Jedem das Seine

Wie bepreist man ein abstraktes Produkt? Indem man mit dem Kunden aushandelt, wie viel er dafür zu zahlen bereit und in der Lage ist. Das ist das Pricing-Prinzip der ECE, des europäischen Marktführers beim Betrieb von Shopping-Centern.




Im Zentrum des Erdgeschosses im Alstertal-Einkaufszentrum in Hamburg-Poppenbüttel befinden sich zwei wichtige Einrichtungen: der Informationsschalter und ein großer gepolsterter Quader – die Ruhebank. Der freundliche Mann an der Auskunft weist Kunden geduldig den Weg, die den Überblick verloren haben zwischen rund 160 Fachgeschäften, zwei Warenhäusern, zwei Lebensmittel-Supermärkten, einer Schlemmerzone sowie diversen Dienstleistungs- und Gastronomiebetrieben, die sich auf 42.000 Quadratmetern Einkaufsfläche und drei Stockwerken verteilen. Auf den Sitzmöbeln verschnaufen Shopper, die den Trip durchs Konsumparadies hinter sich gebracht haben. In der Hand ein Eis, einen Becher Kaffee oder ein Brötchen vom Bäcker gegenüber. Ringsum verteilt Tüten und Taschen von Douglas, Swarovski, Esprit, Spar und Thalia. Im AEZ, so der Kurzname des Shopping Centers, steht der Kunde im Mittelpunkt, auf seine Bedürfnisse ist alles ausgerichtet. Er soll sich wohlfühlen, ein attraktives Preis-Leistungs-Verhältnis vorfinden, lange verweilen und so natürlich für möglichst viel Umsatz sorgen.

Zahlen, was das Produkt wert ist

Exakt das Gleiche trifft auf die Kunden zu, die auch nach Ladenschluss, rund um die Uhr, das ganze Jahr über das Einkaufszentrum bevölkern – die Geschäfte und Betriebe selbst. Sie sind als Mieter die Kunden des Center-Betreibers, der Hamburger ECE Projektmanagement GmbH. Und wie alle Ladenbesitzer hat die ECE einen Grundsatz verinnerlicht: Für den Kunden zählt in erster Linie ein guter Preis. Und da jeder Kunde eine ganz eigene Vorstellung davon hat, was ihm ein Produkt wert ist, handelt die ECE mit jedem einzelnen ihrer Mieter eine individuelle Miete aus. Und profitiert selbst davon.

Genauer gesagt: Klaus Striebich handelt. Der Geschäftsführer Vermietung der ECE hat sein Büro im dritten Stock der Hamburger Unternehmenszentrale und kann aus dem Fenster direkt auf einen der zahlreichen Eingänge des AEZ auf der gegenüberliegenden Straßenseite blicken. Der Fußweg zum Eingang wird gesäumt von rotweißem Baustellenband und schlängelt sich zwischen Baggern, Bauwagen und Betonmischern hindurch. Das AEZ wird momentan erweitert und bietet ab Oktober 2006 noch mehr Platz für noch mehr Läden. Rund 240 Fachgeschäfte auf 59.000 Quadratmetern werden es dann sein. Der Lärm der Baustelle dringt durch das gekippte Fenster. Wahrscheinlich kein unangenehmes Geräusch für Striebich, denn es sagt: Das Geschäft boomt.

Bei der ECE besonders. Das Unternehmen, das 1965 vom Versandhaus-Pionier Werner Otto gegründet wurde und heute von dessen Sohn Alexander geleitet wird, betreibt weltweit 84 Shopping-Center mit insgesamt 2,4 Millionen Quadratmetern Verkaufsfläche, darunter Renommierobjekte wie den Leipziger Bahnhof und die Arkaden am Potsdamer Platz. 13 weitere Zentren befinden sich in Bau oder Planung. Momentan bestehen Mietverträge mit 8500 Kunden, allein 2006 sollen 2300 neue hinzukommen. Der Umsatz der ECE betrug 2005 zehn Milliarden Euro. Europäischer Marktführer.

„Unser Produkt ist ein abstraktes Investitionsgut“, sagt Striebich, „daher ist es viel schwieriger, einen Preis dafür zu finden. Wir sind keine Makler, die einfach einen Raum an den Mann bringen wollen. Wir verkaufen eine Chance – die Chance auf Umsatz. Diese Chance hat genau den Wert, den ihr der potenzielle Mieter beimisst.“ Der Kernpunkt von Striebichs Aufgabe besteht darin, gemeinsam mit dem neuen Mieter diesen Wert zu bestimmen. Denn der Umsatz ist maßgeblich für die Höhe der Miete.

Grundsätzlich ist der Mietpreis zweigeteilt, in einen fixen und einen flexiblen Anteil. Für die Bestimmung der festen Komponente setzt sich Striebich – bis zu drei Jahre vor der Eröffnung eines Centers – mit dem potenziellen Partner an einen Tisch und fragt ihn nach seinen Erwartungen: Was will der Händler verkaufen? Zu welchem Preis produziert oder kauft er seine Ware? Wie viel will er dafür im Verkauf nehmen? Wie groß ist die Nachfrage nach seinem Produkt? Mit wie vielen Kunden pro Tag rechnet er? Das Ergebnis ist der erwartete Umsatz pro Jahr. „Bei diesen Daten vertrauen wir auf die Angaben des Kunden, aber wir prüfen, wie plausibel seine Umsatzerwartungen sind“, sagt Striebich. „Gerade, wenn es um Produkte geht, die neu am Markt sind. Wenn mir etwa jemand erzählt, er rechne mit einer Million Euro Umsatz für ein Produkt, das zwei Euro kostet, hake ich nach: Bei durchschnittlich 302 Öffnungstagen im Jahr müsste er rund 3300 Euro pro Tag umsetzen, also mehr als 1600 Kunden täglich durch sein Geschäft schleusen. Klingt nicht ganz überzeugend.“

Die Summe des erwarteten Umsatzes wird anschließend umgerechnet auf die Fläche, die der Laden benötigt. Daraus ergibt sich der Umsatz pro Quadratmeter – die Flächenproduktivität. Rechnet beispielsweise ein Einzelhändler mit einem Umsatz von einer Million Euro, den er auf 100 Quadratmetern erwirtschaften will, beträgt die Flächenproduktivität 10.000 Euro. Dieser Wert bestimmt die Fixmiete.

Die ECE hat natürlich ein Interesse daran, dass der Händler möglichst viel Umsatz auf möglichst wenig Fläche macht. Um ihn dabei zu unterstützen, spricht Striebich in den Verhandlungen manchmal auch über Details wie Lieferketten und die interne Preisgestaltung des Kunden. „Es ist ja ganz simpel: Umsatz besteht aus dem Preis der Produkte multipliziert mit der Zahl der verkauften Einheiten. Also kommt es vor, dass ich einem Mieter nahe lege, eventuell das Niveau seiner Verkaufspreise zu erhöhen. Weil er den Preis als wichtigen Hebel vielleicht noch nicht ausreichend erkannt hat. In solchen Situationen fühle ich mich fast schon wie ein Consultant.“

Aber auch der Mieter kann davon profitieren, 100 statt 200 Quadratmetern zu beanspruchen. Denn dadurch sinken seine zusätzlichen Kosten wie etwa die Ausgaben für Einrichtung, Instandhaltung und Pflege, außerdem wird er auf einer kleineren Fläche auch weniger Personal einsetzen müssen. Die Detaildiskussion über die Ladenfläche ist nur möglich, weil die Raumaufteilung in einem Shopping Center sehr flexibel ist. „Wir können jeden Raum bedarfsgerecht zuschneiden“, sagt Striebich, „anders als beispielsweise der Vermieter eines Geschäftshauses in der Fußgängerzone, wo die Wände aus hartem Mauerwerk bestehen. Im Einkaufszentrum benutzen wir Gips-Karton-Stellwände, die lassen sich ganz einfach verschieben.“ Darüber hinaus fallen für den Mieter in einem Shopping Center bestimmte Raumkosten weg, beispielsweise für eine Kundentoilette oder einen Lagerraum – diese Einrichtungen sind im Shopping Center zentralisiert und können von allen Mietern genutzt werden.

Während der Fixanteil der Miete vom erwarteten Umsatz bestimmt wird, hängt die zweite Mietkomponente, der variable Teil, vom tatsächlichen Umsatz ab, den ein Geschäft erwirtschaftet. Jeder Vertragspartner verpflichtet sich, seine Kennzahlen viermal im Jahr an die ECE zu melden, bei Neuobjekten überprüft das Unternehmen den Umsatz zwölfmal. Steigt der Umsatz eines Kalenderjahrs gegenüber dem Vorjahr, erhöht die ECE entsprechend die flexible Miete. Sinkt der Umsatz, muss der Mieter auch weniger an den Center-Betreiber zahlen.

Das System kann dazu führen, dass die Mieten in von ECE betriebenen Einkaufszentren „zum Teil 100 bis 200 Prozent über dem ortsüblichen Mietspiegel liegen“, wie Klaus Striebich sagt. „Aber die Miete haben wir ja mit dem Partner im Voraus gemeinsam berechnet, er weiß also immer, worauf er sich einlässt.“

Offenbar rechtfertigt ein Platz im Shopping Center aus Sicht der Geschäftsleute den Preis. Die von der ECE betreuten Zentren zumindest sind zu 100 Prozent vermietet. Der Standort ist so wertvoll, weil er kalkulierbar ist. Beispielsweise ist die Konkurrenzsituation klar: Ein Bäcker etwa weiß, dass unter 120 Geschäften in einem Center nicht 15 Konkurrenten sein werden, sondern maximal drei bis vier. Zum anderen profitieren die Mieter von der gesicherten Anziehungskraft eines Einkaufszentrums auf Konsumenten – sie sorgen für regelmäßigen Umsatz.

Attraktive Ankermieter

Außerdem setzt die ECE bei bestimmten Mietern zu Beginn des zehn Jahre laufenden Vertragsverhältnisses die flexible Miete relativ niedrig an, „beispielsweise bei einem kleinen, aber feinen Schmuckladen, der noch nicht etabliert ist, aber großes Entwicklungspotenzial hat. Den Start betrachten wir als Investitionsphase, in der unser Kunde vielleicht weniger zahlt als auf dem freien Markt üblich. Wenn er dann Erfolg hat, holen wir unsere Anfangsinvestition wieder herein.“ So ein Geschäft braucht die ECE manchmal im Gesamtportfolio eines Centers, um Synergien mit anderen Mietern zu erzeugen – wo teure Damenkleidung verkauft wird, darf ein Schmuckladen in der Nähe nicht fehlen. Es kommt auf den richtigen Branchenmix an: „Bei 100 Läden gibt es immer einen Großflächenbetreiber, beispielsweise ein Unterhaltungselektronik-Filialist, ein Warenhaus oder ein Lebensmittelhändler, dazu einen Sportwarenladen, einen Buchhändler und einen Modeladen wie H&M, in der Regel nur eine Apotheke, aber mindestens fünf Schuhläden. Wegen der Frauen. Deshalb auch 15 bis 20 Oberbekleidungsgeschäfte.“

Am wichtigsten sind die sogenannten Ankermieter: Geschäfte, die wegen ihrer Marktposition oder Attraktivität die Grundfrequenz im Shopping Center steigern. Zum einen sind es Großflächenbetreiber, die wegen ihres hohen Raumbedarfs eine geringe Umsatzproduktivität aufweisen und nicht so hohe Mieten zahlen – Supermärkte oder Warenhäuser beispielsweise. Zum anderen handelt es sich um Branchen, die zwar geringe Margen erzielen – und daher ebenso wenig als Melkkühe taugen –, aber große Synergien erzielen. „Ein Klassiker sind Spielwarenläden“, erklärt Striebich, „Spielzeug kauft jeder, weil die Kinder das wollen. Kinder wiederum haben Eltern, Onkel und Oma im Schlepptau, die bei den anderen Läden einkaufen. Also kann ich es mir leisten, einen Spielzeugladen aufzunehmen, der vielleicht 20 Euro pro Quadratmeter weniger zahlt, in den benachbarten Geschäften aber den Umsatz und damit deren Miete erhöht.“

Damit diese Strategie aufgeht, müssen Ankermieter innerhalb eines Einkaufszentrums richtig platziert werden, „am besten weit entfernt von den Eingängen und in den Ecken, damit die Kunden an möglicht vielen anderen Läden vorbeiflanieren“, sagt der ECE-Manager.

Diese Grundsätze sind in der Branche ebenso wenig ein Geheimnis wie das Pricing-Modell der ECE. „Aber viele unserer Wettbewerber kalkulieren ihre Mieten in erster Linie anhand üblicher Marktpreise. Das Dumme daran ist, dass es Daten aus der Vergangenheit sind. Ich will aber den Preis von morgen kennen. Deshalb will ich von den Mietern genau wissen, wie sie ihr Potenzial einschätzen. Also knie ich mich richtig tief rein in die Verhandlungen. Spezialistentum ist kein Geheimnis – steht in jedem Lehrbuch.“


Dieser Text stammt aus unserer Redaktion Corporate Publishing.