Der kleine Unterschied

Europäischer Einheitspreis oder länderspezifisches Pricing?
McKinsey erklärt, wann welche Strategie für verschiedene Produkte Sinn ergibt.




Europas Märkte wachsen zusammen – zum Wohle der Verbraucher. Seit der Einführung des Euro profitieren die Konsumenten nicht nur vom uneingeschränkten Warenfluss innerhalb der Europäischen Union, die gemeinsame Währung lädt auch zum direkten Preisvergleich ein. Durch die einheitliche Währung sind die Preise transparenter geworden – und der aufmerksame Kunde auf Schnäppchensuche erlebt anschaulich, wie groß die Spielräume bei den vermeintlich knapp kalkulierten Endkundenpreisen in Wahrheit sein können. So kostet der Sechser-Kasten Evian in Deutschland beispielsweise rund 6,60 Euro plus drei Euro Pfand, in Frankreich ist das Wasser schon für 3,84 Euro zu haben, ohne dass dafür Pfand fällig wird. Die neuesten Adidas-Sportschuhe für Frauen sind hierzulande mit 85 Euro ausgezeichnet, die Sportlerin in Italien muss für das Paar rund 16 Euro weniger bezahlen.

In den unmittelbaren Genuss dieser Vorteile kommen alle Auslandsreisenden, die Bewohner grenznaher Gebiete, die Käufer von Grauimporten, aber auch alle Händler, die sich zu überregionalen oder internationalen Einkaufsorganisationen zusammenschließen. Konsumgüterhersteller allerdings sehen sich durch die Entwicklung vor knifflige Fragen gestellt: Ist es notwendig, die Preise innerhalb des Euroraums zu vereinheitlichen? Lassen sich dadurch Parallel-Importe auf dem Graumarkt vermeiden? Wie würde sich die gegenteilige Strategie auswirken: Könnte der Hersteller durch Einheitspreise dem verstärkten Margendruck seitens der Händler entgehen? Kurzum: Welches Risiko bergen Preisstrategien, die entweder auf Harmonisierung oder auf Differenzierung setzen?

Prinzipiell gilt: Regionale Preise sind einem Standardpreis vorzuziehen, das gilt für Konsumenten ebenso wie für Handelspartner. Wer darauf verzichtet, dem entgehen Umsatz und Gewinn, weil nur die Differenzierung es dem Anbieter erlaubt, Unterschiede bei Kaufkraft und Konsumbereitschaft auszunutzen.

Die individuelle Ausgestaltung einer Preisstrategie richtet sich zunächst danach, ob eine Marke ausschließlich regional oder auch international vertrieben wird. Zudem kommt es darauf an, ob nur gegenüber dem Konsumenten oder auch gegenüber dem Handel differenziert werden soll. Bei Konsumenten korreliert das Risiko einer lokalen Preisstrategie stark mit der Produktkategorie und der Preissensitivität, also der Frage, wie sensibel der Kunde mit Blick auf den Preis ist. Bei einem Handelspartner spielt eher eine Rolle, welche Einkaufsmacht er ausübt und ob er den Markt über die Landesgrenzen hinaus abdecken kann.

Wie stark sich Konsumentenpreise differenzieren lassen, hängt ab von der Substitutionsfähigkeit eines Produktes, das heißt: von der Frage, wie problemlos der Verbraucher ein Produkt durch ein anderes, billigeres ersetzen kann. Die Bereitschaft, ein vergleichbares Produkt zu einem günstigeren Preis im Ausland zu erwerben, wird bestimmt durch drei Faktoren: Erstens kalkuliert der Konsument den absoluten Preisunterschied, der sich nach der Höhe des Produktwertes richtet. Zweitens berücksichtigt er den relativen Kaufaufwand im Ausland, vor allem in Bezug auf die Transportkosten. Drittens fließen Fragen nach Beratungsbedarf und Kundendienst in seine Kalkulationen ein. Mit Blick auf den Kunden müssen die Hersteller kurzlebiger Verbrauchsgüter wie Lebensmittel und Drogerieartikel also anders agieren als Anbieter langlebiger Produkte, beispielsweise Haushaltsgeräte, Möbel, Unterhaltungselektronik, Elektrokleingeräte oder Schmuck.

Bei kurzlebigen Verbrauchsgütern lassen sich recht hohe Preisunterschiede zwischen verschiedenen Ländern erzielen, ja sogar zwischen einzelnen Regionen. So variiert etwa der Preis für eine 0,5-Liter-Flasche Coca-Cola bereits innerhalb Deutschlands zwischen 50 Cent und drei Euro – je nachdem, wo man sie kauft. Eine derartige Differenzierung ist möglich, weil der Produktwert niedrig ist und sich der Mehrpreis unterhalb der psychologischen Schmerzgrenze bewegt. Bei Lebensmitteln und kurzlebigen Verbrauchsgütern zeigt sich kaum ein Verbraucher bereit, längere Distanzen zurückzulegen, um das Produkt in einem anderen Geschäft billiger zu erwerben.

Branchenvorreiter haben sich diese Erkenntnis bereits zunutze gemacht: Sie differenzieren ihre Preise nicht nur nach Ländern oder Kanälen, sondern auch nach Regionen, Handelsformaten und Konsumentengruppen. Die Pioniere wissen beispielsweise genau, in welchem Stadtteil besonders viele junge, konsumfreudige Paare einkaufen – und schneiden Preise sowie In-store-Aktivitäten exakt auf diese Zielgruppe zu.

Preiskorridore können den Graumarkt in Grenzen halten

Auch bei langlebigen Verbrauchsgütern akzeptiert der Kunde in der Regel große Preisunterschiede. Denn Haushalts-Großgeräte wie beispielsweise Waschmaschinen sind beratungsintensiv, außerdem verursachen sie hohe Transportkosten, falls sie im Ausland erworben werden. Aus Sicht des Konsumenten scheint ein höherer Aufwand deshalb gerechtfertigt – das bietet dem Hersteller die Chance, ähnlich wie bei kurzlebigen Konsumgütern, eine regionale Preisdifferenzierung durchzusetzen. Elektro-Kleingeräte, Unterhaltungselektronik und hochwertiger Schmuck dagegen sind geradezu ideale Kandidaten für den Graumarkt: Einerseits verursachen sie kaum Transportkosten, andererseits spielen Beratung und Service keine kaufentscheidende Rolle. Für Markenhersteller derartiger Produkte kann deshalb die Preisharmonisierung innerhalb der Eurozone hohe strategische Bedeutung haben. Das bedeutet allerdings keine Angleichung der Preise auf unterstem Niveau.

Bei der Suche nach dem richtigen Preis helfen sogenannte Preiskorridore, die eine schrittweise Annäherung erlauben. Solche Korridore berücksichtigen die unterschiedlichen Preisniveaus einzelner Länder – und ermöglichen dennoch eine Profitoptimierung auf europäischer Ebene. Ihre Eckpunkte sollten – je nach Kategorie – zwischen 10 und 20 Prozent auseinanderliegen. Diese Spanne ist einerseits hoch genug, um die Preise von Land zu Land flexibel zu setzen, andererseits ist die potenzielle Einsparung für Käufer zu gering, um einen massiven Graumarkt entstehen zu lassen; dieser Markt bildet sich in der Regel erst bei Preisdifferenzen von mehr als 20 Prozent.

Ob ein Hersteller gegenüber Handelspartnern eine Euro-Preisstrategie benötigt, richtet sich danach, ob und wie stark sie international agieren. Hängen Wohl und Wehe eines Markenherstellers von großen Handelsorganisationen ab, läuft er Gefahr, dass sie den niedrigsten Einstandspreis in allen Ländern zu realisieren versuchen. Im schlimmsten Fall werden sie auch lokale Konditionen und Rabatte zu ihren Gunsten auslegen und ebenfalls flächendeckend durchsetzen wollen. Das damit verbundene Profitrisiko übersteigt den Gewinn des Herstellers nicht selten bei weitem.

Auch gegen ein solches Gebaren kann sich der Hersteller mit Preiskorridoren wappnen. Sie verhindern eine zu starke Spreizung der Netto-Preise und ermöglichen im Laufe der Zeit eine Angleichung, aber nicht zwangsläufig auf unterstem Niveau. Gleichzeitig behalten die Länderorganisationen eine gewisse Flexibilität bei der Preisfestlegung. Auch klare Richtlinien für ein Preis- und Konditionensystem können sich für den Hersteller als hilfreich erweisen. Sie bestimmen, welche Rabatte für welche Händlerleistung von Land zu Land gewährt werden und wie hoch sie maximal ausfallen können.

Wie immer die individuelle Euro-Preisstrategie für den einzelnen Hersteller auch aussehen mag, Voraussetzungen für ihr Gelingen sind Transparenz und Organisation. Zwar laufen in den Konzernzentralen eine Reihe von Daten aus einzelnen Länder zusammen, mit Blick auf die Preise gilt das jedoch leider oft nicht. Viele internationale Unternehmen operieren mit unabhängigen Tochtergesellschaften – haben jedoch keine genaue Vorstellung vom Preisgefälle zwischen verschiedenen Ländern, und zwar weder bei Konsumenten- noch bei Herstellerabgabepreisen. Für die Entwicklung internationaler Preisstrategien ist deshalb der Aufbau einer umfassenden Datenbank notwendig, die diese Informationen liefert.

Wer die Preisniveaus europaweit angleichen will, sollte zudem eine Zentralisierung in der Organisation vornehmen. Auch wenn das Vorhaben in der Praxis oft schwierig ist, weil es die Länderorganisationen massiv in ihrer Selbstständigkeit einschränkt: Nur so lassen sich relevante Daten zusammenführen, abstimmen und dauerhaft managen. Ein möglicher Kompromiss in der Frage der Preishoheit könnte die Gründung eines internationalen Pricing-Gremiums sein, das mehrere Länder repräsentiert.

Fazit: Mit geschicktem Preismanagement innerhalb der Eurozone können Konsumgüterhersteller große Potenziale erschließen. Der mobile Konsument wird immer auf Schnäppchenjagd gehen, der mobile Hersteller aber kann ihm zumindest die eine oder andere Billig-Tour vermasseln.

Strategien nach Produktgruppen

  1. Lebensmittel, Drogerieartikel
    Niedriger Preisunterschied rechtfertigt Kaufaufwand im Ausland nicht. Empfehlung: analytisch fundierte Differenzierung der Preise auch nach Regionen, Handelsformaten und Konsumentengruppen.
  2. Haushaltsgeräte
    Die Preisdifferenz kann signifikante Summen erreichen; hohe Transportkosten und hohe Beratungsintensität wiegen die Ersparnis allerdings nicht auf. Empfehlung: ebenfalls umfassende Differenzierung der Preise bei gleichzeitiger Prüfung, ob die wahrgenommenen Preisunterschiede Maßnahmen in der Öffentlichkeitsarbeit nötig machen.
  3. Elektro-Kleingeräte
    Unterhaltungselektronik, hochwertiger Schmuck: Geringe Transportkosten bei hoher absoluter Preisersparnis machen einen Kauf im Ausland attraktiv. Empfehlung: Preisharmonisierung innerhalb der Eurozone durch Preiskorridore.

Dieser Text stammt aus unserer Redaktion Corporate Publishing.