teurer als die alte. 230 Mark. Wie sollen wir denn das der Bevölkerung erklären?“ Staatssekretär: „Genosse Generalsekretär, die neue Bohrmaschine ist eine deutliche Verbesserung gegenüber dem alten Modell, sie hat jetzt 500 Watt.“ Generalsekretär (das Gesicht verziehend): „Das gibt wieder Unruhe in der Bevölkerung. Wie war das denn, als wir den Preis für ein Stück Torte im Café des Grandhotels auf fünf Mark angehoben haben? Eingaben über Eingaben!“ Staatssekretär: „Wir haben gedacht, das Grandhotel ist eigentlich nicht so richtig was für die Arbeiterklasse. Da sitzen sowieso fast nur die Touristen aus der BRD. Die sollen ruhig fünf Mark für die Sachertorte bezahlen.“ Erster Bonze (aufbrausend): „Die Bohrmaschine soll so viel teurer werden. Aber als wir damals den Preis für das neue Fahrrad verdoppeln wollten, waren Sie dagegen. Wo ist denn da die Linie? Schließlich war das neue Rad ein technologisches Spitzenerzeugnis! Weltniveau!“

Staatssekretär (gequält): „Nun ja, Genosse, der einzige Unterschied zum Vorgängermodell war, dass es einen gelben Streifen um die Bereifung hatte und eine etwas andere Nabe. Die neue Bohrmaschine dagegen, ich sage nur: 500 Watt. Außerdem liegen die Herstellungskosten schon bei 210 Mark. Wir sollten sie nicht billiger verkaufen. Sonst müssen wir wieder stützen.“

Zweiter Bonze: „Ist da der Gewinn schon drin, in den 210 Mark?“ Dritter Bonze (belehrend): „Der Gewinn ist doch immer drin, auch wenn die Herstellung teurer ist als der Preis. Das ist dann ein kalkulierter Verlust, den gleichen wir aus und nennen es Gewinn.“ Zweiter Bonze (ratlos): „Aber ist denn Verlust nicht das Gegenteil von Gewinn?“ Der Generalsekretär und der Chor der Bonzen stehen auf und singen Bertolt Brechts „Lied von der Tünche“, (der Staatssekretär bewegt die Lippen, singt aber nicht mit):

„Ist wo etwas faul und rieselt’s im Gemäuer Dann ist’s nötig, dass man etwas tut Und die Fäulnis wächst ganz ungeheuer Wenn das einer sieht, das ist nicht gut. Da ist Tünche nötig, frische Tünche nötig! Wenn der Saustall einfällt, ist’s zu spät! Gebt uns Tünche, dann sind wir erbötig Alles so zu machen, dass es noch mal geht.“

***

Zugegeben: Diese Szene hat exakt so nicht stattgefunden, der Chor der Bonzen hat nie gesungen. Die sachlichen Details dagegen stimmen weitgehend. Diese und ähnliche Diskussionen wurden in der obersten Parteiführung, dem Machtzentrum der DDR, tatsächlich geführt.

Leidenschaftlich rangen die Politbürokraten immer wieder um einzelne Preise – für Kühlschränke, Sachertorte, den neuen Kassettenrekorder oder den Tanz unterm Sternenhimmel im neu eröffneten Zeiss-Planetarium. Welche Preise konnten bleiben, welche sollten sich ändern? Wie schätzte man die Stimmungslage ein? Welcher Preis war sozial gerechtfertigt? Durfte der neue Wartburg 6000 Mark mehr kosten als sein Vorgängermodell?

Wenn Erich Honecker und die Seinen über Preise debattierten, ging es nicht primär um das Preisniveau. Es ging nicht darum, Inflation zu vermeiden. Die gab es in der DDR gar nicht – zumindest nicht offiziell. Die Preise waren fester Bestandteil des Systems der zentralen Wirtschaftsplanung. Und eine eigens gegründete Behörde, das Amt für Preise mit einem Minister an der Spitze, hatte dafür zu sorgen, „dass der Staat die Entwicklung der Preise fest in der Hand behält“. Dabei waren die Preise so zu gestalten, dass weitgehend das gekauft wurde, was die Parteiführung zu produzieren und abzusetzen wünschte – ein Element zur Stabilisierung des sozialen Friedens: „Die Preise wirken planmäßig auf die Verhaltensweise der Menschen in der Produktion und Konsumtion und damit auf die Beziehung zwischen den Klassen und Schichten des Volkes ein“, heißt es in einem Buch über Preispolitik aus dem Jahr 1969.

In der Marktwirtschaft sind Preise flexibel, sie sind Teil des freien Spiels aus Angebot und Nachfrage. In der allumfassenden Wirtschaftsplanung der DDR wären flexible Preise ein systemzersetzender Fremdkörper gewesen: Wenn Einkaufspreis und Erlös schwanken – wie soll ein Betrieb dann die vorgegebenen Absatzmengen exakt planen? Bei knappen Konsumgütern wiederum hätte eine Freigabe der Preise zu drastischen Preissteigerungen geführt (in der Logik der DDR verlängerten sich die Lieferfristen) – der Offenbarungseid, das offizielle Eingeständnis, dass es die Wirtschaft nicht schafft, die eigene Bevölkerung bedarfsgerecht zu versorgen. Zudem hätte eine am Markt orientierte Preisbildung brutal offen gelegt, welche Produktionen derart unrentabel waren, dass sie sofort hätten aufgegeben werden müssen. So kostete beispielsweise die in der DDR praktizierte Herstellung von Teer aus Braunkohle bis zum Neunfachen des Weltmarktpreises für Teer aus Erdöl, die enormen Schäden für Umwelt und Gesundheit nicht einmal mitgerechnet. Und ein Mikrochip, dessen Verkaufspreis auf 16 Mark festgenagelt worden war, schlug allein in der Herstellung schon mit mehr als dem 33-fachen zu Buche, konkret: mit 536 Mark.

Solange der DDR-Bürger in seiner Rolle als Konsument verharrte, merkte er von alledem nichts. Für das eher triste Einkaufserlebnis in seiner Kaufhalle wurde er mit stabilen Preisen zumindest teilweise entschädigt. Beim Einzelhandelsverkaufspreis (EVP) galt: Was seinen Preis hat, behält seinen Preis. Das war Beschlusslage der Partei, bis zuletzt. Noch 1986 verkündete Erich Honecker dem XI. SED-Parteitag, man werde „die Politik stabiler Verbraucherpreise für Waren des Grundbedarfs sowie für Mieten, Tarife und Dienstleistungen auch künftig fortführen“. Ein ehernes Gesetz.

Der EVP war überall in der DDR uniform, in allen Läden. Weil es für viele Erzeugnisse nur einen Hersteller gab, hätten Preisvergleiche ohnehin kaum Sinn gehabt. Die Suche nach Schnäppchen war dem Konsumenten so fremd wie dem Unternehmer die Strategie, sich mit einem attraktiven Preis einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen. „Der Preis war nie ein Instrument, mit dem wir die Nachfrage beeinflussen konnten“, sagt Heiner Hellfritzsch, zu DDR-Zeiten Betriebsleiter beim Volkseigenen Betrieb Florena, dem einzigen Kosmetikhersteller im Land, der heute zu Beiersdorf gehört. „In der ganzen DDR gab es nur ein Unternehmen, das Rasiercreme herstellte, und das war Florena. Wir hatten sicherzustellen, dass jeder Bürger der Deutschen Demokratischen Republik, der Rasiercreme haben wollte, auch Rasiercreme bekam.“

Im Handel mit dem „nicht-sozialistischen Wirtschaftsgebiet“ war das anders. Da stand die DDR mit anderen Anbietern im Wettbewerb – und verschleuderte auf der Jagd nach dringend benötigten Deviseneinnahmen vieles unter Wert. Auch die Einkäufer bundesdeutscher Kaufhäuser und Versandhändler orderten seinerzeit beträchtliche Stückzahlen, vor allem Standardprodukte wie Schrankwände, T-Shirts, Unterwäsche, Kühlschränke, Herde und Feinstrumpfhosen. Und genau wie alle anderen drückten sie mit dem Hinweis auf das schlichte Design und die zwar robuste, aber meist innovationsferne Technik die Preise so tief, dass sie oft genug nicht einmal mehr die Herstellungskosten deckten – jedenfalls zu den offiziellen Wechselkursen.

Was Luxus ist, bestimmen immer noch wir

Die Festsetzung der EVP im Inland zählte zu den wichtigsten Instrumenten der DDR-Sozialpolitik. Waren und Dienstleistungen des Grundbedarfs für jedermann – etwa Mieten, Brot, Lebensmittel, Energie und öffentliche Verkehrsmittel – kosteten kaum etwas. Alles, was die Führung dagegen als durchaus verzichtbaren Luxus einstufte, wurde mit gehobenen bis irrational hohen Preisen belegt. Das konnte eine Dose Ananas für 18 Mark sein, ein Stück „Lidos“-Seife für 12 Mark, ein simpler Taschenrechner für 123 Mark oder auch eine einfache Spiegelreflexkamera, die erst für 2300 Mark zu haben war. Über den Kauf solcher Waren konnte der Staat überschüssige Kaufkraft abschöpfen und in den chronisch defizitären Haushalt pumpen – auf dass Brot und Mieten auch weiterhin billig blieben.

Das Ergebnis der rein politisch motivierten Preisfindung: völlig verzerrte Preisrelationen, die das Wertesystem der DDR-Oberen widerspiegelten. So kostete ein Farbfernseher in der DDR mit 6000 Mark beispielsweise rund das Zweieinhalbtausendfache einer Portion Gulasch mit Kartoffeln und Gemüse in einer einfachen Gaststätte (2,35 Mark). Im Westen war das TV-Gerät dagegen nur hundert- bis zweihundertmal so teuer wie das Mittagessen, je nach Gaststätte und Preislage beim Elektro-Discounter. Anders ausgedrückt: Für den Preis des Fernsehers konnte sich der DDR-Bürger zweieinhalbtausendmal satt essen, der Bundesbürger im besten Fall zweihundertmal.

Preiserhöhungen waren in der DDR grundsätzlich nur bei verbesserten und neuen Erzeugnissen möglich. Zentrale Kategorie war der Gebrauchswert, der in einem komplizierten Verfahren nach einem Parameter-Geflecht aus Herstellungszeit, Arbeitsaufwand, Materialeinsatz, Energieverbrauch, Gewicht, Lebensdauer, mittlerer Reparaturzeit und durchschnittlicher Ausfallzeit berechnet werden musste. So weit die Theorie.

In der Praxis mussten häufig kleine Retuschen beim Outfit genügen, um das alte Produkt mit saftigem Aufpreis als Neuerung zu präsentieren. „Ein höherer Gebrauchswert hätte doch bedeutet, dass auch bessere Rohstoffe eingesetzt werden“, argumentiert Heiner Hellfritzsch. „In der DDR waren Rohstoffe aber knapp, und sie wurden zusehends knapper. Also ging es bei uns mehr darum, den Einsatz von Rohstoffen zu minimieren, als den Gebrauchswert zu erhöhen.“ Im offiziellen Sprachgebrauch hieß das: „Preisarbeit ist zuerst Kostenarbeit.“

Die Preise bleiben stabil – koste es, was es wolle

An einem Beispiel erklärt Hellfritzsch die Logik der „Gebrauchswert-Kostenanalyse“. „Da hieß es dann: Muss denn wirklich ein Prozent Parfüm in die Seife, oder kriegen wir das auch mit 0,95 Prozent hin? Oder noch besser mit 0,9 Prozent.“

Im Florena-Sortiment fand sich eine Seife namens „Lidos“, die es nur in den teuren „Exquisit“-Läden gab. Sie kostete seit jeher zwölf Mark. „Anfangs war sie noch in Glanzpapier eingehüllt, von Hand verpackt“, erinnert sich Heiner Hellfritzsch. „Zum Schluss lag sie nackt in der Faltschachtel. Und das Parfümöl – nun ja, es war auch nicht mehr das gleiche wie 1979.“

Wenn der Preis den Gebrauchswert wiedergeben musste, hätte man den Preis für die „Lidos“ ja eigentlich senken müssen.
„Ja, natürlich, aber das hat man nicht getan. Der Preis blieb gleich.“
Man hätte aber auch sagen können: Die Rohstoffe sind teurer geworden, Lidos soll aber gleich gut bleiben, also kostet sie ab sofort nicht mehr 12, sondern 14 Mark.
„Nein, das ging auch nicht. Schließlich galt: Was seinen Preis hat, behält seinen Preis.“

Mit dem Start der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion am 1.7.1990 mussten Hellfritzschs Preisökonomen plötzlich völlig neu kalkulieren, mit realistischen Kostenparametern, die jetzt der Markt vorgab. Die meisten Subventionen fielen mit einem Mal weg. „Das haben wir gut hingekriegt“, erinnert sich der ehemalige VEB-Manager, „das viel größere Problem war, dass wir nicht wussten, welchen realistischen EVP wir ansetzen sollten. Die Preisbindung im Einzelhandel war ja weg.“

Hellfritzsch und seine Leute machten, so sieht er das im Nachhinein, „etwas sehr Gutes“. Sie ignorierten die Ratschläge wohlmeinender Experten, die empfahlen, die Florena-Produkte als Billigartikel in der Eingangszone der Drogeriemärkte zu positionieren. „Wir haben gefragt: Wer ist in unserem Sortiment der Marktführer? Na klar, Nivea. Und dann haben wir den EVP für unsere Artikel einfach zehn Prozent unter Nivea-Niveau angesetzt. Fragen Sie mich nicht, warum ausgerechnet zehn Prozent. Wir haben es einfach gemacht. Und so signalisiert: Wir sind auch wer.“

Für die zweite wichtige Preiskategorie, den Betriebspreis, galt das Stabilitäts-Dogma auch schon zu DDR-Zeiten nicht. Mit ihm kalkulierten die Betriebe; er war Grundlage dafür, was sie dem Einzelhandel oder, wenn es um Zulieferungen oder Vorprodukte ging, anderen Industriebetrieben in Rechnung stellen konnten. Auch der Betriebspreis war festgelegt, allerdings nicht nach den Kriterien der SED-Sozialpolitik, sondern gemäß betriebswirtschaftlicher Kostenrechnung. Wie die aussah, bestimmte die „zentrale staatliche Kalkulationsrichtlinie“.

Grundlage des Betriebspreises war der für die Herstellung eines Erzeugnisses erforderliche „nationale Aufwand“: die auf das einzelne Produkt heruntergebrochene Summe aus den Kosten für Löhne, Rohstoffe, Material, Energie, Abschreibungen und anderes – wobei zu den Löhnen auch eher produktionsfremde Posten wie die Aufwendungen für den Betriebsparteisekretär und die Kampfgruppen sortiert wurden. Auch der Gewinn fand sich als vorgegebener Prozentsatz gleich mit im Betriebspreis verpackt, im „Pflichtenheft“ des Betriebes wurde alles penibel dokumentiert. In manchen Kombinaten wurden eigens „Arbeitsgruppen zur Erhöhung des Niveaus der Pflichtenheftarbeit“ eingerichtet.

In der Endzeit der DDR versuchte die Wirtschaftsführung den Betriebspreis verstärkt als Innovationshebel zu nutzen. Für neu entwickelte Produkte erhielt der Betrieb in den ersten beiden Produktionsjahren einen Preiszuschlag, den er als Extragewinn verbuchen konnte – bevor er ihn größtenteils wieder an den Staatshaushalt abführen musste. Mit Preisaufschlägen von jeweils zwei Prozent belohnten die Wirtschaftsplaner auch Produkte mit den Gütezeichen „Qualität“, „Gestalterische Spitzenleistung“ und „Gutes Design“. Maßstab war „der erreichte Stand bei international führenden Erzeugnissen“. Die staatlichen Produktsiegel blieben zwei Jahre gültig, nur „bei modischen Erzeugnissen“ war die Gültigkeit „auf die jeweilige Saison beschränkt“.

Stellte der Betrieb dagegen ein veraltetes Produkt weiter her, musste er einen Preisabschlag hinnehmen, sodass sich sein Gewinn reduzierte. All dies geschah selbstverständlich unter Berufung auf Karl Marx und sein Diktum vom „moralischen Verschleiß“ eines jeden Erzeugnisses vom ersten Tag seiner Produktion an. An der dominierenden Präsenz zeitlos schöner Dauerbrenner in den DDR-Läden vermochte der moralische Verschleiß allerdings nichts zu ändern.

Widersprüchlichkeiten? Ignorieren!

Wäre alles streng nach den Richtlinien zugegangen, hätte der Betriebspreis auch gesenkt werden müssen, wenn sich etwa durch neue Maschinen der Energieverbrauch reduzierte und die Energiekosten sanken. „Theoretisch richtig“, sagt Hellfritzsch. „Aber in der Praxis konnten Sie das vergessen. Energie hat in der DDR doch fast nichts gekostet, das hatte kaum Einfluss auf den Betriebspreis.“ Er holt das Pflichtenheft von 1989. „In dem Jahr haben wir Betriebspreise von 200 Millionen Mark realisiert, darin sind gerade zwei Millionen für Energie enthalten. Dabei war unsere Produktion äußerst energieintensiv.“

Aber in den achtziger Jahren waren die Kosten der Energieerzeugung in der DDR doch enorm gestiegen, um 400 Prozent. Da hätten Ihre Energiekosten doch viel höher sein müssen.
„Das stimmt.“
Die Energiepreise, die Ihr Betrieb bezahlt hat, entsprachen also gar nicht den tatsächlichen Herstellungskosten?
„Nein, überhaupt nicht. Der Energiepreis war hoch subventioniert.“

Sie gingen nach einem detaillierten Kennziffernsystem vor, Sie hielten sich penibel daran, aber eigentlich sagten die darin enthaltenen Preise nichts aus, weil sie die wirklichen Knappheitsrelationen nicht wiedergaben. Die Preissignale, die in Ihren Betriebspreis eingingen, waren also falsch.
„Ja, aber das hat wenig interessiert. Für uns war entscheidend, dass wir unsere geplante Warenproduktion realisiert haben.“

Stieg der Betriebspreis, weil beispielsweise Rohstoffe teurer wurden, durfte das keine negativen Auswirkungen auf den Lebensstandard der Bevölkerung haben. Der EVP musste bleiben, wie er war – und rutschte so bei vielen Erzeugnissen im Laufe der Jahre unter den Betriebspreis. Im Kapitalismus hätte jeder Betrieb angesichts des drohenden Konkurses derart unrentable Artikel sofort aus dem Sortiment genommen. Die DDR-Fabriken dagegen mussten die geplante Menge tapfer weiterproduzieren. Die Betriebe hatten schließlich ihren Versorgungsauftrag zu erfüllen. Sie verkauften solche Erzeugnisse eben zum EVP (oder noch billiger) an den Einzelhandel; die Differenz zum Betriebspreis erhielten sie aus dem Staatshaushalt. „Von unten drückte der Betriebspreis gegen den EVP, aber der durfte sich ja nicht bewegen“, erklärt Manfred Domagk, der dem Amt für Preise mehr als 20 Jahre als Staatssekretär diente. „Allein von 1981 bis 1986 habe ich für 65 Milliarden Mark Betriebspreiserhöhungen auf den Weg gebracht. Und wozu führten die? Dass jeder DDR-Bürger mit 30 Mark subventioniert wurde, wenn er für 100 Mark Lebensmittel kaufte.“

Diese Subventionitis in fortgeschrittenem Stadium, nichts anderes als zurückgestaute Inflation, war kein Betriebsunfall, sondern erklärtes Ziel der Politik. „Der Einsatz von Mitteln zur Fortführung der Politik stabiler Verbraucherpreise ist 1986 bis 1990 auf rund 485 Milliarden Mark zu erhöhen“, forderte die Direktive zum XI. Parteitag. Das Nationaleinkommen sollte im selben Zeitraum 1,3 Billionen Mark erreichen. Jede dritte erwirtschaftete DDR-Mark war demnach für Preissubventionen fest eingeplant.

Die Subvention war dem DDR-Bürger ein ständiger treuer Begleiter. Er wachte morgens in seiner Neubauwohnung auf (82 Mark Monatsmiete), schaltete das Licht an (8 Pfennig pro Kilowattstunde), aß ein Brötchen (5 Pfennig), fuhr mit der Straßenbahn zur Arbeit (20 Pfennig für das Ticket, 10 Pfennig für die Tageszeitung unterwegs), mittags aß er eine Gulaschsuppe (85 Pfennig), und nach der Arbeit ging er ins Schwimmbad (25 Pfennig). Nur der gemütliche Abend daheim war – bis auf die Flasche „Bier Hell“ (62 Pfennig) und die Tafel „Schlager-Süß“ (schokoladenähnlich, 80 Pfennig) – subventionsfreie Zone. Farbfernseher kosteten zwischen 4500 und 8000 Mark, Videorekorder (Import aus Japan) waren nur im Intershop gegen Westmark oder gebraucht über Zeitungsinserate zu bekommen, dafür allerdings zu gepfefferten Preisen von 9000 bis 12.000 Mark.

***
Die Szene. Sitzungssaal des Politbüros. Der Generalsekretär, der Chor der Bonzen. Es herrscht große Ermüdung. Der Minister des Amtes für Preise tritt ein.
Generalsekretär (zum Minister): „Ich habe hier wieder mal so eine Vorlage von Ihnen, Änderungen am Preissystem. Was soll das? Das Preissystem ist gut, es hat sich bewährt, wir haben stabile Preise, die garantieren soziale Sicherheit und Geborgenheit. Unser Preissystem ist eine großartige Errungenschaft des Sozialismus. Was gibt es da zu ändern?“

Minister: „Hier ist eine Aufstellung, welche Subventionen man im Interesse der Volkswirtschaft auf den Prüfstand stellen sollte. Die Bürger verstehen unsere Preispolitik nicht mehr. Sie führt mitunter zu Verschwendung.“

Generalsekretär: „Was soll denn das heißen, Verschwendung?“

Erster Bonze (ganz vorsichtig): „Im ,Neuen Deutschland‘ stand kürzlich ein Leserbrief. Eine Frau schrieb, dass sie in ihrem Dorf eine junge Frau beobachtet habe, die mit ihrem Sohn aus der Bäckerei kam, beide trugen auf den Armen aufgetürmte warme Brote. Die Familie züchtet Biber...“

Zweiter Bonze (schon mutiger): „Unserem Statistischen Jahrbuch entnehme ich, dass der Haferflockenverbrauch in der Stadt bei 200 Gramm pro Kopf liegt und auf dem Land bei zweieinhalb Kilo.“

Dritter Bonze: „Das geht alles an die Schweine!“

Vierter Bonze (nimmt all seinen Mut zusammen): „Besonders die jungen Bürger nehmen unsere stabilen Preise als Errungenschaft des Sozialismus gar nicht mehr wahr. Fünf Pfennig für die Schrippe, 20 Pfennig für die Straßenbahn, 50 Mark Miete, das bedeutet ihnen nichts mehr. Wir müssen zu realistischen Preisen kommen.“

Generalsekretär (zornig): „Ich werde nicht zulassen, dass der Lebensstandard der einfachen Leute sinkt, nur weil hier einige versuchen, über Veränderungen am Preissystem unsere bewährte Strategie der Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik zunichtezumachen. Damit ist die Sache abgeschlossen. Die historische Erfahrung lehrt uns: Unser Weg ist richtig!“

Der Generalsekretär tritt vor, singt mit dem Chor der Bonzen den Song von der Marmeladenpreiserhöhung.

Generalsekretär: „Ich sage euch, Genossen, ...“
Chor der Bonzen (dazu rhythmisch klatschend): „Genossen, Genossen!“ Generalsekretär: „... der 17. Juni begann einst ...“
Chor der Bonzen (kichernd und flüsternd): „Ganz leise, ganz leise.“ Generalsekretär: „... mit der Erhöhung der Marmeladenpreise!“ Chor der Bonzen (laut): „Preise, Preise, Preise!“ Generalsekretär: „Drum gilt, was eh ein jeder weiß, ...“
Chor der Bonzen (mit schneidender Stimme): „... was sein’ Preis hat, behält sein’ Preis!“

Alle verlassen die Bühne, lächelnd und winkend. Vorhang.


Dieser Text stammt aus unserer Redaktion Corporate Publishing.